Kommentierte Spiele

Glanzpartien unbekannter Spieler (VIII)

Vabanque - 25. Mär '14
Der 1947 geborene Tscheche Jiri Lechtynsky ist
außerhalb seines Heimatlandes nie bekannt geworden. Im
Jahre 1982 erhielt er den Großmeistertitel, und ein
Jahr zuvor spielte er die folgende sehenswerte
Opferpartie gegen einen bulgarischen IM, die reich an
glänzenden und originellen Wendungen ist.
Vor allem Züge wie den 22., 23. und 29. Zug von Weiß
sieht man nicht alle Tage.

PGN anzeigen[Event "Pamporovo"]
[Site "Pamporovo"]
[Date

"1981.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "2"]
[Result "1-0"]
[White "Jiri Lechtynsky"]
[Black "Nikolai Radev"]
[ECO

"D91"]


1. Nf3

Nf6 2. d4 g6 3. c4 Bg7 4. Nc3 d5 5. Bg5 {Diese

seltenere Behandlungsweise der Grünfeld-indischen

Verteidigung ist für Schwarz keineswegs ungefährlich.}

Ne4 6. cxd5!? Nxg5 {Damit verschafft sich Schwarz zwar

das Läuferpaar, das löst aber nicht unbedingt seine

Eröffnungsprobleme.} 7. Nxg5 e6 {Greift den Sg5 und den

Bauern d5 an.} 8.
Qd2!? exd5 9. Qe3+ {Zwingt Schwarz, die Rochade

aufzugeben, da er sonst einen Bauern verliert. Aber

Schwarz kann später 'künstlich' rochieren.} Kf8 10. Qf4

{Droht 'Kindermatt' auf f7. Der Zug geschieht natürlich

hauptsächlich, um die Dame in eine bessere Position zu

bringen; auf e3 hatte sie ja den e-Bauern verstellt.}

Bf6 {Schwarz deckt und befragt gleichzeitig den Sg5.}

11. h4 {Freiwillig geht der Springer nicht heim. Nach

dem Tausch auf g5 würde sich jetzt die Linie für den

weißen Turm öffnen.} h6 12. Nf3 c6 {Schwarz sollte mit

Kg7 die schon erwähnte künstliche Rochade durchführen.

Er stünde dann völlig zufrieden stellend. Der Textzug

ist eigentlich ein Zeitverlust und ermuntert Weiß,

scharf in der Mitte vorzugehen.} 13. e4!? Be6 {Schwarz

versucht das Spiel geschlossen zu halten.} 14. e5 Be7

15.
Bd3 Kg7 16. Ne2 {Der Springer soll am Königsflügel am

Angriff mitwirken. Auf Da5+ oder Lb4+ ist Weiß bereit,

mit Kf1 auf die Rochade zu verzichten. Sein König

stünde dort dann absolut sicher, und Schwarz hätte mit

der Entfernung einer Verteidigungsfigur vom

Königsflügel nur Zeit verloren. Weiß würde dann ähnlich

wie in der Partie mit Dg3 und Sf4 weiter angreifen.}

Nd7 17. Qg3 {Nun möchte Weiß mit Sf4 fortsetzen, wonach

schon Opferwendungen auf g6 drohen und auch

gelegentlich Sh5+ gespielt werden könnte.} h5 {Mit

diesem Zug sichert Schwarz seinem Läufer das spätere

Feld g4.} 18. O-O-O Rc8 {Schwarz macht eine 'Andeutung'

in Richtung des weißen Königs.} 19. Kb1 Nf8 {Schwarz

sichert sich gegen die erwähnten Opferwendungen auf g6

schon im Voraus ab. 'Konsequent' (nach Tc8) wäre

eigentlich c5, aber das ließe den Bauern d5 nach 20.

Sf4 Sf8 21. dxc5 hoffnungslos schwach zurück.} 20. Nf4

Bg4 21. Rde1 {Da jetzt Weiß schon mit e5-e6 (nebst Se5)

liebäugelt, entschließt sich Schwarz, diesen Bauern zu

blockieren. Dabei hat er bestimmt nicht mit dem

folgenden Feuerwerk gerechnet.}
Ne6 {Schwarz scheint jetzt eine sehr feste Stellung

eingenommen zu haben.} 22. Bxg6!! {Sehr hübsch und

überraschend! Die Idee besteht in der 'Entwurzelung'

des Se6 nach 22... fxg6 (die Deckung des Se6 durch den

f-Bauern ist jetzt weg) 23. Dxg4!! (beseitigt auch noch

die Deckung des Se6 durch den Lg4) hxg4 24. Sxe6+,

wonach Weiß durch die Springergabel die Dame

zurückgewinnt und aus der gesamten Abwicklung letztlich

mit einem Mehrbauern hervorgeht. Eine Wendung abseits

jeder Schablone! Aber das ist noch längst nicht alles.

Kann Schwarz denn jetzt nicht durch den Zwischentausch

auf f4 das weiße Figurenopfer widerlegen?} Nxf4 {Diese

Möglichkeit musste Weiß bei 22. Lxg6 natürlich

vorausgesehen und in seine Berechungen einbezogen

haben.} 23. Bxh5!! {Weiß verliert nun wirklich eine

Figur, aber unter günstigen Umständen. Aus dem

Scheinopfer wurde ein echtes Opfer. Die ganze Wendung

ist überaus originell.} Nxh5 24. Qxg4+ Kf8 {Engines

empfehlen hier Kh6 als besser (mit allerdings immer

noch Vorteil für Weiß), aber welcher normale

menschliche Spieler wird seinen König in solch eine

eingeklemmte Lage stellen?} 25. e6 f6 {Schwarz versucht

weiterhin, Linienöffnungen zu vermeiden. Aber nun

bildet der Bauer e6 wieder mal einen 'Pfahl im

Fleisch'.} 26. Rh3 {Wohin will denn dieser Turm? Mit

diesem mysteriösen Turmzug verbindet Weiß die nächste

hübsche Opferidee. Er hat nämlich noch nicht genug

geopfert! [Trotzdem war 26. Sg5! (Houdini) stärker, ein

Opfer, das Schwarz nicht annehmen dürfte wegen fxg5 27.

Df5+ Lf6 28. e7+]} Qe8 {Die schwarze Verteidigung ist

unkoordiniert. Schwarz möchte wenigstens Tg8 spielen

können und muss dazu vorher den Sh5 decken.} 27. Ne5!!

{Sehr schön! Die Drohungen Sd7+ und Sg6+ zwingen

Schwarz zum Nehmen. Auf Tg8 käme trotzdem 28. Sd7+,

weil nach Dxd7 29. exd7 Schwarz gar nicht die weiße

Dame auf g4 schlagen könnte wegen 30. d7xc8+ mit

Umwandlung in eine neue Dame.} fxe5 28. Rf3+ {Jetzt

wird die Absicht von 26. Th3 offenbar.} Nf6 {Nach Lf6

29. dxe5 käme es ganz schlimm für Schwarz, z.B. wäre

nach 29... Tg8 die hübsche Wendung 30. e7+!! möglich

(30... Dxe7 31. Dxc8+ bzw. 30... Kxe7 32. exf6++ oder

30... Kf7 31. Dxh5+). Mit dem Textzug hätte Schwarz

aber eine reelle Verteidigungschance gehabt, wenn er

anschließend richtig fortgesetzt hätte.} 29. dxe5 {Eine

der beiden geopferten Figuren erhält Weiß nun natürlich

sofort zurück, und seine Bauernmacht ist dann

grandios.} Rg8?! {Trotzdem scheint sich Schwarz mit

Dh5! (Houdini) noch halten zu können.} 30. Qf4 Rxg2?

{Dieser Zug verliert. Die letzte Chance bestand in dem

doch eigentlich nicht allzu fern liegenden 30... Dg6+

31. Ka1 Dg4 32.
exf6 Dxf4 33. fxe7+ Kxe7 34. Txf4 Tcf8 35. Txf8 Txf8

36. f3, und in diesem Turmendspiel kann Schwarz (im

Gegensatz zu dem, das in der Partie entstehen wird)

noch ernsthafte Rettungsversuche unternehmen. Weiß hat

zwar momentan zwei Mehrbauern (und vier verbundene

Freibauern), aber sie neigen zur Schwäche, können

fortwährend angegriffen werden und kommen nur schwer

(wenn überhaupt) vorwärts.} 31. Qh6+! {Die Kraft dieses

Zuges hat Schwarz sicher unterschätzt, sonst hätte er

kaum auf g2 so herzhaft zugegriffen. Jetzt scheitert

nämlich Tg7 an 32. Dh8+! Tg8 33. Txf6+! Lxf6 34. Dxf6+

nebst Matt.} Kg8 32. exf6 {Stellungen mit zwei

verbundenen Freibauern auf der 6. Reihe, vor allem im

Mittelspiel, erwecken in mir immer euphorische Gefühle

- selbst wenn es gar nicht meine eigene Partie ist. Es

droht tödlich f7+, und das Rückopfer Lxf6 schwächt den

weißen Angriff kaum ab. Daher bleibt Schwarz nur der

Übergang ins Endspiel, das aber nun klar verloren ist.}

Qg6+ 33. Qxg6+
Rxg6 34. fxe7 Re8 35. h5! Rg7 {Nach Th6 36. Tg1+ Kh7

37. Tf7+ Kh8 38. Tf8+ ist es aus, ebenso nach 35... Tg5

36. Tf7! Tg7 (Txh5 37. Tg1+ nebst Tf8+) 37. h6! Txf7

38. Tg1+.} 36. Rf6 Rexe7 37. f4 {Der e-Bauer erhält

Unterstützung.} d4 {Schwarz spielt seinen letzten

Trumpf, den freien d-Bauern aus. Aber es ist längst 5

nach 12.}38. h6 Rg2 39. f5 d3 40.
Rg6+! Rxg6 41. fxg6 {Und wieder haben sich zwei

verbundene Freibauern auf der 6. Reihe gebildet!} d2

42. Rh1 {Schwarz kann jetzt nicht auf e6 schlagen wegen

43. h7+ Kh8 44. g7+. Die Kraft der Bauern ist

ungeheuer.} Kh8 43. Rf1 {Mit direkter Mattdrohung.} Kg8

44. Kc2 {Nun bewacht der König den vorwitzigen

schwarzen Bauern, so dass der weiße Turm für Aktionen

jeglicher Art frei ist. Schwarz hatte nun genug von

diesem Trauerspiel und gab auf. Ein möglicher

Partieschluss wäre Txe6 45. h7+ Kg7 46. Tf8! Kxf8 47.

h8=D+. Die mit dem 22. Zug eingeleiteten Opferwendungen

geben der Partie ein ganz eigenes Gepräge.} 1-0
Error:
Expected "*", ".", "0-1", "0:1", "1-0", "1/2-1/2", "1:0", "O-O", "O-O-O", "x", "{", [ \t\r\n], [RNBQK], [a-h], end of input or integer but "}" found.
elutz1 - 28. Mär '14
Hallo Vabanque,
diese Partie war für mich mit am Interessantesten.
Gegen Grünfeld-Indisch tue ich mich als Weißspiler sonst immer sehr schwer und hatte bisher häufig das Russchische System dagegen gespielt.
Im Schnellschach hatte ich die Variante mit Lg5 dreimal getestet und ich bin recht zufrieden mit meinem Score. Das zeigt mir mal wieder, dass ich sonst etwas zu theoriegläubig bin. Lg5 wird in meinen Eröffnungsbüchern nur sehr unzureichend behandelt. Das hat mir echt weitergeholfen.
CALIDA - 28. Mär '14
@elutz1

.....wobei ich persönlich L f4 anstatt L g5 vorziehen würde, da du dadurch e5 deines Gegners vermeidest und dadurch mehr Tempo am Angriff erzeugen kannst......

....probiere es einmal aus.

LG
CALIDA
Vabanque - 29. Mär '14
Hallo elutz,

was du schreibst, ist ganz typisch. Auch ich tue mich (in vielen Eröffnungen) mit den 'unüblichen', von der Theorie als 'ferner liefen' abgetanen Antworten meist viel schwerer als mit den Hauptvarianten.
Ich hatte mich lange gefragt, woran das wohl liegt. Sind die von der Theorie wenig berücksichtigten Systeme in Wirklichkeit stärker als die Hauptvarianten? Wohl kaum. Aber ihr Geheimnis ist, dass sie zu völlig andersartigen Stellungsbildern führen.
Wenn man Grünfeld-Indisch spielt (und ich selber bin auch Grünfeld-Indisch-Spieler!), dann strebt man eine bestimmte Art von Stellungen an, die man gerne auf dem Brett haben will, weil man sie gerne spielt, und weil man die Pläne, die in diesen Stellungen angebracht sind, kennt.
Spielt dann jemand so etwas wie Lg5, und lässt sich zu allem Überfluss auf Se4 auch noch den schwarzfeldrigen Läufer tauschen, dann kommen völlig andersartige Stellungsbilder aufs Brett, auf die der Weißspieler vorbereitet ist, der Schwarzspieler jedoch nicht. Einem typischen Grünfeld-Inder ähnelt das dann auch praktisch gar nicht mehr.
Objektiv besser als die Hauptvariante ist diese Spielweise ganz bestimmt nicht, denn wenn Schwarz genau spielt, bekommt er Ausgleich. Aber wie diese Partie zeigt, ist es in dieser Variante nicht so leicht, genau zu spielen.