Kommentierte Spiele
Deutsche Schachgeschichte (II): Tarrasch
Kellerdrache - 12. Jun '17
Siegbert Tarrasch wurde in Breslau geboren, der Stadt die wir schon im Zusammenhang mit Anderssen kennen gelernt haben. Um die Jahrhundertwende war er einer der stärksten Spieler der Welt. Er selber rechnete wohl auch damit in nächster Zukunft um die Weltmeisterschaft spielen zu können. Eine Gelegenheit die ihm aber in der Zeit seines stärksten Schachs immer verwehrt blieb. Steinitz verlor seinen Titel gegen Lasker, der seinen neuen Titel lieber gegen einfachere Gegner verteidigte.
Tarrasch glaubte in der Theorie eisern an die von Steinitz entwickelten Grundsätze des klassischen Schachs und vermittelte sie auch in übrigens auch heute noch sehr lesenswerten Büchern. Als Galionsfigur des 'alten' Schachs war er bevorzugtes Angriffsziel der Neuerer wie Reti, Breyer oder der besonders angriffslustige Nimzowitsch.
Am Brett war Tarrasch übrigens weit weniger dogmatisch. Ein feines Positionsgefühl und ausgeprägte taktische Fähigkeiten führt er in der folgenden Partie vor in der er Nimzowitsch die Bedeutung der Figurenaktivität lehrt.































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Tarrasch glaubte in der Theorie eisern an die von Steinitz entwickelten Grundsätze des klassischen Schachs und vermittelte sie auch in übrigens auch heute noch sehr lesenswerten Büchern. Als Galionsfigur des 'alten' Schachs war er bevorzugtes Angriffsziel der Neuerer wie Reti, Breyer oder der besonders angriffslustige Nimzowitsch.
Am Brett war Tarrasch übrigens weit weniger dogmatisch. Ein feines Positionsgefühl und ausgeprägte taktische Fähigkeiten führt er in der folgenden Partie vor in der er Nimzowitsch die Bedeutung der Figurenaktivität lehrt.
Nimzowitsch, Aaron Tarrasch, Siegbert St .Petersburg | 1914 | D30 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 d5 2. Sf3 c5 Tarrasch spielt natürlich die Tarrasch-Variante des Damengambits, die seiner Meinung nach die einzig richtige Verteidigung war 3. c4 e6 4. e3 Weiß kann hier mit cxd5 gefolgt von dxc4 dem Schwarzen auch ohne Mühe einen Isolani anhängen, aber das hat den Doktor nie abgeschreckt. Seiner Meinung nach sollte man kein Schach spielen wenn man Angst davor hat mit einem Isolani zu spielen. Sf6 5. Ld3 Sc6 6. O-O Ld6 7. b3 O-O 8. Lb2 b6 9. Sbd2 Lb7 10. Tc1 die Stellung ist recht symetrisch. Allerdings hat Nimzowitsch seinen Damenspringer passiver aufgestellt als sein Gegenüber. Mit seinem nächsten Zug verlässt Tarrasch die symetrischen Bahnen De7 11. xd5 xd5 12. Sh4 wirft ein Auge auf f5 g6 13. Shf3 Tad8 14. xc5 xc5 15. Lb5 man hat irgendwie den Eindruck, dass Nimzowitsch, der große Modernisierer des Schachs mit dieser sehr klassischen Stellung nichts anzufangen weiss Se4 16. Lxc6 Lxc6 17. Dc2 Sxd2 Eine der stärksten Figuren auf dem Brett tauscht sich gegen eine der schwächsten. Schachlehrer überall schütteln die Köpfe. Die damaligen Meister konnten halt doch kein richtiges Schach. Oder hat Dr. Tarrasch sich vielleicht etwas dabei gedacht? Es fällt auf wie wenig Einfluß die weißen Figuren am Königsflugel haben 18. Sxd2 das Schlagen mit der Dame scheint besser d4 nach dem 'schlechten' Abtausch verliert er auch noch einen Bauern. Doch man ahnt schon, dass Schwarz auf die Kraft seines Läuferpaars vertraut. Für die Öffnung der Diagonale h1-a8 kann man ruhig einen Bauern hergeben 19. xd4 Nimzowitsch hat das Unheil wohl überhaupt nicht kommen sehen und wird in der Folge kräftig verprügelt
19. e4 wäre vermutlich besser, auch wenn man dem Gegner damit einen Freibauern schenkt
Lxh2+ Tarrasch versucht es mit dem doppelten Läuferopfer wie 15 Jahre früher vom verhassten Lasker vorgeführt 20. Kxh2 Dh4+ 21. Kg1 Lxg2 Die weißen Mehrfiguren spielen nicht mit und haben daher rein theoretischen Wert 22. f3 Nimzowitsch gibt Material zurück um am Leben zu bleiben. Tfe8 gut aufgepasst. 23. Se4 Dh1+ 24. Kf2 dafür ja 22.f3 Lxf1 25. d5 vielleicht um auf der langen Diagonalen a1-h8 Gegendrohungen aufbauen zu können ? f5 26. Dc3 mit Mattdrohung auf g7, die aber in dieser Partie keine Rolle mehr spielt Dg2+ 27. Ke3 Ke1 wäre flott matt Txe4+ zum Abschlus noch ein knackiges Turmopfer 28. xe4 f4+ der Herr Doktor will nicht nur gewinnen, sondern es soll auch noch schön sein 29. Kxf4 Tf8+ 30. Ke5 Dh2+ 31. Ke6 Te8+ 32. Kd7 Lb5#
Vabanque - 12. Jun '17
Sehr hübsche, wenn auch recht bekannte Partie.
Hier hat der Arzt Tarrasch seinem Erzfeind eine wirklich bittere Medizin verabreicht ;)
Aber wie du an einer Stelle ja auch schreibst, irgendwie konnte Nimzowitsch mit der Stellung im frühen Mittelspiel nichts anfangen. Er spielte auf Bauern- und Felderschwächen und erreichte sie auch (hängende Bauern bei Schwarz, durch g6 geschwächter Königsflügel), nur war es zu seinem Unglück keine Stellung, in der man diese vermeintlichen Schwächen auch ausnutzen konnte!
Die wirkliche Schwäche war nämlich der weiße König, und dies demonstrierte Tarrasch in überzeugender Weise.
Auch wenn es an einigen Stellen einfachere Fortsetzungen gegeben hätte - so wie Tarrasch es gespielt hat, war die Demütigung für Nimzowitsch jedenfalls am größten, und ich vermute, dass es ihm auch darum ging.
Die Königsjagd am Schluss ist zwar leicht zu berechnen, aber man muss den Schlusszug, das Matt durch Rückkehr des Läufers, sehen, und das war wohl dann nicht so einfach :)
Hier hat der Arzt Tarrasch seinem Erzfeind eine wirklich bittere Medizin verabreicht ;)
Aber wie du an einer Stelle ja auch schreibst, irgendwie konnte Nimzowitsch mit der Stellung im frühen Mittelspiel nichts anfangen. Er spielte auf Bauern- und Felderschwächen und erreichte sie auch (hängende Bauern bei Schwarz, durch g6 geschwächter Königsflügel), nur war es zu seinem Unglück keine Stellung, in der man diese vermeintlichen Schwächen auch ausnutzen konnte!
Die wirkliche Schwäche war nämlich der weiße König, und dies demonstrierte Tarrasch in überzeugender Weise.
Auch wenn es an einigen Stellen einfachere Fortsetzungen gegeben hätte - so wie Tarrasch es gespielt hat, war die Demütigung für Nimzowitsch jedenfalls am größten, und ich vermute, dass es ihm auch darum ging.
Die Königsjagd am Schluss ist zwar leicht zu berechnen, aber man muss den Schlusszug, das Matt durch Rückkehr des Läufers, sehen, und das war wohl dann nicht so einfach :)
Vabanque - 13. Jun '17
Hab mal nachgeschaut: Nimzowitsch hat insgesamt gegen Tarrasch aber doch mit 5 : 2 abgeschnitten, bei 5 Remisen. Natürlich darf man hieraus nichts folgern, immerhin war Nimzo 24 Jahre jünger!
Kellerdrache - 13. Jun '17
Rein optisch sieht die weiße Stellung vor 18...d4 passiv aber grundsolide aus. Wie schnell das in einen waren Trümmerhaufen verwandelt wird ist schon erstaunlich. Analysiert man die Position vor dem Angriff sieht man allerdings, dass
a) die weißen Figuren keinen Einfluß auf den Königsflügel ausüben und Schwarz daher freie Hand hat und
b) die weißen Figuren auch nicht zügig zur Verteidigung herangeführt werden können.
Hat man all das gesehen findet sich der Mut zum Opfer viel leichter.
a) die weißen Figuren keinen Einfluß auf den Königsflügel ausüben und Schwarz daher freie Hand hat und
b) die weißen Figuren auch nicht zügig zur Verteidigung herangeführt werden können.
Hat man all das gesehen findet sich der Mut zum Opfer viel leichter.
Colorado77 - 13. Jun '17
Tolle Partie, wie lange hat Dich die Kommentierung gekostet, würde mich echt interessieren...
Weiss hat mit Lxc6 unnötig das Läuferpaar aufgegeben, die weissen Springer hatten nie die Chance, irgendwie das Nimzowitsch-Mantra Blockade umzusetzen.
Mit dem schönen Sxd2 hat Schwarz dann seine Hauptidee umgesetzt:
- Ablenkung des Sf3 von der Deckung xh2
- Öffnung der Stellung für die 2 Läufer
Wahrscheinlich hatte Schwarz schon bei Sxd2 im Sinne, das griechische Läuferopfer auf xh2 & xg2 durchzuführen....
Schöne Kommentare!
Weiss hat mit Lxc6 unnötig das Läuferpaar aufgegeben, die weissen Springer hatten nie die Chance, irgendwie das Nimzowitsch-Mantra Blockade umzusetzen.
Mit dem schönen Sxd2 hat Schwarz dann seine Hauptidee umgesetzt:
- Ablenkung des Sf3 von der Deckung xh2
- Öffnung der Stellung für die 2 Läufer
Wahrscheinlich hatte Schwarz schon bei Sxd2 im Sinne, das griechische Läuferopfer auf xh2 & xg2 durchzuführen....
Schöne Kommentare!
Kellerdrache - 13. Jun '17
Die Kommentierung hat mich zwei Abende gekostet. Zu dieser Partie gibt es bereits diverse Kommentare (bei mir Teschner, Lasker, Kasparov). Meine Hauptaufgabe war es die veröffentlichten Varianten zu sichten und nur die unverzichtbaren zu listen und falls nötig zu erklären.
Vabanque - 13. Jun '17
Das Problem kenne ich auch bei so bekannten Partien. Man hat sie dann teilweise in 5 Büchern mit bereits existierenden Kommentaren ...
Aber auch nicht einfacher ist, eine Partie zu kommentieren, wenn man noch nirgends Kommentare dazu findet.
Aber auch nicht einfacher ist, eine Partie zu kommentieren, wenn man noch nirgends Kommentare dazu findet.