Kommentierte Spiele
Bemerkenswerte Endspiele (IV): Ftacnik-Geller 1977
Vabanque - 05. Jun '16
Im Alter von 20 Jahren gewann der slowakische heutige GM Lubomir Ftacnik dieses aufregende Endspiel gegen den sowjetischen Spitzenspieler Efim Geller. (Ein Jahr
vorher, nämlich 1976, hatte Ftacnik allerdings schon durch den 2. Platz bei der Junioren-Weltmeisterschaft von sich reden gemacht.) Da die Partie recht lang ist, und
die ersten 15 Züge (oder so) auch damals schon Bestandteil der königsindischen Theorie waren, wonach ein langes zähes Manövrieren und Lavieren folgt, werde ich diesmal tatsächlich nur das Endspiel kommentieren. Nach der Schließung der Stellung am Königsflügel verlagert sich der Kampf ganz auf den Damenflügel, wo Weiß eindeutige Vorteile besitzt. Der junge Meister spielt jedoch zu scharf auf Gewinn, und Geller kann mit einem Springeropfer (im Leichtfigurenendspiel!), das ihm zwei verbundene Freibauern verschafft, das Blatt wenden - zumindest hätte er es können, wenn er korrekt weitergespielt hätte. Nachdem er dies aber versäumt hat (woran man mal wieder sieht, wie schwierig Schach selbst für die besten Spieler ist!), bekommt Ftacnik wieder die Oberhand, und diesmal lässt er sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen: durch Rückopfer des Springers kann er schließlich in ein technisch gewonnenes Endspiel L gegen S abwickeln, das aber immer noch genaue Behandlung erfordert, damit Weiß letztlich noch einen einzigen Bauern behält, der ihm den Sieg sichert.
Ich muss dazu sagen: Das ist so ziemlich die komplizierteste Partie, die ich bisher kommentiert habe, auch wenn ich mich 'nur' auf das Endspiel beschränkt habe. Ich
hoffe, dass sich trotzdem so manch einer darauf einlassen wird. Noch nie habe ich so viele Stunden mit der Analyse und Kommentierung verbracht wie hier. Ihr müsst natürlich nicht alle Varianten auch nachspielen (und 'nach-denken'), die ich angebe. Sie sind diesmal etwas länger geraten, obwohl ich das selber auch nicht besonders liebe, aber ich habe mich wie immer auch um viele Worterklärungen bemüht. In Endspielen genügen diese halt meistens nicht, da muss präzise gerechnet werden. Die von mir gegebenen Varianten zum 52. bis 53. Zug von Schwarz (die übrigens nicht einmal einen Bruchteil der Möglichkeiten ausschöpfen) hat von beiden Spielern während der Partie auch keiner gesehen, sonst hätten beide anders gespielt ...































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vorher, nämlich 1976, hatte Ftacnik allerdings schon durch den 2. Platz bei der Junioren-Weltmeisterschaft von sich reden gemacht.) Da die Partie recht lang ist, und
die ersten 15 Züge (oder so) auch damals schon Bestandteil der königsindischen Theorie waren, wonach ein langes zähes Manövrieren und Lavieren folgt, werde ich diesmal tatsächlich nur das Endspiel kommentieren. Nach der Schließung der Stellung am Königsflügel verlagert sich der Kampf ganz auf den Damenflügel, wo Weiß eindeutige Vorteile besitzt. Der junge Meister spielt jedoch zu scharf auf Gewinn, und Geller kann mit einem Springeropfer (im Leichtfigurenendspiel!), das ihm zwei verbundene Freibauern verschafft, das Blatt wenden - zumindest hätte er es können, wenn er korrekt weitergespielt hätte. Nachdem er dies aber versäumt hat (woran man mal wieder sieht, wie schwierig Schach selbst für die besten Spieler ist!), bekommt Ftacnik wieder die Oberhand, und diesmal lässt er sich die Butter nicht mehr vom Brot nehmen: durch Rückopfer des Springers kann er schließlich in ein technisch gewonnenes Endspiel L gegen S abwickeln, das aber immer noch genaue Behandlung erfordert, damit Weiß letztlich noch einen einzigen Bauern behält, der ihm den Sieg sichert.
Ich muss dazu sagen: Das ist so ziemlich die komplizierteste Partie, die ich bisher kommentiert habe, auch wenn ich mich 'nur' auf das Endspiel beschränkt habe. Ich
hoffe, dass sich trotzdem so manch einer darauf einlassen wird. Noch nie habe ich so viele Stunden mit der Analyse und Kommentierung verbracht wie hier. Ihr müsst natürlich nicht alle Varianten auch nachspielen (und 'nach-denken'), die ich angebe. Sie sind diesmal etwas länger geraten, obwohl ich das selber auch nicht besonders liebe, aber ich habe mich wie immer auch um viele Worterklärungen bemüht. In Endspielen genügen diese halt meistens nicht, da muss präzise gerechnet werden. Die von mir gegebenen Varianten zum 52. bis 53. Zug von Schwarz (die übrigens nicht einmal einen Bruchteil der Möglichkeiten ausschöpfen) hat von beiden Spielern während der Partie auch keiner gesehen, sonst hätten beide anders gespielt ...
Lubomir Ftacnik Efim Geller Sochi | Sochi | 1977 | E98 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. c4 g6 2. d4 Lg7 3. Sc3 d6 4. e4 Sf6 5. Le2 O-O 6. Sf3 e5 7. O-O Sc6 8. d5 Se7 9. Se1 Sd7 10. Sd3 f5 11. Ld2 Sf6 12. f3 Kh8 13. Tc1 c5 14. g4 Ld7 15. Sf2 Seg8 16. Kh1 f4 17. b4 b6 18. Sb5 a6 19. Sa3 Se8 20. Tb1 Dh4 21. Le1 h5 22. Sd3 Df6 23. h3 xg4 24. xg4 Sh6 25. xc5 xc5 26. Tb6 Dd8 27. Tb2 Lf6 28. Kg2 Lh4 29. Th1 Lxe1 30. Dxe1 Kg7 31. Dh4 Dxh4 32. Txh4 Sf7 33. Th1 Sf6 34. Tb6 Tfb8 35. Thb1 Txb6 36. Txb6 Se8 37. Ld1 Sf6 38. Sb1 Se8 39. Sc3 Sf6 40. Sa4 Lxa4 41. Lxa4 Ta7 Wenn man sich das entstandene Endspiel betrachtet, stellt man fest, dass Weiß deutliche Positionsvorteile besitzt. Sein Turm steht deutlich aktiver als der gegnerische, die schwarzen Bauern auf d6 und a6 sind schwach. Weiß fasst nun den Plan, den Bauern a6 zu erobern. Dies ist auch forciert möglich. Schwarz hat allerdings eine starke Gegendrohung, die Weiß nicht genügend würdigt: ein Springeropfer auf f3, das zu zwei verbundenen Freibauern im Zentrum führt. 42. Sc1 Sh7 43. Lc6 Shg5 44. Tb7 Txb7 45. Lxb7 a5 46. a4 Der Bauer wird festgelegt und soll mit Sc1-b3xa5 abgeholt werden. Sxf3! 47. Kxf3 Sg5+ 48. Kg2 Kf6 49. Sb3 Sxe4 50. Sxa5 Sd2 51. Sc6? Beide Parteien verfolgen strikt ihre eigenen Pläne. Der Springerzug ist der einzige Zug, der dem soeben frei gewordenen a-Bauern den Weg nach oben (Romantitel) bahnen kann. Da dieser Zug aber bei korrektem Spiel von Schwarz forciert verloren hätte, wäre es sicher besser gewesen, den schwarzen Freibauern etwas mehr Ehre zu erweisen und sich mit 51. Kf2 e4 52. Ke2 in deren Nähe zu begeben. Ob das die Partie objektiv gehalten hätte, könnte nur eine sehr gründliche Analyse klären. e4 Schon droht er mit e3 schnell zu gewinnen, weil dann der weiße König nicht mehr rankäme und der f-Bauer auf einmal mit Siebenmeilenstiefeln ins Ziel einliefe (man prüfe dies nach!) 52. Kf2 Jetzt hat Weiß ein Tempo zu wenig, um die Freibauern aufzuhalten, wie die Variante zum nächsten Zug von Schwarz zeigen wird. Kg5?
Nun hätte Schwarz gewinnen können mit e3+ 53. Ke2 Sb3! mit der Drohung Sc1+ nebst e2, f3 (nach weißem erzwungenen Kf2) und Sd3+. Diese gelenkigen Springerbewegungen sind sehr instruktiv. Interessant auch, dass beide Spieler diese Möglichkeit übersehen haben! Weiß hätte dann noch 54. Kf3 Sc1 55. g5+ Kxg5 56. Se5!? versuchen können, aber nach Kf5! 57. Sg4 e2 58. Lc8+ Kg5 59. Kf2 f3 wäre das tödliche Sd3+ mit Bauernumwandlung auch nicht mehr zu verhindern gewesen.
53. a5 f3? Der erste Fehler hatte den Gewinn von Schwarz vergeben, der zweite Fehler vergibt auch noch das Remis! Geller konnte immer noch spielen: e3+ 54. Ke2 Sb3! das ist wohl der Zug, den beide Spieler immer noch nicht gesehen haben! Schwarz sah anscheinend nur, dass Kxg4 wegen Se5+! hier verlieren würde, und verzichtete deswegen fälschlich auf 53... e3+ 55. Se5! hier scheint dieser Zug aber Weiß zu retten Sxa5
54. Se7! Jetzt geht nicht Kf4 wegen Sxg6+ Sxc4 55. a6 Sb6 Soll den Bauern aufhalten. 56. Sc8 Der Wächter des Umwandlungsfeldes soll beseitigt werden. c4 57. Sxd6! Am genauesten. Nach Sxb6 zöge der schwarze c-Bauer im selben Zug ein wie der weiße a-Bauer, und trotz der 2 Mehrfiguren wäre ein einfacher Gewinn nicht in Sicht. Der Textzug plant die Rückgabe des Springers, um die Macht der zentralen verbundenen Freibauern von Schwarz zu brechen. Ftacnik hat nun alles bis zum Schluss ausgerechnet. Kf4 58. Sxe4! Kxe4 59. d6+ Ke5 60. Kxf3 Kxd6 61. a7 Ke5 Nun bereitet Geller seinem Gegner noch technische Schwierigkeiten, indem mit dem c-Bauern Ftacniks König ablenkt und auf den g-Bauern losgeht. Wenn es Weiß dann nicht gelingt, den g-Bauern zu behalten, kann er nämlich nicht gewinnen. 62. Ke3 c3 63. Lf3! aber ganz bestimmt nicht xe5 56. d6 Sxa5 57. Ld5 Kf6 58. g5+! und der weiße Bauer zieht ein. Nach Sxa5 hängt der weiße Se5 aber tatsächlich
56. Sf7+ Kxg4 ein Gewinnversuch wäre Kf6 57. Sxd6 Sb3 scheinbar gewinnt Schwarz mit demselben Manöver wie in der Variante zum 52. Zug von Schwarz 58. Se4 Sc1+ 59. Kf1 f3 60. Sxc5 der kleine Unterschied! Sd3+ ist nun verhindert Kg3 es droht tödlich e2+ nebst f2+ 61. Se4+ nun rettet die Gelenkigkeit des eigenen Springers Weiß Kf4 wieder droht e2+ nebst Sd3+. Wäre Weiß im 59. Zug nach e1 und nicht nach f1 gegangen, könnte Schwarz jetzt mit Kg2 gewinnen. 62. Sf2! xf2 63. Kxf2 Sd3+ 64. Kf1 Sc5 65. Lc6 Se4 Schwarz droht schon wieder in wenigen Zügen seinen Bauern umzuwandeln, z.B. mit Ke3, f2 und Sd2+. Es rettet ausschließlich: 66. d6! Sxd6 67. Kf2 Sxc4 68. Lxf3 und Remis. Dies ist natürlich nur eine von vielen spannenden Möglichkeiten, die die Stellung bietet. Um das Remis wirklich nachweisen zu können, müsste man noch zahlreiche Abzweigungen untersuchen. Wer hier nicht mehr durchblickt, möge dadurch getröstet sein, dass beide Spieler ja während der Partie auch nicht mehr durchgeblickt haben! Und keine Sorge: ab jetzt wird's wieder übersichtlicher.- Mit dem Textzug (f3) möchte Schwarz Kf4 nebst e3+ folgen lassen, aber dazu kommt er nicht. Nach 64. a8=Q?? Sxa8 65. Lxa8 c2 66. Kd2 Kf4 wäre es nämlich Remis, da Weiß den g-Bauern nicht mehr decken könnte. Er muss vielmehr so manövrieren, dass er den g-Bauern gedeckt hält, zunächst den c-Bauern erobert und dann mit seinem eigenen König zum a-Bauern läuft. Falls Schwarz dies mit seinem König verhindert, ist dieser irgendwann weit genug weg vom g-Bauern, so dass Weiß mit Hilfe seines Läufers umwandeln kann, ohne dass sein letzter Bauer fällt. Schauen wir uns das in der Praxis mal an.
c2 64. Kd2 Kf4 65. Le2 Sa8 66. Kxc2 Ke3 Schwarz nervt weiterhin. 67. La6 Der g-Bauer soll nun von c8 aus gedeckt werden. Sc7 Auch auf Sb6 wäre Lc8! möglich gewesen. 68. Lc8 Kf4 Am schwierigsten wäre der weiße Plan noch nach Kd4 zu realisieren gewesen. Das Prinzip wäre dann aber das gleiche geblieben, es hätte nur länger gedauert. Weiß hätte aber nach Kd4 69. Kd2 Ke4 nicht mit Kc3?? Sb5+ in die Springergabel laufen dürfen, sondern musste bescheidener mit 70. Kc2 Kd4 71. Kb3 fortsetzen.
69. Kd3 Schwarz gab auf. Der weiße König droht jetzt über c4, c5 und c6 oder b6 zu seinem a-Bauern zu laufen und diesem bei der Umwandlung behilflich zu sein, ohne das der Läufer die Deckung des g-Bauern aufgeben muss. Verhindert Schwarz diesen Plan, so wartet Weiß, bis der schwarze König weit genug von dem g-Bauern entfernt ist, um seinen a-Bauern dann mit Unterstützung des Läufers umzuwandeln, der dann immer noch rechtzeitig zur Bauerndeckung zurückeilen kann z.B. 69. Kd3 Ke5 70. Kc4 Kd6 71. Lb7 Der Moment ist gekommen, es droht wieder a8D. Ke5 Der schwarze König ist überlastet, wie viele von uns. Er kann nicht zugleich den weißen König vom weiteren Vordringen abhalten und immer nur einen Schritt vom weißen g-Bauern entfernt sein, um sich sofort auf ihn stürzen zu können. 72. Kc5 nebst Kc6. Trotz der beiderseitigen Fehler Schach auf höchstem Niveau, und spannend bis zum Schluss!
Kellerdrache - 06. Jun '16
Das ist ja mal wirklich anspruchsvoll. Beeindruckend wie stark die verbundenen Freibauern hier sind.Sie wiegen die Minusfigur mehr als auf. Gellers Fehler stellen dann alles auf de Kopf.
Jedenfalls hast du hier dein Publikum mal hart rangenommen.
Jedenfalls hast du hier dein Publikum mal hart rangenommen.
Vabanque - 06. Jun '16
ich gelobe besserung :-)
das nächste beispiel wird dann wieder ganz einfach ... es ist dann leichter zu kommentieren, und kommt auch besser an, wie man sieht und wie ich mir auch vorher gedacht habe ;-)
das nächste beispiel wird dann wieder ganz einfach ... es ist dann leichter zu kommentieren, und kommt auch besser an, wie man sieht und wie ich mir auch vorher gedacht habe ;-)
Kellerdrache - 06. Jun '16
Ich fand die Partie schon hochinteressant, gebe aber gerne zu, dass sie mich stellenweise ein wenig überfordert hat. Weniger die Züge an sich zu verstehen als vielmehr warum andere jetzt besser oder schlechter gewesen wären.
Aber vielleicht hatten die anderen Leser solche Probleme nicht und ich bin halt endspielmäßig zurück geblieben. Möglich wär es ;-))
Aber vielleicht hatten die anderen Leser solche Probleme nicht und ich bin halt endspielmäßig zurück geblieben. Möglich wär es ;-))
Vabanque - 06. Jun '16
ich denke, die meisten haben ähnliche probleme wie du, geben es aber nicht zu. das ist natürlich schade, denn dann weiß ich nicht, ob es nun wirklich besser ist, kein solches beispiel mehr zu bringen :-(
plebs - 06. Jun '16
Toolle artie, klasse Kommentierung