Kommentierte Spiele

Brillante Mattangriffe (XXII): Khalifman - Seirawan 1991

Vabanque - 09. Apr '16
Vor geraumer Zeit hatte ich hier schon mal zwei Partien des FIDE-Exweltmeisters Alexander Khalifman präsentiert. Damals hatte ich irgendwie folgende schöne Partie übersehen, die Khalifman 1991 gegen den syrisch-amerikanischen GM Seirawan (der ja auch nicht gerade ein Nobody ist) spielte, und die vor allem wegen ihrer spektakulären Schlusskombination bemerkenswert ist.

Alexander Khalifman Yasser Seirawan Wijk aan Zee 51/138 Khalifman,A | Wijk aan Zee NED | 9 | 1991.01.29 | B15 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 c6 2. d4 d5 3. Sc3 xe4 4. Sxe4 Sf6 In dieser Variante nimmt Schwarz bewusst einen Doppelbauern in Kauf. Risikolosere (und auch häufiger gespielte) Fortsetzungen sind hier Lf5 und Sd7 (um Sf6 erst vorzubereiten). 5. Sxf6+ xf6 Das Schlagen mit dem g-Bauern wäre hier deutlich schärfer; Schwarz würde damit seine Bauernstruktur am K-Flügel zwar noch mehr schwächen, bekäme aber Chancen auf der halboffenen g-Linie (und hätte einen Bauern mehr im Zentrum). Mit der Textfortsetzung treibt Schwarz zwar seine Entwicklung voran, verschlechtert aber seine Endspielchancen. Das reine Bauernendspiel (also wenn man in Gedanken hier mal alle Figuren außer den Königen vom Brett entfernt) wäre für Weiß nämlich so gut wie gewonnen, da Weiß mit seiner Damenflügelmajorität einen Freibauern bilden könnte, die Majorität des Schwarzen am Königsflügel aber in dieser Hinsicht nutzlos wäre, da der Doppelbauer die Bildung eines Freibauern verunmöglicht. Schwarz muss seine Chancen also im Mittelspiel suchen und auf freies Figurenspiel setzen. 6. c3 Weiß kann nicht sofort Ld3 spielen, da dann der Bauer d4 hinge. Ld6 7. Ld3 O-O 8. Se2 Te8 9. O-O Dc7 10. Sg3 Wehrt nicht nur die Drohung Lxh2+ ab, sondern visiert für späteren Königsangriff auch f5 an. Le6 Wie sich bald zeigen wird, ist das kein sehr gutes Feld für den Läufer. 11. f4 Dieser Zug scheint den Lc1 noch weiter einzuschränken. Aber der Läufer hätte auf dieser Diagonalen sowieso kein gutes Feld. Weiß plant eine andere Aufstellung, nämlich Df3 und b3 mit anschließendem Lb2 und c3-c4. c5?! Kommt dem Weißen ziemlich entgegen. Aber Sd7 erschien Seirawan hier wohl zu passiv. 12. d5! Diesen Zug hat Schwarz wohl übersehen. Ld7
Traurig, aber Lxd5? kommt wegen 13. Dh5! mit Doppelangriff gegen d5 und h7 überhaupt nicht in Frage.
13. c4 Nun hat Weiß einen gedeckten Freibauern im Zentrum, der freilich momentan noch sehr gut blockiert ist. Wesentlicher ist daher der Umstand, dass Schwarz jetzt ziemlich beengt steht, während Weiß viel Raum zum Manövrieren hat. Sa6 Wo soll der auch sonst hin, obwohl er hier bestimmt nichts bewirkt. 14. Df3 Nun kann Weiß die sowieso geplante Aufstellung mit noch größerer Wirkung vollenden. Db6 Von Sb4 15. Lb1 nebst a3 hätte Schwarz nichts. Der Textzug soll das Feld c7 für den Springer räumen, damit dieser wieder zurück ins Leben geführt wird. 15. b3 Lf8 Besonders planvoll sieht das alles nicht aus, was Schwarz hier spielt, aber die schwarze Stellung spielt sich auch nicht gerade angenehm, während Weiß mit einfachen, ja scheinbar selbstverständlichen Zügen seine Stellung immer mehr verstärkt. 16. Lb2 Sc7 17. Lf5 So erreicht Weiß, dass sein Springer auf f5 landet. Lxf5 18. Sxf5 Ted8 Wahrscheinlich hätte Schwarz hier trotz der weiteren Schwächung der Bauernstellung am K-Flügel den Springer trotzdem sofort mit g6 nebst Lg7 vertreiben sollen. Mit dem Textzug plant er Se8-d6, um ohne Bauernzüge den Sf5 befragen zu können. Aber dieser Plan erweist sich als zu langsam; es kommt schnell zur Katastrophe. 19. Tae1 Se8 20. Dh5 Die Verderberin naht! Da5
Die Gabel g6 bringt natürlich nichts wegen Sh6+. Aber auch auf das geplante Sd6 muss Schwarz leider verzichten wegen 21. Sh6+! xh6 22. Dg4+ , und f6 ist ungedeckt, so dass auf Lg7
Kh8 23. Lxf6+ nebst Matt
23. Lxf6 verderblich ist (Se8 ist keine Deckung von g7 wegen Txe8+!). In der Partie kommt es aber ganz ähnlich.
21. Txe8! Nur muss hier zuerst noch der Verteidiger von f6 beseitigt werden. Txe8 22. Sh6+! xh6
Auf Kh8 spielt Weiß übrigens nicht Sxf7+, sondern 23. Dxf7! droht Matt auf g8, und Schlagen auf h6 ist nicht möglich wegen Lxf6+ Le7 oder Ld6, um g8 zu decken 24. Dg8+! Txg8 25. Sf7# mit ersticktem Matt, sicher eine Rarität in GM-Partien! So kommt es leider nicht aufs Brett. Schwarz hätte entweder das schöne Stickmatt zulassen oder gleich aufgeben sollen, denn nach dem Textzug kann jeder von uns die Partie zu Ende spielen.
23. Dg4+ Und Schwarz gab auf, denn nach 23...Bg7 (Kh8 25. Lxf6+) 24.Bxf6 kann 25.Qxg7# nicht verhindert werden. Und wer jetzt behauptet, das wäre doch alles recht einfach gewesen, der versuche doch einmal, so eine Partie selbst zu spielen, vor allem gegen einen renommierten GM.
PGN anzeigen[Event "Wijk aan Zee 51/138 Khalifman,A"]
[Site "Wijk aan Zee NED"]
[Date "1991.01.29"]
[EventDate "?"]
[Round "9"]
[Result "1-0"]
[White "Alexander Khalifman"]
[Black "Yasser Seirawan"]
[ECO "B15"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "44"]

1.e4 c6 2.d4 d5 3.Nc3 dxe4 4.Nxe4 Nf6 {In dieser Variante nimmt Schwarz

bewusst einen Doppelbauern in Kauf. Risikolosere (und auch häufiger

gespielte) Fortsetzungen sind hier Lf5 und Sd7 (um Sf6 erst

vorzubereiten).} 5.Nxf6+ exf6 {Das Schlagen mit dem g-Bauern wäre hier

deutlich schärfer; Schwarz würde damit seine Bauernstruktur am K-Flügel

zwar noch mehr schwächen, bekäme aber Chancen auf der halboffenen g-Linie

(und hätte einen Bauern mehr im Zentrum). Mit der Textfortsetzung treibt

Schwarz zwar seine Entwicklung voran, verschlechtert aber seine

Endspielchancen. Das reine Bauernendspiel (also wenn man in Gedanken hier

mal alle Figuren außer den Königen vom Brett entfernt) wäre für Weiß

nämlich so gut wie gewonnen, da Weiß mit seiner Damenflügelmajorität einen

Freibauern bilden könnte, die Majorität des Schwarzen am Königsflügel aber

in dieser Hinsicht nutzlos wäre, da der Doppelbauer die Bildung eines

Freibauern verunmöglicht. Schwarz muss seine Chancen also im Mittelspiel

suchen und auf freies Figurenspiel setzen.} 6.c3 {Weiß kann nicht sofort

Ld3 spielen, da dann der Bauer d4 hinge.} Bd6
7.Bd3 O-O 8.Ne2 Re8 9.O-O

Qc7 10.Ng3 {Wehrt nicht nur die Drohung Lxh2+ ab, sondern visiert für

späteren Königsangriff auch f5 an.} Be6 {Wie sich bald zeigen wird, ist

das kein sehr gutes Feld für den Läufer.} 11.f4 {Dieser Zug scheint den

Lc1 noch weiter einzuschränken. Aber der Läufer hätte auf dieser

Diagonalen sowieso kein gutes Feld. Weiß plant eine andere Aufstellung,

nämlich Df3 und b3 mit anschließendem Lb2 und c3-c4.} c5?! {Kommt dem

Weißen ziemlich entgegen. Aber Sd7 erschien Seirawan hier wohl zu passiv.}

12.d5! {Diesen Zug hat Schwarz wohl übersehen.} Bd7
({Traurig, aber}

12...Bxd5? {kommt wegen} 13.Qh5! {mit Doppelangriff gegen d5 und h7

überhaupt nicht in Frage.}) 13.c4 {Nun hat Weiß einen gedeckten Freibauern

im Zentrum, der freilich momentan noch sehr gut blockiert ist.

Wesentlicher ist daher der Umstand, dass Schwarz jetzt ziemlich beengt

steht, während Weiß viel Raum zum Manövrieren hat.} Na6 {Wo soll der auch

sonst hin, obwohl er hier bestimmt nichts bewirkt.} 14.Qf3 {Nun kann Weiß

die sowieso geplante Aufstellung mit noch größerer Wirkung vollenden.} Qb6

{Von Sb4 15. Lb1 nebst a3 hätte Schwarz nichts. Der Textzug soll das Feld

c7 für den Springer räumen, damit dieser wieder zurück ins Leben geführt

wird.} 15.b3 Bf8 {Besonders planvoll sieht das alles nicht aus, was

Schwarz hier spielt, aber die schwarze Stellung spielt sich auch nicht

gerade angenehm, während Weiß mit einfachen, ja scheinbar

selbstverständlichen Zügen seine Stellung immer mehr verstärkt.} 16.Bb2
Nc7 17.Bf5 {So erreicht Weiß, dass sein Springer auf f5 landet.} Bxf5

18.Nxf5 Red8 {Wahrscheinlich hätte Schwarz hier trotz der weiteren

Schwächung der Bauernstellung am K-Flügel den Springer trotzdem sofort mit

g6 nebst Lg7 vertreiben sollen. Mit dem Textzug plant er Se8-d6, um ohne

Bauernzüge den Sf5 befragen zu können. Aber dieser Plan erweist sich als

zu langsam; es kommt schnell zur Katastrophe.} 19.Rae1 Ne8 20.Qh5 {Die

Verderberin naht!} Qa5 ({Die Gabel g6 bringt natürlich nichts wegen Sh6+.

Aber auch auf das geplante} Nd6 {muss Schwarz leider verzichten wegen} 21.

Nh6+! gxh6 22. Qg4+ {, und f6 ist ungedeckt, so dass auf} Bg7 (Kh8 23.

Bxf6+ {nebst Matt}) 23. Bxf6 {verderblich ist (Se8 ist keine Deckung von

g7 wegen Txe8+!). In der Partie kommt es aber ganz ähnlich.}) 21.Rxe8
!

{Nur muss hier zuerst noch der Verteidiger von f6 beseitigt werden.} Rxe8

22.Nh6+! gxh6 ({Auf} 22...Kh8 {spielt Weiß übrigens nicht Sxf7+, sondern}

23.Qxf7! {droht Matt auf g8, und Schlagen auf h6 ist nicht möglich wegen

Lxf6+} Be7 {oder Ld6, um g8 zu decken} 24.Qg8+! Rxg8
25.Nf7# {mit

ersticktem Matt, sicher eine Rarität in GM-Partien! So kommt es leider

nicht aufs Brett. Schwarz hätte entweder das schöne Stickmatt zulassen

oder gleich aufgeben sollen, denn nach dem Textzug kann jeder von uns die

Partie zu Ende spielen.}) 23.Qg4+ {Und Schwarz gab auf, denn nach 23...Bg7

(Kh8 25. Lxf6+) 24.Bxf6 kann 25.Qxg7# nicht verhindert werden. Und wer

jetzt behauptet, das wäre doch alles recht einfach gewesen, der versuche

doch einmal, so eine Partie selbst zu spielen, vor allem gegen einen

renommierten GM.} 1-0

Hasenrat - 09. Apr '16
Gut u. lehrreich erklärt!
Vabanque - 09. Apr '16
Sehr freundlich von dir :)

Naja, wenn die Partie ziemlich kurz ist, kann man zu mehr Zügen etwas erklären bzw. einzelne Züge ausführlicher erklären, als bei einer langen Partie ...
Kellerdrache - 10. Apr '16
Ja, diese Partie könnte man mit den beiden Carlsen Partien in einer neuen Reihe zusammenfassen "Schach ist doch ganz einfach (I, II und III)". Scherz beiseite - solche Partien zeigen zum einen wie wichtig es ist Stellungen korrekt einzuschätzen und die entscheidenden Schwächen zu identifizieren.
Seirawan gelingt das hier überhaupt nicht. Einem GM von Kalifmans Klasse muß man schon bei jedem Schritt Steine in den Weg legen, denn kommt der Ball einmal ins Rollen wird schnell eine Lawine draus.
Vabanque - 10. Apr '16
Genau. Eigentlich schätze ich Seirawan als Spieler sehr, aber hier kommt er gar nicht erst auf die Beine. Irgendwie merkwürdig.
Khalifmans Stil gefällt mir sehr, viele seiner Partien verlaufen so, dass er zunächst mit Positionsspiel seine Stellung immer mehr verstärkt, bis sich dieses Stellungsübergewicht dann in einer eleganten Kombination entlädt. Das macht seine Partien lehrreich und schön zugleich.
Kellerdrache - 12. Apr '16
Allen die kommentierte Partien mögen seien die bei Youtube zu sehenden Videos empfohlen in denen z.B. Seirawan ausgwählte Partien humorvoll und aufschlussreich erklärt.