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Brillante Mattangriffe (XIV): Petrosian - Pogrebissky 1949

Vabanque - 11. Dez '15
Ein weiterer Beitrag zur 'Verbesserung' des Rufs von Petrosian. In dieser Partie, die er im Alter von 20 Jahren spielte, ist sein späterer typischer Stil vielleicht noch nicht erkennbar, dafür zeigt er hier seine taktische Überlegenheit, indem er ein elegantes Mattnetz von langer Hand plant. Solche Partien beweisen, dass Petrosian von seinen Fähigkeiten her durchaus ein zweiter Tal hätte werden können, wenn er gewollt hätte. Risiken einzugehen, passte jedoch nicht zu seiner Persönlichkeitsstruktur, und so führte er solche Mattangriffe wie hier nur durch, wenn er sie bis zum Ende ausrechnen konnte. Die Kombination, die er hier mit dem 22. Zug von Weiß beginnt, enthält mehrere Überraschungszüge und war sicherlich nicht leicht zu sehen bzw. zu berechnen. Doch überzeugt euch selbst ...

Tigran Vartanovich Petrosian Iosif Pogrebissky Tbilisi | It | 1949 | 1:0
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a
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e
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1. d4 Sf6 2. c4 g6 3. Sf3 Lg7 4. g3 O-O 5. Lg2 d5 Eine Grünfeld-ähnliche Spielweise (manchmal als Neo-Grünfeld bezeichnet), in der Schwarz beabsichtigt, die weißen Mittelbauern vorzulocken, um sie anschließend angreifen zu können, analog der Idee der Aljechin-Verteidigung. 6. xd5 Sxd5 7. O-O c5 8. e4 Sf6 9. e5 Sfd7 Nun sieht es allerdings tatsächlich so aus, als wenn das weiße Bauernzentrum gleich in Schutt und Asche liegen wird, denn nach cxd4 wird der Bauer e5 nicht zu halten sein. 10. Sg5 Petrosian zieht ein weiteres Mal mit einer bereits entwickelten Figur. Aber er hat einen guten Grund dafür: Der Zug droht e6 und macht gleichzeitig den Weg für den f-Bauern frei, so dass der e-Bauer mit f4 gestützt werden kann. xd4 11. f4 e6 kam hier stark in Betracht, entspricht aber nicht Petrosians Stil. Sc5 Deckt den gewonnenen Bauern d4 und verhindert e6. Zu diesem Zweck war Sb6 aber geeigneter, wie der nächste Zug von Weiß zeigt. 12. b4! Nun steht der Sc5 am Scheideweg: Se6 wäre hier sicher wünschenswert, aber nach 13. Sxe6 fxe6 erobert Weiß in der Folge den Bauern d4 und steht gut. Die Alternative 13... Lxe6 beinhaltet nach 14. Lxb7 Ld5! ein Qualitätsopfer, das aber aussichtsreich erscheint, da Weiß auf den weißen Felder um seinen König sehr schwach würde. Petrosians Gegner lässt sich auf diese Wagnis nicht ein, wohl zu Unrecht. f6 13. xf6 xf6 14. Sxh7! Kxh7 15. xc5 Nun ist eine sehr ungewöhnliche Stellung entstanden: Nach 15 Zügen haben beide Parteien jeweils nur eine einzige Figur im Spiel! Aber wie ist die Stellung eigentlich zu beurteilen? Sind die beiderseitigen isolierten Bauern (Weiß auf c5, Schwarz auf d4) nun schwach oder stark? Sc6 Nun wird von beiden Seiten die Figurenentwicklung zügig nachgeholt. 16. Lb2 Dc7 Der d-Bauer ist nun indirekt verteidigt, z.B. 17. Lxd4?? Sxd4 18. Dxd4 f5!, und der Ta1 fällt, oder 17. Lxc6?? Dxc6 18. Dxd4? (aber Lxd4 ist kaum besser) Lh3 (Mattdrohung auf g2!) 19. Tf2 Td8. 17. Sd2 Le6 18. Se4 Tad8 19. h4! Obwohl Weiß schon rochiert hat, und kein Turm auf der h-Linie steht, ist dieser Bauernangriff sehr stark. Schwarz ist vollständig entwickelt, und hat doch keine rechte Verteidigung gegen das weiße Angriffsmanöver. Dd7 20. h5 Lg4 Dies war die Absicht von Dd7. 21. xg6+ Kxg6 22. f5+! Eine Überraschung. Urplötzlich ist Schwarz verloren, egal was er spielt. Und das alles, ohne dass man so recht wüsste, was er eigentlich falsch gemacht hat. Lxf5 Falls 22...Dxf5, so spielt Weiß nicht Txf5 wegen Lxd1, sondern 23. Db1!, worauf die schwarze Dame gezwungen ist zu weichen, und Weiß ein tödliches Abzugsschach hat, z.B. 23... De6 24. Sg5+!! Kxg5 25. Lc1+ Kh5 26. Dh7+ nebst Matt. Spielt Schwarz aber 22... Kh5, so gewinnt das Damenopfer 23. Dxg4+!! nebst Tf4+ und Th4 matt. Alles sehr elegant, aber der tatsächliche Partieschluss ist noch subtiler. 23. Sd6 Ein stiller Zug als Pointe. Dem schwarzen König wird das Feld f7 verwehrt; zugleich hängt der Lf5. Lg4 24. Le4+ Kh5 Auf f5 wäre wegen der Fesselung natürlich Dxg4+ möglich, und auf Kh6 gewinnt Weiß gegenüber der Partiefortsetzung mit Lc1+ ein Tempo. Aber wie geht es denn jetzt weiter? Weiß muss doch seine Dame wegziehen? 25. Tf4!! Nein, muss er nicht. Er kann sie hängen lassen und den Turm besser stellen. Auf Lxd1 wäre 26. Th4+ Kg5 27. Lc1 matt möglich. Schwarz kann die Dame also nicht schlagen. Aber der weiße Turmzug droht unter anderem Txg4 nebst Lf3! f5 Daher dieser Deckungszug. Zudem droht Schwarz die weiße Dame nun tatsächlich zu nehmen, da nach Th4+ der schwarze König nun das Feld g6 hätte. 26. Txg4! Mit diesem Opfer erreicht Weiß, dass das Feld g6 nach dem schwarzen Zurückschlagen wieder unter weißer Kontrolle ist. xg4 27. Dd2 Droht Matt durch Dh2+ nebst Dh4. Alles fügt sich so wunderbar zusammen, dass der Schluss der Partie (ab dem 22. Zug!) fast wie eine komponierte Studie wirkt. Th8 Nun könnte die Dame nach Dh2+ Kg5 kein Matt auf h4 geben. 28. Kg2! Aber der Königszug ermöglicht das Eingreifen des Turms, der das Geschäft für seine Schöne erfolgreich abschließen wird, da durch Dame und Läufer dem schwarzen König bereits alle sonstigen Fluchtfelder genommen sind. Th1+ nebst Matt ist unverhinderbar. Schwarz gab auf. Eine ästhetisch sehr abgerundete Partie.
PGN anzeigen[Event "Tbilisi"]
[Site "It"]
[Date "1949.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "?"]
[Result "1-0"]
[White "Tigran Vartanovich Petrosian"]
[Black "Iosif Pogrebissky"]


1. d4 Nf6 2. c4 g6 3. Nf3 Bg7 4. g3 O-O 5. Bg2 d5 {Eine Grünfeld-ähnliche Spielweise (manchmal als Neo-Grünfeld bezeichnet), in der Schwarz beabsichtigt, die weißen

Mittelbauern vorzulocken, um sie anschließend angreifen zu können, analog der Idee der Aljechin-Verteidigung.} 6. cxd5 Nxd5 7. O-O
c5 8. e4 Nf6 9. e5 Nfd7 {Nun sieht

es allerdings tatsächlich so aus, als wenn das weiße Bauernzentrum gleich in Schutt und Asche liegen wird, denn nach cxd4 wird der Bauer e5 nicht zu halten sein.} 10.

Ng5 {Petrosian zieht ein weiteres Mal mit einer bereits entwickelten Figur. Aber er hat einen guten Grund dafür: Der Zug droht e6 und macht gleichzeitig den Weg für

den f-Bauern frei, so dass der e-Bauer mit f4 gestützt werden kann.} cxd4 11. f4 {e6 kam hier stark in Betracht, entspricht aber nicht Petrosians Stil.} Nc5 {Deckt den

gewonnenen Bauern d4 und verhindert e6. Zu diesem Zweck war Sb6 aber geeigneter, wie der nächste Zug von Weiß zeigt.} 12. b4! {Nun steht der Sc5 am Scheideweg: Se6

wäre hier sicher wünschenswert, aber nach 13. Sxe6 fxe6 erobert Weiß in der Folge den Bauern d4 und steht gut. Die Alternative 13... Lxe6 beinhaltet nach 14. Lxb7 Ld5!

ein Qualitätsopfer, das aber aussichtsreich erscheint, da Weiß auf den weißen Felder um seinen König sehr schwach würde. Petrosians Gegner lässt sich auf diese Wagnis

nicht ein, wohl zu Unrecht.} f6 13. exf6 exf6 14. Nxh7! Kxh7 15. bxc5 {Nun ist eine sehr ungewöhnliche Stellung entstanden: Nach 15 Zügen haben beide Parteien jeweils

nur eine einzige Figur im Spiel! Aber wie ist

die Stellung eigentlich zu beurteilen? Sind die beiderseitigen isolierten Bauern (Weiß auf c5, Schwarz auf d4) nun schwach oder stark?} Nc6 {Nun wird von beiden Seiten

die Figurenentwicklung zügig nachgeholt.}
16. Bb2 Qc7 {Der d-Bauer ist nun indirekt verteidigt, z.B. 17. Lxd4?? Sxd4 18. Dxd4 f5!, und der Ta1 fällt, oder 17. Lxc6??

Dxc6 18. Dxd4? (aber Lxd4 ist kaum besser) Lh3 (Mattdrohung auf g2!) 19. Tf2 Td8.}17. Nd2 Be6 18. Ne4 Rad8 19. h4! {Obwohl Weiß schon rochiert hat, und kein Turm auf der h-Linie steht, ist

dieser Bauernangriff sehr stark. Schwarz ist vollständig entwickelt, und hat doch keine rechte Verteidigung gegen das weiße Angriffsmanöver.} Qd7 20. h5 Bg4 {Dies war

die Absicht von Dd7.}
21. hxg6+ Kxg6 22. f5+! {Eine Überraschung. Urplötzlich ist Schwarz verloren, egal was er spielt. Und das alles, ohne dass man so recht wüsste,

was er eigentlich falsch gemacht hat.} Bxf5 {Falls 22...Dxf5, so spielt Weiß nicht Txf5 wegen Lxd1, sondern 23. Db1!, worauf die schwarze Dame gezwungen ist zu

weichen, und Weiß ein tödliches Abzugsschach hat, z.B. 23... De6 24. Sg5+!! Kxg5 25. Lc1+ Kh5 26. Dh7+ nebst Matt. Spielt Schwarz aber 22... Kh5, so gewinnt das Damenopfer 23. Dxg4+!! nebst Tf4+ und Th4 matt. Alles sehr elegant,

aber der tatsächliche Partieschluss ist noch subtiler.} 23. Nd6 {Ein stiller Zug als Pointe. Dem schwarzen König wird das Feld f7 verwehrt; zugleich hängt der Lf5.}

Bg4
24. Be4+ Kh5 {Auf f5 wäre wegen der Fesselung natürlich Dxg4+ möglich, und auf Kh6 gewinnt Weiß gegenüber der Partiefortsetzung mit Lc1+ ein Tempo. Aber wie geht es

denn jetzt weiter? Weiß muss doch seine Dame wegziehen?} 25. Rf4!! {Nein, muss er nicht. Er kann sie hängen lassen und den Turm besser stellen. Auf Lxd1 wäre 26. Th4+

Kg5 27. Lc1 matt möglich. Schwarz kann die Dame also nicht schlagen. Aber der weiße Turmzug droht unter anderem Txg4 nebst Lf3!} f5 {Daher dieser Deckungszug. Zudem

droht Schwarz die weiße Dame nun tatsächlich zu nehmen, da nach Th4+ der schwarze König nun das Feld g6 hätte.} 26. Rxg4! {Mit diesem Opfer erreicht Weiß, dass das

Feld g6 nach dem schwarzen Zurückschlagen wieder unter weißer Kontrolle ist.} fxg4
27. Qd2 {Droht Matt durch Dh2+ nebst Dh4. Alles fügt sich so wunderbar zusammen,

dass der Schluss der Partie (ab dem 22. Zug!) fast wie eine komponierte Studie wirkt.} Rh8 {Nun könnte die Dame nach Dh2+ Kg5 kein Matt auf h4 geben.} 28. Kg2!{Aber der

Königszug ermöglicht das Eingreifen des Turms, der das Geschäft für seine Schöne erfolgreich abschließen wird, da durch Dame und Läufer dem schwarzen König bereits alle sonstigen

Fluchtfelder genommen sind. Th1+ nebst Matt ist unverhinderbar. Schwarz gab auf. Eine ästhetisch sehr abgerundete Partie.} 1-0

plebs - 11. Dez '15
Sehr schön bearbeitet von dir!
Man vertut sich leicht bei Petrosjan....ohne überragende taktische Fähigkeiten wäre er wohl nie Weltmeister geworden.
Kellerdrache - 11. Dez '15
Eine rundherum schöne Partie. Um Weltmeister zu werden muß man schon universell begabt sein. Auch wenn Leute wie Cabaplanca, Smyslov, Petrosjan oder Karpov einen anderen Stil bevorzugen tun sie das ja nicht weil sie taktisch nichts draufhaben.
Petrosjans Opfer in dieser Partie resultieren allerdings aus der positionellen Überlegenheit und haben wenig spekulatives an sich. Der zu Grunde liegende Gedankengang ist so etwas wie: Ich habe zwei Monsterläufer, tolle potentielle Felder für meinen Springer und kann Linien auf den schwarzen König öffnen. Das alles während Schwarz es viel schwerer seine Figuren an der Verteidigung zu beteiligen. Ergo muß hier etwas gehen. Die taktischen Züge sind nur noch das wie.
Vabanque - 11. Dez '15
Ihr Beiden habt es, wie immer, auf den Punkt gebracht!