Kommentierte Spiele
Die Frauenweltmeisterinnen des 21. Jh. (IX): Ju Wenjun
Vabanque - 19. Mär '25
Mit der seit 2018 amtierenden Frauenweltmeisterin Ju Wenjun schließe ich die Reihe ab.
Ich zeige eine Partie, die Ju mit Schwarz im Jahre 2017 gegen die damalige Titelinhaberin Hou Yifan gewann.
Hou startete im 15. Zug eine weit berechnete Kombination, die ihr schließlich die Qualität gegen einen Bauern einbrachte, aber zu einer offenen Königsstellung führte. Ju Wenjun nutzte dies in wahrhaft sehenswerter Weise aus.
Die Partie wurde im Gibraltar Masters 2017 gespielt, einem 'Herren'turnier, das Nakamura mit 8 aus 10 Punkten gewann. Ju Wenjun erzielte mit 7 aus 10 ein hervorragendes Ergebnis, punktgleich u.a. mit Short, Caruana, Akobian, Naiditsch, Fressinet und Svidler. Damit bewies sie bereits vor der Erlangung des Frauen-WM-Titels ihre Klasse.
Auch wenn die Resonanz auf die Reihe erwartungsgemäß nicht überwältigend war, so bereue ich doch keineswegs, sie gebracht zu haben, denn sie hat meinen eigenen schachlichen Horizont deutlich erweitert. Vorher kannte ich nur einige wenige der Frauenweltmeisterinnen, und auch von diesen war mir kaum eine Partie präsent gewesen. Alle Partien, die ich hier in dieser Reihe gezeigt habe, waren mir selber neu, und die Kommentierung hat mir zum besseren eigenen Verständnis verholfen. Allein dadurch hat sich für mich die Sache schon gelohnt. Man hätte sicher noch eine bessere Partie-Auswahl finden können, doch wäre die Sichtung der Partien dann auch mit deutlich mehr Zeitaufwand verbunden gewesen.
Jedenfalls danke ich neben den 'lauten' auch den 'stillen' Mitlesern dieser Reihe, in der Hoffnung, dass zumindest einige von ihnen die Partien genauso unterhaltsam, kurzweilig und dabei auch lehrreich fanden wie ich.































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Ich zeige eine Partie, die Ju mit Schwarz im Jahre 2017 gegen die damalige Titelinhaberin Hou Yifan gewann.
Hou startete im 15. Zug eine weit berechnete Kombination, die ihr schließlich die Qualität gegen einen Bauern einbrachte, aber zu einer offenen Königsstellung führte. Ju Wenjun nutzte dies in wahrhaft sehenswerter Weise aus.
Die Partie wurde im Gibraltar Masters 2017 gespielt, einem 'Herren'turnier, das Nakamura mit 8 aus 10 Punkten gewann. Ju Wenjun erzielte mit 7 aus 10 ein hervorragendes Ergebnis, punktgleich u.a. mit Short, Caruana, Akobian, Naiditsch, Fressinet und Svidler. Damit bewies sie bereits vor der Erlangung des Frauen-WM-Titels ihre Klasse.
Auch wenn die Resonanz auf die Reihe erwartungsgemäß nicht überwältigend war, so bereue ich doch keineswegs, sie gebracht zu haben, denn sie hat meinen eigenen schachlichen Horizont deutlich erweitert. Vorher kannte ich nur einige wenige der Frauenweltmeisterinnen, und auch von diesen war mir kaum eine Partie präsent gewesen. Alle Partien, die ich hier in dieser Reihe gezeigt habe, waren mir selber neu, und die Kommentierung hat mir zum besseren eigenen Verständnis verholfen. Allein dadurch hat sich für mich die Sache schon gelohnt. Man hätte sicher noch eine bessere Partie-Auswahl finden können, doch wäre die Sichtung der Partien dann auch mit deutlich mehr Zeitaufwand verbunden gewesen.
Jedenfalls danke ich neben den 'lauten' auch den 'stillen' Mitlesern dieser Reihe, in der Hoffnung, dass zumindest einige von ihnen die Partien genauso unterhaltsam, kurzweilig und dabei auch lehrreich fanden wie ich.
Yifan Hou Ju Wenjun Tradewise Gibraltar | La Caleta GIB | 8.15 | 2017.01.31 | C11 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 Die klassiche Behandlung der französischen Verteidigung. 3... Lb4 ergäbe die schärfere Winawer-Variante. 4. e5 Steinitz' Zug. Sfd7 5. f4 Steinitz' ursprüngliche Idee (die auch immer noch gespielt wird) war 5. Sce2, um hernach mit 6. c3 das Zentrum stützen zu können. c5 6. Sf3 Sc6 7. Le3 Le7 8. Dd2 O-O 9. xc5 Sxc5 10. O-O-O Durch die Rochaden auf entgegengesetzte Flügel verschärft sich das Spiel nun enorm. a6 11. Df2 Greift den Sc5 an und verhindert dadurch b5. b6 12. Sd4 Dc7 13. g3 Lb7 14. Lg2 Sa5 Springer am Rande? Nun, er strebt nach c4, und Weiß kann jetzt nicht mit der Gabel b4 eine Figur gewinnen, da dies den Sc3 lose machen würde. 15. f5!? Ein weit berechnetes Bauernopfer, das bei der Annahme zu großen Komplikationen führt. Dxe5 Ju geht das Wagnis ein; die Folge gibt ihr Recht. 16. Lf4 Df6 17. h4 Nun droht Lg5 mit Gewinn des Le7. e5 Natürlich ist dies nur eine scheinbare Gabel, der Lf4 kann ja mit Tempo nach Lg5 ausweichen. 18. Sxd5!? Vielleicht nicht die beste Entscheidung. Lxd5 19. Lg5 Dd6 20. Lxe7 Dxe7 21. Lxd5 xd4 22. Lxa8 Txa8 23. The1 Dc7 24. b4 So weit hatte Hou alles berechnet; durch die Gabel kommt sie nun noch zu leichtem Materialvorteil (Qualität gegen Bauer). Aber die weiße Königsstellung wird geschwächt. Theoretisch mögen sich die Vor- und Nachteile der jeweiligen Stellung aufwiegen, aber die Praxis zeigt meist, dass die Schwächung der Königsstellung schwerer wiegt als ein (geringer) Materialvorteil. Sc6 25. xc5 xc5 26. Df4 Kein Wunder, dass Weiß den Damentausch sucht ... Db6 ... und Schwarz ihn verweigert. 27. Dd6 Fesselt zunächst den Sc6 und möchte evtl. Dd7 mit der Drohung Te8+ nebst Matt folgen lassen. h5 Dieses 'aktive Luftloch' ist eine sehr gute Entscheidung, um nicht in Grundreihen-Probleme zu kommen. 28. Te5 Gestützt auf den gefesselten Sc6, bereitet Weiß die Turmverdopplung auf der e-Linie vor und greift so nebenbei den Bc5 an, der jedoch einfach vorgehen kann, noch dazu in aggressiver Absicht. c4 29. Tde1 Ohne das schwarze h5 würde jetzt schon Grundreihenmatt drohen. Aber auch so sieht es für Weiß jetzt doch scheinbar sehr gut aus? c3! Das Einzige, aber sehr stark. Es droht unter anderem Db2+ nebst Db1+ und Dxc2+. 30. Te8+ Txe8 31. Txe8+ Kh7 Und plötzlich ist dem weißen Angriff der Dampf ausgegangen. 32. Dd5? Hinterher fand man in der Analyse, dass f6 (mit der Drohung Th8+) noch gerettet hätte, aber wer soll das am Brett sehen? d3!! Ein herrliches Stellungsbild mit den beiden schwarzen Bauern auf der drittletzten Reihe! Auf einmal droht auf zwei Arten Matt in 2 Zügen: einmal durch Db2+ nebst Db1#, und auch (durch die Öffnung der Diagonalen b6-g1) Dg1+ nebst matt! 33. Dxd3 Aber behebt dieser Zug nicht alle weißen Probleme? Sb4 Der Springer greift an (Titel einer Novelle von William Faulkner)! Wohin soll denn nun die weiße Dame? Auf Dd1 wäre Sxa2# gleich Matt. Und ansonsten ist immer Dg1+ zu berücksichtigen. 34. De4 Dg1+ 35. De1 Wieder scheint Hou alles abgewehrt zu haben, aber ... Dg2 Nun droht Matt auf c2! 36. De4? Übersieht ein Matt in 2. Aber Weiß hatte tatsächlich keine Verteidigung mehr. Dd2+ Und Matt durch Dd1# im nächsten Zug, weshalb Weiß aufgab.
toby84 - 19. Mär '25
was lernen wir daraus? nimm niemals eine qualität mit, wenn du die gelegenheit dazu hast 🙃
Vabanque - 19. Mär '25
Man sollte sich halt immer den Preis gut anschauen, den man für die Eroberung der Qualle bezahlt ... in diesem Fall war das Mehrmaterial mit Königsunsicherheit zu hoch bezahlt.
Wir lernen auch daraus, dass der Springer im Angriff besser sein kann als ein Turm.
Wir lernen auch daraus, dass der Springer im Angriff besser sein kann als ein Turm.
cutter - 19. Mär '25
Bearbeitet
Ich möchte wetten, dass über 10 chessmailer mehrere, wenn nicht alle von Vabanque vorgestellte Partien goutiert haben und weiter schätzen werden.
Damit er es glaubt, gib doch bitte einen Daumen hoch, wenn du dazugehörst...
Damit er es glaubt, gib doch bitte einen Daumen hoch, wenn du dazugehörst...
cutter - 19. Mär '25
Ich fange mal an:
👍
👍
japetus1962 - 20. Mär '25
+1
Oli1970 - 20. Mär '25
Oh ja, die Partie zählt wohl zu Ju Wenjuns besten Partien! Wobei man auch sagen muss, dass Hou Yifan lange auf Augenhöhe mitgespielt hat, so dass ein positionell geprägtes Spiel entstanden ist.
Die Kommentierung ist wie üblich auf den Punkt, so dass es nicht viel zu sagen gibt.
Die "scheinbare Gabel" 17...e5 ist allerdings bei näherer Betrachtung der stärkste Zug für Schwarz, alles andere verschafft Weiß einen ordentlichen Vorteil. Es droht g3-g4-g5, später kann der h-Bauer laufen und die Königstellung geriete heftig ins Schwitzen. Und natürlich gibt der Zug der Dame weitere Zugoptionen. Ju hatte mit Lg5 um den Preis des Läufers zu rechnen, und in Folge von e5 immer noch Lg5 gegen Sxd5 abzuwägen und für beide Linien Antworten zu finden. Die Stellung war tricky.
Tricky waren - zumindest für mich - auch die nächsten Züge. Soweit alles folgerichtig, aber zu erkennen, warum ist 21...exd4 besser als den Turm zu retten? Der Grund dürfte in f5-f6 zu suchen sein. Entweder, Schwarz reißt mit gxf6 die Königsstellung auf oder tauscht vorher nach Dxf6 Dxf6 noch die Damen ab oder stellt die Dame passiv mit Dd8 oder Dd6 und ermöglicht damit Sf5, was wieder den Angriff verstärkt und durch den Abzug auch den Läufer vom Td1 deckt, der immer noch nach a8 schielt.
Statt 27...h5 war auch Tb8 einen Blick wert: Es könnte folgen Db2+, der König muss aus der Deckung nach d2, Dc3+ und zurück mit Kc1 - und der Linie geht die Luft aus. Schwarz bleibt nur das Dauerschach, da Sc6 nun keine Deckung mehr hätte. Laut Stockfish ist auch nach 27...h5 die Partie völlig ausgeglichen, aber der Zug erlaubt weiteres Spiel.
Nach 28.Te5 hat Ju 28...Db8 29.Txc5 Sb4 mit Drohung Sxa2+ verpasst. Gut für uns! Das nachfolgende Endspiel ist wunderschön zu nennen, hochspannend! Und Sb4 sehen wir ja trotzdem noch. ;-)
Das verpasste 32.f6 ist unglücklich für Hou gelaufen. Aber tatsächlich die einzige Rettung, es gab keine weiteren Optionen. Beide Spielerinnen haben bis dahin glanzvoll gespielt, Ju am Ende das nötige Quentchen Glück, um noch weiter glänzen zu können.
Tatsächlich das Highlight der Reihe!
Ach ja:👍
Die Kommentierung ist wie üblich auf den Punkt, so dass es nicht viel zu sagen gibt.
Die "scheinbare Gabel" 17...e5 ist allerdings bei näherer Betrachtung der stärkste Zug für Schwarz, alles andere verschafft Weiß einen ordentlichen Vorteil. Es droht g3-g4-g5, später kann der h-Bauer laufen und die Königstellung geriete heftig ins Schwitzen. Und natürlich gibt der Zug der Dame weitere Zugoptionen. Ju hatte mit Lg5 um den Preis des Läufers zu rechnen, und in Folge von e5 immer noch Lg5 gegen Sxd5 abzuwägen und für beide Linien Antworten zu finden. Die Stellung war tricky.
Tricky waren - zumindest für mich - auch die nächsten Züge. Soweit alles folgerichtig, aber zu erkennen, warum ist 21...exd4 besser als den Turm zu retten? Der Grund dürfte in f5-f6 zu suchen sein. Entweder, Schwarz reißt mit gxf6 die Königsstellung auf oder tauscht vorher nach Dxf6 Dxf6 noch die Damen ab oder stellt die Dame passiv mit Dd8 oder Dd6 und ermöglicht damit Sf5, was wieder den Angriff verstärkt und durch den Abzug auch den Läufer vom Td1 deckt, der immer noch nach a8 schielt.
Statt 27...h5 war auch Tb8 einen Blick wert: Es könnte folgen Db2+, der König muss aus der Deckung nach d2, Dc3+ und zurück mit Kc1 - und der Linie geht die Luft aus. Schwarz bleibt nur das Dauerschach, da Sc6 nun keine Deckung mehr hätte. Laut Stockfish ist auch nach 27...h5 die Partie völlig ausgeglichen, aber der Zug erlaubt weiteres Spiel.
Nach 28.Te5 hat Ju 28...Db8 29.Txc5 Sb4 mit Drohung Sxa2+ verpasst. Gut für uns! Das nachfolgende Endspiel ist wunderschön zu nennen, hochspannend! Und Sb4 sehen wir ja trotzdem noch. ;-)
Das verpasste 32.f6 ist unglücklich für Hou gelaufen. Aber tatsächlich die einzige Rettung, es gab keine weiteren Optionen. Beide Spielerinnen haben bis dahin glanzvoll gespielt, Ju am Ende das nötige Quentchen Glück, um noch weiter glänzen zu können.
Tatsächlich das Highlight der Reihe!
Ach ja:👍
Vabanque - 21. Mär '25
Bearbeitet
@Oli1970: Danke für deine ausführliche Besprechung!
Dein Vorschlag 28... Db8 ist vermutlich ein Schreibfehler, denn Weiß könnte ja einfach Dxc6 antworten.
28... Tb8 kann aber auch nicht gemeint sein, denn dann würde das folgende Sb4 keinen Sinn machen.
Vermutlich meinst du also 28... Db7 (entfesselt den Sc6 und greift den Te5 an) 29. Txc5 Sb4. Das sieht dann zwar drohend aus, aber ein konkrete Fortsetzung sehe ich da (noch) nicht, während das tatsächlich gespielte 28... c4 objektiv schwächer sein mag, aber die Idee des weiteren Vorrückens des c-Bauern beinhaltet, was dann ja auch geschieht. Und auf c3 ist der Bauer in der Nähe des wK, dem er die Luft zum Atmen beschneidet, wirklich sehr stark! Nicht nur dass (wie erwähnt) Springer im Angriff manchmal stärker als ein Turm sein können, auch Bauern gewinnen an Kraft, wenn sie bis zur 6. Reihe (denn das ist die 3. Reihe von Schwarz aus gesehen) vorrücken.
>>Soweit alles folgerichtig, aber zu erkennen, warum ist 21...exd4 besser als den Turm zu retten?<<
Du meinst vermutlich 21... Tad8, was den Turm der Bedrohung entzieht und zugleich den Ld5 angreift. Ja, 22. f6 mit Räumung des Feldes f5 für den Sd4 ist die logische Reaktion, die ich im Kommentar vielleicht hätte erwähnen sollen. Deiner Erklärung in diesem Fall nichts hinzuzufügen👍
Dein Vorschlag 28... Db8 ist vermutlich ein Schreibfehler, denn Weiß könnte ja einfach Dxc6 antworten.
28... Tb8 kann aber auch nicht gemeint sein, denn dann würde das folgende Sb4 keinen Sinn machen.
Vermutlich meinst du also 28... Db7 (entfesselt den Sc6 und greift den Te5 an) 29. Txc5 Sb4. Das sieht dann zwar drohend aus, aber ein konkrete Fortsetzung sehe ich da (noch) nicht, während das tatsächlich gespielte 28... c4 objektiv schwächer sein mag, aber die Idee des weiteren Vorrückens des c-Bauern beinhaltet, was dann ja auch geschieht. Und auf c3 ist der Bauer in der Nähe des wK, dem er die Luft zum Atmen beschneidet, wirklich sehr stark! Nicht nur dass (wie erwähnt) Springer im Angriff manchmal stärker als ein Turm sein können, auch Bauern gewinnen an Kraft, wenn sie bis zur 6. Reihe (denn das ist die 3. Reihe von Schwarz aus gesehen) vorrücken.
>>Soweit alles folgerichtig, aber zu erkennen, warum ist 21...exd4 besser als den Turm zu retten?<<
Du meinst vermutlich 21... Tad8, was den Turm der Bedrohung entzieht und zugleich den Ld5 angreift. Ja, 22. f6 mit Räumung des Feldes f5 für den Sd4 ist die logische Reaktion, die ich im Kommentar vielleicht hätte erwähnen sollen. Deiner Erklärung in diesem Fall nichts hinzuzufügen👍
Oli1970 - 21. Mär '25
Oh, ja, beides korrekt erkannt! Danke! :-)
Zement - 22. Mär '25
Danke, das Endspiel ist wirklich interessant und lehrreich.