Kommentierte Spiele

Anish Giri mal ohne Remischance: Bacrot - Giri 2013

Vabanque - 14. Mär '17
Neulich schrieb mir ein Schachfreund, als wir über Spieler und ihre Stile plauderten, und ich Leko als großen Remismeister bezeichnete: 'Du darfst Giri nicht vergessen; der macht alles remis.' Nun ja; in der folgenden Partie schaffte der Niederländer mal ausnahmsweise kein Remis, im Gegenteil, er unterlag dem Franzosen Bacrot in nur 26 Zügen. In der Tat ist es eine Seltenheit zwischen zwei Spielern der Weltspitze, wenn einer von beiden nach nur 20 Zügen bereits eine positionelle Gewinnstellung erreicht hat. Und Bacrot gelingt dies hier, ohne eigentlich irgendetwas Besonderes zu machen. Er spielt eine seltene Variante, und Giri kommt damit nicht zurecht; seine Stellung verschlechtert sich Zug für Zug, obwohl er doch auch nur völlig plausible Züge macht ... Schach ist schon oftmals ein Rätsel!

Etienne Bacrot Anish Giri Bundesliga 2013/14 | Emsdetten GER | 1 | 2013.10.12 | B52 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. Lb5+ Eine Variante, mit deren Tücken ich selber auch oft genug am Turnierbrett zu kämpfen hatte. Laut Theorie soll dies für Weiß keinen Vorteil einbringen; aber gegenwärtige Partie zeigt, wie schwer dieses theoretische Urteil in der Praxis zu rechtfertigen ist - sogar auf Weltklasse-Niveau! Ld7 4. c4 Dieser seltene Zug ist eine Spezialität von Bacrot. Sf6
Nach Lxb5 5. xb5 kommt der schwarze Damenspringer nicht nach c6.
5. Sc3 g6 6. O-O Lg7 7. d4 Nach der 'verspäteten' Öffnung der Stellung (statt bereits 3. d4) entsteht eine Art Maroczy-Aufbau. xd4 8. Sxd4 O-O 9. Lxd7 Dxd7 Diese Stellung hätte nun auch aus 4. Lxd7+ (statt 4. c4) entstehen können. 10. b3!
Nach 10. f3?! um evtl. Le3 vorzubereiten Tc8! 11. b3 d5! 12. xd5 Sxd5! 13. Sxd5 e6 mit Rückgewinn der Figur hätte Weiß kaum Chancen auf irgendwelchen Vorteil.
Sc6 11. Lb2 a6
Es gibt zwei Hauptpläne gegen den Maroczy-Aufbau: entweder d5 (wie oben gezeigt), oder b5. Letzteres versucht Schwarz hier vorzubereiten. Doch mit e6 nebst Tfd8 konnte er immer noch gut den wirkungsvolleren Gegenstoß d5 anstreben.
12. Sxc6! Konfrontiert Schwarz mit der Wahl, wie er zurücknehmen soll. Dxc6?!
Dies scheint in Anbetracht des Kommenden doch die schlechtere Wahl gewesen zu sein, da nun gleich ein weißes Pferd nach d5 hüpft. xc6 hätte dies verhindert und das schwarze Zentrum gestärkt.
13. Sd5 Sxd5?!
Schwarz musste nicht sofort tauschen; er konnte sich diese Option mit Tfe8 (was e7 deckt) noch vorbehalten. Er musste 14. Sxf6+ Lxf6 15. Lxf6 xf6 nicht fürchten; die Schwäche d6 konnte er gut mit eventuellem Te6 decken.
14. xd5 Dc5 15. Lxg7 Kxg7 16. Te1 Nun, da nur noch die Schwerfiguren auf dem Brett sind (und das nach 16 Zügen!), erkennt man klar den Vorteil von Weiß: er kann permanenten Druck auf den rückständigen schwarzen e-Bauern ausüben, während es schwer für Schwarz sein wird, Gegenspiel zu organisieren. Tfe8
Vielleicht war e5 einen Versuch wert, obwohl nach 17. de6 xe6 (nun hängt f2!) 18. Dd2 Weiß langandauernden Druck auf das 'hängende' schwarze Bauernpaar e6 und d6 ausüben wird.
17. Dd2 b5?!
Schwarz setzt seinen Plan durch, aber es ist ein verfehlter Plan, wie sich zeigt. Vielleicht sollte er doch e5 18. de6 Txe6 versuchen, obwohl diese Stellung keineswegs verlockend aussieht.
18. Tac1! Nun droht b4 nebst c5. Da7?
b4 war hier die letzte Chance von Schwarz. Nach dem Textzug gerät er in eine positionelle Verluststellung.
19. b4! Bacrot spielt sehr konsequent und energisch. Er droht c5. xc4
Das Einzige. Denn wenn Schwarz c5 mit Tac8 verhindern will, spielt Weiß es trotzdem: 20. c5! xc5 21. xc5 Txc5?? 22. Dd4+ mit Turmgewinn wegen der Stellung des schwarzen Königs.
20. Txc4 h5
Unglücklicherweise kann Schwarz nicht auf der c-Linie opponieren: Tac8?? 21. Dc3+ wieder mit Turmgewinn aufgrund der Stellung des schwarzen Königs. Schwarz muss dem Weißen also die Herrschaft über die c-Linie komplett überlassen. Der Textzug richtet sich wohl gegen die weiße Möglichkeit Th5 nebst eventuellem Dh6.
21. Dc3+ Kg8 22. Tc7 Mit Betreten der 7. Reihe (und das hier sogar mit Tempo!) werden alle Träume eines Turms wahr. Db6 23. a4!
Denn 23. Txe7 Txe7 24. Txe7 a5 gäbe Schwarz noch Gegenspiel. Der Textzug verhindert diese Möglichkeit, da nun auf a5 immer b5 folgen könnte.
Tab8 24. Te4 Wieder blockt Weiß alles gegnerische Gegenspiel ab. f6
Die schwarze Stellung ist völlig verloren; es ist gleich, was er noch spielt. Der Textzug soll Mattwendungen verhindern helfen, die nach sofortigem Tb7 25. Txe7! entstünden.
25. g4! Jetzt wo Weiß seinen Gegner am Damenflügel fest im Griff hat, fängt er am Königsflügel zu bohren an, weil Schwarz dort wegen Figurenmangel hilflos ist. Tb7 Mit diesem Zug, der durch f6 vorbereitet wurde und der scheinbar den eingedrungenen Turm befragt, ermöglicht Giri Bacrot einen Glanzschluss. 26. Dxf6!!
Der Knalleffekt; es wird Matt nach 26. Dxf6 Dxc7
oder xf6 27. Txe8# mit einem klassischen Zwei-Türme-Matt
27. Dxg6+ Kf8
um den Te8 zu decken; nach Kh8 28. Dxe8+ Kg7 29. Kg2 (verhindert Dc1+) dauert es lediglich paar Züge länger
28. Tf4# Ein würdiger taktischer Abschluss einer stark geführten Positionspartie!
PGN anzeigen[Event "Bundesliga 2013/14"]
[Site "Emsdetten GER"]
[Date "2013.10.12"]
[EventDate "2013.10.12"]
[Round "1"]
[Result "1-0"]
[White "Etienne Bacrot"]
[Black "Anish Giri"]
[ECO "B52"]
[WhiteElo "2730"]
[BlackElo "2749"]
[PlyCount "51"]

1. e4 c5 2. Nf3 d6 3. Bb5+ {Eine Variante, mit deren Tücken ich selber auch oft genug am Turnierbrett zu kämpfen hatte. Laut Theorie soll dies für Weiß keinen Vorteil einbringen; aber gegenwärtige Partie zeigt, wie schwer dieses theoretische Urteil in der Praxis zu rechtfertigen ist - sogar auf Weltklasse-Niveau!} Bd7 4. c4 {Dieser seltene Zug ist eine Spezialität von Bacrot.} Nf6 ({Nach} 4... Bxb5 5. cxb5 {kommt der schwarze Damenspringer nicht nach c6.}) 5. Nc3 g6 6. O-O
Bg7 7. d4 {Nach der 'verspäteten' Öffnung der Stellung (statt bereits 3. d4) entsteht eine Art Maroczy-Aufbau.} cxd4 8. Nxd4 O-O 9. Bxd7 Qxd7 {Diese Stellung hätte nun auch aus 4. Lxd7+ (statt 4. c4) entstehen können.} 10. b3! ({Nach} 10. f3?! {um evtl. Le3 vorzubereiten} Rc8! 11. b3 d5! 12. exd5
Nxd5! 13. Nxd5 e6 {mit Rückgewinn der Figur hätte Weiß kaum Chancen auf irgendwelchen Vorteil.}) 10... Nc6 11. Bb2 a6 ({Es gibt zwei Hauptpläne gegen den Maroczy-Aufbau: entweder d5 (wie oben gezeigt), oder b5. Letzteres versucht Schwarz hier vorzubereiten. Doch mit} 11... e6 {nebst Tfd8 konnte er immer noch gut den wirkungsvolleren Gegenstoß d5 anstreben.}) 12. Nxc6! {Konfrontiert Schwarz mit der Wahl, wie er zurücknehmen soll.} Qxc6?! ({Dies scheint in Anbetracht des Kommenden doch die schlechtere Wahl gewesen zu sein, da nun gleich ein weißes Pferd nach d5 hüpft.} 12... bxc6 {hätte dies verhindert und das schwarze Zentrum gestärkt.})
13. Nd5 Nxd5?! ({Schwarz musste nicht sofort tauschen; er konnte sich diese Option mit} 13... Rfe8 {(was e7 deckt) noch vorbehalten. Er musste} 14. Nxf6+ Bxf6 15. Bxf6 exf6 {nicht fürchten; die Schwäche d6 konnte er gut mit eventuellem Te6 decken.}) 14. exd5 Qc5 15.
Bxg7 Kxg7 16. Re1 {Nun, da nur noch die Schwerfiguren auf dem Brett sind (und das nach 16 Zügen!), erkennt man klar den Vorteil von Weiß: er kann permanenten Druck auf den rückständigen schwarzen e-Bauern ausüben, während es schwer für Schwarz sein wird, Gegenspiel zu organisieren.} Rfe8 ({Vielleicht war} 16... e5 {einen Versuch wert, obwohl nach} 17. dxe6 fxe6 {(nun hängt f2!)} 18. Qd2 {Weiß langandauernden Druck auf das 'hängende' schwarze Bauernpaar e6 und d6 ausüben wird.}) 17. Qd2 b5?! ({Schwarz setzt seinen Plan durch, aber es ist ein verfehlter Plan, wie sich zeigt. Vielleicht sollte er doch} 17... e5
18. dxe6 Rxe6 {versuchen, obwohl diese Stellung keineswegs verlockend aussieht.}) 18. Rac1! {Nun droht b4 nebst c5.} Qa7? (18... b4 {war hier die letzte Chance von Schwarz. Nach dem Textzug gerät er in eine positionelle Verluststellung.} ) 19. b4! {Bacrot spielt sehr konsequent und energisch. Er droht c5.} bxc4 ({Das Einzige. Denn wenn Schwarz c5 mit} 19... Rac8 {verhindern will, spielt Weiß es trotzdem:} 20. c5! dxc5 21.
bxc5 Rxc5?? 22. Qd4+ {mit Turmgewinn wegen der Stellung des schwarzen Königs.}) 20. Rxc4 h5 ({Unglücklicherweise kann Schwarz nicht auf der c-Linie opponieren:} 20... Rac8?? 21. Qc3+ {wieder mit Turmgewinn aufgrund der Stellung des schwarzen Königs. Schwarz muss dem Weißen also die Herrschaft über die c-Linie komplett überlassen. Der Textzug richtet sich wohl gegen die weiße Möglichkeit Th5 nebst eventuellem Dh6.}) 21. Qc3+ Kg8 22. Rc7 {Mit Betreten der 7. Reihe (und das hier sogar mit Tempo!) werden alle Träume eines Turms wahr.} Qb6
23. a4! ({Denn} 23. Rcxe7 Rxe7 24. Rxe7 a5 {gäbe Schwarz noch Gegenspiel. Der Textzug verhindert diese Möglichkeit, da nun auf a5 immer b5 folgen könnte.}) 23... Rab8 24. Re4 {Wieder blockt Weiß alles gegnerische Gegenspiel ab.} f6 ({Die schwarze Stellung ist völlig verloren; es ist gleich, was er noch spielt. Der Textzug soll Mattwendungen verhindern helfen, die nach sofortigem} 24... Rb7 25. Rexe7! {entstünden.}) 25. g4! {Jetzt wo Weiß seinen Gegner am Damenflügel fest im Griff hat, fängt er am Königsflügel zu bohren an, weil Schwarz dort wegen Figurenmangel hilflos ist.} Rb7 {Mit diesem Zug, der durch f6 vorbereitet wurde und der scheinbar den eingedrungenen Turm befragt, ermöglicht Giri Bacrot einen Glanzschluss.} 26. Qxf6!! ({Der Knalleffekt; es wird Matt nach}
26. Qxf6 Qxc7 ({oder} 26... exf6 27. Rxe8# {mit einem klassischen Zwei-Türme-Matt}) 27. Qxg6+ Kf8 ({um den Te8 zu decken; nach} 27... Kh8 28. Qxe8+ Kg7 29.
Kg2 {(verhindert Dc1+) dauert es lediglich paar Züge länger}) 28. Rf4# {Ein würdiger taktischer Abschluss einer stark geführten Positionspartie!}) 1-0
Canal_Prins - 15. Mär '17
@ Vabanque

Ich möchte mich für deine hier gezeigten Spiele der internationalen Schach-Spitzenklasse und deinen Ausführungen im Namen aller chessmail-Schachspieler bedanken.
Ich habe nur zwei Daumen und die bekommst Du.

LG Canal_Prins
Kellerdrache - 15. Mär '17
Was für eine seltsame Partie ! Man würde nie auf die Idee kommen, dass der Schwarze einer der Top-Großmeister unserer Zeit ist. Eine Stellung abseits des gewohnten und er sieht aus wie ein hilfloser Schuljunge. Ich übertreibe natürlich hier kräftig, aber man fragt sich unwillkürlich wieviel von der Qualität heutiger Meister einfach nur Gedächtnis und Nutzung der Erfahrungen vorhergehender Generationen ist.
Bei all dem Gemosere über Giri will ich aber das Lob für Bacrot nicht vergessen. Endlich mal wieder eine Partie bei der man denkt "Schach ist doch ganz einfach". Vom knackigen Ende abgesehen sehen alle Züge ganz selbstverständlich aus (und trotzdem findet man es selber nicht) und führen zu einer sturmreifen Stellung.
Lob auch für die Kommentierung, die eben auch darauf hinweist wie wenig selbstverständlich Bacrots Züge im Ende dann waren.
Kellerdrache - 15. Mär '17
Noch eine eröffnungstechnische Anmerkung: ich habe beim Nachspielen einiger Partien von Ulf Andersson gesehen, wie effektiv ein sogenannter Igel gegen den Maroczy-Aufbau sein kann. Allerdings stand in diesen Partien der Damenspringer immer auf d7, was Schwarz erlaubte über die halboffene c-Linie Druck zu machen. War also 9...Dxd7 (statt Sbxd7) schon ein Fehler ?
Naja, so ein Eröffnungsspezialist bin ich ja nicht. Es fiel mir halt nur auf. Vielleicht weiß ja einer der anderen Leser dazu was zu sagen.
Canal_Prins - 15. Mär '17
@ Kellerdrache

9. Zug....war schon ein Fehler mit D xd7....auch Sbxd7 wäre für den Gegenangriff von schwarz unpassend....es müsste 9.....S fxd7 lauten, um mit L g7 Druck auf die beiden weissen Springer auf der diagonalen auszuüben und um schwarz selbst noch zu entwickeln.

LG Canal_Prins
Vabanque - 15. Mär '17
Weiß kann aber statt 4. c4 üblicherweise 4. Lxd7+ spielen, und dann sind meines Wissens sowohl Sxd7 wie auch Dxd7 spielbar (und mit dem Königsspringer wiedernehmen geht ja ja nicht, weil er noch nicht auf f6 steht!).

Was Kellerdraches Anmerkung betrifft, so stelle ich immer wieder fest, dass auch Top-Spieler leicht aus dem Sattel fallen, wenn man sie mit seltenen Abspielen konfrontiert. Sie verlieren dann den Faden, wenn sie nicht mehr in gewohnten Gewässern fischen können.
Man hat dann aber wirklich den Eindruck, dass alles nur eingelernt ist, und dass auch auf diesem Niveau die meisten Spieler die Eröffnungen, die sie spielen, nicht wirklich verstehen. Man hat dies mal Grischuk vorgeworfen (wie weit das auf ihn zutrifft, kann ich nicht beurteilen, ich kenne nicht genug Partien von ihm), aber auf Giri scheint dies - zumindest was diese Partie betrifft - erst recht zuzutreffen.
Colorado77 - 15. Mär '17
Denke auch, dass 9...Sfxd7 der beste Zug ist, dem Lg7 wird sofort die Bahn geöffnet. Sf6-d7 ist eh ein Manöver, was man gerne spielt, meist geht der Springer dann nach c5.
Spielt Weiss die normale Zugfolge mit 4.Lxd7 sollte man mit der Dame nehmen, der Sb8 muss den Sd4 vertreiben, im Idealfall abtauschen auf xc6, um dann i.d.R. mit bxc6 das Feld d5 unter Kontrolle zu kriegen.
Vabanque - 15. Mär '17
Interessant (oder vielmehr vielleicht peinlich für mich ... ) ist ja, dass ich in meiner Kommentierung über 9... Dxd7 völlig hinweggegangen bin. Gut, dass mich diesmal wirklich jemand darauf aufmerksam gemacht hat. Ich bin sicher, dass es in fast allen meiner Kommentierungen solche Lücken gegeben hat. Also Jungs, macht weiter so! :-)
Kellerdrache - 17. Mär '17
Ist eher peinlich für Giri, dass er als Remis-Spezialist den Igel nicht richtig beherrscht.
Spaß beiseite, dass ist ja gewissermaßen Eröffnungstheorie. Ich hoffe, Du hast nicht den Anspruch an dich die Eröffnungen aller Partien die Du hier vorstellst zu beherrschen. Dann hättest Du dir jedenfalls viel vorgenommen ;-))