Kommentierte Spiele

Glanzpartien unbekannter Spieler (XVII)

Vabanque - 06. Mai '14
Der bekannteste Umstand in der Biografie von Alexander Iljin-Genevsky (sein Name wird auch als Schenevsky oder Zhenevsky transkribiert) ist die Tatsache, dass er auf Grund eines im 1. Weltkrieg erlittenen Traumas die Schachregeln komplett vergessen hatte und das Spiel von Grund auf neu lernen musste. Erstaunlicherweise spielte er danach erfolgreicher als vorher (Höhepunkt seiner Laufbahn war ein Sieg gegen Capablanca im Moskauer Turnier 1925); seine Gesundheit ließ allerdings als Spätfolge seiner Kriegsverletzungen Ende der 30er Jahre immer mehr nach, bis er im 2. Weltkrieg das Opfer einer deutschen Fliegerbombe wurde (zumindest lautet so die offizielle Lesart; nach einer anderen Version wurde er im Zuge der stalinistischen Säuberungsaktionen eliminiert).
Iljin-Genevsky war ein Spieler von großer Begabung, den entweder die Umstände, seine Gesundheit oder der Mangel an schachlichem Fleiß daran gehindert haben, die höchsten Höhen zu erklimmen. In der Partie, die ich hier ausgewählt habe, macht er jedenfalls (dazu noch mit den schwarzen Steinen) mit einem anderen begabten früh verstorbenen Meister, Vsevolod Rauzer (nach dem auch heute noch ein Eröffnungssystem im Sizilianer benannt ist) kurzen Prozess.


PGN anzeigen[Event "URS-ch10"]
[Site "Tbilisi"]
[Date "1937.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "3"]
[Result "0-1"]
[White "Vsevolod

Rauzer"]
[Black "Ilyin-Zhenevsky"]
[ECO "C41"]


1. e4 e5 2. Nf3 d6 {Die Philidor-

Verteidigung gilt ja normalerweise als eine eher passive Eröffnung; jedenfalls kann man sich kaum vorstellen, dass Schwarz

damit in unter 20 Zügen gewinnen könnte, ohne dass Weiß einen groben Bock schießt. Trotzdem geht es, wie diese Partie

zeigt! Eine Serie leichter Ungenauigkeiten genügt dazu.} 3. d4 exd4 {Und dann auch noch diese 'Aufgabe des Zentrums', wie

Tarrasch es seinerzeit nannte und mit harschen Worten tadelte. Heute denkt man darüber weniger kategorisch.} 4. Nxd4 Nf6

5. f3?! {Üblich und gut wäre Sc3. Der Textzug trägt nichts zu Entwicklung bei und schwächt die Königsflanke. Vermutlich

wollte Weiß seinen c-Bauern nicht verstellen und plante eine Einengung des schwarzen Spiels mit c2-c4, ähnlich der

Maroczy-Variante im Sizilaner.} d5! {Nur dass Schwarz hier sofort im Zentrum dagegen halten kann und damit bereits die

Initiative übernimmt!} 6. e5 {Auf alle anderen Züge steht Weiß ganz blöd da. Der Zug f2-f3 ist dann komplett sinnlos

gewesen.} Nfd7 {Auf das nun scheinbar starke 7. e5-e6 kann Schwarz Sf6! antworten und steht nach 8. exf7+ Kxf7 trotz des

Rochadeverlustes wegen seines Entwicklungsvorsprungs günstiger. Bis Weiß nämlich endlich seine Figuren ins Spiel gebracht

hat, hat Schwarz schon längst seinen Königsläufer und seinen Königsturm entwickelt und den König anschließend 'per Hand'

nach g8 'rochiert'.} 7. f4 {So kann der Bauer wenigstens vorrücken und damit den e-Bauern stützen. Das sieht optisch jetzt

zunächst gar nicht mal schlecht aus. Aber die weiße Bauernformation kann leicht angegriffen werden, wie sich bald zeigt.}

Nc6 {Dieser 'einfache' Entwicklungszug beinhaltet tatsächlich eine Drohung, nämlich Sdxe5 nebst Dh4+ und Dxd4. Deswegen

entschließt sich Weiß zu dem folgenden Abtausch, der das schwarze Zentrum aber nur stärkt.} Nxc6?! {Le3, c3 oder sogar Sf3

waren bessere Alternativen, allerdings hat Schwarz immer bequemen Ausgleich (und das nach 8 Zügen in einer Königsbauer-

Eröffnung!).}
bxc6 9. Bd3 Qh4+! 10. g3 Qh3 {Jetzt hat Weiß auch noch Schwierigkeiten zu rochieren und muss sogar die Drohung Dg2

abwenden. Erstaunlich, wie schnell er auf die schiefe Ebene geraten ist, ohne etwas wirklich Schlimmes zu tun. Schach ist

doch wirklich genau wie das Leben ... !} 11. Qf3 Bc5 12. Be3 {Nun scheint sich Weiß allerdings doch einigermaßen

konsolidiert zu haben. Oder?} 0-0{Aber Schwarz bringt einfach noch seinen Königsturm ins Spiel. Weiß kann ja immer noch

nicht rochieren.} 13. Nd2 {Versucht die lange Rochade vorzubereiten.} f6! {Ein einfacher Zug von großer Kraft, der das

Zentrum zu Gunsten von Schwarz aufbricht.} 14. exf6? {Verliert schnell. Am relativ besten war 14. Lf1 De6 15. Lxc5 Sxc5

16. De3 Sd7 17. Sf3, und Weiß kann noch kämpfen (eine Analyse von Chernev, die von Engines bestätigt wird). Nach dem

Textzug erwartete Weiß vermutlich das automatische Zurückschlagen mit Txf6 (Sxf6 würde ja den Lc5 ohne Deckung lassen),

aber ... } Re8! {... natürlich (sagt man hinterher!) bringt Schwarz seinen Turm mit tödlichen Drohungen auf die e-Linie!} 15.
Nf1 {Nur so kann der Le3 gedeckt werden.} Nxf6! {Dieses einfache Zurückschlagen lässt Weiß jetzt plötzlich in einer ganz

hoffnungslosen Stellung zurück. Auf 0-0-0 käme jetzt Lg4, was sowieso droht. Auch Sg4 ist eine starke Drohung.} 16. Kd2 {Um wenigstens aus

der e-Linie zu kommen.} Bg4 17. Qf2 {Jetzt ist die Stellung bereits reif zum Schlachten.} d4! {Um dem Turm den Weg nach e2

zu ebnen.} 18. Bxd4 {Erzwungen.} Re2+! {Die elegante Ablenkung des Läufers von e4 beschließt die Partie. Auf Lxe2 folgt

Se4+ mit Damengewinn. Erstaunlich, wie schnell sich die leichten Ungenauigkeiten des Weißen zu einer gewaltigen

Stellungsüberlegenheit des Schwarzen verdichteten, die sich dann auch noch sofort in einer entscheidenden Kombination

entladen konnte. Eine von Iljin-Zhenevsky lehrbuchmäßig geführte Partie.} 0-1
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Kellerdrache - 07. Mai '14
Meine Erfahrung ist, dass es eine Eigenheit offener Eröffnungen ist. Da sich das Spiel normalerweise recht schnell entwickelt rächt sich einmal falsch abbiegen eben auch oft recht kurzfristig.

Man kann sich zwar auch z.B. im Königsinder oder Damengambit in der Eröffnung schon die Partie versauen, aber in der Regel rächt es sich erst mit deutlicher Verzögerung sodaß der Zusammenhang nicht so eindeutig zu sehen ist. Na, jedenfalls nicht für einen durchschnittlichen Spieler
Vabanque - 07. Mai '14
Ja stimmt, in geschlossenen Stellungen mag die Position auch schon gewonnen sein, aber es dauert einfach länger, bis das dann wirklich auch in einen Sieg umgesetzt ist. In einer offenen Stellung 'knallt' es dann in der Regel sofort :)