Kommentierte Spiele

Michail Tal (I): Tal-Klaman 1957

Vabanque - 14. Okt '14
In diesem Forum wurde eine Reihe über Michail Tal ja schon ausdrücklich gewünscht. Und sicher gibt es nur wenige Schachfreunde, deren Herz bei der Nennung dieses Namens nicht höher schlagen würde. Tal gilt vielen Schachfreunden sogar als der Inbegriff des Angriffsspielers. Ich möchte eine kleine Reihe mit typischen (und vielleicht auch weniger typischen) Tal-Partien zeigen, wobei ich den Schwerpunkt auf Partien legen werde, die weniger bekannt sind.
Ich hoffe, dass diese Serie den Lesern genauso viel Spaß machen wird wie mir!

Mikhail Tal Konstantin Klaman USSR Championship | Moscow (RUS) | 15 | 1957.02.11 | B61 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 c5 2. Sf3 Sc6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 d6 6. Lg5 Ld7 7. Dd2 Sxd4 8. Dxd4 Da5 Tal hätte nun seinen angegriffenen Läufer sehr gut nach d2 ziehen können, wonach sich die schwarze Lady auf a5 vielleicht gar nicht mehr so wohl gefühlt hätte. Aber seinem Stil gemäß wählt er eine positionell eher fragwürdige Fortsetzung, die ihm jedoch Angriffschancen verschafft. 9. Lxf6 xf6 Für die zerschlagene Bauernstellung hat Schwarz die halboffene g-Linie und das Läuferpaar. Dies sollte ihm genügende Gegenchancen sichern. Aber Tal rechnet damit, dass der schwarze König nun für lange Zeit in der Mitte bleiben wird, da jede Rochade - egal nach welcher Seite - seine Sicherheit nur verschlechtern würde. 10. O-O-O Tc8 11. f4 Tg8 12. g3 Setzt den Aktivitäten des schwarzen Turms auf der g-Linie zunächst mal ein Ende. Außerdem war der Zug als Vorbereitung zur Entwicklung des weißen Königsläufers notwendig. Vorsichtiger war aber Kb1. e6?! Viel besser sieht f6-f5! aus, womit Schwarz Lg7 drohen würde und bereits die Initiative übernähme. Damit hätte er die erwähnten Gegenchancen, die Tal ihm mit 9. Lxf6 gegeben hat, wahrnehmen können. 13. Lh3 Dies hätte ich nun nicht gerade für ein gutes Entwicklungfeld für den Läufer gehalten. Tal kann an dieser Stelle doch kaum geahnt haben, welche Heldentaten der Läufer von hier aus noch vollbringen wird, oder etwa doch? Man gewinnt den Eindruck, dass Tal die Eröffnung nachlässig spielt, bzw. einfach nur alle Figuren irgendwie ins Spiel bringt, um auf eine Gelegenheit zu warten, diesen Entwicklungsvorsprung dann durch plötzliche Linienöffnung zur Geltung zu bringen. Dc5 14. Dd2 Damentausch lehnt Weiß ab, überlässt dem Schwarzen damit aber eine nicht zu unterschätzende Initiative am Damenflügel. b5 15. The1 Gewinnt Schwarz denn jetzt nicht einen Bauern? b4 16. Se2 Dc4 In der Tat, da Weiß den Einschlag auf a2 kaum zulassen kann, ist der wertvolle Mittelbauer also dahin. 17. Kb1 Dxe4 Und doch erweist sich der schmackhafte Happen letztlich als unverdaulich für die gefräßige Tante. 18. Sd4 Db7 19. Dd3 Le7 Schon hat Schwarz Probleme. Wie soll er den h-Bauern verteidigen. Auf 19... Tg7 käme Sf5 mit Angriff auf den Turm und den Bauern d6, und 19... Th8 sieht jämmerlich aus, wäre aber wahrscheinlich noch am besten gewesen. Der Entschluss des Schwarzen, den Bauern gar nicht zu verteidigen, und besser seine Entwicklung fortzuführen, um dann auf den offenen Linien zum Gegenspiel zu kommen, bewährt sich nämlich nicht. 20. Dxh7 Tf8 21. Lg4 Macht den Weg für den h-Bauern frei. Außerdem kann gelegentlich Lh5 geschehen, wonach wegen der Fesselung des f-Bauern Sxe6 drohen würde. Dc7 22. Ka1 Damit nach eventuellem Wegzug des Sd4 und der Dh7 der c-Bauer von der schwarzen Dame nicht mit Schach geschlagen werden kann. Weiß steht jedenfalls gut genug, um sich so einen prophylaktischen Sicherungszug leisten zu können. f5? Schwarz wird ungeduldig. Der Zug ist schon wegen der positionellen Fortsetzung Lh5 ungünstig. Aber Tal erspäht sofort eine hübsche - und sogar völlig korrekte - Opfermöglichkeit, deren Pointe sich erst 4 Züge später zeigt. 23. Lxf5!! xf5 24. Txe7+! Kxe7 25. Te1+ Kd8 Auf Le6 gewinnt Weiß wegen der Fesselung des f-Bauern mit 26. Sxe6 nebst Sxf8+, was mit dem weißen König auf b1 übrigens nicht möglich wäre, da dann Schwarz mit Dxc2+ nebst Dc1+ mattsetzen würde! Hat Tal etwa bei 22. Ka1 die ganze Kombination schon gesehen? 26. Dh4+ f6 27. Dh6 Dieser verblüffende stille Zug krönt die Kombination. Der schwarze Turm kann nirgends hinziehen, da immer entweder Dxf6+ oder Dh8+ nebst Matt erfolgt. Da5 Aber das ist noch richtig gefährlich für Weiß. Wenn er nämlich jetzt mit 28. Dxf8+ vorschnell zugreift, und nach Kc7 mit der dann bedrohten Dame auf f6 nimmt (29. Dxf6), antwortet Schwarz b3!! und droht damit Matt auf a2 und zugleich auf e1! Aber natürlich fällt Tal auf so etwas nicht herein. Er musste die schwarze Möglichkeit allerdings schon bei 23. Lxf5!! einberechnet haben. 28. Sb3! Verhindert die schwarze Gegenkombination. Dd5 29. Dxf8+ Kc7 30. Dxf6 Der Pulverdampf hat sich verzogen, und mit 2 Mehrbauern steht Weiß nun auf alle Fälle auf Gewinn, zumal sein freier h-Bauer ein entscheidender Trumpf ist. Aber wer würde glauben, dass die Partie bereits in 4 weiteren Zügen aus ist? Te8 Schwarz bietet damit keineswegs den Turmtausch an, denn nach 31. Txe8?? würde er mit Dd1+ mattsetzen! 31. Tc1 Der weiße Turm weicht nur scheinbar auf ein passives Feld aus. Er soll mit c2 -c3, das die c-Linie gegen den schwarzen König öffnen würde, bald wiederbelebt werden. La4 32. Dd4 Natürlich käme in dieser Stellung der Damentausch selbst einem Tal gelegen. Und Schwarz kann jetzt keinesfalls mit Lxb3 eine Figur gewinnen, weil Weiß mit Schach auf b3 zurücknähme (cxb3+). Db7 33. Td1 Jetzt hat der Turm sogar noch ein besseres Betätigungsfeld gefunden. Auf d6 brennt es, und eine gute Deckung ist nicht vorhanden. Will die schwarze Dame d6 decken, ohne zugleich b4 im Stich zu lassen, müsste sie sich auf b6 zum Tausch stellen. Und deckt Schwarz mit 32... Td8, so nutzt Weiß mit 33. Sc5! die entstandene Fesselung des Bauern d6 aus und bedroht zugleich Dame und Läufer und indirekt auch den Turm durch die Gabel Se6+. Te6 Also versucht Schwarz es so, aber nun kommt es noch schlimmer. 34. Dc4+ Und schon gibt Schwarz auf, denn um den Turm e6 zu retten, bliebe nur Kd7 , worauf mit
PGN anzeigen[Event "USSR Championship"]
[Site "Moscow (RUS)"]
[Date "1957.02.11"]
[EventDate "1957.??.??"]
[Round "15"]
[Result "1-0"]
[White "Mikhail Tal"]
[Black "Konstantin

Klaman"]
[ECO "B61"]
[PlyCount

"67"]

1. e4 c5 2. Nf3 Nc6 3. d4 cxd4 4. Nxd4 Nf6 5. Nc3

d6 6. Bg5 Bd7 7. Qd2 Nxd4 8.
Qxd4 Qa5 {Tal hätte nun seinen angegriffenen Läufer sehr

gut nach d2 ziehen können, wonach sich die schwarze Lady

auf a5 vielleicht gar nicht mehr so wohl gefühlt hätte.

Aber seinem Stil gemäß wählt er eine positionell eher

fragwürdige Fortsetzung, die ihm jedoch Angriffschancen

verschafft.} 9. Bxf6 gxf6 {Für die zerschlagene

Bauernstellung hat Schwarz die halboffene g-Linie und

das Läuferpaar. Dies sollte ihm genügende Gegenchancen

sichern. Aber Tal rechnet damit, dass der schwarze

König nun für lange Zeit in der Mitte bleiben wird, da

jede Rochade - egal nach welcher Seite - seine

Sicherheit nur verschlechtern würde.} 10. O-O-O Rc8 11.

f4 Rg8 12. g3 {Setzt den Aktivitäten des schwarzen Turms

auf der g-Linie zunächst mal ein Ende. Außerdem war der

Zug als Vorbereitung zur Entwicklung des weißen

Königsläufers notwendig. Vorsichtiger war aber Kb1.}

e6?! {Viel besser sieht f6-f5! aus, womit Schwarz Lg7

drohen würde und bereits die Initiative übernähme. Damit

hätte er die erwähnten Gegenchancen, die Tal ihm mit 9. Lxf6

gegeben hat, wahrnehmen können.} 13. Bh3 {Dies hätte ich

nun nicht gerade für ein gutes Entwicklungfeld für den

Läufer gehalten. Tal kann an dieser Stelle doch kaum

geahnt haben, welche Heldentaten der Läufer von hier aus

noch vollbringen wird, oder etwa doch? Man gewinnt den

Eindruck, dass Tal die Eröffnung nachlässig spielt, bzw.

einfach nur alle Figuren irgendwie ins Spiel bringt, um

auf eine Gelegenheit zu warten, diesen

Entwicklungsvorsprung dann durch plötzliche

Linienöffnung zur Geltung zu bringen.} Qc5 14. Qd2

{Damentausch lehnt Weiß ab, überlässt dem Schwarzen

damit aber eine nicht zu unterschätzende Initiative am

Damenflügel.} b5
15. Rhe1 {Gewinnt Schwarz denn jetzt nicht einen

Bauern?} b4 16. Ne2 Qc4 {In der Tat, da Weiß den

Einschlag auf a2 kaum zulassen kann, ist der wertvolle

Mittelbauer also dahin.} 17. Kb1 Qxe4 {Und doch erweist

sich der schmackhafte Happen letztlich als unverdaulich

für die gefräßige Tante.} 18. Nd4 Qb7 19. Qd3 Be7 {Schon

hat Schwarz Probleme. Wie soll er den h-Bauern

verteidigen. Auf 19... Tg7 käme Sf5 mit Angriff auf den

Turm und den Bauern d6, und 19... Th8 sieht jämmerlich

aus, wäre aber wahrscheinlich noch am besten gewesen.

Der Entschluss des Schwarzen, den Bauern gar nicht zu

verteidigen, und besser seine Entwicklung fortzuführen,

um dann auf den offenen Linien zum Gegenspiel zu kommen,

bewährt sich nämlich nicht.} 20.
Qxh7 Rf8 21. Bg4 {Macht den Weg für den h-Bauern frei.

Außerdem kann gelegentlich Lh5 geschehen, wonach wegen

der Fesselung des f-Bauern Sxe6 drohen würde.} Qc7 22.

Ka1 {Damit nach eventuellem Wegzug des Sd4 und der Dh7

der c-Bauer von der schwarzen Dame nicht mit Schach

geschlagen werden kann. Weiß steht jedenfalls gut genug,

um sich so einen prophylaktischen Sicherungszug leisten

zu können.} f5? {Schwarz wird ungeduldig. Der Zug ist

schon wegen der positionellen Fortsetzung Lh5 ungünstig.

Aber Tal erspäht sofort eine hübsche - und sogar völlig

korrekte - Opfermöglichkeit, deren Pointe sich erst 4

Züge später zeigt.} 23. Bxf5!! exf5 24. Rxe7+! Kxe7 25.
Re1+ Kd8 {Auf Le6 gewinnt Weiß wegen der Fesselung des

f-Bauern mit 26. Sxe6 nebst Sxf8+, was mit dem weißen

König auf b1 übrigens nicht möglich wäre, da dann

Schwarz mit Dxc2+ nebst Dc1+ mattsetzen würde! Hat Tal

etwa bei 22. Ka1 die ganze Kombination schon gesehen?}

26. Qh4+ f6 27. Qh6 {Dieser verblüffende stille Zug

krönt die Kombination. Der schwarze Turm kann nirgends

hinziehen, da immer entweder Dxf6+ oder Dh8+ nebst Matt

erfolgt.} Qa5 {Aber das ist noch richtig gefährlich für

Weiß. Wenn er nämlich jetzt mit 28. Dxf8+ vorschnell

zugreift, und nach Kc7 mit der dann bedrohten Dame auf

f6 nimmt (29. Dxf6), antwortet Schwarz b3!! und droht

damit Matt auf a2 und zugleich auf e1! Aber natürlich

fällt Tal auf so etwas nicht herein. Er musste die

schwarze Möglichkeit allerdings schon bei 23. Lxf5!!

einberechnet haben.} 28. Nb3! {Verhindert die schwarze

Gegenkombination.} Qd5 29. Qxf8+ Kc7
30. Qxf6 {Der Pulverdampf hat sich verzogen, und mit 2

Mehrbauern steht Weiß nun auf alle Fälle auf Gewinn,

zumal sein freier h-Bauer ein entscheidender Trumpf ist.

Aber wer würde glauben, dass die Partie bereits in 4

weiteren Zügen aus ist?} Re8 {Schwarz bietet damit

keineswegs den Turmtausch an, denn nach 31. Txe8?? würde

er mit Dd1+ mattsetzen!} 31. Rc1 {Der weiße Turm weicht

nur scheinbar auf ein passives Feld aus. Er soll mit c2

-c3, das die c-Linie gegen den schwarzen König öffnen

würde, bald wiederbelebt werden.} Ba4 32. Qd4 {Natürlich

käme in dieser Stellung der Damentausch selbst einem Tal

gelegen. Und Schwarz kann jetzt keinesfalls mit Lxb3

eine Figur gewinnen, weil Weiß mit Schach auf b3

zurücknähme (cxb3+).} Qb7 33. Rd1 {Jetzt hat der Turm

sogar noch ein besseres Betätigungsfeld gefunden. Auf d6

brennt es, und eine gute Deckung ist nicht vorhanden.

Will die schwarze Dame d6 decken, ohne zugleich b4 im

Stich zu lassen, müsste sie sich auf b6 zum Tausch

stellen. Und deckt Schwarz mit 32... Td8, so nutzt Weiß

mit 33. Sc5! die entstandene Fesselung des Bauern d6 aus

und bedroht zugleich Dame und Läufer und indirekt auch

den Turm durch die Gabel Se6+.} Re6 {Also versucht

Schwarz es so, aber nun kommt es noch schlimmer.} 34.

Qc4+ {Und schon gibt Schwarz auf, denn um den Turm e6 zu

retten, bliebe nur} Kd7 {, worauf mit} Nc5+ {eines der

grausamsten Familienschachs aller Zeiten erfolgte: der

schwarze Springer würde dann wirklich alle schwarzen

Figuren zugleich angreifen! Eine typische Tal-Partie.}

1-0
Kellerdrache - 15. Okt '14
Sehr schön! Vielen Dank, das hat mir doch sofort den Morgen versüßt. Es war in der Tat eine typische Tal-Partie. In seinen jüngeren Jahren zählte für ihn am Brett nur die Initiative. Dafür wurden bereitwillig materielle und positionelle Konzessionen gemacht. Um so spielen zu können benötigt man allerdings sowohl eiserne Nerven als auch eine unerschöpfliche Kreativität bei der Findung von Angriffsplänen. Beides hatte er glücklicherweise im Übermaß.
Auch war zu dieser Zeit eine solche Art zu spielen nicht mehr üblich und die Mehrheit der Gegner wussten nicht mit so einer Spielweise umzugehen.
Ich sehe auf jeden Fall schon mit Ungeduld weiteren Tal-Juwelen entgegen.
Vabanque - 15. Okt '14
In der Tat, Mitte der 50er Jahre hat man überwiegend positionell gespielt, da hat Tals Spielweise seine Gegner ganz schön schockiert :)

Das war eine frühe Tal-Partie, als Nächstes kommt eine, die er über 20 Jahre später gespielt hat, die aber genauso schockierend sein wird :))

Und bitte ja nicht nachmachen wollen, das klappt nicht, wie ich selber schon schmerzlich erfahren musste ;)