Kommentierte Spiele

Spektakuläre Schwarzsiege (V): Evdokimov-Wolokitin 2008

Vabanque - 23. Sep '16
Obwohl die Resonanz und das Interesse hier gegenwärtig gegen null zu tendieren scheint (kommt nach dem Sommerloch jetzt das Herbstloch, und danach das Winterloch?), bringe ich trotzdem jetzt noch die beiden letzten Folgen der Serie, da diese bereits fertig kommentiert sind.
Ich möchte aber - obwohl dieser Aufruf wohl wieder wenig bringen wird - diejenigen, denen meine Beiträge gefallen, hier ausdrücklich bitten, nicht bloß anonym Plus zu klicken, sondern sich auch mal zu äußern, ebenso wie ich die anonymen Minusgeber hiermit auffordere, sich zu outen, und deutlich zu sagen, was ihnen an meinen Beiträgen missfällt. Wenn niemand den Mund aufmacht, kann ich auch nichts verbessern.

Nun zum eigentlichen Artikel.

Die Ukraine scheint zu allen Zeiten begabte und kreative Spieler hervorgebracht zu haben. Zu ihnen gehört auch Andrej Wolokitin (geb. 1986), der die Super-GM-Marke von 2700 vor einigen Jahren schon weit überschritten hatte, jetzt aber wieder auf 2647 zurückgefallen ist. In der folgenden Kurzpartie kanzelt er aber den russischen GM Alexander Evdokimov mit den schwarzen Steinen in überzeugender Weise ab.

Alexander Evdokimov Andrei Volokitin Aeroflot Open | Moscow RUS | 5 | 2008.02.18 | A77 | 0:1
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6
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1
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1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 c5 4. d5 d6 5. Sc3 xd5 6. xd5 g6 Das so genannte 'Moderne Benoni' gibt Schwarz eine Bauernmehrheit am Damenflügel, Weiß dagegen ein Übergewicht im Zentrum. Wichtiger als diese strategischen Charakteristika sind aber vielen taktischen Möglichkeiten, die sich aus dieser Eröffnung ergeben, und die sie zu einer Lieblingswaffe von Spielern wie Tal und Kasparov hat werden lassen. 7. Sd2 Völlig normal in dieser Eröffnung; der edle Ritter soll seinen Sitz auf c4 einnehmen, wo er unter anderem gegen den schwachen Bauern d6 drückt und später ein eventuelles e4-e5 von Weiß unterstützt. Lg7 8. e4 O-O 9. Le2 Te8 10. O-O Sbd7 Klassisch wäre hier allerdings ein Aufbau mit Sa6-c7, a7-a6 und Ld7, um Gegenspiel mit b7-b5 zu erlangen. Weiß würde dies mit a4-a5 dann verhindern, wenn Schwarz nicht noch b7-b6 einschaltet. Wolokitin folgt einem anderen Plan, den ich nicht kenne, was aber nichts besagt, weil ich mich im Modernen Benoni wirklich kaum auskenne. Wer gegen mich Benoni spielt, hat schon halb gewonnen. (Glücklichweise weiß das kaum einer, deswegen bekomme ich auf 1. d4 so gut wie alles, nur kein Benoni.) 11. a4 Weiß folgt trotzdem dem üblichen Plan. Se5 Der kann hierhin, weil auf 12. f4 vorteilhaft Seg4 folgen könnte. 12. Dc2 Lg4 13. f3 Ld7 14. f4? Das ist auch hier nicht gut. Weiß sollte einfach Sc4 spielen, um den dominierenden Se5 zu tauschen und seinen Damenflügel zu entwickeln. Er hätte dann eine gute Stellung. So wie er spielt, kommt er überhaupt nicht mehr zur Entwicklung seines Damenflügels. Seg4 Droht Se3 mit Gabel. 15. Sc4? So hatte sich Weiß die Sache gedacht: die Drohung ist beseitigt, und der 'stark stehende' Springer greift d6 an. Aber es gibt eine taktische Widerlegung. Der einzige Versuch bestand in 15. Dd3. Sxe4! 16. Sxe4
16. Lxg4 Sxc3 17. Lxd7 Se2+
Ld4+ 17. Kh1
Nach 17. Sf2 Dh4 18. Lxg4 erzwungen! Lxg4 dränge der schwarze Turm entscheidend nach e2 ein.
Sxh2! So schnell kann alles aus sein! Nach Kxh2 käme Matt durch Dh4. Aber auch so droht Dh4 mit Vernichtung, so dass Weiß keine Zeit hat, den Tf1 zu retten. 18. Sg5 Hält die schwarze Dame von h4 ab. Sxf1 19. Lxf1 Das Materialverhältnis wäre mit zwei Leichtfiguren gegen Turm und 2 Bauern in etwa ausgeglichen; stellungsmäßig steht Schwarz aber klar auf Gewinn. Te1 Ein schlimmes Eindringen. Der Lf1 muss gedeckt werden. 20. Sd2
20. Dd3 scheitert sofort an Lf5 Aber nun ist die weiße Stellung total verknotet; kaum eine Figur kann ziehen.
Df8! Wenn die Dame nicht zum Haupteingang (h4) hereingelassen wird, kommt sie eben durch die Hintertür (h6). 21. Ta3
Nach 21. Sgf3 Dh6+ 22. Sh2 Le3! würde Weiß durch die beiden Drohungen Lxf4 und Lxd2 (entzieht dem Lf1 die Deckung, da der Sh2 ja gefesselt ist) verlieren.
Dh6+ 22. Th3
Nach 22. Sh3 käme Lxh3 23. Txh3 Dxf4 24. Dd3 deckt f1 Df2 droht Matt auf g1 25. Kh2 Dg1+ 26. Kg3 Te3+
Lxh3 23. Sxh3 Nun ist f4 gedeckt, aber die schwarze Dame findet trotzdem noch eine Tür. Dh5 Droht De2. Alle weißen Figuren sind hilflos gebunden. 24. Kh2 Dd1
Ein überraschender Damentausch am Schluss (mit einem lustigen geometrischen Stellungsbild noch dazu, wo schwarzer Turm und schwarze Dame die ehemaligen Plätze des weißen Herrscherpaares besetzen), aber dies ist wirklich der einfachste Weg zum Sieg. Weiß verliert jetzt mindestens noch eine Figur: Dd1 25. Dxd1 Txd1 und die einzige Deckung des Lc1 (durch Sb3) würde den Lf1 im Stich lassen. Eine sehr unterhaltsame Partie.
PGN anzeigen[Event "Aeroflot Open"]
[Site "Moscow RUS"]
[Date "2008.02.18"]
[EventDate "2008.02.14"]
[Round "5"]
[Result "0-1"]
[White "Alexander Evdokimov"]
[Black "Andrei Volokitin"]
[ECO "A77"]
[WhiteElo "2569"]
[BlackElo "2674"]
[PlyCount "48"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nf3 c5 4. d5 d6 5. Nc3 exd5 6. cxd5 g6 {Das so genannte 'Moderne Benoni' gibt Schwarz eine Bauernmehrheit am Damenflügel, Weiß dagegen ein Übergewicht im Zentrum. Wichtiger als diese strategischen Charakteristika sind aber vielen taktischen Möglichkeiten, die sich aus dieser Eröffnung ergeben, und die sie zu einer Lieblingswaffe von Spielern wie Tal und Kasparov hat werden lassen.} 7. Nd2 {Völlig normal in dieser Eröffnung; der edle Ritter soll seinen Sitz auf c4 einnehmen, wo er unter anderem gegen den schwachen Bauern d6 drückt und später ein eventuelles e4-e5 von Weiß unterstützt.} Bg7 8. e4
O-O 9. Be2 Re8 10. O-O Nbd7 {Klassisch wäre hier allerdings ein Aufbau mit Sa6-c7, a7-a6 und Ld7, um Gegenspiel mit b7-b5 zu erlangen. Weiß würde dies mit a4-a5 dann verhindern, wenn Schwarz nicht noch b7-b6 einschaltet. Wolokitin folgt einem anderen Plan, den ich nicht kenne, was aber nichts besagt, weil ich mich im Modernen Benoni wirklich kaum auskenne. Wer gegen mich Benoni spielt, hat schon halb gewonnen. (Glücklichweise weiß das kaum einer, deswegen bekomme ich auf 1. d4 so gut wie alles, nur kein Benoni.)} 11. a4 {Weiß folgt trotzdem dem üblichen Plan.} Ne5 {Der kann hierhin, weil auf 12. f4 vorteilhaft Seg4 folgen könnte.} 12. Qc2 Bg4 13. f3 Bd7 14. f4? {Das ist auch hier nicht gut. Weiß sollte einfach Sc4 spielen, um den dominierenden Se5 zu tauschen und seinen Damenflügel zu entwickeln. Er hätte dann eine gute Stellung. So wie er spielt, kommt er überhaupt nicht mehr zur Entwicklung seines Damenflügels.} Neg4 {Droht Se3 mit Gabel.} 15.
Nc4? {So hatte sich Weiß die Sache gedacht: die Drohung ist beseitigt, und der 'stark stehende' Springer greift d6 an. Aber es gibt eine taktische Widerlegung. Der einzige Versuch bestand in 15. Dd3.} Nxe4! 16. Nxe4 (16. Bxg4 Nxc3 17. Bxd7 Nxe2+) Bd4+ 17. Kh1 ({Nach} 17. Nf2 Qh4 18. Bxg4 {erzwungen!} Bxg4 {dränge der schwarze Turm entscheidend nach e2 ein.}) 17... Nxh2! {So schnell kann alles aus sein! Nach Kxh2 käme Matt durch Dh4. Aber auch so droht Dh4 mit Vernichtung, so dass Weiß keine Zeit hat, den Tf1 zu retten.} 18. Ng5 {Hält die schwarze Dame von h4 ab.}
Nxf1 19. Bxf1 {Das Materialverhältnis wäre mit zwei Leichtfiguren gegen Turm und 2 Bauern in etwa ausgeglichen; stellungsmäßig steht Schwarz aber klar auf Gewinn.} Re1 {Ein schlimmes Eindringen. Der Lf1 muss gedeckt werden.} 20. Nd2 (20. Qd3 {scheitert sofort an} Bf5 {Aber nun ist die weiße Stellung total verknotet; kaum eine Figur kann ziehen.}) 20... Qf8! {Wenn die Dame nicht zum Haupteingang (h4) hereingelassen wird, kommt sie eben durch die Hintertür (h6).} 21. Ra3 ({Nach} 21. Ngf3 Qh6+ 22. Nh2 Be3! {würde Weiß durch die beiden Drohungen Lxf4 und Lxd2 (entzieht dem Lf1 die Deckung, da der Sh2 ja gefesselt ist) verlieren.}) Qh6+ 22. Rh3 ({Nach} 22. Nh3 {käme}
Bxh3 23. Rxh3 Qxf4 24. Qd3 {deckt f1} Qf2 {droht Matt auf g1} 25. Kh2 Qg1+ 26. Kg3 Re3+) 22... Bxh3 23. Nxh3 {Nun ist f4 gedeckt, aber die schwarze Dame findet trotzdem noch eine Tür.}
Qh5 {Droht De2. Alle weißen Figuren sind hilflos gebunden.} 24. Kh2 Qd1 ({Ein überraschender Damentausch am Schluss (mit einem lustigen geometrischen Stellungsbild noch dazu, wo schwarzer Turm und schwarze Dame die ehemaligen Plätze des weißen Herrscherpaares besetzen), aber dies ist wirklich der einfachste Weg zum Sieg. Weiß verliert jetzt mindestens noch eine Figur:} 24... Qd1 25. Qxd1 Rxd1 {und die einzige Deckung des Lc1 (durch Sb3) würde den Lf1 im Stich lassen. Eine sehr unterhaltsame Partie.}) 0-1
pirc_ - 23. Sep '16
Wegen solcher Stellungen hat man die Eröffnung wohl Ben-Oni genannt....übersetzt: Sohn des Kummers ;-)
Vabanque - 24. Sep '16
Aber den Kummer hat hier doch Weiß ;)
pirc_ - 24. Sep '16
naja sie bereitet dem Gegner kummer dachte ich :-)
Hasenrat - 24. Sep '16
Wenn ich schon so lieb gebeten werde, nicht nur zu plussen sondern auch zu statementen (;-)) ...:
Weiter so, SF Vabanque (und auch SFF Kellerdrache und pirc_ & friends), nicht nachlassen, nichts verändern!
(Ich selbst komme nicht mehr hinterher, alles nachzuspielen, so hoch ist euer Output. Aber ich freue mich, dass ich jederzeit bei Bedarf und Muße etwas auswählen kann, je nach Eröffnung, Thema oder Spieler - dank auch der hochlöblichen Indizierungsarbeit von SF Colorado).
Zu Sache kann ich wie gewöhnlich wenig Erhellendes beitragen.
pirc_ - 24. Sep '16
die erfahrungen der letzten jahre zeigt mir, dass du, SF Hasenrat, zu fast jeder sache erhellendes beitragen kannst (KEINE IRONIE) ;-)
Kellerdrache - 24. Sep '16
Es schein Benoni fordert von seinen Anhängern schon ein gehöriges Maß an Leidensfähigkeit. Für Großmeister sind die Stellungen allzuoft auf Messers Schneide - kleine Fehler können zu komplett unspielbaren Positionen führen. Für Amateure dagegen sind die Stellungen oft viel zu kompliziert. Da ist es schön wenn man ab und zu mal so etwas wie diese Partie zu sehen bekommt, dass einen wieder aufrichtet. Wirklich beeindruckend wie Schwarz sozusagen direkt von der Eröffnung in den Königsangriff übergeht.
Nur ganz nebenbei: Ich möchte auch mal gerne auf 2647 zurückfallen. Würde auch nicht jammern. Versprochen !!
Colorado77 - 25. Sep '16
Schöne Partie!
Benoni ist wirklich höllisch kompliziert, oft reicht ein falscher Tritt (Minifehler) und das ganze geht nach hinten los.
Die weisse Hauptidee f4 versagte hier völlig. Der Hauptzug ist in diesen Varianten oft g6-g5!?, alleine dieser Zug zeigt schon, dass man seine Hausaufgaben kennen muss als Schwarzer.
Wolokitin spielt hier die Nebenlinie Lg4, um das Feld xe3 in Besitz zu kriegen.
Interessant und vlt. besser als Dc2 sind Ta3 oder h3 an der Stelle.
Th3 mit dem Gedanken den Turm zum Königsflügel zu transferieren (Prophylaxe für weisses h3 und schwarzes g5-g4 nebst Abtauschen auf dem Feld xg4).
h3 erklärt sich nach dieser Partie nun von selbst.
Der schwarze Plan mit Sbd7 ist sowas wie eine moderne Form: Nicht a6/Tb8/Sc7/Ld7 und b5 ist das Ziel sondern wie hier ein Königsangriff oder häufiger das Angreifen des Zentrums mit f7-f5.
Dabei geschehen viele Springerzüge, der Sb8 taucht auf e5 auf und der Sg8 nimmt oft die Route f6-e8-c7 oder f6-d7.
Aufpassen muss Schwarz dabei immer, dass er nicht mit f4 und e5 zerquetscht wird.
Wer Lust auf diese Eröffnung hat:
qualitychess.co.uk/products/1/186/grandmaster_repertoire_12_-_..
--> Bestes Buch derzeit!

Lob an Vabanque für dieses kleine Juwel.
Vabanque - 25. Sep '16
Wie gesagt, ich kenne mich in Benoni nicht aus, und kannte daher diesen modernen Plan mit Schwarz nicht.