Kommentierte Spiele
Glanzpartien unbekannter Spieler (XXII)
Vabanque - 25. Nov '14
Über die Spieler dieser Partie war nun wirklich rein gar nichts in Erfahrung zu bringen; je nach Quelle lautet der Name des Schwarzspielers 'Kraemer' oder 'Kramer'. Einigermaßen gesichert scheint nur, dass die Partie 1922 in Jugoslawien ausgetragen wurde; zu welchem Anlass, ist wiederum unbekannt. Veröffentlicht wurde sie auf jeden Fall wegen des spektakulären Damenopfers von Schwarz im 9. (!!) Zug, das zwar an das berühmte Seekadettenmatt (auch als Matt des Légal bekannt) erinnert, aber eine ungewöhnlich verwickelte und inhaltsreiche Variation desselben darstellt.































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A Nicifor E Kramer Yugoslavia | Yugoslavia | 1922 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 Sf6 4. Sc3 Gilt als relativ harmlos, aber solide. Lc5 5. Sxe5 Weiß möchte den letzten schwarzen Zug durch dieses in ähnlichen Stellungen gut bekannte Scheinopfer auf 'klassische' Weise als fragwürdig nachweisen. Sd4!? Er konnte sich gut auf Lxe5 6. d4 Ld6 einlassen. Aber Schwarz hat sich offenbar vorgenommen, den schematisch spielenden Weißen durch phantasievolle Züge aus dem Konzept zu bringen. Ob das schwarze Bauernopfer ausreicht, mögen die Analytiker klären. 6. Le2 Das ist ein Zeitverlust. Der Läufer war doch auch auf b5 gedeckt. Weiß sollte rochieren. Freilich konnte er kaum ahnen, dass er in der Partie gar nicht mehr zur Rochade kommen würde! O-O Schwarz spielt jetzt natürlich auf schleunigste Entwicklung. Seinem Königsturm winkt die halboffene e-Linie, auf der der weiße König steht, auch wenn er momentan noch gut verbarrikadiert scheint. 7. d3 Auch hier war die Rochade noch gut, auch wenn nach d5 Schwarz bereits ein schönes Figurenspiel für den Bauern hat. In Betracht kam für Weiß auch 7. Sf3, um den lästigen Sd4 zu tauschen (der weiße Se5 kann sich auf seinem vorgeschobenen Posten sowieso nicht halten). d5 8. Lg5?! Nun war es aber wirklich höchste Zeit zu rochieren. Der geschehene Zug ist natürlich verlockend, weil er wegen der Drohung Sxd5 aktiv aussieht. Te8 9. Sf3 Wenn Weiß den Springer mit f4 stützt, kommt er wegen der Leuchtwirkung des schwarzen Lc5 erst recht nicht mehr zur Rochade. Nach dem Textzug ist klar, dass Schwarz nun die Initiative besitzt, aber was soll schon Konkretes passieren? Die weiße Stellung sieht doch ziemlich fest aus. Sxe4!! Der Knaller. Hier musste Schwarz so einige Möglichkeiten durchrechnen, bevor er dieses Opfer bringen konnte. Die hübsche Grundidee besteht in 10. Lxd8? Sxf3+ (legt die Läuferdiagonale in Richtung f2 frei) 11. gxf3? Lxf2+ 12. Kf1 Lh3#. Nimmt Weiß im 11. Zug mit dem Läufer, so geschieht 11. Lxf3 Sxc3+, und Schwarz gewinnt seine Dame mit einer Mehrfigur als Zinsen zurück (der Leser möge dies nachprüfen!). Und spielt Weiß letztlich 11. Kf1, so gewinnt Schwarz mit Sed2+ ebenfalls die Dame zurück und hat nach 12. Dxd2 Sxd2+ 13. Ke1 Txd8 14. Kxd2 Lxf2 einen gesunden Mehrbauern. Die sofortige Annahme des Damenopfers ist für Weiß also in allen Varianten unerquicklich. Weiß konnte (statt 10. Lxd8) aber 10. dxe4 spielen. Schwarz hätte dann nichts Besseres gehabt, als mit Sxf3+ 11. Lxf3 Dxg5 seine Figur zurückzuerobern, um nach 12. Dxd5 De7 für den geopferten Bauern weiterhin Druck auszuüben. Die Partie wäre damit völlig offen geblieben. Aber Weiß sieht eine verlockende scheinbare Möglichkeit, das schwarze Damenopfer zu widerlegen ... 10. Sxe4 Auf den ersten Blick komplett logisch: der gefährliche schwarze Springer ist eliminiert, und nun ist (bei bereits einer Figur Rückstand) weiterhin die schwarze Dame bedroht, und zusätzlich auch noch der Lc5. Hat Schwarz diese weiße Möglichkeit nicht in seine Berechnungen einkalkuliert? xe4!! Nein! Weiß hat nicht einkalkuliert, dass Schwarz seine Dame weiter hängen lassen kann! Und Weiß ist nun auch beinahe gezwungen zu nehmen, denn seine einzige anderweitige Möglichkeit, Figurenverlust zu vermeiden, nämlich 11. Sxd4 Dxg5 12. dxe4 führt nach Dxg2 13. Lf3 Txe4+! 14. Lxe4 Dxe4+ 15. Kd2 (sonst hängt Th1) Lxd4 zu Materialvorteil mit überwältigender Angriffsstellung für Schwarz. 11. Lxd8 xf3 Aber nun ist Weiß ebenfalls in der Bredouille: auf 12. gxf3 erfolgt durch Sxf3+ 13. Kf1 Lh3# wieder ein schönes Matt, ähnlich dem in der Anmerkung zum 9. schwarzen Zug; und auf 12. O-O fxe2 erobert Schwarz zu viel Material für die Dame. 12. Lh4 Alles andere verliert auch. Weiß aber erliegt der Illusion, nach fxg2 13. Tg1 Txe2 auf e2 seine Dame zurückgeben zu können mit nur geringem Materialnachteil (Turm gegen 2 Leichtfiguren). xg2 Nun dämmert es Weiß, dass er gar nicht 13. Tg1 spielen kann wegen Sf3 Matt! Wie peinlich! 13. Kd2 Also bleibt nur noch dieses kurzatmige Königsgehopse. Lange wird er ohnehin nicht mehr hopsen, also gönnen wir es ihm noch. Aber es ist jedenfalls bemerkenswert, dass der weiße König letztlich auf h1 (!!) mattgesetzt werden wird, er wird also im Verlauf seiner kurzen verbleibenden Lebensspanne immerhin noch ziemlich viel reisen dürfen. gh1=Q 14. Dxh1 Txe2+ Nach c3 kann er jetzt gar nicht, weil Txc2 dann ein weiteres schönes Matt ergäbe. Und auf c1 würde ihm der Turm sofort wieder mit der Peitsche ins Gesicht schlagen (Txc2+). 15. Kd1 Er weicht der Peitsche des Turms aus, aber besser ist das auch nicht. Lg4 Ein unangenehmes Gegenüber. Schwarz hat nun mehr als genug Material für die Dame und zudem Mattangriff. 16. Dxb7 Ein Sterbender darf alles essen! (Der einizige bessere Zug in dieser Stellung wäre Partieaufgabe gewesen.) Txc2+ Der weiße König wird nun systematisch in die Ecke getrieben, wo er sich dann umso besser schämen kann. (Im Kindergarten musste ich mich auch immer in die Ecke stellen, um mich zu schämen. Ich weiß heute noch nicht wofür. Ich sagte der Kindergärtnerin seinerzeit auch, dass ich gar nicht wüsste, wie 'schämen' eigentlich geht. Aber das interessierte sie nicht. Ich musste trotzdem immer wieder Ecke stehen. Freilich - diese Klammeranmerkung hat jetzt wohl auch keinen Leser wirklich interessiert. Deswegen steht sie ja auch in Klammern, damit man sie beim Lesen besser auslassen kann.) 17. Ke1 Te8+ 18. Kf1 Lh3+ 19. Kg1 Se2+ 20. Kh1 Sc1! Da Weiß unentwegt weiterspielt, kann Schwarz noch mit weiteren eleganten Zügen aufwarten. Die Reihe des Ta1 wird unterbrochen, so dass ein Grundreihenmatt droht. 21. f4 Die einzige (kurzfristige) Abwehr. Tee2 Die geballte Verdopplung der Türme auf der vorletzten Reihe droht schon wieder Matt, diesmal auf h2. Natürlich hat sich Schwarz davor gut überlegt, dass er seine eigene Grundreihe im Stich lassen kann. 22. Db8+ Lf8 23. Lg3 Ted2 Immerfort droht Schwarz Matt. 24. Dxa7 Td1+ 25. Dg1 Lg2# Eine lustige Mattstellung. Natürlich waren alle Züge ab etwa dem 13. nur noch Kapriolen. Ihren Wert erhält die Partie hauptsächlich durch das großartige Damenopfer.
Kellerdrache - 25. Nov '14
Ja, auch der kleine Mann hat mal große Momente. Das gibt mir (und wahrscheinlich auch sonst vielen) Hoffnung, dass ich auch irgendwann einmal eine vernünftige und ansehnliche Partie spielen werde.
Das Opfer ist wirklich hübsch und gar nicht so einfach durchzurechnen. Wo findet man denn solche Juwelen ? Die beiden Jungs waren mir jedenfalls komplett unbekannt.
Das Opfer ist wirklich hübsch und gar nicht so einfach durchzurechnen. Wo findet man denn solche Juwelen ? Die beiden Jungs waren mir jedenfalls komplett unbekannt.
Vabanque - 25. Nov '14
Mir auch. Ich habe die Partie in einem sehr alten Buch gefunden: 'The Bright Side of Chess' von Irving Chernev, 1948. Allerdings dort in (heute nicht mehr üblicher) deskripitiver Notation und mit sehr spärlichen Anmerkungen.
kimble - 25. Nov '14
Eine wahre " Glanzpartie"...eine wirkliche Perle.
Würde einem sowas hier und heute unterkommen, mal ehrlich, wer würde Kramer nicht den Einsatz einer Engine unterstellen,...zumindest einen Gedanken daran verschwenden und trotzdem ist es vorliegend gänzlich auszuschließen.
Dieses Problem hatte die Schachwelt vor fast einhundert Jahren nicht.
Mir als Laie zeigt die Partie vor allem eines, bei richtigem Einsatz der Leichtfiguren ist die Dame nicht omnipotent.
Würde einem sowas hier und heute unterkommen, mal ehrlich, wer würde Kramer nicht den Einsatz einer Engine unterstellen,...zumindest einen Gedanken daran verschwenden und trotzdem ist es vorliegend gänzlich auszuschließen.
Dieses Problem hatte die Schachwelt vor fast einhundert Jahren nicht.
Mir als Laie zeigt die Partie vor allem eines, bei richtigem Einsatz der Leichtfiguren ist die Dame nicht omnipotent.