Kommentierte Spiele
Beinahe-Weltmeister Karjakin (I)
Vabanque - 01. Dez '16
Auch wenn Karjakin im Tiebreak gegen Carlsen letzten Endes unterlag, so ließ das 6:6 des regulären Matchs die Schachwelt durchaus aufhorchen. Wer ist denn eigentlich dieser Mann, der es schafft, dem amtierenden Weltmeister in einem Wettkampf über 12 Partien einen Gleichstand abzutrotzen? Liegen seine Stärken allein im Halten kritischer Stellungen (und nur dann im Gewinnen, wenn der Gegner überzieht), oder kann er noch mehr? Ja doch, er kann. In einer kleinen Reihe für Karjakin-Fans (oder solche, die es noch werden wollen) zeige ich einige der schönsten Partien, die der Herausforderer vor dem WM-Kampf spielte. Dabei wird ein viel facettenreicheres Bild seines Spielstils zum Vorschein kommen, als es sich im WM-Kampf darbot. Karjakin kann nicht nur halten und abwarten, bis der Gegner einen Fehler macht. Er kann auch in ausgeglichenen, aber komplizierten Stellungen Gelegenheiten schaffen, damit der Gegner fehl geht, wie vorliegende Partie zeigt. Er ist ein brillanter Endspielkünstler (wie Teil 2 der Reihe zeigen wird), und manchmal geht er sogar von vorneherein auf Komplikationen los (dies werden wir im Teil 3 erleben). Je nach Resonanz (aber wir wissen ja, wie es mit der Resonanz hier in den Kommentierten Spielen ist ...) kann ich noch einen Teil 4 und 5 anschließen.
Aber in all diesen Partien, die ich ausgesucht habe, wird man sehen, dass Karjakin, wenn er erst einmal eine Gelegenheit sieht, die Partie auch konsequent, kraftvoll und gnadenlos zu Ende führt.































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Aber in all diesen Partien, die ich ausgesucht habe, wird man sehen, dass Karjakin, wenn er erst einmal eine Gelegenheit sieht, die Partie auch konsequent, kraftvoll und gnadenlos zu Ende führt.
Sergey Karjakin Fabiano Caruana World Championship Candidates | Moscow RUS | 14 | 2016.03.28 | B67 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 c5 2. Sf3 Sc6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 d6 6. Lg5 Das klassische Richter-Rauser-System. e6 7. Dd2 a6 8. O-O-O Ld7 9. f4 h6 10. Lh4 b5 11. Lxf6 xf6 12. f5 Es ist klar, dass der schwarze König in der Mitte wird bleiben müssen. Daher ist Weiß bestrebt, dort Linien zu öffnen und den Bauernschutz um den schwarzen König zu lockern. Db6 13. xe6 xe6 14. Sxc6 Dxc6 15. Ld3 h5 Mit der simplen Drohung Lh6 und Damengewinn. 16. Kb1 b4 17. Se2 Dc5 18. Thf1 Lh6 19. De1 a5 Nanu? Stellt Caruana einfach so den Bauern f6 ein? Oder ist dieser vielleicht vergiftet? 20. b3 Tg8 21. g3 Ke7 Um den Bauern f6 nun doch zu schützen und zugleich die Türme zu verbinden. Der schwarze König steht gegenwärtig recht sicher in der Mitte. 22. Lc4 Le3 23. Tf3 Tg4 Angriff gegen e4. 24. Df1 Gegendrohung gegen f6. Tf8 25. Sf4 Lxf4 26. Txf4 a4 27. xa4 Lxa4 28. Dd3 Lc6 29. Lb3 Tg5 30. e5!? Ein sehr interessanter Zug. Objektiv gesehen bringt er die Stellung nicht aus dem Gleichgewicht, und gegen einen Computer wäre damit auch bestimmt nichts zu erreichen. Aber einem menschlichen Gegner gibt der Zug mehr Gelegenheit zu straucheln als bei ruhigem Weiterspielen. Das Bauernopfer öffnet die 4. Reihe für den Tf4, so dass dieser nach c4 gelangen kann, und gleichzeitig die Diagonale d3-h7 für die weiße Dame. Schlägt Schwarz nun mit einem der Bauern, so verliert er schnell, weil sich weitere Linien öffnen. Txe5
Die einzig richtige Antwort. Es verliert sowohl xe5 31. Dh7+ Ke8 32. Txf8+ Kxf8 33. Tf1+ Ke8 34. Dh8+ Ke7 35. Df8+ Kd7 36. Tf7#
31. Tc4 Td5 32. De2 Db6 33. Th4 Te5 Auch hier kam der Turmtausch auf d1 stark in Betracht. Aber die Stellung ist immer noch im Gleichgewicht, nur spielt sie sich mit Schwarz schon nicht mehr so einfach. 34. Dd3 Bedroht d6. Lg2?! Ein etwas seltsamer Zug, der zwar d6 deckt, aber den Läufer auf Abwege bringt. Nach dem nächsten Zug wird aber die Idee klar: Schwarz möchte d5 spielen, ohne diesen Läufer einzusperren. 35. Td4 d5 36. Dd2 Nun hängt also der Läufer g2, und gleichzeitig aber auch der Bauer b4. Plötzlich ist Schwarz in Schwierigkeiten. Te4? 37. Txd5! Weiß steckt einen ganzen Turm ins Geschäft, um den schwarzen König urplötzlich in eine hilflose Lage zu bringen. Schwarz ist nun in allen Varianten verloren. xd5 38. Dxd5 Droht Matt auf d7 Dc7 39. Df5! Ein 'stiller' Zug (d.h. einer, der weder Schach bietet noch einen Stein schlägt) von tödlicher Kraft. Es droht Dh7+ nebst La4+ (oder einfach Damengewinn). Tf7 40. Lxf7 wieder kann Schwarz ja jetzt nicht schlagen wegen Dh7+ mit Damengewinn De5 41. Td7+ Kf8 42. Td8+! Aufgegeben; denn wenn Schwarz nach e7 oder g7 ausweicht, folgt unmittelbar Matt; schlägt er jedoch den Läufer, folgt Dh7+ nebst Dd7#. Ein Finale furioso!
Phaidon - 02. Dez '16
Danke. Grosse Partie mit eben solchen Kommentaren. Gegen Ca war es aber dann doch schwerer als gegen Ca.
Sash70 - 02. Dez '16
Sehr schönes Spiel! Ist es denn üblich den König in der Mitte zu behalten bei dem Sizilianer?
Kellerdrache - 02. Dez '16
Na sowas. Der Karjakin kann ja richtiges Schach spielen. Besonders 30.e5 hat mir sehr gut gefallen. Belagert war der e-Bauer ja ohnehin und statt sich jetzt passiv um dessen Erhalt zu sorgen wie es schwächere Spieler gerne tun darf der Totgeweihte sich nochmal nützlich machen. Erstaunlich wie dieser Zug die ganze Partie belebt.
Ob Karjakin denn wirklich mit aktiverem Schach wie hier bei der WM untergegangen wäre. Bei dieser Partie hat er mit Caruana ja auch nicht gerade Fallobst als Gegner gehabt.
@Sash70 ich kenne die Theorie hier nicht wirklich, aber Vabanques Variante zu Dxf6 zeigt ja, dass es zu gxf6 keine wirkliche Alternative gab. Da danach aber beide Flügel offen waren war es ausnahmsweise mal sicherer nicht zu rochieren.
Ob Karjakin denn wirklich mit aktiverem Schach wie hier bei der WM untergegangen wäre. Bei dieser Partie hat er mit Caruana ja auch nicht gerade Fallobst als Gegner gehabt.
@Sash70 ich kenne die Theorie hier nicht wirklich, aber Vabanques Variante zu Dxf6 zeigt ja, dass es zu gxf6 keine wirkliche Alternative gab. Da danach aber beide Flügel offen waren war es ausnahmsweise mal sicherer nicht zu rochieren.
Vabanque - 02. Dez '16
@Sash70: Ich kenne diese Variante auch nur flüchtig (deswegen habe ich mich mit Kommentaren zur Eröffnung auch zurückgehalten), aber tatsächlich ist es in ziemlich vielen Abspielen im Sizilianer üblich, den König in der Mitte zu behalten. Kellerdrache hat es ja schon erklärt.
alms - 02. Dez '16
Man muss bei der Partie aber bedenken, dass Caruana mit Schwarz unbedingt gewinnen musste, um selbst Turniersieger zu werden. Deshalb diese etwas anrüchige Eröffnung. Sowjetische Schachschule bei einer solchen Turniersituation ist es dagegen, eine ausgeglichene, aber nicht leblose Stellung anzustreben und dann auf die eigene Chance zu warten.
Vabanque - 02. Dez '16
Nun ja. Soooo anrüchig ist die Eröffnung ja wohl auch nicht, wenn man damit an der absoluten Weltspitze nach 20 Zügen mit Schwarz eine eigentlich befriedigende Stellung erreicht.
Dein Einwand erklärt aber jedenfalls, warum Caruana mit Schwarz sämtlichen Vereinfachungen auswich (insbesondere dem Turmtausch im 32. bzw. 33. Zug, der doch eine ganze Menge Gefahren aus der Stellung genommen und ein Remis wahrscheinlich gemacht hätte) und die Stellung möglichst kompliziert hielt.
Trotzdem ist das eine große Leistung Karjakins, auch wenn sie vielleicht doch bestätigt, dass er immer genau dann am besten ist, wenn der Gegner überzieht und er das dann ausnutzen kann.
Vielleicht gehen die beiden nächsten Folgen der Reihe über Karjakin aber in eine etwas andere Richtung.
Dein Einwand erklärt aber jedenfalls, warum Caruana mit Schwarz sämtlichen Vereinfachungen auswich (insbesondere dem Turmtausch im 32. bzw. 33. Zug, der doch eine ganze Menge Gefahren aus der Stellung genommen und ein Remis wahrscheinlich gemacht hätte) und die Stellung möglichst kompliziert hielt.
Trotzdem ist das eine große Leistung Karjakins, auch wenn sie vielleicht doch bestätigt, dass er immer genau dann am besten ist, wenn der Gegner überzieht und er das dann ausnutzen kann.
Vielleicht gehen die beiden nächsten Folgen der Reihe über Karjakin aber in eine etwas andere Richtung.
alms - 07. Dez '16
Auf jeden Fall war das eine sehr gute Partie von Karjakin!
Ich glaube Swidler sagte etwas bei der Kommentierung der 4. Schnellschachpartie zu der Frage, wie man in solchen Matchsituationen (Schwarzsieg unbedingt nötig) reagiert. Dann käme immer Rauser oder Najdorf. Sonst eben nicht. Ich erinnere mich an eine Partie von Kramnik, in der in in dieser Lage war und tatsächlich ganz gegen sein Naturell Sizilianisch auspacken musste. Traurig anzusehen, er ging auch vollkommen unter.
Das ist das Problem mit der Berliner Verteidigung: Wenn Weiß will (wie in der 12. Partie), kann er sofort ein totes Remis aufs Brett bringen.
Ich glaube Swidler sagte etwas bei der Kommentierung der 4. Schnellschachpartie zu der Frage, wie man in solchen Matchsituationen (Schwarzsieg unbedingt nötig) reagiert. Dann käme immer Rauser oder Najdorf. Sonst eben nicht. Ich erinnere mich an eine Partie von Kramnik, in der in in dieser Lage war und tatsächlich ganz gegen sein Naturell Sizilianisch auspacken musste. Traurig anzusehen, er ging auch vollkommen unter.
Das ist das Problem mit der Berliner Verteidigung: Wenn Weiß will (wie in der 12. Partie), kann er sofort ein totes Remis aufs Brett bringen.
svenner - 07. Dez '16
> Kramnik, in der in in dieser Lage war und tatsächlich ganz gegen sein Naturell Sizilianisch auspacken musste
Wenn ich es richtig sehe, hat Kramnik laut chesstempo-Datenbank auf 1.e4 in 253 von 643 Partien mit c5 geantwortet, davon 33% gewonnen und 52% remis.
Seine Quote bei 1. ... e5 sieht schlechter aus.
Wenn ich es richtig sehe, hat Kramnik laut chesstempo-Datenbank auf 1.e4 in 253 von 643 Partien mit c5 geantwortet, davon 33% gewonnen und 52% remis.
Seine Quote bei 1. ... e5 sieht schlechter aus.
alms - 07. Dez '16
Oh, das überrascht mich. Danke für die Information!
Vabanque - 08. Dez '16
Ja, ich glaube, Kramnik wird oft allzu leicht in die Schublade 'langweilig' geschoben ... dabei gibt es wirklich genügend kämpferische Partien von ihm.
Colorado77 - 08. Dez '16
Kramnik hat doch die ganzen 90er und auch selbst in den 00er noch Sizi gespielt, und fast ausschliesslich den Sweschnikow. Danach wechselte er zu Russisch, bekam Probleme mit der Nimzowitsch Variante Sc3/dxc3/Le3/Dd2/00 und blieb bei der Berliner Mauer hängen ;-)
Ab und an spielte er noch Pirc mit frühem a6/b5/Lb7.
Ab und an spielte er noch Pirc mit frühem a6/b5/Lb7.
Kellerdrache - 08. Dez '16
Kramnik ist ein großer Praktiker, der spielt was auch immer funktioniert. Es kann kaum einen überraschen, dass er z.B. gegen Kasparov nicht unbedingt scharfe Sizilianer spielen wollte. Aber am können liegt es eigentlich nie. Weder bei Kramnik noch bei Carlsen, Karjakin, Karpov oder wie auch immer die "Vorsichtigen" heißen mögen.