Kommentierte Spiele

In der 3. Partie kam es in der Berliner Verteidigung der Spanischen Partie wieder zu einem frühzeitigen Damentausch und einem Endspiel Turm und Springer gegen Turm und Läufer bei nahezu symmetrischer Bauernstruktur. Mit einem zweifelhaften Zug (31... c5?!) zersplitterte jedoch der Herausforderer quasi freiwillig seine Bauern, während das erhoffte Gegenspiel ausblieb. Im Gegenteil, Carlsen gewann einen Bauern, und man mochte ihn bereits auf der Siegerstraße sehen. Jedoch erwies sich die technische Verwertung eines Mehrbauern bei sehr reduzierter Bauernanzahl auch für einen Weltmeister als sehr schwierig, zumal sich (im 43. bzw. 44. Zug) noch ein weiterer Bauer indirekt tauschte. Zu dem Mehrbauern schien Carlsen außerdem noch das bessere Zusammenspiel seiner Figuren zu haben, aber Karjakin verteidigte sich in dieser Partiephase sehr genau, und sein Turm war sehr agil. Dann jedoch konnte Carlsen unter Aufgabe seines h-Bauern die schwarze Blockadestellung durchbrechen und eroberte im 69. Zug den schwarzen Läufer. Danach schien er den Sieg sicher in der Tasche zu haben, doch die Stellung offenbarte nun weitere Tücken. Nachdem beide Seiten teils wegen Zeitknappheit, teils wegen Erschöpfung mehrfach die beste Fortsetzung ausgelassen hatten, entstand schließlich eine Stellung, in der der schwarze Freibauer auf der h-Linie die weiße Mehrfigur (ein zu diesem Zeitpunkt am gegenüberliegenden Brettrand postierter Springer) aufwog. In der Schlussstellung hätte Weiß mit 79. Th4 Kg3 80. Tg4+ die Züge wiederholen müssen, um den schwarzen Freibauern aufzuhalten.
Die Partie war wohl für beide Spieler eine bittere Erfahrung; für Karjakin, weil ihn eine kleine Ungenauigkeit an den Rand der Niederlage brachte; für Carlsen, weil er dies zwar zunächst geschickt ausnutzte, es ihm dann aber nicht gelang, mit letzter Konsequenz am Ball zu bleiben.
Was wird man nach dieser für beide Seiten auszehrenden Partie für heute erwarten dürfen?


PGN anzeigen[Event "Carlsen-Karjakin World Chess Championship"]
[Site "New York NY USA"]
[Date "2016.11.14"]
[EventDate "2016.11.11"]
[Round "3"]
[Result "1/2-1/2"]
[White "Magnus Carlsen"]
[Black "Sergey Karjakin"]
[ECO "C67"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "156"]

1.e4 e5 2.Nf3 Nc6 3.Bb5 Nf6 4.O-O Nxe4 5.Re1 Nd6 6.Nxe5 Be7
7.Bf1 Nxe5 8.Rxe5 O-O 9.d4 Bf6 10.Re2 b6 11.Re1 Re8 12.Bf4
Rxe1 13.Qxe1 Qe7 14.Nc3 Bb7 15.Qxe7 Bxe7 16.a4 a6 17.g3 g5
18.Bxd6 Bxd6 19.Bg2 Bxg2 20.Kxg2 f5 21.Nd5 Kf7 22.Ne3 Kf6
23.Nc4 Bf8 24.Re1 Rd8 25.f4 gxf4 26.gxf4 b5 27.axb5 axb5
28.Ne3 c6 29.Kf3 Ra8 30.Rg1 Ra2 31.b3 c5 32.Rg8 Kf7 33.Rg2
cxd4 34.Nxf5 d3 35.cxd3 Ra1 36.Nd4 b4 37.Rg5 Rb1 38.Rf5+ Ke8
39.Rb5 Rf1+ 40.Ke4 Re1+ 41.Kf5 Rd1 42.Re5+ Kf7 43.Rd5 Rxd3
44.Rxd7+ Ke8 45.Rd5 Rh3 46.Re5+ Kf7 47.Re2 Bg7 48.Nc6 Rh5+
49.Kg4 Rc5 50.Nd8+ Kg6 51.Ne6 h5+ 52.Kf3 Rc3+ 53.Ke4 Bf6
54.Re3 h4 55.h3 Rc1 56.Nf8+ Kf7 57.Nd7 Ke6 58.Nb6 Rd1 59.f5+
Kf7 60.Nc4 Rd4+ 61.Kf3 Bg5 62.Re4 Rd3+ 63.Kg4 Rg3+ 64.Kh5 Be7
65.Ne5+ Kf6 66.Ng4+ Kf7 67.Re6 Rxh3 68.Ne5+ Kg7 69.Rxe7+ Kf6
70.Nc6 Kxf5 71.Na5 Rh1 72.Rb7 Ra1 73.Rb5+ Kf4 74.Rxb4+ Kg3
75.Rg4+ Kf2 76.Nc4 h3 77.Rh4 Kg3 78.Rg4+ Kf2 1/2-1/2

Vermutlich wird Carlsen auf seine bessere Kondition spielen, also eine weitere Seeschlange anstreben. Aus wettkampf-strategischer Sicht mag das vielleicht auch eine richtige Idee sein, aber einer WM würdiges Schach entsteht so nicht.

Bei Karjakin stört mich bisher, dass er zuwenig versucht den Partien seinen Stempel aufzudrücken. Immerhin muß er als Herausforderer ja mindestens eine Begegnung gewinnen, Carlsen könnte auch mit 12 Remisen Weltmeister bleiben (wenn das auch eine Blamage wäre).

Gibt es dann nicht Entscheidung im Schnellschach?

Psychologisch stellt sich mir das eher so dar: der Herausforderer kann sagen: "Ich bin dem Weltmeister ebenbürtig, er vermag es nicht, mich zu schlagen." Carlsen kann sagen:"Ich bin als amtierender Weltmeister unbezwingbar, niemand vermag mich zu entthronen." Also, alles gut. :-)

Tie Break, ja.

Weltmeister durch Schnellschach wäre aber auch peinlich, oder ? Vielleicht packt Sergei ja heute mit Weiß den großen Hammer aus und wir bekommen mal ein Mittelspiel zu sehen, eventuell sogar mit Damen bis zum 40. Zug oder so.
Die dritte Partie dürfte ihm gezeigt haben, dass es gefährlich für ihn wäre einfach schön weiter Carlsen-Schach mitzuspielen.

"***EILMELDUNG***

Die deutsche Schachjugend erwägt als Nachfolge für die berühmte "Sofia-Regel" nun die Einführung der "New-York-Regel":
Kein Damentausch gestattet vor Vollendung des 20. Zuges!"
#CarlsenKarjakin
;-)


Kann mir jemand sagen, ob die ersten 11 Züge buchmäßig waren?

Buchmäßig wäre 10. Te1, aber 10. Te2 ist keine totale Neuerung, wurde bisher auch schon 3-mal gespielt.

>>Kein Damentausch gestattet vor Vollendung des 20. Zuges!"<<

Es gibt ziemlich spannende Partien mit frühem Damentausch ... daran liegt's nicht ...

Am meisten gewundert hat mich 42.Te5+. Wäre nicht 42.Tb8+ gut geeignet um den schwarzen h-Bauern an den Kragen zu gehen?

Das wollte der Rechner sehen und Carlsen hat lange überlegt, aber ich glaube, dass die Varianten nach 42...Ke7 schwer zu berechnen war.

Ich finde übrigens nicht, dass Karjakin weniger Kondition hat als Carlsen. Das war bei Anand so, aber Karjakin wirkt fit und wach und das macht ihn gefährlich, weil Carlsens Ermüdungstaktik nicht sicher funktioniert. Vor allem darf Carlsen nicht in Rückstand geraten, Karjakin ist ein sehr guter Verteidiger, wie die 3. Partie wieder gezeigt hat.

Ich finde, der Wettkampf hat bisher ein hohes Niveau, es ist klar, dass bei 12 Partien niemand größere Risiken eingehen wird.

PS: Kramnik hat mal seinen WM-Kampf gegen Topalow im Schnellschach gewonnen. Ich fand die alte Regel besser, wonach bei einem Unentschieden der Titelverteidiger seinen Titel behält.

Es gab natürlich schon jede Menge Feinheiten, auch taktischer Natur, eine Reihe vergifteter Bauern z.B. ... aber das hätte viel Arbeit bedeutet, das alles zu kommentieren.

Darf aber trotzdem gerne hier alles diskutiert werden :)

Es ist ja nicht nur meine Meinung das ein Wettkampf mit gerade mal 12 Partien zu kurz ist. Versaut man eine einzige Partie hat man schon große Probleme zu gewinnen. Aus Wettkampfsicht verstehe ich also die Spielweise durchaus. Das von alms beobachtete hohe Niveau kann ich aber wirklich nicht entdecken. In den beiden ersten Begegnungen war kaum ein Versuch zu erkennen den Gegner ernsthaft unter Druck zu setzen, erst Nr. 3 zeigte kleine Lichtblicke.

also ich bin ja dann irgendwann ins bett und habe mir so eben die Analyse von huschenbeth angeschaut...also mit 72. Tb7 soll MC den sieg verschenkt haben, sagt er...naja...ich hätte das nicht gesehen...und ob man so etwas sehen muss auf dem niveau oder ob es die engine findet nach 4 stunden ist mir unklar ;-)
jedenfalls muss ich entgegen der kommentatoren sagen: ich fand als amateur auch diese partie langweilig...ich versuch mal SK anzurufen und ihm zu einem gambit für heute abend zu raten ;-)

Oder MC könnte ja mal Pirc spielen ;-))

das schlug ich im Chat bei der Übertragung gestern vor...aber da lesen die wohl beide nicht mit...oder sie kennen es nicht gut genug ;-)

Super-GM spielen keine inkorrekten Eröffnungen :)

Hohes Niveau = nahezu fehlerfrei

Wahrscheinlich bin ich ein zu naiver, zu leicht zu begeisternder Schachenthusiast, um mich einfach an Schachspielen besonderer Spieler, zu besonderer Zeit u. an besonderem Ort zu freuen. ;-P

Seit wann ist Pirc eine inkorrekte Eröffnung? Dann sind auch Königsindisch, Grünfeld und Sizilanisch (v.a. die Drachenvariante) inkorrekt.

Pirc führt doch immer zu interessanten, komplizierten Stellungen mit sehr geringer Remistendenz ... Carlsen und Karjakin dagegen beschränken sich bisher auf Eröffnungen mit hoher Remistendenz, dann muss man sich über Verlauf und Ergebnis echt nicht wundern.