Kommentierte Spiele

Glanzpartien unbekannter Spieler (XXVI)

Vabanque - 06. Jan '15
Glänzende Siege mit Schwarz in unter 20 Zügen sind selten. In vorliegender Partie wählt Weiß einen zwar harmlosen, aber eigentlich als bombenfest geltenden Aufbau, und trotzdem gerät er schnell in einen unparierbaren Angriffswirbel. Über die Spieler ist nichts bekannt, von dem Sieger lässt sich in den Datenbanken keine einzige weitere Partie finden.

Viktor Sereda Gambarashvilli Tiflis | Tiflis | 1934 | A46 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 Sf6 2. Sf3 e6 3. e3 c5 4. Ld3 Der Colle-Aufbau findet auch heute noch seine Anhänger. b6 Diese damenindische Verteidigungsweise hat sich gegen das Colle-System sehr bewährt. 5. Sbd2 Sc6 6. b3 Colle selbst spielte seine Eröffnung stets mit c3 und späterem e4. Der Aufbau mit b3 wird meist als Zukertort-Colle bezeichnet. Wahrscheinlich deswegen, weil Zukertort das nie so gespielt hat. xd4 Mit diesem Tausch möchte Schwarz wohl erreichen, dass Weiß die lange Diagonale mit einem Bauern versperren muss, so dass der später auf b2 erscheinende weiße Läufer keinen weiten Ausblick genießen können wird. 7. xd4 Lb7 8. O-O Sd5!? Objektiv vielleicht weniger stark als ein einfacher Entwicklungszug, stellt der Textzug jedoch Weiß gewisse Probleme, wie man gleich sehen wird. 9. c4?! Weiß möchte den Tausch seines weißfeldrigen Läufers vermeiden, aber diese Idee erweist sich als undurchführbar. Wahrscheinlich war der einfache Entwicklungszug Lb2, wie so oft, am besten. Sf4 10. Lb1? Das war besagte Idee, die nicht funktioniert. Se4 (mit Angriff auf den Sf4) war noch gut möglich, und der Tausch des Ld3 wäre hier kein Drama. Aber der Textzug führt wahrlich zu einem solchen ... Sxd4!! Sehr hübsch und überraschend und in höherem Sinne bereits der Gewinnzug. Weiß kann nicht mit 11. Sxd4 zurücknehmen wegen Dg5 (drohend Matt auf g2), und man stellt verblüfft fest, dass Weiß danach das Matt nicht mehr abwehren könnte! 12. g3 (oder g4) würde nämlich die Diagonale des Lb7 öffnen, so dass das Matt dann mit Sh3# erfolgen würde. Eine außerordentlich schöne Wendung, die man freilich bei 10. Lb1? leicht übersehen konnte, gerade wo doch erst 10 Züge gespielt sind, und die Stellung so harmlos aussieht ... 11. Lb2?! Weiß erkennt, dass er nicht auf d4 nehmen kann und versucht mit einem Bauern weniger jetzt wenigstens seine Entwicklung nachzuholen. Etwas besser war aber Le4, da der Lb7 im Folgenden zu gefährlich bleibt. Sde2+ 12. Kh1 Dg5! Die Dame ist tabu wegen Läufermatt auf g2. Weiß kann das drohende Matt auf g2 aber auch nicht mit g3 abwehren wegen Dg4, und f3 wäre nicht mehr zu decken. 13. Tg1 Also geht nur dieser Zug. Schwarz darf sich nun keinesfass auf g1 bedienen, da Weiß dann die schwarze Dame schlagen könnte! Dg4 Jetzt aber droht der Tg1 genommen zu werden. 14. h3 Ein Versuch, da auf Sxh3 Weiß immerhin noch Dxe2 hätte. Dh5 Deswegen spielt Schwarz es anders und droht jetzt tatsächlich Sxh3, denn auf Dxe2 könnte der Sh3 dann mit Matt abziehen, während auf gxf3 Dxh3 tatsächlich Matt wäre, da der gefesselte Sf3 nicht auf h2 dazwischen könnte. Schuld wäre also letztlich wieder mal der Lb7. 15. Le4 Der allerletzte Versuch des geplagten Weißen besteht in der Versperrung der Diagonalen des bösartig im Hintergrund lauernden Lb7. Dieser faule Kerl räkelt sich die ganze Zeit nur behäbig in seinem b7-Sessel, und trotzdem basieren alle Wendungen auf seiner Anwesenheit. Bemerkenswert ist zudem, dass Schwarz seinen Angriff ohne Abschluss seiner Entwicklung zu Ende bringt; sein Lf8 und seine beiden Türme werden nie ziehen müssen. Stattdessen zieht Schwarz ständig nur mit den gleichen paar Figuren herum, und trotzdem ist Weiß komplett hilflos. Lxe4 16. Sxe4 Sxh3 Aber auch jetzt, nach dem Tausch des Lb7, funktioniert das Opfer, zwar nicht auf der Basis von gxh3 Dxh3 matt (da der Sf3 jetzt nicht mehr gefesselt wäre und nach h2 ziehen könnte), sondern ganz einfach wegen 17. gxh3 Dxf3+ nebst Dxe4 und Figurengewinn. 17. Sh2 Der vollkommen desorientierte Weiße lässt ein hübsches zweizügiges 'ersticktes' Matt zu. Freilich könnte Schwarz jetzt auch ganz simpel mit Shxg1 gewinnen. Sxf2+! 18. Sxf2 Sg3# Der weiße König ist jetzt von seinen Lieben so winterlich warm eingepackt, dass ihm die Luft zum Atmen wegbleibt. Ein drolliges Schlussbild.
PGN anzeigen
[Event "Tiflis"]
[Site "Tiflis"]
[Date "1934.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round

"?"]
[Result "0-1"]
[White "Viktor Sereda"]
[Black "Gambarashvilli"]
[ECO

"A46"]


1.d4 Nf6 2.Nf3 e6 3.e3 c5

4.Bd3 {Der Colle-Aufbau findet auch heute noch seine Anhänger.} b6 {Diese

damenindische Verteidigungsweise hat sich gegen das Colle-System sehr

bewährt.} 5.Nbd2 Nc6 6.b3 {Colle selbst spielte seine Eröffnung stets mit

c3 und späterem e4. Der Aufbau mit b3 wird meist als Zukertort-Colle

bezeichnet. Wahrscheinlich deswegen, weil Zukertort das nie so gespielt

hat.} cxd4 {Mit diesem Tausch möchte Schwarz wohl erreichen, dass Weiß die

lange Diagonale mit einem Bauern versperren muss, so dass der später auf

b2 erscheinende weiße Läufer keinen weiten Ausblick genießen können wird.}

7.exd4
Bb7 8.O-O Nd5!? {Objektiv vielleicht weniger stark als ein

einfacher Entwicklungszug, stellt der Textzug jedoch Weiß gewisse

Probleme, wie man gleich sehen wird.} 9.c4?! {Weiß möchte den Tausch

seines weißfeldrigen Läufers vermeiden, aber diese Idee erweist sich als

undurchführbar. Wahrscheinlich war der einfache Entwicklungszug Lb2, wie

so oft, am besten.} Nf4 10.Bb1? {Das war besagte Idee, die nicht

funktioniert. Se4 (mit Angriff auf den Sf4) war noch gut möglich, und der

Tausch des Ld3 wäre hier kein Drama. Aber der Textzug führt wahrlich zu

einem solchen ... } Nxd4!! {Sehr hübsch und überraschend und in höherem

Sinne bereits der Gewinnzug. Weiß kann nicht mit 11. Sxd4 zurücknehmen

wegen Dg5 (drohend Matt auf g2), und man stellt verblüfft fest, dass Weiß

danach das Matt nicht mehr abwehren könnte! 12. g3 (oder g4) würde nämlich

die Diagonale des Lb7 öffnen, so dass das Matt dann mit Sh3# erfolgen

würde. Eine außerordentlich schöne Wendung, die man freilich bei 10. Lb1?

leicht übersehen konnte, gerade wo doch erst 10 Züge gespielt sind, und

die Stellung so harmlos aussieht ... } 11.Bb2?! {Weiß erkennt, dass er

nicht auf d4 nehmen kann und versucht mit einem Bauern weniger jetzt

wenigstens seine Entwicklung nachzuholen. Etwas besser war aber Le4, da

der Lb7 im Folgenden zu gefährlich bleibt.} Nde2+ 12.Kh1 Qg5! {Die Dame

ist tabu wegen Läufermatt auf g2. Weiß kann das drohende Matt auf g2 aber

auch nicht mit g3 abwehren wegen Dg4, und f3 wäre nicht mehr zu decken.}
13.Rg1 {Also geht nur dieser Zug. Schwarz darf sich nun keinesfass auf g1

bedienen, da Weiß dann die schwarze Dame schlagen könnte!} Qg4 {Jetzt aber

droht der Tg1 genommen zu werden.} 14.h3 {Ein Versuch, da auf Sxh3 Weiß

immerhin noch Dxe2 hätte.} Qh5 {Deswegen spielt Schwarz es anders und

droht jetzt tatsächlich Sxh3, denn auf Dxe2 könnte der Sh3 dann mit Matt

abziehen, während auf gxf3 Dxh3 tatsächlich Matt wäre, da der gefesselte Sf3 nicht auf h2 dazwischen könnte. Schuld wäre also letztlich wieder mal der Lb7.} 15.Be4 {Der allerletzte Versuch des geplagten Weißen besteht in

der Versperrung der Diagonalen des bösartig im Hintergrund lauernden Lb7.

Dieser faule Kerl räkelt sich die ganze Zeit nur behäbig in seinem b7-Sessel, und trotzdem basieren alle Wendungen auf seiner Anwesenheit.

Bemerkenswert ist zudem, dass Schwarz seinen Angriff ohne Abschluss seiner

Entwicklung zu Ende bringt; sein Lf8 und seine beiden Türme werden nie

ziehen müssen. Stattdessen zieht Schwarz ständig nur mit den gleichen paar

Figuren herum, und trotzdem ist Weiß komplett hilflos.} Bxe4 16.Nxe4 Nxh3

{Aber auch jetzt, nach dem Tausch des Lb7, funktioniert das Opfer, zwar

nicht auf der Basis von gxh3 Dxh3 matt (da der Sf3 jetzt nicht mehr

gefesselt wäre und nach h2 ziehen könnte), sondern ganz einfach wegen 17.

gxh3 Dxf3+ nebst Dxe4 und Figurengewinn.} 17.Nh2 {Der vollkommen

desorientierte Weiße lässt ein hübsches zweizügiges 'ersticktes' Matt zu.

Freilich könnte Schwarz jetzt auch ganz simpel mit Shxg1 gewinnen.} Nxf2+!
18.Nxf2 Ng3# {Der weiße König ist jetzt von seinen Lieben so winterlich

warm eingepackt, dass ihm die Luft zum Atmen wegbleibt. Ein drolliges

Schlussbild.} 0-1
cutter - 06. Jan '15
Erstickte Mattbilder finde ich schon seit 50 Jahren einfach am schönsten. Allerdings sollten sie nicht durch einen ganz groben Fehler entstehen, wie das Grundstellungsmatt, wo der sK sich mit Springern einmauert und weiß dann einfach auf d6 mattsetzen darf
Vabanque - 06. Jan '15
Du meinst wahrscheinlich eine Partie, die in etwa so aussieht:

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1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Se7 5. Sb5 Sbc6 6. Sd6#
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1.e4 c5 2.Nf3 e6 3.d4 cxd4 4.Nxd4 Ne7 5.Nb5 Nbc6 6.Nd6# 1-0


Habe ich jetzt spontan so komponiert ;)

Es sind allerdings schon wirklich solche Partien gespielt worden; ich müsste mal nachschauen, was ich so finde :)
cutter - 07. Jan '15
Genauso. Mit ein paar mehr Zügen hab ich so schon mal im Blitz verloren :-(
LucidNonsense - 07. Jan '15
Wo Du ja letztens meintest, dass zu wenig Kommentar käme:
Sehr schönes Ding. Dass es nach dem 10. Zug dermaßen abgeht, hätte ich der Stellung auch nicht zugetraut.
Kellerdrache - 07. Jan '15
Meistens hat man, wenn man nicht gerade Harakiri-Eröffnungen wie Königsgambit oder Italiänisch spielt zum Partiebeginn noch nicht so ein geschärftes Gefahrenbewußtsein wie im Mittelspiel.

Man macht ohne vertiefendes Nachdenken ein paar "solide" Züge und denkt sich "wenn die Eröffnungsphase vorbei ist guck ich mal rein was so drin ist." Colle-Spieler haben immer schon hübsche Siege eingefahren wenn der Gegner meinte in der "lahmen" Eröffnung passiert die ersten 20 Züge bestimmt nix und dann in einem kurzen Königsangriff unterging. Hier hat es zur Abwechslung mal den Weißen getroffen.
Vabanque - 08. Jan '15
@Kellerdrache: Treffender kann man es wohl nicht sagen!
meikel - 11. Jan '15
Hallo Vabanque,
nur zur Info wegen deines Hinweises in der letzten Partie. Ich äußere mich in der Regel sehr selten. Unabhängig davon verfolge ich mit großem Interesse deine kommentierten und gut verständlichen Partien. Ich denke, ich bin kein Einzelfall.
Also vielen Dank und weiter so !