Kommentierte Spiele

Glanzpartien unbekannter Spieler (XX)

Vabanque - 21. Jul '14
Über die Kontrahenten der folgenden Partie scheint rein gar nichts bekannt zu sein. Die Partie ist in einem russischen Mannschaftskampf gespielt worden. Man staunt immer wieder über die Stärke selbst 'namenloser' russischer Spieler, und das vor über 50 Jahren. Auch damals haben wohl alle Russen Schach schon mit der Muttermilch eingesogen, und jeder russische Straßenkehrer oder Garagenwart hätte einen deutschen Vereinsspieler (selbst höherer Spielklassen) wohl ohne Anstrengung, wahrscheinlich sogar blind, besiegt.

Valeev Stephanov Team Ch of the Russian Republic semi-finals | Molotov, USSR | 1956 | C13 | 1:0
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1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Le7 5. e5 Sfd7 6. h4 Dieses Bauernopfer, der so genannte Aljechin-Chatard-Angriff, führt zu äußerst kompliziertem Spiel. Schwarz hat nun eine Vielzahl von Alternativen für seinen 6. Zug: neben der Annahme durch Lxg5 wurden die Züge c5, a6, O-O, h6 und der Partiezug versucht. Aber immer hat Schwarz Schwierigkeiten, wie er auch spielt. Da wundert es einen doch, dass diese Variante mit Weiß nicht häufiger versucht wird. Vielleicht liegt dies daran, dass Weiß auf alle schwarzen Verteidigungssystem vorbereitet sein muss? f6 Galt zeitweise als die stärkste Entgegnung. Die Annahme des Bauernopfers empfiehlt sich zumindest in der Praxis nicht. Ursprünglich galt hier auch die Rochade als schlecht, während man sie heute als spielbar, ja sogar als beste Alternative ansieht. Ebenfalls als gut gilt a6, um c5 vorzubereiten. - Nach dem Textzug wäre 7. exf6 Sxf6 recht gut für Schwarz, da sich der Zug h2-h4 dann nur als Auflockerung erweisen würde. 7. Dh5+! Zunächst erstaunlich, da gleich zwei weiße Figuren hängen werden. Eine interessante Alternative ist übrigens das Figurenopfer Ld3, das Schwarz besser nicht annimmt. g6 8. xf6! Die Pointe; auf gxh5 gewinnt fxe7 die Dame mit günstigem Endspiel zurück. Natürlich war diese Wendung auch zum Zeitpunkt der Partie schon Bestandteil der Theorie. Sxf6 9. De2 Der entscheidende Unterschied zu dem oben erwähnten 7. exf6 Sxf6 besteht nun darin, dass der Zug g7-g6 schon geschehen ist, wodurch der weiße Bauer h4 nicht unmotiviert herumsteht, sondern bald gegen die Angriffsmarke g6 rammen wird. c5 10. xc5 Sa6 Nach Lxc5 wäre bereits h5! sehr stark. 11. O-O-O O-O Der König versteckt sich hinter einem recht löchrigen Wellblechverschlag. Besseres ist allerdings nicht ersichtlich. 12. Lh6 Te8 13. h5! Dabei hat Weiß das folgende Qualitätsopfer natürlich schon geplant. xh5 14. Txh5 Sxh5 15. Dxh5 Nun droht natürlich Dg4+ nebst Matt auf g7. Obwohl der weiße Königflügel noch unentwickelt ist, erweist es sich schnell, dass Schwarz gegen den weißen Angriff hilflos ist. Die weißen Figuren werden schnell und mühelosauf günstige Plätze gelangen. Lf8 16. Lg5 Le7 17. Sf3 Tf8 Lxg5 würde den weißen Springer noch mehr zum Angriff befördern. 18. Ld3 Tf7 Das Einzige, um h7 noch zu decken. 19. Th1 Aber danach fällt h7 dennoch. Lxg5+ Es ist gleichgültig, was Schwarz noch spielt. Aber glücklicherweise (für uns) spielt er es so, dass er Weiß noch einen besonders glänzenden Schluss ermöglicht. 20. Sxg5 Tg7 21. Sxh7 Sxc5 22. Sf6+!! Sehr hübsch. Natürlich geschieht auf Kf8 jetzt 23. Dh8+ nebst Dxg7+. Dxf6 Die Annahme des Opfers aber führt zum Matt. 23. De8+ Schwarz gab auf, da er nun die forcierte Folge Df8 24. Th8+ Kxh8 25. Dxf8+ Tg8 26. Dh6# erkannte. Ein unwiderstehlicher Ansturm.
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[Event "Team Ch of the Russian Republic semi-finals"]
[Site "Molotov, USSR"]
[Date "1956.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "?"]
[Result "1-0"]
[White

"Valeev"]
[Black "Stephanov"]
[ECO "C13"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "45"]

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Nc3

Nf6 4. Bg5 Be7 5. e5 Nfd7 6. h4 {Dieses Bauernopfer,

der so genannte Aljechin-Chatard-Angriff, führt zu

äußerst kompliziertem Spiel. Schwarz hat nun eine

Vielzahl von Alternativen für seinen 6. Zug: neben der

Annahme durch Lxg5 wurden die Züge c5, a6, 0-0, h6 und

der Partiezug versucht. Aber immer hat Schwarz

Schwierigkeiten, wie er auch spielt. Da wundert es

einen doch, dass diese Variante mit Weiß nicht häufiger

versucht wird. Vielleicht liegt dies daran, dass Weiß

auf alle schwarzen Verteidigungssystem vorbereitet sein

muss?} f6 {Galt zeitweise als die stärkste Entgegnung.

Die Annahme des Bauernopfers empfiehlt sich zumindest

in der Praxis nicht. Ursprünglich galt hier auch die

Rochade als schlecht, während man sie heute als

spielbar, ja sogar als beste Alternative ansieht.

Ebenfalls als gut gilt a6, um c5 vorzubereiten. - Nach

dem Textzug wäre 7. exf6 Sxf6 recht gut für Schwarz, da

sich der Zug h2-h4 dann nur als Auflockerung erweisen

würde.} 7. Qh5+! {Zunächst erstaunlich, da gleich zwei

weiße Figuren hängen werden. Eine interessante

Alternative ist übrigens das Figurenopfer Ld3, das

Schwarz besser nicht annimmt.} g6 8. exf6! {Die Pointe;

auf gxh5 gewinnt fxe7 die Dame mit günstigem Endspiel

zurück. Natürlich war diese Wendung auch zum Zeitpunkt

der Partie schon Bestandteil der Theorie.}
Nxf6 9. Qe2 {Der entscheidende Unterschied zu dem oben

erwähnten 7. exf6 Sxf6 besteht nun darin, dass der Zug

g7-g6 schon geschehen ist, wodurch der weiße Bauer h4

nicht unmotiviert herumsteht, sondern bald gegen die

Angriffsmarke g6 rammen wird.} c5 10. dxc5 Na6 {Nach

Lxc5 wäre bereits h5! sehr stark.} 11. O-O-O O-O {Der

König versteckt sich hinter einem recht löchrigen

Wellblechverschlag. Besseres ist allerdings nicht

ersichtlich.} 12. Bh6 Re8 13. h5! {Dabei hat Weiß das

folgende Qualitätsopfer natürlich schon geplant.} gxh5

14. Rxh5 Nxh5
15. Qxh5 {Nun droht natürlich Dg4+ nebst Matt auf g7.

Obwohl der weiße Königflügel noch unentwickelt ist,

erweist es sich schnell, dass Schwarz gegen den weißen

Angriff hilflos ist. Die weißen Figuren werden schnell

und mühelosauf günstige Plätze gelangen.} Bf8 16. Bg5

Be7 17. Nf3 Rf8 {Lxg5 würde den weißen Springer noch

mehr zum Angriff befördern.} 18. Bd3 Rf7 {Das Einzige,

um h7 noch zu decken.} 19. Rh1 {Aber danach fällt h7

dennoch.} Bxg5+ {Es ist gleichgültig, was Schwarz noch

spielt. Aber glücklicherweise (für uns) spielt er es

so, dass er Weiß noch einen besonders glänzenden

Schluss ermöglicht.} 20. Nxg5 Rg7 21.
Nxh7 Nxc5 22. Nf6+!! {Sehr hübsch. Natürlich geschieht

auf Kf8 jetzt 23. Dh8+ nebst Dxg7+.} Qxf6 {Die Annahme

des Opfers aber führt zum Matt.} 23. Qe8+ {Schwarz gab

auf, da er nun die forcierte Folge} Qf8 24. Rh8+ Kxh8

25. Qxf8+ Rg8 26. Qh6# {erkannte. Ein unwiderstehlicher

Ansturm.} 1-0
pirc_ - 21. Jul '14
wieder mal sehr schön...7ten Dh5+ fand ich schon super, auch wenn es ausanalysiert sein soll...gegen sowas verlier ich gerne mal...weiss spielt das ganze spiel so "bösartige" (scherzhaft gemeint) züge, sehr schön ;-)
deine Einleitung ist allerdings gewagt:-)) ich hab schon gegen russen gewonnen und überlege ob ich den nächsten gegen den ich gewinne fragen soll ob er strassenkehrer ist :-)) (Anmerkung für den sehr ernsten Leser:an dieser stelle zwinker ich mit den augen)
Hasenrat - 21. Jul '14
Na ja, "der" Russe "an sich" der 50er Jahre war ja gemeint, oder? Der Beweis oder Gegenbeweis lässt sich nun gegenwärtig nicht mehr ohne Weiteres führen. Man müsste gegen sehr alte Russen spielen - und ihr hohes Alter dann aber auch in Rechnung stellen.
Ich plinker mal eifrig zurück.
Vabanque - 21. Jul '14
Ich habe mich selbstverständlich des Stilmittels der Hyperbel, d.h. Übertreibung, bedient ;)

Aber etwas scheint schon dran zu sein, auch heute noch. Mir hat ein Spieler auf einem anderen Schachserver mal erzählt (und dieser Spieler war deutllich stärker als ich!), dass er zeitweise eine russische Freundin hatte, gegen die er immer im Schach verloren hat ... und diese Russin hatte absolut keinen Meistertitel oder so ... schon erstaunlich. Die Folgerung, dass der 'gemeine Russe' schon stärker spielt als der starke deutsche Vereinsspieler, stammte dann von ihm.
pirc_ - 21. Jul '14
nun ich würde mich für das Experiment zur verfügung stellen: also sollte ein russischer strassenkehrer der 50-jahre hie sein möge er mich zu einer partie einladen...bei der Freundin des guten Spielers bin ich mir nicht so sicher...vielleicht hatte sie andere mittel ;-)
Kellerdrache - 22. Jul '14
Danke für die schöne Partie. Ich hab früher selber gerne den Aljechin-Chatard -Angriff gespielt. Die Partien werden selten langweilig, verlangen aber sehr viel Konzentration und man sollte sich dann schon die THEORIE ANGEGUCKT HABEN.

Beeindruckend hier war in welchem Tempo die schwarze Königsstellung auseinander fiel und Gegenspiel gibt es ja wirklich überhaupt nicht. Jetzt weiß ich wenigstens warum in meinem Buch zur Französischen Verteidigung hinter 6....f6 ein ? steht.
Vabanque - 22. Jul '14
Ja, das ist dann doch prima, wenn die Partien nicht nur zur Unterhaltung dienen, sondern wenn man wirklich etwas daraus lernt! Wie auch im Kommentar steht, 6... f6 galt ganz früher mal als gut, bis jemand 7. Dh5+! entdeckte.
fritz321 - 22. Jul '14
Ich habe vor kurzem mal gegen einen älteren russischen Herren gespielt. Glaube er war anfang 70 oder so :D aufjedenfall spielte er deutlich stärker als ich so vom niveau her knapp 2100 oder sogar mehr.
Er meinte zwischen durch das seine spielstärke nichtmal stark genug für Kaffeehäuser in russland ist :D
Vabanque - 22. Jul '14
Naja, das kann von ihm aber auch Tiefstapelei oder Selbstironie gewesen sein ;)

Aber trotzdem stützt der Vorfall meine These :)

Die Russen sind schon auf ihre Weise phänomenal. Sie haben einige der größten Schriftsteller, viele der größten Musiker und einen großen Teil der größten Schachspieler hervorgebracht. Wie machen sie das nur? (Nur mit der Politik haben sie so ihre Schwierigkeiten, aber die soll in diesem Forum wirklich nicht Diskussionsgegenstand sein, bitte nicht.)