Kommentierte Spiele

Schach vor 100 Jahren

gammapappa - 31. Jul '14
Im Juli 1914 fand in Mannheim ein internationales Schachturnier statt.
Durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges (Kriegerklärung während des Turniers) wurde dieses nach 11 von 17 Runden abgebrochen.
Aljechin ging zwar als Sieger hervor (vor Vidmar und Spielmann) wurde aber zusammen mit Bogoljubov und den anderen russischen Spielern als Feinde inhaftiert. Im Gefängnis sollen sie übrigens Blindpartien gegeneinander gespielt haben.
Man wollte das Turnier ein Jahr später fortsetzen, was sich aus heutiger Sicht natürlich als Trugschluß herausstellte.
Der einzige der zu Beginn mit Aljechin mithalten konnte, war Spielmann, der gleich in der 1. Runde eine Kurzpartie mit 15. Zügen hinlegte, die hier folgt:
(Quellen sind chessbase.com und chessmetrics.com)
Vielleicht mal interessant, wie vor genau 100 Jahren die historischen Elo-Zahlen aussahen.
1. Dr. Lasker 2834
2. Capablanca 2823
3. Rubinstein 2769
4. Aljechin 2764
5. Marshall 2744
6. Tarrasch 2725
7. Nimzowitsch 2716
8. Schlechter 2709
9. Teichmann 2708
10. Spielmann 2699

Spielmann Flamberg 1914.07.21
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. Sc3 Sf6 3. f4 d5 4. xe5 Sxe4 5. Sf3 Lg4 6. De2 Sc5 7. d4 Lxf3 8. Dxf3 Dh4 9. g3 Dxd4 10. Le3 Dxe5 11. O-O-O c6 12. Sxd5 xd5 13. Txd5 De6 14. Lc4 De4 und jetzt mit undeckbarem Matt 15. Lxc5
PGN anzeigen
[EVENT "Spielmann gegen Flamberg"]
[Date "1914.07.21"]
[White "Spielmann"]
[Black "Flamberg"]
1.e4 e5 2.Nc3 Nf6 3.f4 d5 4.fxe5 Nxe4 5.Nf3 Bg4 6.Qe2 Nc5 7.d4 Bxf3 8.Qxf3 Qh4 9.g3 Qxd4 10.Be3 Qxe5 11.O-O-O c6 12.Nxd5 cxd5 13.Rxd5 Qe6 14.Bc4 Qe4 {und jetzt mit undeckbarem Matt} 15.Bxc5
Vabanque - 31. Jul '14
Interessant ... genau diese Partie wollte ich mal hier mit Kommentaren bringen, und zwar quasi exakt zur '100-Jahr-Feier' am 21.7. 2014. Dann habe ich den Zeitpunkt verpasst (wegen zur viel anderweitiger Arbeit) und dachte mir, jetzt kann sie auch noch warten. Eine schöne Partie, in der Spielmann - man verzeihe mir das triviale Wortspiel - Flammkuchen aus Flamberg macht.

Der Wert von historischen Elo-Zahlen ist ja sehr umstritten. Sie sind sicher nicht schlecht, um die gegenseitigen Spielstärkeverhältnisse der Spieler zur damaligen Zeit ungefähr einschätzen zu können, aber es wäre völlig verfehlt, sie mit späteren realen Elo-Zahlen vergleichen zu wollen, oder daraus gar die relative Stärke von Lasker zu Carlsen einschätzen können zu glauben.
Hasenrat - 31. Jul '14
Gefällt mir! :-)

Gibt es eigentlich unter den prominenten großen Schachmeistern jener Jahre Kriegsgefallene zu beklagen? Hat jemand davon Kenntnis?
Las in den vergangenen Wochen immer mal wieder von damaligen Promi-Sportlern, die an der Front dahingemäht dem Ersten-Weltkriegs-Wahnsinn zum Opfer fielen - und damit dann auch immer eine entsprechende ehedem sehr hoffnungsvolle noch junge spektakuläre Großkarriere in der jeweiligen Sportart jäh endete.
patzer0815 - 31. Jul '14
Klaus Junge, der unter anderem schon Aljechin in jungen Jahren sehr alt hatte aussehen lassen, überlegte den Krieg nicht und starb sehr jung.
AlBu - 31. Jul '14
Allerdings fiel er im 2. Weltkrieg:
de.wikipedia.org/wiki/Klaus_Junge
patzer0815 - 01. Aug '14
Seine Frage war meiner Ansicht nach nicht auf den 1.Weltkrieg beschränkt, auch wenn er bisher hauptsächlich beispiele aus dem 1.Weltkrieg kennt. Dass Klaus Junge im 2.Weltkrieg gefallen sein ergibt sich auch draus, dass ich sein Spiel gegen einen starken Aljechin andeutete, was während des 1.Weltkriegs so noch nicht in der gleichen Form möglich gewesen wäre.
Vabanque - 01. Aug '14
Klaus Junge ist aber auch jemand, den die meisten Schachfreunde (falls sie überhaupt je von ihm gehört haben) lieber vergessen möchten, da er ein Nazi war. Allerdings habe ich schon an einigen Stellen darauf hingewiesen, dass man nach meiner Ansicht Schach und Politik unbedingt trennen sollte, und die schachlichen Fähigkeiten unabhängig von einer wie auch immer gearteten Gesinnung gewürdigt werden sollten.
Ich bin auch ziemlich sicher, dass Botwinnik deswegen relativ weniger Anhänger hat, weil er Stalinist war (zumindest wird es vielfach behauptet; ich halte es aber für wahrscheinlicher, dass er einfach Opportunist war und das System zu seinem Vorteil benutzt hat). Manche gehen dabei so weit, die schachlichen Leistungen Botwinniks (der - mit kleinen Unterbrechungen - 15 Jahre lang Weltmeister war und auch schon 10 Jahre vorher zur Weltspitze gehört hatte!) wegdiskutieren zu wollen, indem sie behaupten, Stalin hätte anderen Spielern befohlen, gegen Botwinnik zu verlieren, oder Botwinnik hätte den Rückkampf gegen Tal nur wegen des schlechten Gesundheitszustands des Letzteren gewonnen.
Aljechin war angeblich auch Nazi. Zumindest hat er eine höchst peinliche 'Abhandlung' über das 'Judentum im Schach' verfasst. Seine schachlichen Leistungen wegdiskutieren zu wollen fällt allerdings genauso schwer wie bei Botwinnik. Es wird ihm vorgeworfen, er sei Titelkämpfen mit wirklich gefährlichen Gegnern ausgewichen (insbesondere habe er Capablanca einen Rückkampf verweigert) und habe sich nur schwachen Gegnern gestellt, wobei er gegen den 'schwachen' Euwe dann sogar verloren habe. Ja, so kann man leicht den Beweis führen, dass Aljechin im Grunde doch ein recht schwacher Spieler gewesen ist, und vor diesem Hintergrund wäre es auch nicht weiter erstaunlich, dass er gegen Klaus Junge verloren hat (übrigens nur ein einziges Mal, die Gesamtbilanz zwischen den Beiden lautete 4 : 1 für Aljechin).

Man möge mir die Abschweifungen verzeihen, aber es ist mir eben immer wieder ein Anliegen, dass Schach und Politik nicht vermengt werden sollten. Selbst eine verdammenswerte politische Gesinnung macht einen großen Spieler in schachlicher Hinsicht nicht kleiner.
Kellerdrache - 01. Aug '14
Ein weiser Schachspieler (es könnte Aljechin gewesen sein) hat mal sinngemäß gesagt : "Im Spiel kann man Seiten seines Charakters zeigen, die im Leben keinen Platz haben".
Die Schachgeschichte ist voller Beispiele wo Leben und Schach "stilistisch" auseinander klaffen. Fischers Schach war von beeindruckender Klarheit und Konsequenz, von dem was sonst so in seinem Kopf vorgegangen ist kann man das wohl eher nicht sagen. Aljechin war am Brett wagemutig und ungeheuer kreativ, im Leben eher nicht. Der "Torwart" Petrosian hatte außerhalb des Brettes den Ruf eines rücksichtslosen Intriganten.
Die Partien eines Klaus Junge kann man sich bedenkenlos ansehen, da sie keinerlei Nazitum enthalten. Man wundert sich halt nur, dass jemand der ganz offensichtlich klar denken kann diesen scharfen Verstand im außerschachlichen Leben nicht anwendet.
Vabanque - 01. Aug '14
Sehr schön zusammengefasst! Kann ich alles nur unterschreiben.

Dass Petrosian ein Intrigant gewesen sein soll, wusste ich gar nicht. Gibt es dafür auch Belege?
Hasenrat - 01. Aug '14
Ich bin auch Verfechter dieser Trennung.
Ich möchte da auch gern vergleichend für den Bereich der Kunst sprechen. So halte ich seit je Knut Hamsun für einen der größten Schriftsteller aller Zeiten. Er war pikanter- u. unappetitlicherweise Hitleranhänger über 45 hinaus. "Blut u. Boden" scheint in vielen seiner Werke heraus.
Oder nehmen wir Richard Wagner, als eines der berühmt-berüchtigsten Beispiele.
Problematisch wird es immer dann, wenn sich Fangemeinden bilden u. es damit auf Personenkult hinausläuft. Wer sich auf die Person über deren Profession hinaus bezieht, muss IMMER auch die dunklen Seiten mitdenken und mitbenennen.
Kellerdrache - 01. Aug '14
Ich hab ja nicht ohne Grund gesagt "hatte den Ruf". Die Hauptgründe dieses Rufes kommen allerdings von seinen Feinden Kortschnoi und Fischer, die vor allem ihm Absprachen bei Kandidatenturnieren vorwarfen. Kortschnoi sagte wohl auch Petrosjan habe mehrfach dafür gesorgt, dass er zu lukrativen Turnieren nicht anreisen durfte. Was davon Fakt ist und was Paranoia vermag ich nicht zu entscheiden.
Vabanque - 01. Aug '14
Diese Verfeindungen zwischen einigen der größten Spieler der Schachgeschichte fand ich immer schon sehr schade. Vom schachlichen Aspekt schätze ich sie alle sehr, außerschachlich kommt mir vieles sehr merkwürdig vor, und ich bin mittlerweile immer zögerlicher, irgendwelche Aussagen dieser Leute über andere Spieler zu glauben.
42420 - 01. Aug '14
Vor einigen Jahrzehnten spielte Petrosjan im Kandidatenturnier gegen Dr. Robert Hübner, der bekanntlich sehr sensibel und oft nervös ist, m, E. fand dieser Wettkampf irgendwo in Spanien in einem Hotel statt. P. bestand darauf, in einem bestimmten Raum, dessen Fensterseite zu einer belebten Straße zeigte, zu spielen. Prompt übersah Hübner eine Springergabel, verlor eine entscheidende Partie und gab vorzeitig den Wettkampf genervt auf.
skorpion14 - 02. Aug '14
hübner spielte im kandidatenturnier zur wm 1972 in sevilla im viertelfinale gegen petrosjan. die ersten 6 partien endeten remis - die 7. verlor er, da er sich wegen der geräuschkulisse nicht konzentrieren konnte. petrosjan jedoch war schwerhörig und soll sein hörgerät abgestellt haben.
Vabanque - 02. Aug '14
Ja, soweit ist es mir bekannt, aber nicht die Interpretation, dass Petrosian dies absichtlich so inszeniert haben soll. Mag sein, dass Hübner es so empfunden hat.
Vabanque - 02. Aug '14
Hat Hübner die Springergabel nicht in einem anderen Wettkampf, nämlich gegen Korchnoi, übersehen?
Wie dem auch sei, Hübner hätte in seiner besten Zeit vielleicht das Zeug zum Weltmeister gehabt, aber sein schwaches Nervenkostüm ist ihm dabei jedenfalls im Weg gestanden.
kimble - 02. Aug '14
Das kann ich nur bestätigen. Mein Vater, gute zehn Jahre älter als Hübner, spielte als Jugendlicher zu Ende der Fünfziger im gleichen Schachverein, " Turm Köln".
Da kamen dann auch die Hübner Brüder, der noch nicht zehnjährige Hübner gewann bis zu zwanzig Simultanspiele bereits bei großen lokalen Turnieren.
Hatte man mal das " Vergnügen" eines Einzelspiels guckte Hübner in der Regel nicht auf' s Brett, sondern schaute mal kurz auf, wenn er am Zug war. Danach widmete er sich dann als Zehnjähriger wieder seiner Lateinvokabellektüre, die er auf dem Schoss unter dem Tisch liegen hatte.
Er war, was in seiner Begrifflichkeit ja erst in den Siebzigern entstand, ein Wunderkind. Da sind es fast immer die äußeren Umstände, die über den ganz großen Erfolg entscheidenden.

Schönes Wochenende wünscht,
kimble
Vabanque - 02. Aug '14
Interessant zu hören, schöner Beitrag von dir.

Hübner spielte ja auch mal gegen eine gesamte Zweitbundesligamannschaft blindsimultan (!!) und gewann überlegen.

Auch wenn er mit Sicherheit ein schwieriger Mensch war bzw. ist, so muss er doch als der größte deutsche Spieler seit Lasker bezeichnet werden.

Partien von Hübner sind meistens ganz ungeheuer kompliziert, was ich gemerkt habe, als ich mal eine für die 'Kommentierten Spiele' aussuchen wollte. Na, vielleicht schaffe ich es ja doch irgendwann, eine Hübner-Partie für jedermann verständlich aufzubereiten :)
pirc_ - 02. Aug '14
da gibst doch eine wo er nach 8 zügen (oder so) die Dame einstellt...find sie aber grade nicht ;-)...kam damals auf WDR mit pfleger und hort..oder erinner ich mich falsch?
Vabanque - 02. Aug '14
Ah ja, der Kenner von besonders kurzen Kurzpartien :))

8 Züge waren es nicht, ich glaube es waren etwas mehr, wenn du die Fernsehpartie gegen Kasparov meinst?
pirc_ - 02. Aug '14
es waren 15...hab das Ergebnis gefunden, aber die partie noch nicht ;-)...die iss mir zu lang zum reinstellen ;-)
Vabanque - 02. Aug '14
Vielleicht möchtest du stattdessen deine kürzliche 13-zügige eigene Gewinnpartie reinstellen? Oder ist die auch schon zu lang? :))
pirc_ - 02. Aug '14
nun ich bemühe mich eher meisterpartien reinzustellen, also weder meine nach 13 gewonne, noch meine nach 13 verlorene zählen dazu ;-)
Vabanque - 02. Aug '14
Deine nach 13 Zügen 'verlorene' ist mir eh unbegreiflich - ist Schwarz denn in der Schlussstellung nicht sogar im Vorteil?
pirc_ - 02. Aug '14
Dxh6 und ich hab nichts gegen Dh8 gefunden....
Vabanque - 02. Aug '14
Lb4+ nebst Dg5. Besser aber schon im vorigen Zug Lb4+ (statt Sxh6), da dann nicht mal c3 geht wegen Dh4+ nebst Dxh6. (Habe das jetzt alles aber nicht mit Engine gecheckt, sondern das sind alles dumpfe alte Erinnerungen an diese Variante.)
pirc_ - 02. Aug '14
ja an Lb5+ hatte ich mich auch nach der aufgabe erinnert (hatte es auch meinem Gegner geschrieben), aber es musste vorher kommen..in der Stellung glaub ich nicht mehr, da iss es verloren für schwarz denke ich...
pirc_ - 04. Aug '14
der vollständigkeitshalber:
Hübner-Kasparow

1. d4 d5 2. c4 c6 3. Nc3 e6 4. Nf3 Nf6 5. e3 Nbd7 6. Qc2 Bd6 7. Be2 O-O 8. O-O Re8 9. Rd1 Qe7 10. e4 de4 11. Ne4 Ne4 12. Qe4 e5 13. Bg5 Qf8 14. Ld3 f5 15. Df5 Sf6
0-1 ;-)