Kommentierte Spiele
Positionelles Qualitätsopfer und Endspiel Dame gegen Türme
Vabanque - 28. Mai '16
Auch bei dieser schönen Partie handelt es sich um eine Positionspartie mit taktischen Elementen. Sie sticht vor allem durch das Qualitätsopfer von Schwarz im 16. Zug und durch das Endspiel mit Dame gegen zwei Türme hervor.
Ponomariov ('Pono') war zum Zeitpunkt der Partie übrigens erst 18 Jahre alt, und es handelt sich um eine der Partien aus dem Wettkampf mit Svidler, der Pono die (allerdings in der Regel nicht sehr hoch eingestufte) FIDE-Weltmeisterschaft einbrachte.































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Ponomariov ('Pono') war zum Zeitpunkt der Partie übrigens erst 18 Jahre alt, und es handelt sich um eine der Partien aus dem Wettkampf mit Svidler, der Pono die (allerdings in der Regel nicht sehr hoch eingestufte) FIDE-Weltmeisterschaft einbrachte.
Peter Svidler Ruslan Ponomariov FIDE WCh KO | Moscow RUS | 6.3 | 2001.12.11 | C43 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 Die Rusische Verteidigung, in der Schwarz freies Figurenspiel anstrebt. Viele Varianten verlaufen zunächst lebhaft, um dann aber häufig zum Remis zu verflachen. 3. d4 Sxe4 4. Ld3 d5 5. Sxe5 Sd7 6. Sxd7 Lxd7 7. O-O Ld6 8. c4 Die folgenden Manöver von Weiß zielen auf die Beseitigung des Vorpostenspringers e4 und die Schwächung des Punktes d5 ab. c6 9. xd5 xd5 10. Sc3 Sxc3 11. xc3 O-O 12. Dh5 Aber hallo! Weiß droht plötzlich Matt auf h7, und der geschwächte Bauer d5 ist ebenfalls angegriffen. f5 Um beides zu decken, muss Schwarz den Aktionsradius seines Läufers d7 einschränken. Aber er wird schnell zu Gegenspiel gelangen. Es ist sehr lehrreich zu beobachten, wie Pono dies erreicht. 13. Te1 Dc7 14. Ld2 Deckt c3. Momentan gibt es sowieso kein besseres Feld für den Läufer. Tae8 15. Lc2 Der Läufer soll anscheinend nach b3 gehen, von wo aus er die Hauptschwäche der schwarzen Stellung, nämlich den Bauern d5 angreift. g6 16. Df3 Jetzt hängt d5 auch. Te4! Dieses schöne und überraschende Qualitätsopfer ist zunächst nur ein Scheinopfer. Wenn Weiß nämlich jetzt den Turm nimmt, ist er verloren. 17. g3
17. Lxe4 xe4 18. De2 sonst bleiben nur die noch schlechteren Felder e3 und d1 Lxh2+ 19. Kh1 Tf5 mit der Drohung Th5. Haben beide Spieler dies alles durchgerechnet? Zuzutrauen wäre es ihnen jedenfalls, bei dieser Spielstärke. Allerdings traue ich Beiden sogar zu, dass sie intuitiv - ohne genaue Berechnung der Varianten - erkannten, dass der Turm nicht zu nehmen ist.
Lb5 Der Läufer sucht sich eine bessere Diagonale. 18. Lf4?! Sieht nicht sehr gut aus. Svidler nimmt ja damit quasi freiwillig eine Verschlechterung seiner Bauernstellung in Kauf. Aber er wusste wohl keine bessere Verwendung für seinen Läufer. Hier wäre das Nehmen des Turms mittels Lxe4 übrigens durchaus zu erwägen gewesen. Danach hätte es - anders als beim Nehmen des Turms im 17. Zug - keine forcierten Varianten gegeben, und die entstehende Stellung wäre schwer zu beurteilen gewesen. Vermutlich wäre sie in etwa ausgeglichen gewesen. Lxf4 19. xf4 Dd6 20. Lxe4 Jetzt fällt Weiß offenbar nichts Besseres ein, als den Turm schließlich doch zu nehmen. xe4 21. Dg3 Txf4 22. Tab1 Ld7 Zieht nicht nur den angegriffenen Läufer zurück, sondern droht Tg4 mit Damengewinn! 23. f3 Naheliegender und wahrscheinlich auch besser war h3. Mit dem Textzug verschafft Svidler nämlich letztlich einen Freibauern. b6 Auf b7 muss man Weiß nicht unbedingt hineinschlagen lassen. Schwarz konnte auf f3 nicht mit dem Turm nehmen wegen seiner ungedeckten Dame auf d6, und xf3 24. Kf2! b6 25. Te3 Lf5 26. Tbe1 Le4 27. Txe4! xe4 28. Txe4! wieder die ungedeckte Dd6! Tf6 26. Dxd6 nebst Kxf3 hätte Weiß das bessere Turmendspiel gegeben. Diese Variante war wohl Svidlers Absicht hinter f3 (statt h3) gewesen. Aber Pono hat andere Pläne.
24. Te3 Df6 Weg aus dieser ungünstigen ungedeckten Lage! Die ganze Zeit über konnte Weiß nicht fxe4 spielen, weil ja immer Tg4 käme. Deswegen hätte sich für Weiß nun im nächsten Zug 25. h3 angeboten. 25. Tf1? Hierbei hat Svidler den kommenden schwarzen Zug entweder übersehen oder falsch eingeschätzt. Lg4! 26. Dxg4 Es geht nicht 26. xg4 wegen Txf1+ 27. Kg2 Ta1! mit den Drohungen Df1# und Txa2+. Mit dem Textzug lenkt Weiß in ein Endspiel mit zwei Türmen gegen die Dame über. Häufig sind die Türme ja der Dame überlegen, aber dazu müssen sie zusammenwirken können, und der eigene König darf nicht unsicher stehen. Hier dagegen sind die Bedingungen für die Türme ungünstig. Vor allem hat Schwarz einen gedeckten Freibauern auf e4.
Txg4+ 27. xg4 Dg5 Schon greift die Dame e3 und g4 an, weswegen der nächste weiße Zug erzwungen ist. 28. Tg3 b5! Verhindert a4 und beabsichtigt b4, um dem weißen Bauern d4 die Unterstützung zu entziehen. 29. Tf2 Kg7 Jetzt ginge sofortiges b4 nicht, da nach cxb4 die schwarze Dame nicht nach d2 könnte. 30. Kg2 a5 Bereitet wieder b4 vor. 31. Tb2 Verhindert b4 nicht, aber a3 war noch schlechter wegen Dc1. b4 32. xb4 xb4 33. h3 Weiß durfte nicht Txb4 schlagen wegen Dd2+ und Turmverlust. Der Textzug befreit den Tg3 von der lästigen (und eines Turms unwürdigen) Pflicht, dauernd den Bauern g4 decken zu müssen. Dc1 34. Tgb3 So hatte Weiß sich das gedacht. Der Bauer b4 soll nun doch noch fallen, und dann sieht es doch gar nicht mehr so schlecht für Weiß aus, oder? Kh6! Mit stoischer Gelassenheit führt Pono einfach zur Verstärkung seinen König ins Feld. Wenn's Personal knapp wird, muss der Chef eben persönlich eingreifen - diese alte Regel gilt auch heute noch für fast alle Endspiele! 35. Txb4 Dd1 Aber erst noch wird der Tb4 an die Deckung des Bauern d4 gebunden. 36. Kf2 Kg5 Es sieht wieder mal alles so einfach und selbstverständlich aus - aber genau das ist hier, wie so oft im Schach, die Folge höchster technischer Vollendung! 37. Te2 Kf4 Nun droht tödlich e3+, da nach Txe3 Dd2+ käme mit Verlust des Tb4. Weiß ist verblüffenderweise bereits in Zugzwang. Es gibt keinen Zug mehr, der nicht mindestens einen Bauern verliert! 38. Tb3 Verhindert e3+, aber gibt zwangsläufig den Bauern d4 auf. Dxd4+ Nun hat Schwarz zwei verbundene Freibauern. Das reicht zum Sieg. 39. Kg2 Dc4 40. Tf2+ Kg5 41. Tf7 Eine verzweifelte Gegenaktion. d4! Der Bauer h7 ist nicht mehr wichtig. Die schwarze zentrale Bauernlawine rollt. 42. h4+ Eine letzte Falle. Auf Txh7 käme Kf4! Kxh4! 43. Txh7+ Kxg4 Aber nach der korrekten Schlagreihenfolge hat der schwarze König genug Luft, und Weiß steht vor dem Abgrund. 44. Tg3+ Kf5 Weiß gab auf. Pono hat das Endspiel mit klassischer Könnerschaft vorgetragen.
Kellerdrache - 29. Mai '16
Eine großartige Partie ! Das Opfer des Turms löst sozusagen alle schwarzen Probleme auf einmal - Der Bauer d5 kann nicht mehr so leicht angegriffen werden, die von Weiß dominierte e-Linie ist zu und man hat die Initiative. Für diese Art Opfer war ja übrigens auch der armenische "Torwart" Petrosjan bekannt, der den unverdienten Ruf des Langweilers besaß.
Und die Kommentierung zeigt, dass Du nicht nur taktische Partien kannst. Alles bis hinein ins Endspiel einleuchtend erklärt.
Und die Kommentierung zeigt, dass Du nicht nur taktische Partien kannst. Alles bis hinein ins Endspiel einleuchtend erklärt.
Vabanque - 29. Mai '16
Danke für das Kompliment, aber ich ich selber 'kann' das natürlich alles nicht ;)
Ich weiß aber schon, wie du es meinst.
Taktische Partien schaue ich mir zwar am liebsten an, aber diese Partie mag ich schon seit Längerem sehr. Mich fasziniert, wie geschmeidig das schwarze Spiel zu fließen scheint ... das greift alles wie die Räder eines Uhrwerks ineinander ... allerdings hatte Weiß bis vor seinem 25. Zug - der das schöne Endspiel erst zuließ - noch eine ungefähr ebenbürtige Stellung.
Petrosjan war natürlich der 'König' des positionellen Qualitätsopfers, aber obige Partie erinnert mich von ihrer ästhetischen Gesamtschau doch eher an Rubinstein. Eigentlich könnte sie genauso bereits vor fast 100 Jahren gespielt worden sein. Sie macht auf mich keinen modernen, sondern einen zeitlosen Eindruck.
Ich weiß aber schon, wie du es meinst.
Taktische Partien schaue ich mir zwar am liebsten an, aber diese Partie mag ich schon seit Längerem sehr. Mich fasziniert, wie geschmeidig das schwarze Spiel zu fließen scheint ... das greift alles wie die Räder eines Uhrwerks ineinander ... allerdings hatte Weiß bis vor seinem 25. Zug - der das schöne Endspiel erst zuließ - noch eine ungefähr ebenbürtige Stellung.
Petrosjan war natürlich der 'König' des positionellen Qualitätsopfers, aber obige Partie erinnert mich von ihrer ästhetischen Gesamtschau doch eher an Rubinstein. Eigentlich könnte sie genauso bereits vor fast 100 Jahren gespielt worden sein. Sie macht auf mich keinen modernen, sondern einen zeitlosen Eindruck.