Kommentierte Spiele
Angriffsschach (II): Bogoljubov - Réti 1921
Vabanque - 20. Jan '17
Die Protagonisten dieser Partie werden den meisten Schachfreunden geläufig sein, nicht zuletzt auch durch die von ihnen kreierten Eröffnungssysteme. Im Gesamtvergleich zog Richard Réti zwar gegen Efim Bogoljubov mit 7:15 bei 4 Remisen deutlich den Kürzeren; dennoch hat die Nachwelt Réti - nicht nur wegen seines plötzlichen frühen Todes an Scharlach im Alter von 40 Jahren - mit den größeren Lorbeeren umkränzt. Er war nicht nur Komponist vieler auch heute noch berühmter Endspielaufgaben (Studien), nicht nur der Schöpfer des nach ihm benannten Eröffnungssystems mit weiß, sondern auch ein sehr origineller und kreativer Spieler, der zwar mit der absoluten Weltspitze meist nicht ganz mithalten konnte, dessen Partien häufig aber auf den Nachspielenden (nun, damit meine ich jetzt mal mich) einen sehr ästhetischen, 'abgerundeten' Eindruck machen.
Réti wird vielfach als Positions- und Endspieler gesehen; aber ziemlich viele seiner Partien zeigen auf, dass er auch im Angriff sehr stark war. In seiner Frühphase spielte er häufig sogar unter riskanten Materialopfern direkt auf Angriff; in seiner reifen Phase (aus der die folgende Partie stammt), blies er erst dann zum Angriff, wenn die Position bereits dazu einlud. Das ist hier, nachdem Bogoljubov glaubte, seinen König ohne Strafzettel in der Mitte parken zu können, der Fall gewesen. Réti entfesselte darauf hin - wie man sehen wird - einen Wirbelwind, der als Vorbild des Angriffs gegen den unrochierten König gelten kann und daher großen Lehrwert besitzt.
(Ende Oberlehrermodus ;) )































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Réti wird vielfach als Positions- und Endspieler gesehen; aber ziemlich viele seiner Partien zeigen auf, dass er auch im Angriff sehr stark war. In seiner Frühphase spielte er häufig sogar unter riskanten Materialopfern direkt auf Angriff; in seiner reifen Phase (aus der die folgende Partie stammt), blies er erst dann zum Angriff, wenn die Position bereits dazu einlud. Das ist hier, nachdem Bogoljubov glaubte, seinen König ohne Strafzettel in der Mitte parken zu können, der Fall gewesen. Réti entfesselte darauf hin - wie man sehen wird - einen Wirbelwind, der als Vorbild des Angriffs gegen den unrochierten König gelten kann und daher großen Lehrwert besitzt.
(Ende Oberlehrermodus ;) )
Efim Bogoljubov Richard Reti Kiel GER | Kiel GER | 12 | 1921 | C12 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Lb4 Die scharfe und interessante Mac-Cutcheon-Variante, die im Laufe der Zeit wechselnden Beurteilungen ausgesetzt war. Widerlegt konnte sie nie werden, obwohl Schwarz in manchen kritischen Abspielen kein leichtes Leben hat. 5. e5 h6 6. Ld2 Hier wurde schon jeder plausible Zug ausprobiert: Lh4, exf6, Lxf6, Le3, Lc1. Der Textzug ist aber damals wie heute am gebräuchlichsten und wohl auch am stärksten. Lxc3 7. Lxc3?! Damals wie heute war hier 7. bxc3 der Standard. Der Doppelbauer stärkt das weiße Zentrum, während - und das ist der entscheidende Unterschied zur Textvariante - der dunkelfarbige Läufer auf der Diagonalen c1-h6 bleibt. Se4 8. Lb4 Als Kuriosität am Rande sei vermerkt, dass Fischer hier 1962 gegen Petrosjan das exzentrische La5?! versuchte - und verlor. c5! 9. Lxc5 Sxc5 10. xc5 Da5+ Nun verflacht das Spiel zusehends. Man kann sich kaum vorstellen, dass dies eine Angriffspartie werden soll. 11. c3 Dxc5 12. Dd4 Vielleicht hatte Bogoljubov auf ein besseres Endspiel nach dem Damentausch gehofft, gestützt auf den weißen Raumvorteil und den typischen schlechten weißfeldrigen Läufer bei Schwarz im Französischen. Allerdings hätte Weiß dafür einen rückständigen Bauern d4 gehabt, und angesichts der beiderseits offenen c-Linie, auf der sich die Schwerfiguren irgendwann getauscht hätten, wäre die Remistendenz groß gewesen. Dc7 13. Sf3 Sc6 14. Lb5 Bogoljubov spielt ehrgeizig auf Vorteil in einer Stellung, die dies nicht hergibt. Er folgt einem verfehlten Plan. O-O 15. Lxc6?! Der Tausch stärkt natürlich das schwarze Zentrum, aber Bogo möchte mit seinem nächsten Zug die schwarzen Bauern eindämmen und hofft auf ein Spiel gegen die (durch den Tausch des schwarzfeldrigen Läufers) geschwächten dunklen Felder. xc6 16. b4?! La6! Nun kann Weiß nicht rochieren. Ich nehme mal an, dass Bogo diese Möglichkeit bei seinem 15. Zug nicht übersehen hat. Er glaubte wohl (in seinem typischen Optimismus), sein König stehe bei dem blockierten Zentrum in der Mitte sicher. Dies ist aber ein fundamentaler Beurteilungsfehler, wie Réti nachweist. 17. Kd2 Um die Türme zu verbinden. Tac8 Schon droht Réti mit c6-c5 das Zentrum aufzubrechen. 18. Dc5 Daher wird dieser Vorstoß mechanisch unterbunden. Jetzt aber erzwingt Schwarz die Linienöffnung auf der anderen Seite. f6! 19. The1 xe5 20. Sxe5 Tf5 21. De3 Natürlich muss Weiß den Stützpunkt e5 unter allen Umständen halten. Auf den Rückzug Sf3 könnte Schwarz bereits e5 (mit der weiteren Drohung e4 nebst Df4+) spielen. c5 Und dadurch musste Weiß dies nun doch zulassen. 22. Tac1 xb4 23. xb4 Nun sieht es eigentlich so aus, wie wenn es auf der offenen c-Linie zum Turmtausch käme, wonach die schwarze Initiative verpufft. d4!! Der schönste Zug der Partie. Nur so gelingt es Réti, den Angriff am Laufen zu halten und den schwarzen König in der Mitte zur Strecke zu bringen. Schlägt Weiß nun die schwarze Dame, so verliert er einen Turm, da dxe3+ mit Schach erfolgt. 24. Dg3 Dd6
Engines sagen, das hier Db7 , was ebenfalls b4 angreift, stärker gewesen wäre, und dass nach dem Textzug Weiß Rettungschancen bekommen hätte, wenn er sie genutzt hätte.
25. Txc8+ Lxc8 Im Fall von Db7 hätte Schwarz nämlich jetzt mit der Dame zurücknehmen können. 26. Sd3 Laut meinem elektronischen Freund hätte es Schwarz nach 26. a3 nicht leicht gehabt, durchzudringen. Aber hier zeigt sich wieder mal der fundamentale Unterschied zwischen menschlichem und Engine-Schach. Kaum ein menschlicher Spieler, auch auf noch so hohem Niveau, wird so eine Stellung halten, auch wenn dies 'objektiv', also nach 30-zügiger Engine-Berechnung, möglich sein sollte. Daher kann man weder Réti den Vorwurf machen, statt 24... Db7 einen schwächeren Zug gespielt zu haben, noch Bogo, 26. a3 nicht 'gefunden' zu haben.
Dd5 Nach dieser machtvollen Zentralisierung der Dame dürfte Weiß verloren sein. 27. Tc1 La6! 28. Sc5 d3! Réti bietet den Bauern erneut an, um weitere Linien und Diagonalen gegen den weißen König zu öffnen bzw. jetzt auch erneut Dxa2+ nebst Matt auf e2 zu drohen 29. Sb3 ebenso wie 29. Sxa6 Dxa2+ 30. Kxd3 Td5+ wonach der weiße König im Kreuzfeuer der schwarzen Schwerfiguren umkommt. - In der ersten Variante (29. Sxd3) finden Engines allerdings die Feinheit 30. Tc8+ Kh7 und dann erst 31. Dxd3 Dxa2+ 32. Tc2, weil dann der schwarze Turm auf f5 gefesselt ist und nicht auf f2 nehmen kann. Schwarz spielt aber Dxg2 und gewinnt auf die Dauer ebenfalls, wenn auch nicht so flott. Ich bin ziemlich sicher, dass diese Feinheit beiden Spielern während der Partie wie auch in der anschließenden Analyse entgangen ist.
De4 Die Drohungen De2+ und Dxb4+ veranlassen Weiß zu einem letzten verzweifelten Ausfall. 30. Db8+ Tf8 31. Dxa7 De2+ 32. Kc3 d2! Das Pikante an der Partie ist, dass dieser Bauer sich nun schon zum dritten Mal zum Opfer anbietet und dabei erneut verschmäht werden muss, so dass er immer weiter vordringt und am Ende die Partie entscheidet. 33. Tg1 Tc8+ 34. Sc5 Dc4+ 35. Kb2 Dxb4+ 36. Sb3 Dc3+ 37. Ka3 Le2
Kellerdrache - 21. Jan '17
Was für ein phantastischer Angriff. Immer wenn man meint jetzt bleibt die Attacke stecken findet Reti weitere Resourcen. Ja auch Großmeister können es sich selten leisten ihren König in der Mitte zu lassen. Wer jetzt wieder über die alten Meister den Kopf schüttelt, der sei nochmal auf Nunns Verlust gegen Adorjan hingewiesen wo der Engländer den gleichen Fehler macht.
Hier ist es besondern schön wie Reti auf beiden Seiten Linien öffnet und damit die Verteidiger überlastet. Boguljubow verteidigt sich durchaus nicht schlecht und wer von uns hätte schon 23..d4 gefunden ?
Hier ist es besondern schön wie Reti auf beiden Seiten Linien öffnet und damit die Verteidiger überlastet. Boguljubow verteidigt sich durchaus nicht schlecht und wer von uns hätte schon 23..d4 gefunden ?
Vabanque - 22. Jan '17
Ich habe schon Hunderte, wenn nicht Tausende von Partien alter wie auch neuer Meister nachgespielt, und immer wieder passiert es, dass Spitzenspieler aller Generationen schon in der Eröffnung so schwer wiegende Beurteilungsfehler unterlaufen, dass man manchmal als Amateur vor einem Rätsel steht (man denke doch auch nur an der Partie Topalov - Barejew, die ich vor einiger Zeit unter 'Spektakuläre Schwarzsiege I' hier vorstellte).
Das Alter der Partie hat da wenig Einfluss.
Ich dachte früher auch (weil viele es sagten), alte Partien seien verständlicher als moderne. Das mag von der groben Tendenz her schon zutreffen (moderne Partien erfordern häufig auch viel Vorwissen in Bezug auf die gespielte Eröffnungsvariante), aber kann nicht verallgemeinert werden. Z.B. wollte ich vor einiger Zeit hier mal eine Partie von Tschigorin bringen und habe mir zu diesem Zweck etwa ein halbes Dutzend seiner besten Partien angesehen. Aber keine davon habe ich mir zugetraut zu kommentieren, so unglaublich kompliziert waren sie alle! Vor dem gleichen Problem stehe ich zwar auch mit der schon irgendwann mal angekündigten Morozevich-Partie, aber da wird man es mir sofort glauben ... nur dass die Partien von Tschigorin, der vor über 100 Jahren lebte, es an Komplexität mit den von Moro, Shirov und Ivantchuk locker aufnehmen. Und auch Partien von Réti sind zwar generell schön und angenehm nachzuspielen, doch wenn man den Feinheiten nachspüren will, dann sieht man, wie kompliziert sie sind. Ich habe gegenwärtige Partie auch nicht zu meiner eigenen Zufriedenheit erläutern können. Z.B. sind die Varianten, die ich zum 28. Zug von Weiß angegeben habe, viel zu kurz geraten, als dass sie überzeugend sein könnten. Es lässt sich aber in so einer Partie auch nicht alles durch Varianten erklären, und ebensowenig durch generelle strategische Erwägungen. Wie so einige andere große Spieler hat auch Réti selbst sehr wenig Zutrauen zu konkreter Variantenberechnung gehabt; er hat sich mehr auf seine Intuition verlassen und lag damit oft richtig. Und so denke ich, dass er auch in dieser Partie die meisten Züge nach 'Gefühl' gefunden hat, und selber gar nicht so recht hätte erklären können.
Das Alter der Partie hat da wenig Einfluss.
Ich dachte früher auch (weil viele es sagten), alte Partien seien verständlicher als moderne. Das mag von der groben Tendenz her schon zutreffen (moderne Partien erfordern häufig auch viel Vorwissen in Bezug auf die gespielte Eröffnungsvariante), aber kann nicht verallgemeinert werden. Z.B. wollte ich vor einiger Zeit hier mal eine Partie von Tschigorin bringen und habe mir zu diesem Zweck etwa ein halbes Dutzend seiner besten Partien angesehen. Aber keine davon habe ich mir zugetraut zu kommentieren, so unglaublich kompliziert waren sie alle! Vor dem gleichen Problem stehe ich zwar auch mit der schon irgendwann mal angekündigten Morozevich-Partie, aber da wird man es mir sofort glauben ... nur dass die Partien von Tschigorin, der vor über 100 Jahren lebte, es an Komplexität mit den von Moro, Shirov und Ivantchuk locker aufnehmen. Und auch Partien von Réti sind zwar generell schön und angenehm nachzuspielen, doch wenn man den Feinheiten nachspüren will, dann sieht man, wie kompliziert sie sind. Ich habe gegenwärtige Partie auch nicht zu meiner eigenen Zufriedenheit erläutern können. Z.B. sind die Varianten, die ich zum 28. Zug von Weiß angegeben habe, viel zu kurz geraten, als dass sie überzeugend sein könnten. Es lässt sich aber in so einer Partie auch nicht alles durch Varianten erklären, und ebensowenig durch generelle strategische Erwägungen. Wie so einige andere große Spieler hat auch Réti selbst sehr wenig Zutrauen zu konkreter Variantenberechnung gehabt; er hat sich mehr auf seine Intuition verlassen und lag damit oft richtig. Und so denke ich, dass er auch in dieser Partie die meisten Züge nach 'Gefühl' gefunden hat, und selber gar nicht so recht hätte erklären können.