Kommentierte Spiele
100 Jahre Schach (V) 1950-59 : Boleslawski-Keres
Kellerdrache - 06. Jul '16
Hier ist eine Partie, die für dieses Forum insofern eine Seltenheit darstellt als sie vor allem eine strategische Meisterleistung ist. Als Unterlegener fragt man sich bei solchen Partien warum genau man eigentlich verloren hat.
"Held" dieser Partie ist Paul Keres, oder auch Paul der Zweite wie man ihn nannte weil er es nie zu einem WM-Kampf brachte. Trotzdem gehörte er über lange Zeit zu den erfolgreichsten Turnierspielern. Er war, was relativ selten ist, sowohl schachlich-sportlich geachtet als auch menschlich verehrt. So höflich und umgänglich er sonst auch war mit den Spielsteinen war er es nicht.































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"Held" dieser Partie ist Paul Keres, oder auch Paul der Zweite wie man ihn nannte weil er es nie zu einem WM-Kampf brachte. Trotzdem gehörte er über lange Zeit zu den erfolgreichsten Turnierspielern. Er war, was relativ selten ist, sowohl schachlich-sportlich geachtet als auch menschlich verehrt. So höflich und umgänglich er sonst auch war mit den Spielsteinen war er es nicht.
Boleslawski, Zbigniew Keres, Paul Zürich | 1953 | C97 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. O-O Le7 6. Te1 b5 7. Lb3 O-O 8. c3 d6 9. h3 Sa5 10. Lc2 c5 11. d4 Ich habe die Züge bisher nicht weiter kommentiert, weil sie so in jedem Theoriebuch zu sehen sind. Es kommt jetzt die Zeit sich zu entscheiden was man mit dem Zentrum anstellen möchte. Man kann es mit d5 schliesen oder es mit einer der Abtauschmöglichkeiten dxc5 oder dxe5 festlegen. Beide Pläne sind Jahrzehnt über Jahrzehnt gespielt worden und sind alle durchaus möglich. Boleslawski lässt das Zentrum erst einmal wie es ist und wartet, dass Schwarz sich festlegt. Dc7 Für alle Fälle entfernt man die Dame aus der d-Linie, die sich in beiden Abtauschvarianten öffnet. Außerdem gibt einige Abspiele wo man nach Abtausch auf d4 mit Hilfe eines Turmes auf c8 Angriff auf der c-Linie bekommt. 12. Sbd2 Td8 13. Sf1 Von d2 aus hatte der Springer keine interessanten Ziele. Er strebt über e3 oder auch g3 z.B. nachf5 d5 Die entscheidende strategische Entscheidung der Partie. Das Zentrum öffnet sich in der Folge. Keres musste hier einschätzen wessen Figuren nach der Auflösung des Bauernzentrums aktiver sind. Immerhin öffnet sich ja z.B. auch die Diagonale b1-h7 auf den eigenen König. Obwohl es die richtige Idee ist war Keres Ausführung unpräzise. 14. xd5
14. xe5 Bronstein gibt im Turnierbuch diese Variante als die klar bessere Möglichkeit an. xe4 15. S1d2 Wer kommt denn auf so etwas ? Der Springer auf f3 hängt, aber man zieht den anderen Springer auf d2 xf3 16. xf6 Lxf6 17. Dxf3 Le6 18. Se4 Weiß steht mindestens ausgeglichen. Die größere Aktivität gibt ihm aber vermutlich den Vorteil. Um diese Variante zu vermeiden hätte Keres vor d5 noch cxd4 einschieben sollen
xd4 15. xd4 Sxd5 Betrachtet man die Stellung nach dem Generalabtausch im Zentrum sieht man, dass alle schwarze Figuren großes Potential haben. Der Lc8 hat wahlweise die Diagonalen a8-h1 oder c8-h3, der Le7 kann über d6 oder f6 eingreifen, Sd5 steht ideal. Selbst der Sa5 hat über c4 oder c6 zwei Routen ins Zentrum. Dagegen hat der Lc1 kein schönes Entwicklungsfeld, obwohl er sicher gerne seine Grundreihe räumen würde. Der Springer auf f1 hat auch nur einen Weg ins Spiel einzugreifen; über g3 nach f5. 16. De2 Lb7 17. Sg3 xd4 Tauscht den Rest des Zentrums ab. Der Sf3 wird auf ein zentrales Feld eingeladen. Dessen starke Position entlarvt Keres aber schnell als Illusion. Hier haben wir übrigens auch eine der Stellungen in denen Schwarz über die offene c-Linie angreifen könnte. 18. Sxd4 g6 Exzellent ! Schwarz nimmt den beiden weißen Springern ihren einzigen Weg aktiv ins Spiel einzugreifen. Allerdings nimmt Schwarz sozusagen eine Fianchetto-Stellung ein, die nicht vom eigenen Läufer gedeckt ist. Bevor man solche Züge macht muß man das gegnerische Angriffspotential genau abschätzen können. 19. Lh6 Lf6 Führt den Läuf er auf die Fianchetto-Diagonale und greft gleichzeitig den Sd4 an. Zieht der Springer weg hängt dahinter der b2 20. Sb3 Sc4 21. Se4 Weiß ist bereit Material zu geben um Gegenspiel zu erlangen. Die richtige strategische Entscheidung im Zentrum hat gereicht um Schwarz in Vorteil zu bringen. Lxb2 22. Sbc5 Boleslawski hofft durch das Qualitätsopfer Druck auf den dunklen Feldern um den schwarzen König herum zu bekommen, da der Fianchettoläufer ja in der Verteidigung fehlt Lxa1 23. Txa1 f5 Eine Lehrstunde der Schachtechnik. Mit diesem einfachen Zug deckt man nicht nur g7 durch die Dame au c7 sondern erzwingt auch weiteren Abtausch. 24. Sxb7 Dxb7 25. Sc5 Dc6 Keres lässt die gegnerische Dame nicht auf e6 eindringen 26. Sd3 Sc3 27. De1 Df6 Schwarz steht materiell und positionell besser. 28. f4 Se4 29. Kh2 Dc3 Natürlich hat Schwarz gegen einen Damentausch nichts einzuwenden 30. Db1 Scd2 31. Dc1 Txd3 Das sieht erstmal einfach aus. Man gewinnt ja zwei Leichtfiguren gegen den Turm, aber Weiß kommt doch mit der Dame nach c7, oder nicht ? Paul Keres muss hier schon gesehen haben, dass er schneller ist.. 32. Lxd3 Dxd3 33. Dc7 Sf3+
Vabanque - 06. Jul '16
Das war ja recht schön und viel einfacher nachzuspielen als Colorados heutiger Beitrag :)
<meckermodus>
In der Anmerkungen zum 24. Zug soll es wahrscheinlich heißen: 'kann Weiß nicht eindringen'?
Ansonsten gibt es noch ein paar Tippfehler, z.B. in der Anmerkung zum 23. Zug 'durch die Dame auf c7' (es fehlt das 'f').
Und in der Anmerkung zum 13. Zug von Schwarz klingt 'die entscheidende strategische Entscheidung' ein wenig komisch ;)
</meckermodus>
<lobmodus>
Wieder mal eine der Partien, die Schach eigentlich recht einfach erscheinen lassen. Von Keres ist man das in der Regel nicht gewohnt. Nur beim Schluss ist er sozusagen wiederzuerkennen.
Ich kannte die Partie bisher nicht, aber sie war eine gute Wahl für die Reihe.
</lobmodus>
Interessanterweise habe ich für die 60er Jahre ebenfalls eine Partie mit einem geschlossenen Spanier ausgewählt, nur hat diesmal Keres Weiß. Und es passt gut, dass hier Keres verlieren wird. Musterbeispiele mit Schwarzsiegen in Spanisch gibt es ja nicht so viele, und mein Beitrag wird ebenfalls in die Reihe 'Schach kann so einfach aussehen' (oder so ähnlich) passen.
Demnächst in diesem Theater, vielleicht morgen oder eher übermorgen, da es erstens sonst zu viele kommentierte Partien auf einmal sind, und man muss ja die Beiträge auch an die Fußballübertragungen anpassen ;)
<meckermodus>
In der Anmerkungen zum 24. Zug soll es wahrscheinlich heißen: 'kann Weiß nicht eindringen'?
Ansonsten gibt es noch ein paar Tippfehler, z.B. in der Anmerkung zum 23. Zug 'durch die Dame auf c7' (es fehlt das 'f').
Und in der Anmerkung zum 13. Zug von Schwarz klingt 'die entscheidende strategische Entscheidung' ein wenig komisch ;)
</meckermodus>
<lobmodus>
Wieder mal eine der Partien, die Schach eigentlich recht einfach erscheinen lassen. Von Keres ist man das in der Regel nicht gewohnt. Nur beim Schluss ist er sozusagen wiederzuerkennen.
Ich kannte die Partie bisher nicht, aber sie war eine gute Wahl für die Reihe.
</lobmodus>
Interessanterweise habe ich für die 60er Jahre ebenfalls eine Partie mit einem geschlossenen Spanier ausgewählt, nur hat diesmal Keres Weiß. Und es passt gut, dass hier Keres verlieren wird. Musterbeispiele mit Schwarzsiegen in Spanisch gibt es ja nicht so viele, und mein Beitrag wird ebenfalls in die Reihe 'Schach kann so einfach aussehen' (oder so ähnlich) passen.
Demnächst in diesem Theater, vielleicht morgen oder eher übermorgen, da es erstens sonst zu viele kommentierte Partien auf einmal sind, und man muss ja die Beiträge auch an die Fußballübertragungen anpassen ;)
Kellerdrache - 07. Jul '16
Das mit der entscheidenden strategischen Entscheidung habe ich inhaltlich von Bronstein übernommen. Im Gegensatz zu seinem Gegner hat er richtig erkannt, dass sich in einem offenen Zentrum die Aktivität seiner Figuren deutlich leichter entfalten lässt als die Boleslawskis. So gesehen hat die Entscheidung zu d5 eben bereits den Grundstein zum Sieg gelegt. Vermutlich war ich an der Stelle etwas zu sparsam mit meiner Erkärung.
Ja, die Partie sieht sehr einfach aus, obwohl sie schon ein paar Stellen hat die so nicht jeder gezogen hätte. Ich denke da zuerst an g6.
Ja, die Partie sieht sehr einfach aus, obwohl sie schon ein paar Stellen hat die so nicht jeder gezogen hätte. Ich denke da zuerst an g6.
Vabanque - 07. Jul '16
Nach der Steinitzschen Theorie darf man so etwas wie g6 überhaupt nicht ziehen, da jeder Bauernzug die Rochadestellung schwächt. Aber zu dem Zeitpunkt, wo diese Partie gespielt wurde, war Steinitz schon 50 Jahre tot, da durfte man es wieder :)
Spaß beiseite, solche 'Regeln' sind natürlich nur Orientierung, und der Meister erkennt, wann er sie brechen darf bzw. sogar muss.
Spaß beiseite, solche 'Regeln' sind natürlich nur Orientierung, und der Meister erkennt, wann er sie brechen darf bzw. sogar muss.
Kellerdrache - 07. Jul '16
Nein, g6 darf man schon spielen, aber dann doch nicht den schwarzfeldrigen Läufer hergeben. Der Gewinn der Qualität allein reicht zur Rechtfertigung da nicht aus.
Das mit der Schwächung der Rochadestellung ist, finde ich auch immer noch eine Regel die Amateure gerne mißachten. Ich habe in meinem Verein einige Spieler die, sobald in der Partie mal nichts droht die Züge h3 oder h6 einschieben. In der Regeln ohne konkreten Grund sondern als Vorsorge.
Das mit der Schwächung der Rochadestellung ist, finde ich auch immer noch eine Regel die Amateure gerne mißachten. Ich habe in meinem Verein einige Spieler die, sobald in der Partie mal nichts droht die Züge h3 oder h6 einschieben. In der Regeln ohne konkreten Grund sondern als Vorsorge.
Vabanque - 07. Jul '16
Ja, die schwarzfeldrigen Lücken auf f6 und h6, die der Zug g6 hinterlässt, muss dann natürlich der Läufer 'ausfüllen'. Ist er weg, z.B. durch einen Qualitätsgewinn auf a1, dann drohen schnell Mattwendungen. Witzig ist hier ja, dass Weiß am Ende tatsächlich undeckbar Matt auf g7 droht, aber dazu kommt es nicht, da Schwarz vorher Matt setzt.