Kommentierte Spiele

Glanzvolle Remis IX

Vabanque - 29. Feb '16
Die meisten Spiele der Reihe 'Glanzvolle Remis' (ob nun von Kellerdrache oder mir gebracht) sahen bisher so aus, dass zwei Spieler der Weltspitze auf allerhöchstem Niveau so kämpften, dass sich Angriff und Gegenangriff stets in etwa die Waage hielten, und dass jeder Hieb auf eine geistreiche Parade traf, so dass trotz äußerst turbulentem Verlauf schließlich keiner gewinnen konnte. Remispartien also, die dem Ideal der 'perfekten' Partie schon sehr nahe kommen ...

Diese Partie hier ist ganz anders. Weiß - als der nominell deutlich schwächere Spieler (allerdings mit einem unaussprechlichen Namen bewaffnet) - wird in der Eröffnung und dem frühen Mittelspiel von Schwarz deutlich und eigentlich chancenlos überspielt. Dann aber fasst er den mutigen und schließlich erfolgreichen Plan einer verblüffenden
Pattrettung, für die ich in der gesamten Schachliteratur kein Pendant kenne, jedenfalls nicht in der praktischen Partie, allenfalls in komponierten Studien. Deswegen werde ich diesmal auch im Wesentlichen nur diesen umwerfenden Partieschluss kommentieren.

Solodovnichenko,Y Filippov,V Bank Pocztowy SA Open | Bydgoszcz POL | 4 | 1999.07.15 | B33 | 1/2-1/2
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 c5 2. Sf3 e6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 Sc6 6. Sdb5 d6 7. Lf4 Weiß erzwingt e5, damit er das Feld d5 bekommt. e5 8. Lg5 a6 9. Sa3 b5 10. Lxf6 xf6 11. Sd5 f5 12. xf5 Lxf5 13. c3 Um den Sa3 wieder gut ins Spiel zu führen. Lg7 14. Sc2 Le6 15. Sce3 Se7 16. Sxe7 Dxe7 17. g3 d5 Ein Bauernopfer. 18. Lg2
18. Sxd5 Db7 19. c4 O-O-O ist interessant (und unklar). Mit dem Textzug stellt Weiß Schwarz vor keinerlei Probleme.
Td8 19. O-O O-O 20. De2 f5 21. Tfd1 e4 22. Sc2 f4 Das sieht jetzt überhaupt nicht mehr gut aus für Weiß. 23. f3 Le5 24. xe4 xg3 25. Dh5 xh2+ 26. Kh1 Dg7 27. Se3 xe4 28. Lxe4 Lf4 29. Txd8 Txd8 30. Sg2 Objektiv waren Sf5 oder Sd5 besser, aber wahrscheinlich hatte Weiß hier schon seine Pattidee im Sinn. Lc7 31. Te1 Nun gibt Weiß die Damenflügelbauern systematisch auf ... Lxa2 32. b3!! Lxb3 33. c4!! Lxc4?! Sollte die ganze weiße Aktion Schwarz hier denn nicht komisch vorgekommen sein? Die einzige Gewinnchance bestand tatsächlich noch in Tf8. Nach dem Textzug hat Weiß - man glaube es oder nicht - ein forciertes Remis: er erreicht entweder Dauerschach oder Patt. 34. Ld5+!! Lxd5
Txd5 35. Te8+ Df8 36. Txf8+ Kxf8 37. Dxd5!! führt zum gleichen Patt wie in der Partie
35. Te8+ Txe8
Nach dem Versuch Df8 kann Weiß genauso stilvoll mit 36. Txf8+ Kxf8
Txf8? 37. Dxd5+
37. De8+!! mit Patt fortsetzen, da Kg7 38. De7+ nebst Dxc7 sogar zum Nachteil für Schwarz führen würde.
36. Dxe8+ Df8 37. Dxf8+ Kxf8 Patt! Wahrlich ein studienartiger Schluss, der vor allem dadurch bemerkenswert ist, dass das Patt nicht etwa im Endspiel entstand, sondern sich direkt aus einer Mittelspielsituation ergab. Diese Partie dürfte wohl in dieser Hinsicht in der gesamten Schachgeschichte einzig dastehen.
PGN anzeigen
[Event "Bank Pocztowy SA Open"]
[Site "Bydgoszcz POL"]
[White "Solodovnichenko,Y"]
[Black "Filippov,V"]
[WhiteElo "2436"]
[BlackElo "2605"]
[Date "1999.07.15"]
[Result "1/2-1/2"]
[Round "4"]
[ECO "B33"]

1. e4 c5 2. Nf3 e6 3. d4 cxd4 4. Nxd4 Nf6 5. Nc3 Nc6 6. Ndb5 d6 7. Bf4

{Weiß erzwingt e5, damit er das Feld d5 bekommt.} e5 8.
Bg5 a6 9. Na3 b5 10. Bxf6 gxf6 11. Nd5 f5 12. exf5 Bxf5 13. c3 {Um den Sa3

wieder gut ins Spiel zu führen.} Bg7 14. Nc2 Be6
15. Nce3 Ne7 16. Nxe7 Qxe7 17. g3 d5 {Ein Bauernopfer.} 18. Bg2 (18. Nxd5

Qb7 19. c4 0-0-0 {ist interessant (und unklar). Mit dem Textzug stellt

Weiß Schwarz vor keinerlei Probleme.}) Rd8 19. O-O O-O 20. Qe2 f5 21.
Rfd1 e4 22. Nc2 f4 {Das sieht jetzt überhaupt nicht mehr gut aus für

Weiß.} 23. f3 Be5 24. fxe4 fxg3 25. Qh5 gxh2+ 26. Kh1 Qg7 27. Ne3
dxe4 28. Bxe4 Bf4 29. Rxd8 Rxd8 30. Ng2 {Objektiv waren Sf5 oder Sd5

besser, aber wahrscheinlich hatte Weiß hier schon seine Pattidee im Sinn.}

Bc7 31. Re1 {Nun gibt Weiß die Damenflügelbauern systematisch auf ... }

Bxa2 32. b3!! Bxb3 33. c4!!
Bxc4?! {Sollte die ganze weiße Aktion Schwarz hier denn nicht komisch

vorgekommen sein? Die einzige Gewinnchance bestand tatsächlich noch in

Tf8. Nach dem Textzug hat Weiß - man glaube es oder nicht - ein forciertes

Remis: er erreicht entweder Dauerschach oder Patt.} 34. Bd5+!! Bxd5 (34...

Rxd5 35. Re8+ Qf8 36. Rxf8+ Kxf8 37.
Qxd5!! {führt zum gleichen Patt wie in der Partie}) 35. Re8+ Rxe8 ({Nach

dem Versuch} 35... Qf8 {kann Weiß genauso stilvoll mit} 36. Rxf8+ Kxf8

(Rxf8? 37. Qxd5+) 37. Qe8+!! {mit Patt fortsetzen, da Kg7 38. De7+ nebst

Dxc7 sogar zum Nachteil für Schwarz führen würde.}) 36. Qxe8+ Qf8 37.

Qxf8+
Kxf8 {Patt! Wahrlich ein studienartiger Schluss, der vor allem dadurch

bemerkenswert ist, dass das Patt nicht etwa im Endspiel entstand, sondern

sich direkt aus einer Mittelspielsituation ergab. Diese Partie dürfte wohl

in dieser Hinsicht in der gesamten Schachgeschichte einzig dastehen.} 1/2-1/2

cutter - 29. Feb '16
ok, schwarz hätte im 33. Zug den Braten riechen können.

Aber dass so ein Schluss möglich ist, verblüfft wirklich. Toller Plot!
Kellerdrache - 29. Feb '16
Nachdem er über weite Strecken in der Partie ziemlich schlecht gespielt hat finde er eine Pattkombination die man erst mal sehen muss. Auf Chessmail würden viele jetzt sofort vermuten, dass er am Schluss das Schachprogramm hat mitlaufen lassen ;-)).
Spaß beiseite Weiß ist hier durch Zugumstellung in einen Schweschnikow-Sizilianer geraten und war vermutlich nicht darauf vorbereitet. Er macht sozusagen alles was man sich als Schwarzer in dieser Variante von seinem Gegner wünscht. Vermutlich hat sich der Schwarze am Ende auch schon zu sicher gefühlt.
Vabanque - 29. Feb '16
Weiß hat in der Tat bis zum 30. Zug nicht sehr gut gespielt. Aber danach hat er alles herausgeholt, was noch ging :)
Man muss ja bedenken, hier hat ein 2400er gegen einen 2600er eine Pattrettung im Mittelspiel erreicht ... also wer da ein weiteres Beispiel kennt, nur her damit :)