Kommentierte Spiele

Glanzvolle Remis VI

Kellerdrache - 13. Okt '15
Die letzte Partie in meiner kleinen Reihe glanzvoller Remis ist aus dem erstem WM-Kampf zwischen Karpov und Kasparov. Eben jener, der unter fragwürdigen Gründen abgebrochen wurde. Als diese Partie gespielt wurde war Garry Kasparov ganz 21 Jahre alt.

Die Schönheit der Begegnung liegt hier oft mehr in den Varianten als den gespielten Zügen, obwohl ich die Partie vom positionellen Standpunkt für sehr interessant halte. Ich hoffe, das die eine oder andere längere Variante es euch Wert ist das Brett hervor zu holen. Ihr werdet es nicht bereuen.

Kasparov, Garry Karpov, Anatoly WM | 1984 | E17 | 1/2-1/2
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 b6 4. g3 Lb7 5. Lg2 Le7 6. O-O O-O Die damenindische Verteidigung hat nicht gerade den Ruf zu aufregenden und verwickelten Stellungen zu führen. Deshalb hat Karpov sie gegen den begnadeten Taktiker Kasparov vermutlich auch gewählt. Aber der findet auch hier einen Weg die Stellung etwas unklarer zu gestalten. 7. d5 xd5 8. Sh4 Weiß hat auf d5 einen Bauern geopfert. Dieser Mehrbauer ist allerdings ein nettes Angriffsziel, weil er sich erstmal nicht so ohne weiteren wegbewegen darf, da der Läufer auf b7 ungedeckt ist. Außerdem ist jetzt das Feld f5 für den weißen Springer zugänglich geworden. c6 9. xd5 Sxd5 10. Sf5 Ein schöner Platz für den Springer von dem aus er g7 und den Läufer e7 angreift. Nach Lf6 kann sich das Pferdchen auf d6 einnisten. Also erst d5 durchsetzen und dann erst Lf6. Kasparov hätte sich das Läuferpaar mit Sxe7 sichern können, aber wer Weltmeister werden will darf nicht zu bescheiden sein. Sc7 11. Sc3 d5 12. e4 Lf6 Schlägt Karpov auf e4 hat er nach 13...Sxe4 kein Feld mehr wo der Läufer nicht gegen einen Springer getauscht werden kann. Zwei weiße Springer im Zentrum sehen ja auch sonst nicht gut aus für Schwarz. 13. Lf4 vervollstän digt die Entwicklung. Vier Jahre früher hatte Kasparov dieselbe Stellung auf dem Brett und tauschte auf d5. 13. exd5 cxd5 14. Bf4 Nba6 Der Läufer f4 drohte unter anderem 15. Lxc7 Dxc7 16. Sxd5. Das Motiv gibt es in unserer Partie später auch 15. Re1 Qd7 16. Bh3 Kh8 Um dem Abzugschach Sh6+ zu entgehen. 17. Ne4 Bxb2 18. Ng5 Jetzt noch Dh5 und es wird schnell finster Qc6 19. Ne7 Qf6 20. Nxh7 Würde der König nehmen käme Dh5+. Der Se7 verhindert die Flucht nach hinten, also müsste man die Dame geben um Matt zu verhindern Qd4 21. Qh5 g6 22. Qh4 Bxa1 23. Nf6+ Zugegeben, diese Variante ist etwas lang aber einfach zu schön um sie weg zu lassen Lc8 Karpov kannte die Partie aus der vorigen Variante vermutlich und verhindert so exd5. Ohnehin ist der Springer auf f5 ja lästig und sollte da nicht ewig stehn bleiben. 14. g4 Jetzt muß Weiß im Zweifelsfall nicht mit dem e-Bauern auf f5 schlagen. Nach Schlagen mit dem g-Bauern wird aber zum einen die Linie auf den schwarzen König für einen Angriff frei und zum anderen geht exd5 immer noch. Sba6 Einen der Gründe für diesen Zug kennen wir aus dem Kommentar zu Zug 13. Zusätzlich dazu kann der Springer von c5 aus Druck auf e4 machen 15. Tc1 Nachdem mit 13..Lc8 und 14... Sba6 die Deckungen für c6 entfernt wurden kann man hier eine weitere Drohung aufbauen Ld7 16. Dd2 Sc5 17. e5 vermutlich ein Fehler. Nach 17. Bxc7 Qxc7 18. exd5 bekommt Karpov eine Menge Stress auf der c-Linie. b4 wäre dann eine sehr starke Drohung. Eigentlich erstaunlich, dass Garry das nicht gespielt hat, da Tc1 ja auf solche Motive hin gespielt wurde. Le7 18. Sxe7+ Dxe7 19. Lg5 Obwohl Weiß seine stärkste Figur abgetauscht hat sieht das immer noch gut aus. Vor allem ein eventueller Bauernsturm macht einen drohenden Eindruck De6 19... Qxe5 geht nicht wegen 20. Rce1 Ne4 oder 20... Qd6 21. Be7, 21. Nxe4 dxe4 22. Rxe4 Qb5 23. Re7 20. h3 Dg6 21. f4 Und schon kommt die angekündigte Bauernwalze. Wäre das meine Stellung mit Schwarz würde ich hier ins Schwitzen geraten und in Gedanken schon die sich auf meinen König öffnenden Linien sehen. Karpov mit seinen eisernen Nerven entschärft das Ganze relativ flott. f6 22. xf6 Auf 22.f5 folgt ja einfach Dxg5 xf6 23. Lh4 f5 Jetzt droht Karpov selber die g-Linie zu seinem Nutzen zu öffnen. Klar kann man hier den g-Bauern vorziehen, aber dann gibt man seine eigenen Aussichten auf Königsangriff ebenfalls auf. So friedfertig war Kasparov aber nie. 24. b4 Am Königsflügel ist im Moment nicht viel zu holen, also versucht Weiß es auf der anderen Seite. Nach z.B. 24...S5e6 könnte man mit 25. b5 das Zentrum unterhöhlen. xg4 Karpov kann den Springer auf c5 stehen lassen. Auf 25.bxc5 kommt 25...gxh3 und man bekommt nicht blos die Figur zurück, sondern auch gefährlichen Angriff 25. xg4 Sd3 Stärker als er aussieht. Wenn der Turm sich in Sicherheit bringt, z. B. mit Td1 oder Tb1 kann Schwarz einfach den Bauern auf g4 nehmen. Zwar verliert dadurch der Springer seine Deckung, aber da die Dame von g4 aus den Lh4 schlagen kann ist das nicht schlimm. Für die, die es vergessen haben : Weiß hat immer noch den im 7. Zug geopferten Bauern weniger. Er kann sich daher nicht so schnell auf Vereinfachungen einlassen. Kasparov opfert die Qualität. 26. Tf3 Sxc1 Dxg4 würde mit der häßlichen Überraschung Tg3 beantwortet. 27. f5 Dg7 28. Dxc1 Tae8 Was ist nur von Garrys schönem Angriff übrig geblieben ? Der schwarze Mehrbauer ist gesund wie eh und je und jetzt ist noch die e-Linie unter gegnerischer Kontrolle 29. Dd2 gegen Dd4+ nebst Dxb4 gerichtet. d4 Ein Zug, den ich so schnell nicht spielen würde. Nach Se2 ist der Bauer doch sehr schwach. Aber auch der eher positionelle Karpov schätz hier den Wert der Figurenaktivität höher ein als einen Bauern. 30. Se2 Sd5 Darum ging es wohl. Der d-Bauer wird geopfert damit dieser Springer auf sein Wunschfeld kann. 31. Sxd4 Kh8 Ein bisschen übervorsichtig,finde ich. Aber vielleicht wollte Karpov ja Dxg4 drohen. Mit dem König auf h8 verliert Tg3 als Antwort ja seine Wirkung. Trotzdem gefällt mir das von diversen kommentatoren vorgeschlagene Te4 besser. Sd4 und der Bauern g4 sind bedroht. Beides gleichzeitig ist nicht zu decken. 32. g5 Te4 Obwohl Te4 jetzt sogar zwei Figuren gleichzeitg angreift ist der Zug wesentlich schwächer. Das Buch aus dem ich die Partie habe weißt auf schwere beiderseitige Zeitnot zu diesem Zeitpunkt hin 33. Lf2 De5 Der Bauer f5 wird zu dritten Mal angegriffen 34. Tg3 Der Turm stellt sich nicht nur auf eine zu öffende g-Linie sondern befreit auch die Diagonale auf den Turm e4 Tf4 35. f6 Auf f5 war der Bauer nicht mehr zu decken. Karpovs nächster Zug verhindert erstmal den weiteren Vormarsch des g-Bauern Le8 36. b5 c5 Besser als das Schlagen auf b5, da der Bauer auf der c-Linie eventuell als Freibauer mobil wird 37. Sc6 Die Dame ist vom Springer angegriffen, das schwarze Pferd von Dame und Läufer bedroht. Zum Glück hat Karpov noch ein Schachgebot Da1+ 38. Lf1 Tf5 Kann man jetzt noch Drohungen aufbauen ? 39. g6 Seltsam, jetzt hängen doch beide Bauern, oder ? Lxg6 Eine Falle von Kasparov 39... R8xf6 , T5xf6 ist nach g7 mit Angriff auf König und Turm ganz schlecht, 40. g7+ Kg8 41. Qxd5+ !! So etwas findet Kasparov auch noch im letzten Zug vor der Zeitkontrolle. Rxd5 42. Ne7+ Kf7 43. g8=Q+ Kxe7 44. Qxd5 eigentlich jammerschade, das Karpov darauf nicht reingefallen ist. Wie sagt ein Schachfreund von mir ? "Ja, wenn Du alles siehst ist es auch nicht schön !" 40. Txg6 Hier hätte Karpov gewinnen können. Übrigens kann der Turm auf g6 natürlich nicht genommen werden. Es würde Dh6+, nebst matt auf g7 folgen. Txf6 Der Gewinnzug wäre 40... Rxf2 gewesen. 41. Qxf2, oder 41. Kxf2 Nxf6 mit den Drohungen Se4+ und hxg6 41... hxg6 42. Qh4+ Kg8 41. Txf6 Dxf6 42. De1 Damals gab es noch Hängepartien. Kasparov und seine Sekundanten fanden diesen Zug, der mit der Idee Lf1-g3-e5 arbeitet Tg8+ 43. Kh2 Df4+ 44. Lg3 Txg3 Notwendig, da sonst Le5+ kommt. 45. Dxg3 Dxf1 46. Db8+
PGN anzeigen
[Event "WM "]
[Date "1984.??.??"]
[White "Kasparov, Garry"]
[Black "Karpov, Anatoly"]
[Result "1/2-1/2"]
[ECO "E17"]
[PlyCount "91"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nf3 b6 4. g3 Bb7 5. Bg2 Be7 6. O-O O-O {Die damenindische
Verteidigung hat nicht gerade den Ruf zu aufregenden und verwickelten
Stellungen zu führen. Deshalb hat Karpov sie gegen den begnadeten Taktiker
Kasparov vermutlich auch gewählt. Aber der findet auch hier einen Weg die
Stellung etwas unklarer zu gestalten.} 7. d5 exd5 8. Nh4 {Weiß hat auf d5
einen Bauern geopfert. Dieser Mehrbauer ist allerdings ein nettes Angriffsziel,
weil er sich erstmal nicht so ohne weiteren wegbewegen darf, da der Läufer auf
b7 ungedeckt ist. Außerdem ist jetzt das Feld f5 für den weißen Springer
zugänglich geworden.} c6 9. cxd5 Nxd5 10. Nf5 {Ein schöner Platz für den
Springer von dem aus er g7 und den Läufer e7 angreift. Nach Lf6 kann sich das
Pferdchen auf d6 einnisten. Also erst d5 durchsetzen und dann erst Lf6.
Kasparov hätte sich das Läuferpaar mit Sxe7 sichern können, aber wer
Weltmeister werden will darf nicht zu bescheiden sein.} Nc7 11. Nc3 d5 12. e4
Bf6 {Schlägt Karpov auf e4 hat er nach 13...Sxe4 kein Feld mehr wo der Läufer
nicht gegen einen Springer getauscht werden kann. Zwei weiße Springer im
Zentrum sehen ja auch sonst nicht gut aus für Schwarz.} 13. Bf4 {vervollstän
digt die Entwicklung. Vier Jahre früher hatte Kasparov dieselbe Stellung auf
dem Brett und tauschte auf d5. 13. exd5 cxd5 14. Bf4 Nba6 Der Läufer f4 drohte unter
anderem 15. Lxc7 Dxc7 16. Sxd5. Das Motiv gibt es in unserer Partie später
auch 15. Re1 Qd7 16. Bh3 Kh8 Um dem Abzugschach Sh6+ zu entgehen. 17. Ne4
Bxb2 18. Ng5 Jetzt noch Dh5 und es wird schnell finster Qc6 19. Ne7 Qf6 20.
Nxh7 Würde der König nehmen käme Dh5+. Der Se7 verhindert die Flucht nach
hinten, also müsste man die Dame geben um Matt zu verhindern Qd4 21. Qh5 g6
22. Qh4 Bxa1 23. Nf6+ Zugegeben, diese Variante ist etwas lang aber einfach
zu schön um sie weg zu lassen} Bc8 {Karpov kannte die Partie aus der
vorigen Variante vermutlich und verhindert so exd5. Ohnehin ist der Springer
auf f5 ja lästig und sollte da nicht ewig stehn bleiben.} 14. g4 {Jetzt muß Weiß im Zweifelsfall nicht mit dem e-Bauern auf f5 schlagen. Nach Schlagen mit
dem g-Bauern wird aber zum einen die Linie auf den schwarzen König für einen
Angriff frei und zum anderen geht exd5 immer noch.} Nba6 {Einen der Gründe für
diesen Zug kennen wir aus dem Kommentar zu Zug 13. Zusätzlich dazu kann der
Springer von c5 aus Druck auf e4 machen} 15. Rc1 {Nachdem mit 13..Lc8 und 14...
Sba6 die Deckungen für c6 entfernt wurden kann man hier eine weitere Drohung
aufbauen} Bd7 16. Qd2 Nc5 17. e5 {vermutlich ein Fehler. Nach 17. Bxc7 Qxc7
18. exd5 bekommt Karpov eine Menge Stress auf der c-Linie. b4 wäre dann eine
sehr starke Drohung. Eigentlich erstaunlich, dass Garry das nicht gespielt hat,
da Tc1 ja auf solche Motive hin gespielt wurde.} Be7 18. Nxe7+ Qxe7 19.
Bg5 {Obwohl Weiß seine stärkste Figur abgetauscht hat sieht das immer noch gut
aus. Vor allem ein eventueller Bauernsturm macht einen drohenden Eindruck} Qe6
{19... Qxe5 geht nicht wegen 20. Rce1 Ne4 oder 20... Qd6 21. Be7, 21. Nxe4
dxe4 22. Rxe4 Qb5 23. Re7} 20. h3 Qg6 21. f4 {Und schon kommt die angekündigte
Bauernwalze. Wäre das meine Stellung mit Schwarz würde ich hier ins Schwitzen
geraten und in Gedanken schon die sich auf meinen König öffnenden Linien sehen.
Karpov mit seinen eisernen Nerven entschärft das Ganze relativ flott.} f6 22.
exf6 {Auf 22.f5 folgt ja einfach Dxg5} gxf6 23. Bh4 f5 {Jetzt droht Karpov
selber die g-Linie zu seinem Nutzen zu öffnen. Klar kann man hier den g-Bauern
vorziehen, aber dann gibt man seine eigenen Aussichten auf Königsangriff
ebenfalls auf. So friedfertig war Kasparov aber nie.} 24. b4 {Am Königsflügel
ist im Moment nicht viel zu holen, also versucht Weiß es auf der anderen Seite.
Nach z.B. 24...S5e6 könnte man mit 25. b5 das Zentrum unterhöhlen.} fxg4 {
Karpov kann den Springer auf c5 stehen lassen. Auf 25.bxc5 kommt 25...gxh3 und
man bekommt nicht blos die Figur zurück, sondern auch gefährlichen Angriff} 25.
hxg4 Nd3 {Stärker als er aussieht. Wenn der Turm sich in Sicherheit bringt, z.
B. mit Td1 oder Tb1 kann Schwarz einfach den Bauern auf g4 nehmen. Zwar
verliert dadurch der Springer seine Deckung, aber da die Dame von g4 aus den
Lh4 schlagen kann ist das nicht schlimm. Für die, die es vergessen haben :
Weiß hat immer noch den im 7. Zug geopferten Bauern weniger. Er kann sich
daher nicht so schnell auf Vereinfachungen einlassen. Kasparov opfert die
Qualität.} 26. Rf3 Nxc1 {
Dxg4 würde mit der häßlichen Überraschung Tg3 beantwortet.} 27. f5 Qg7 28. Qxc1
Rae8 {Was ist nur von Garrys schönem Angriff übrig geblieben ? Der schwarze
Mehrbauer ist gesund wie eh und je und jetzt ist noch die e-Linie unter
gegnerischer Kontrolle} 29. Qd2 {gegen Dd4+ nebst Dxb4 gerichtet.} d4 {
Ein Zug, den ich so schnell nicht spielen würde. Nach Se2 ist der Bauer doch
sehr schwach. Aber auch der eher positionelle Karpov schätz hier den Wert der
Figurenaktivität höher ein als einen Bauern.} 30. Ne2 Nd5 {Darum ging es wohl.
Der d-Bauer wird geopfert damit dieser Springer auf sein Wunschfeld kann.} 31.
Nxd4 Kh8 {Ein bisschen übervorsichtig,finde ich. Aber vielleicht wollte Karpov
ja Dxg4 drohen. Mit dem König auf h8 verliert Tg3 als Antwort ja seine Wirkung.
Trotzdem gefällt mir das von diversen kommentatoren vorgeschlagene Te4 besser.
Sd4 und der Bauern g4 sind bedroht. Beides gleichzeitig ist nicht zu decken.}
32. g5 Re4 {Obwohl Te4 jetzt sogar zwei Figuren gleichzeitg angreift ist der
Zug wesentlich schwächer. Das Buch aus dem ich die Partie habe weißt auf
schwere beiderseitige Zeitnot zu diesem Zeitpunkt hin} 33. Bf2 Qe5 {
Der Bauer f5 wird zu dritten Mal angegriffen} 34. Rg3 {Der Turm stellt sich
nicht nur auf eine zu öffende g-Linie sondern befreit auch die Diagonale auf
den Turm e4} Rf4 35. f6 {Auf f5 war der Bauer nicht mehr zu decken. Karpovs
nächster Zug verhindert erstmal den weiteren Vormarsch des g-Bauern} Be8 36. b5
c5 {Besser als das Schlagen auf b5, da der Bauer auf der c-Linie eventuell als
Freibauer mobil wird} 37. Nc6 {Die Dame ist vom Springer angegriffen, das
schwarze Pferd von Dame und Läufer bedroht. Zum Glück hat Karpov noch ein
Schachgebot} Qa1+ 38. Bf1 Rf5 {Kann man jetzt noch Drohungen aufbauen ?} 39. g6
{Seltsam, jetzt hängen doch beide Bauern, oder ?} Bxg6 {
Eine Falle von Kasparov 39... R8xf6 ,
T5xf6 ist nach g7 mit Angriff auf König und Turm ganz schlecht, 40. g7+ Kg8 41.
Qxd5+ !! So etwas findet Kasparov auch noch im letzten Zug vor der Zeitkontrolle. Rxd5 42.
Ne7+ Kf7 43. g8=Q+ Kxe7 44. Qxd5 eigentlich jammerschade, das Karpov darauf
nicht reingefallen ist. Wie sagt ein Schachfreund von mir ? "Ja, wenn Du alles
siehst ist es auch nicht schön !"} 40. Rxg6 {Hier hätte Karpov gewinnen
können. Übrigens kann der Turm auf g6 natürlich nicht genommen werden. Es
würde Dh6+, nebst matt auf g7 folgen.} R5xf6 {Der Gewinnzug wäre 40... Rxf2
gewesen. 41. Qxf2, oder 41. Kxf2 Nxf6 mit den Drohungen Se4+ und hxg6
41... hxg6 42. Qh4+ Kg8} 41. Rxf6 Qxf6 42. Qe1 {Damals gab es noch
Hängepartien. Kasparov und seine Sekundanten fanden diesen Zug, der mit der
Idee Lf1-g3-e5 arbeitet} Rg8+ 43. Kh2 Qf4+ 44. Bg3 Rxg3 {
Notwendig, da sonst Le5+ kommt.} 45. Qxg3 Qxf1 46. Qb8+ 1/2-1/2
Vabanque - 14. Okt '15
Ich kann mich an diese Partie recht gut erinnern. Ich hatte damals als schachbegeisterter Jugendlicher den Wettkampf in den Medien verfolgt und die Partie dann auch mit den Kommentaren in den 'Deutschen Schachblättern' (die wir seinerzeit im Schachverein immer kostenlos verteilt bekamen) nachgespielt. Verstanden habe ich die Partie damals wohl nicht; und ehrlich gesagt, auch heute ist sie mir noch viel zu kompliziert, um sie auch nur ansatzweise zu begreifen. Ich hoffte natürlich seinerzeit (wie auch alle anderen Schachfreunde, die ich kannte), Kasparov möge den Wettkampf gewinnen, um den ungeliebten Weltmeister Karpov endlich zu entthronen. Aber meine Enttäuschung war groß, dass es Kasparov offenbar gar nicht gelingen wollte, auch nur eine einzige Partie zu gewinnen! Wir gingen sogar so weit, an Verschwörungstheorien zu glauben. Heute denke ich der junge Kasparov hat Karpov einfach unterschätzt. Weil es gegen andere Top-GMs so gut lief, dachte er, er würde mit Karpov ebenso kurzen Prozess machen können. Aber er hatte nicht mit der außergewöhnlichen Technik Karpovs gerechnet. Persönlich finde ich ja, das Karpov unter allen Weltmeistern der blasseste war (sorry, Colorado, falls du hier mitliest!!), er hatte einfach keinen ausgeprägten Personalstil im Schach. Aber er war ein gewaltiger Techniker, wahrscheinlich der gewaltigste, den das Schach je gekannt hat. Er ersetzte durch nahezu perfekte Technik, was ihm an schachlicher Kreativität fehlte. Man sagt ja manchmall Botwinnik und Euwe Ähnliches nach. Aber diese spielten trotzdem schärfer als Karpov, kamen schneller 'zur Sache', gefielen sich nicht in Vorbereitungszügen von Vorbereitungszügen von Vorbereitungszügen. In diese Kategorie könnte man zuweilen eher noch Petrosjan einreihen, aber in seinen besten Partien brachte dieser derart bizarre Stellungen aufs Tapet, dass sie schon für sich interessant sind, während mich Karpov-Stellungen meist bloß langweilen. Vermutlich begreife ich die immense Gedankentiefe des Karpovschen Schachs einfach nicht.
Zur Partie selbst: Sie ist eine dermaßene Gratwanderung am Rande des Abgrunds von beiden Seiten, dass mir beim Nachspielen ganz schwindlig wird. Mit solchen offenen Königen auf beiden Seiten, und Stellungsbildern, in denen Materialverhältnisse fast bedeutungslos werden, wäre ich in einer eigenen Partie völlig orientierungslos, würde Blut und Wasser schwitzen, und hätte keine Ahnung, ob ich nun am Gewinnen oder am Verlieren bin. Beide Spieler beweisen hier eiserne Nerven.

Schließlich, nach den leidvollen Erfahrungen dieses Wettkampfs, kam Kasparov ja auch drauf, dass der von ihm bevorzugte Stil gegen Karpov nicht zum Erfolg führte. Also verlegte er sich darauf, Karpovs Stil zu kopieren und ihn sozusagen mit den eigenen Waffen zu schlagen. Und da zeigte es sich, dass auch Kasparov nahezu unbesiegbar war, wenn er sich auf seine Technik verließ und 'langweiliges' Schach spielte. Dadurch kam es zur längsten Remisserie, die es in einer Schach-WM jemals gegeben hat ... und was dann geschah, wissen wir alle ...
Kellerdrache - 15. Okt '15
Karpov gehörte, wie der besagte Petrosjan oder ein Ulf Andersson zu den Spielern die Gefahr förmlich riechen können. Dazu gehören auch die Fähigkeiten die verwegensten taktischen Ideen seiner stürmische Gegner (Tal, Kasparov usw.) mitrechnen und entschärfen zu können. Er hat übrigens in seiner Karriere einen deutlich höheren Anteil an Gewinnpartien als z.B. der "Torwart" Petrosjan. Im Gegensatz zu anderen Spielern der "Positionsspieler" Kategorie scheint ihm aber jegliches Gefühl für schachliche Ästhetik zu fehlen, weshalb die Mehrzahl seiner Partien einen faden Geschmack hinterlässt. Das wird ja auch Magnus Carlsen oft vorgeworfen, wenn auch dessen Stil weniger eindeutig ist. Smyslov wäre meiner Meinung nach der Weltmeister, der da das beste Gegenbeispiel ist. Übrigens derjenige, neben Euwe, der am meisten vergessen wird.
Vabanque - 15. Okt '15
Letzters ist mir auch schon aufgefallen: Euwe ist derjenige Weltmeister, der am seltensten erwähnt wird. Für mich ist er einer der am meisten unterschätzen Spieler der Schachgeschichte, obwohl er Weltmeister war! Er war der einzige Spieler, der es geschafft hat, Aljechin in einem Match zu schlagen, das war schon eine großartige Leistung, auch wenn seine Spielstärke (wohl auch beruflich bedingt) in späteren Jahrzehnten stark nachgelassen hat.
Smyslov wird vielleicht deswegen selten erwähnt, weil er nur ein Jahr Weltmeister war. Diejenigen, die sich mit ihm beschäftigt haben, schätzen aber in der Regel seinen Stil sehr.
Tal war zwar auch nur ein Jahr lang Weltmeister, aber ihn kann man aufgrund seines kompromisslosen Stils natürlich nicht übersehen.
Ich hatte es auch wirklich mal versucht, mir etliche Partien Karpovs anzusehen, und habe dabei auch so einige taktisch betonte Partien gefunden. Aber auch die schienen mir merkwürdig blass. Das mit dem 'faden Beigeschmack', von dem du schreibst, trifft es für mein Empfinden haargenau. Ich kann es nicht anders beschreiben. Dummerweise kann ich dieses Gefühl gar nicht mal näher begründen.
Ich habe es nicht nachgezählt, aber vermutlich hat Petrosian tatsächlich die höchste Remisquote unter allen Weltmeistern. Aber diese Partien habe ich mir in der Regel nicht angeschaut. Petrosians Gewinnpartien sind oft sehr taktisch, was man bei ihm jetzt nicht unbedingt vermuten würde. Aber bei ihm kommt die Taktik eben entweder zwischen den Zeilen vor oder am Schluss, wo er schon alles präzise berechnen konnte. Petrosian zieht oft alle Figuren auf die Grundreihe zurück und gewinnt dann in wenigen Zügen! Das konnte kein anderer! Die einzige Partie von Karpov, die ich kenne, wo er alle Figuren auf die Grundreihe zurückzog, hat er haarsträubend verloren (das war auch eine gegen Kasparov).
Dass Carlsen einen faden Stil hätte, kann ich jetzt nicht unbedingt so finden. Allerdings finde ich die Partien seines Vorgängers Anand deutlich reizvoller.
Kellerdrache - 15. Okt '15
Man sagt Carlsen nicht nach fade zu sein, sondern unästetisches Schach (das kommt, soweit ich weiß von Kortschnoi) zu spielen. Meine persönliche Meinung ist eher: ein paar sehr ansehnliche Partien, die Masse aber knochentrockene Technik. Er passt sich aber viel mehr dem Stil des Gegners an als Karpov getan hat.

Euwes Partien z.B. aus den WM-Kämpfen waren durchaus auch taktisch 1a und nicht blos weil Aljechin dabei war. Smyslows Stil war zwar positionell hatte aber immer eine gewisse Schönheit (das ist natürlich sehr subjektiv).
Vabanque - 15. Okt '15
Also wenn einer unästhetische Partien gespielt hat, dann ist es meiner Meinung schon Kortschnoi selbst. Ich kann mich an keine einzige Partie von ihm erinnern, die mir gefallen hätte (nur seine verlorenen sind manchmal ganz schön ;) ) ...
Vabanque - 15. Okt '15
Wahrscheinlich war Kortschnois Aussage über Carlsens Stil eher von Neid geprägt, weil Kortschnoi nie diese Höhe erreicht hat, trotz krampfartigster Anstrengungen. Carlsen dagegen schaffte es scheinbar mühelos.
Von Spassky dagegen stammt die Aussage, Kortschnoi hätte kein Talent für Schach. In diesem Fall kann wohl kaum Neid dabei sein, denn Spassky wurde Weltmeister, Kortschnoi nie. Natürlich ist das Statement überzogen, aber etwas Wahres ist schon dran. Spassky war ein fauler Hund und wurde trotzdem Weltmeister, Kortschnoi trainierte mit äußerster Verbissenheit und schaffte es nicht. Allerdings würde mir Kortschnois 'geringes' Talent zum Schach schon reichen - ich selber habe nämlich wirklich keins :(