Kommentierte Spiele

Glanzpartien unbekannter Spieler (XXI)

Vabanque - 30. Sep '14
In der letzten gezeigten Partie hat David Przepiorka gegen Carl Schlechter ein furchtbares Debakel erlebt.
Dass er aber selber auch brillante Meisterwerke aufs Brett zaubern konnte, wenn er in Form war, beweist die folgende Partie, deren Schlusskombination abseits jeglicher Schablone ist. Sein Gegner Gyula Patay war anscheinend aber auch kein schwacher Spieler; denn in dem Turnier, aus dem diese Partie stammt, schlug Patay den Schweizer IM Henri Grob und remisierte mit Tartakower.

David Przepiorka Gyula Patay Meran ITA | Meran ITA | 6 | 1926.12.11 | B06 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 g6 2. e4 d6 3. Sf3 Lg7 4. Ld3 e6?! Diese Entwicklungsweise erweist sich hier nicht als günstig. Schwarz möchte wohl nicht mit Sf6 den Lg7 verstellen und außerdem nicht ständig auf ein eventuelles e4-e5 Acht geben müssen; aber er schwächt damit die dunklen Felder (nach h6 ist nun auch f6 ohne Bauernschutz), und wie es sich zeigen wird, erhält er kein Gegenspiel im Zentrum oder am Damenflügel. Generell wird ja gesagt, dass die Züge g6 und e6 (wegen der Schwächung des Feldes f6) nicht gut zusammenpassen; nun gibt es allerdings eine viel gespielte Variante im Geschlossenen Sizilianer, wo sich Schwarz genau so aufbaut und damit völlig ebenbürtiges Spiel behauptet. Der hauptsächliche Unterschied zur gegenwärtigen Stellung ist allerdings, dass im Sizilianer ja bereits c7-c5 geschehen ist und Schwarz damit deutlich mehr Kontrolle auf das Zentrum ausübt als hier (wo es zu c7-c5 gar nicht mehr kommt). 5. O-O Se7 6. Le3 O-O 7. Dd2 Te8 8. Lh6 Lh8 Immerhin hat Schwarz den Abtausch dieses wichtigen Schutzläufers (der Rochadestellung und der dunklen Felder) vermeiden können. 9. Sc3 Sbc6 Greift d4 an; aber Weiß kann sein Zentrum zementieren. 10. Se2 Weiß plant c3 folgen zu lassen und hat dann diesen Springer für Aktionen am Königsflügel frei. d5 Natürlich muss Schwarz sein Anrecht auf das Zentrum geltend machen. 11. e5 Sf5 In der Hoffnung, wenigstens einen der weißen Läufer abtauschen zu können. 12. Lf4 f6 Irgendwie muss das weiße Zentrum ja befragt werden. 13. c3 g5? Schwarz sucht in seiner beengten Stellung verständlicherweise nach Aktivität. Zunächst sieht der Zug ja gar nicht schlecht aus, denn auf 14. Lg3 (oder Le3) käme Schwarz mit g5-g4 sogar ans Ruder. Er würde dann den Bauern e5 gewinnen und hätte das weiße Zentrum zerschlagen. Solche krampfartigen Gegenangriffe führen in passiven Stellungen aber meistens zum beschleunigten Zusammenbruch. Er sollte wohl 13... fxe5 14. dxe5 Sh4 versuchen. 14. Sxg5! Dieses Opfer musste Weiß bereits bei 13. c3 geplant haben, denn andernfalls käme - wie bereits gesagt - Schwarz in Vorteil. xg5 15. Lxg5 Jetzt aber hat Weiß jegliche Aussicht auf schwarzes Gegenspiel zerstört. Die schwarzen Figuren stehen disharmonisch und unwirksam, so dass der endgültige Einbruch der weißen Figuren am schwarzen Königsflügel nur eine Frage der Zeit ist. Die schwarze Mehrfigur (für 2 Bauern) ist bedeutungslos. Dd7 16. g4 h6?! Der Rückzug Sfe7 war nur geringfügig besser; Weiß kann dann in aller Ruhe zuerst mit f4 sein Zentrum gegen ein eventuelles Rückopfer sichern und danach mit Sg3 weiter am Königsflügel vorgehen, ohne dass Schwarz etwas unternehmen könnte. Nach dem Textzug, mit dem Schwarz noch etwas mitzumischen hofft, gewinnt die Partie an Tempo, was in diesem Fall für uns Kiebitze beste Unterhaltung verspricht. 17. xf5 xg5 18. f6! Natürlich lässt sich Weiß nicht auf den Damentausch nach 18. Dxg5+ Dg7 ein. Mit dem Textzug hat er eine hübsche Bauernkette b2-c3-d4-e5-f6 etabliert, deren Spitze den Sargnagel der schwarzen Stellung bildet. Nun droht tatsächlich Dxg5+. Kf7 Rette sich, wer kann! Der schwarze König nimmt seine kurzen Beine in die Hand. Weit kommt er nicht; jedenfalls nicht in die gewünschte Richtung. 19. Lg6+!! Auch ruhige Fortsetzungen wie f4 oder Sg3 reichten auf die Dauer zum Gewinn, da die schwarzen Figuren zur völligen Untätigkeit verdammt sind. Aber die Textfortsetzung ist am schnellsten und schönsten. Dieses Opfer basiert auf zwei weiteren, die Weiß an dieser Stelle in der Vorausberechung schon erkennen musste. Kxg6 20. Dd3+ Nun ergibt sich auf Kf7 ein Matt in 3 durch Dh7+, Dxh8+ und Dg7#. Die Mitwirkung des 'Reißnagels' f6 am Mattnetz wird erkennbar. Kh6 Kh5 führt zu haargenau derselben Fortsetzung. 21. Dh3+ Kg6 Aber jetzt geht es scheinbar nicht weiter. Hat sich Weiß verrechnet und muss sich nun zähneknirschend mit Remis durch Dauerschach zufrieden geben? 22. Sf4+!! Nur mit diesem zweiten Opfer funktioniert das erste! Der g-Bauer muss nehmen (da Kf7 wieder zum Matt nach Dh7+ führt), so dass sich die g-Linie für einen weißen Turm öffnet! xf4 23. Kh1! Die stille Pointe. Es droht Tg1+ nebst Dh7+. Die ganze Kombination ist äußerst originell und staunenswert. Lxf6 Aber auch dieses Gegenopfer musste Weiß noch einberechnen. Denn spielt er jetzt 24. exf6, so ist Schwarz nach Kxf6 in Sicherheit! 24. Tg1+! Nun folgt auf Kf7 25. Dh7+ mit Matt im nächsten Zug (Kf8 26. Tg8# bzw. Lg7 26. Dxg7#). Lg5 Und jetzt? 25. Txg5+!! Die letzte Keule! Drei nicht offensichtliche Opfer und ein stiller Zug: mehr kann man von einer Kombination wirklich nicht wünschen. Kxg5 26. Tg1# Schwarz hat nun einen Turm und zwei Leichtfiguren mehr; alles tote Materie, die nutzlos am Damenflügel herumsteht. Seine Figuren könnten ebenso auch gar nicht auf dem Brett sein. - Przepiorka hat in dieser Partie ab dem 14. Zug an jeder Stelle den allerstärksten Zug getroffen; heute würde man ihn dafür wahrscheinlich wegen Verdacht auf Engine-Gebrauch vom Turnier ausschließen und ihn mit einer Sperre belegen ...
PGN anzeigen[Event "Meran ITA"]
[Site "Meran ITA"]
[Date

"1926.12.11"]
[EventDate "?"]
[Round "6"]
[Result "1-0"]
[White "David Przepiorka"]
[Black "Gyula Patay"]
[ECO

"B06"]


1. d4

g6 2. e4 d6 3. Nf3 Bg7 4. Bd3 e6?! {Diese

Entwicklungsweise erweist sich hier nicht als günstig.

Schwarz möchte wohl nicht mit Sf6 den Lg7 verstellen und

außerdem nicht ständig auf ein eventuelles e4-e5 Acht

geben müssen; aber er schwächt damit die dunklen Felder

(nach h6 ist nun auch f6 ohne Bauernschutz), und wie es

sich zeigen wird, erhält er kein Gegenspiel im Zentrum

oder am Damenflügel. Generell wird ja gesagt, dass die

Züge g6 und e6 (wegen der Schwächung des Feldes f6)

nicht gut zusammenpassen; nun gibt es allerdings eine

viel gespielte Variante im Geschlossenen Sizilianer, wo

sich Schwarz genau so aufbaut und damit völlig

ebenbürtiges Spiel behauptet. Der hauptsächliche

Unterschied zur gegenwärtigen Stellung ist allerdings,

dass im Sizilianer ja bereits c7-c5 geschehen ist und

Schwarz damit deutlich mehr Kontrolle auf das Zentrum

ausübt als hier (wo es zu c7-c5 gar nicht mehr kommt).}

5. O-O Ne7 6. Be3 O-O 7. Qd2 Re8 8. Bh6
Bh8 {Immerhin hat Schwarz den Abtausch dieses wichtigen

Schutzläufers (der Rochadestellung und der dunklen

Felder) vermeiden können.} 9. Nc3 Nbc6 {Greift d4 an;

aber Weiß kann sein Zentrum zementieren.} 10. Ne2 {Weiß

plant c3 folgen zu lassen und hat dann diesen Springer

für Aktionen am Königsflügel frei.} d5 {Natürlich muss

Schwarz sein Anrecht auf das Zentrum geltend machen.}

11. e5 Nf5 {In der Hoffnung, wenigstens einen der weißen

Läufer abtauschen zu können.} 12. Bf4 f6 {Irgendwie muss

das weiße Zentrum ja befragt werden.} 13. c3 g5?

{Schwarz sucht in seiner beengten Stellung

verständlicherweise nach Aktivität. Zunächst sieht der

Zug ja gar nicht schlecht aus, denn auf 14. Lg3 (oder

Le3) käme Schwarz mit g5-g4 sogar ans Ruder. Er würde

dann den Bauern e5 gewinnen und hätte das weiße Zentrum

zerschlagen. Solche krampfartigen Gegenangriffe führen

in passiven Stellungen aber meistens zum beschleunigten

Zusammenbruch. Er sollte wohl 13... fxe5 14. dxe5 Sh4

versuchen.} 14. Nxg5! {Dieses Opfer musste Weiß bereits

bei 13. c3 geplant haben, denn andernfalls käme - wie

bereits gesagt - Schwarz in Vorteil.} fxg5 15.
Bxg5 {Jetzt aber hat Weiß jegliche Aussicht auf

schwarzes Gegenspiel zerstört. Die schwarzen Figuren

stehen disharmonisch und unwirksam, so dass der

endgültige Einbruch der weißen Figuren am schwarzen

Königsflügel nur eine Frage der Zeit ist. Die schwarze

Mehrfigur (für 2 Bauern) ist bedeutungslos.} Qd7 16. g4

h6?! {Der Rückzug Sfe7 war nur geringfügig besser; Weiß

kann dann in aller Ruhe zuerst mit f4 sein Zentrum gegen

ein eventuelles Rückopfer sichern und danach mit Sg3

weiter am Königsflügel vorgehen, ohne dass Schwarz etwas

unternehmen könnte. Nach dem Textzug, mit dem Schwarz

noch etwas mitzumischen hofft, gewinnt die Partie an

Tempo, was in diesem Fall für uns Kiebitze beste

Unterhaltung verspricht.}
17. gxf5 hxg5 18. f6! {Natürlich lässt sich Weiß nicht

auf den Damentausch nach 18. Dxg5+ Dg7 ein. Mit dem

Textzug hat er eine hübsche Bauernkette b2-c3-d4-e5-f6

etabliert, deren Spitze den Sargnagel der schwarzen

Stellung bildet. Nun droht tatsächlich Dxg5+.} Kf7

{Rette sich, wer kann! Der schwarze König nimmt seine

kurzen Beine in die Hand. Weit kommt er nicht;

jedenfalls nicht in die gewünschte Richtung.} 19. Bg6+!!

{Auch ruhige Fortsetzungen wie f4 oder Sg3 reichten auf

die Dauer zum Gewinn, da die schwarzen Figuren zur

völligen Untätigkeit verdammt sind. Aber die

Textfortsetzung ist am schnellsten und schönsten. Dieses

Opfer basiert auf zwei weiteren, die Weiß an dieser

Stelle in der Vorausberechung schon erkennen musste.}

Kxg6 20. Qd3+ {Nun ergibt sich auf Kf7 ein Matt in 3

durch Dh7+, Dxh8+ und Dg7#. Die Mitwirkung des

'Reißnagels' f6 am Mattnetz wird erkennbar.} Kh6 {Kh5

führt zu haargenau derselben Fortsetzung.} 21. Qh3+ Kg6

{Aber jetzt geht es scheinbar nicht weiter. Hat sich

Weiß verrechnet und muss sich nun zähneknirschend mit

Remis durch Dauerschach zufrieden geben?} 22. Nf4+!!

{Nur mit diesem zweiten Opfer funktioniert das erste!

Der g-Bauer muss nehmen (da Kf7 wieder zum Matt nach

Dh7+ führt), so dass sich die g-Linie für einen weißen

Turm öffnet!} gxf4
23. Kh1! {Die stille Pointe. Es droht Tg1+ nebst Dh7+.

Die ganze Kombination ist äußerst originell und

staunenswert.} Bxf6 {Aber auch dieses Gegenopfer musste

Weiß noch einberechnen. Denn spielt er jetzt 24. exf6,

so ist Schwarz nach Kxf6 in Sicherheit!} 24. Rg1+! {Nun

folgt auf Kf7 25. Dh7+ mit Matt im nächsten Zug (Kf8 26.

Tg8# bzw. Lg7 26. Dxg7#).} Bg5 {Und jetzt?} 25. Rxg5+!!

{Die letzte Keule! Drei nicht offensichtliche Opfer und

ein stiller Zug: mehr kann man von einer Kombination

wirklich nicht wünschen.} Kxg5 26. Rg1# {Schwarz hat nun

einen Turm und zwei Leichtfiguren mehr; alles tote

Materie, die nutzlos am Damenflügel herumsteht. Seine

Figuren könnten ebenso auch gar nicht auf dem Brett

sein. - Przepiorka hat in dieser Partie ab dem 14. Zug

an jeder Stelle den allerstärksten Zug getroffen; heute

würde man ihn dafür wahrscheinlich wegen Verdacht auf

Engine-Gebrauch vom Turnier ausschließen und ihn mit

einer Sperre belegen ...} 1-0
Kellerdrache - 30. Sep '14
Nach dieser Serie von Ohrfeigen hat dem armen Herrn Patay aber bestimmt der ganze Kopf geklingelt.
Vabanque - 30. Sep '14
:-)))

Tja, das möchte ich auch wissen, wie sich der Schwarzspieler bei dieser Partie gefühlt hat ;)

Übrigens sind es insgesamt natürlich sogar 4 Opfer, wenn man das positionelle Opfer 14. Lxg5 mitrechnet.
cutter - 30. Sep '14
Wieder eine tolle Partie!
Danke.