Kommentierte Spiele

100 Jahre Schach (III) 1930-1939: Botwinnik - Chekhover 1935

Vabanque - 29. Jun '16
Nur damit sich niemand wundert: SF Kellerdrache hat mich gebeten, den 3. Teil seiner Serie zu übernehmen. Die beiden nächsten Folgen (40er und 50er Jahre) werden dann wieder von ihm kommentiert sein. -

Vorliegende Partie stammt aus dem Turnier zu Moskau 1935, das Botwinnik punktgleich mit Flohr vor Lasker, Capablanca und Spielmann gewann. Zu dieser Partie gibt es ein paar Merkwürdigkeiten. Man warf Botwinnik lange Zeit vor, die Partie sei vorher abgesprochen gewesen, und er selbst bezog sie nicht in die Sammlung seiner besten Partien mit ein, was die Kritiker natürlich als Bestätigung ihrer Verschwörungstheorie werteten. Aber erstens hätte sich, wie die Kritiker der Kritiker feststellten, der moralisch vollkommen integre Gegner Botwinniks niemals auf eine vorher abgesprochene Partie eingelassen, und zweitens gibt eine viel einfachere Erklärung, die Botwinnik selbst gab: Die Partie steht nicht im Einklang mit seinem eigenen Ideal, stets einfach und klar zu spielen. Stattdessen ließ er sich auf genau die Art von spekulativem Opferschach ein, gegen die er sich sonst immer aufs Schärfste wandte. Diesen 'Ausrutscher' konnte er doch nicht voller Stolz in einem eigenen Buch kommentieren (viel später tat er es aber doch). Dazu kam noch, dass er an einer Stelle die stärkste Fortsetzung verpasste, und Schwarz bei bestem Spiel eventuell hätte entkommen können. Viel wurde damals analysiert, um doch noch einen Gewinn nachweisen zu können, und es schien auch ein paarmal gelungen, aber diese
Analysen werden heute von Engines gnadenlos als falsch entlarvt. Diese Analysen habe ich alle nicht aufgeführt, und mich auf die wichtigsten Varianten beschränkt.

Auch wenn die Partie in Botwinniks eigenen Augen ein Ausrutscher war, der seinem eigenen Standard nicht genügte, so wurde sie doch von den Zeitgenossen gefeiert, teilweise sprach man sogar von der längsten Kombination, die bis dahin überhaupt gespielt worden wäre; dies ist allerdings ebenfalls nicht ganz gerechtfertigt, da Botwinnik ab seinem 22. Zug kaum alles bis zum Ende ausgerechnet haben konnte.

Dies alles macht die Partie aber, wie ich finde, nicht weniger interessant. Außerdem zeigt sie recht schön die damals 'moderne' Spielweise mit Zurückhaltung der Mittelbauern in der Eröffnung auf.

Mikhail Botvinnik Vitaly Chekhover Moscow | Moscow URS | 16 | 1935.03.08 | A09 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. Sf3 d5 2. c4 e6 3. b3 Sahen wir in der vorigen Partie der Reihe Réti b2-b4 spielen, so führt uns hier ein wenig kurioserweise Botwinnik das 'eigentliche' Réti-System vor. Sf6 4. Lb2 Le7 5. e3 O-O 6. Le2 c6 Schwarz spielt die Eröffnung recht passiv. c5 ist stellungsgemäßer. Aber zur damaligen Zeit wussten die klassisch geschulten Meister noch nicht recht mit den 'neuen', auch 'hypermodern' genannten Eröffnungsideen umzugehen. 7. O-O Sbd7 8. Sc3 a6 Hat Schwarz wirklich einen Plan, oder wartet er nur ab? 9. Sd4 Hierauf hätte Schwarz ganz gut mit c5 antworten können. Weiß spielt auf konsequente Zurückhaltung der Mittelbauern - die hypermoderne Idee eben. xc4?! 10. xc4 Sc5 Das war die Idee von Schwarz: er plant e5 nebst evtl. Sd3. Auf sofortiges e5 wäre Sf5 gefolgt. 11. f4 Weiß verhindert dies - immer noch unter Zurückhaltung der Mittelbauern. Dc7 12. Sf3 Nicht dass Schwarz doch noch e5 spielt. Td8 13. Dc2 Weiß verhindert damit sowohl Sd3 wie auch Se4. Er kontrolliert das Zentrum sehr gut mit Figuren. Spielt Schwarz nun 'routinemäßig' Ld7, so gewinnt d4 eine Figur, da der Springer kein Rückzugsfeld hätte! Scd7 Dies erklärt diesen Rückzug. Und vielleicht kommt Schwarz ja doch noch zu e5? 14. d4 Dies spielen sehr viele Leute bereits im ersten Zug. Nun hat Weiß über Umwege also doch letztlich ein imposantes Bauernzentrum mit Raumvorteil etabliert. c5 Nun kann Schwarz dem Weißen immerhin noch so genannte 'hängende Bauern' auf der c- und d-Linie verpassen, ein Bauernpaar, das nebeneinander stehend sehr stark ist, aber keine Nachbarbauern zur Deckung mehr hat, also sozusagen das Zwillingsäquivalent zum Isolani. 15. Se5 b6 16. Ld3 xd4 17. xd4 Nun sind sie da, die 'hängenden Bauern'. Aber Botwinnik hat keine Angst, mit so etwas zu spielen, wie er ja auch ein paar schöne Angriffspartien mit Isolani durchgeführt hat. Lb7 18. De2 Botwinnik überdeckt noch einmal e4, bevor er das folgende Springermanöver beginnt, das sicher keinem von uns eingefallen wäre. Sf8 Führt den Springer nicht nur zur Verteidigung des Königsflügels, sondern bedroht auch den weißen d-Bauern. Wenn Weiß den jetzt etwa mit Df2 deckt, so kommt trotzdem Txd4!, denn die Dame darf ja nicht wiedernehmen wegen Lc5. Man sieht, dass sogar in den scheinbar harmlosesten Positionen taktische Fallstricke lauern! 19. Sd1! Die Einleitung zur einer Springerwanderung, und zwar soll der Springer nach g5 geführt werden! Ta7 Der Turm soll wahrscheinlich über die 7. Reihe an der Verteidigung mitwirken. 20. Sf2 Db8 Vermutlich sollte hier noch La8 und evtl. Tc7 folgen. Dazu kommt Schwarz aber nicht mehr. Er hätte besser Lc6 nebst Le8 gespielt, um den schwachen Punkt f7 zu decken. 21. Sh3 h6 Soll verhindern, dass der Springer auf f7 auftaucht. 22. Sg5!! Er tut es dennoch. xg5 Sonst fällt f7. 23. xg5 S8d7
Zieht der angegriffene Springer, so folgt Sxf7, und der weiße Angriff dringt noch schneller durch, z.B. S6h7 24. Sxf7 Sxg5 25. Dh5 droht Matt auf h8 Sgh7 26. d5! öffnet mit entscheidender Wirkung die Diagonale des Lb2 xd5 auch andere Züge verlieren, dieser aber am schönsten 27. Sh6+ Kh8
xh6 28. Df7#
28. Df7 droht Matt auf f7 und g7! Sf6 29. Dg8+! Sxg8 30. Sf7#
24. Sxf7! Kxf7 25. g6+?! Leider ein dunkler Punkt der brillanten weißen Kombination. Spätere Analysen ergaben, dass gxf6 nebst Dh5+ (oder auch gleich Dh5+) hier zum Sieg geführt hätte. Man kann Botwinnik aber wirklich keinen Vorwurf machen, dass er die versteckte Rettung, die Schwarz nach dem Textzug in petto gehabt hätte, am Brett nicht gesehen hat. Es scheint doch auch völlig klar zu sein, dass Schwarz nun nicht Kf8 spielen kann wegen Dxe6 mit undeckbarem Matt auf f7 ... Kg8?
Auch Ke8 verliert wegen 26. Dxe6 Sf8 27. Df7+ Kd7 28. La3 Te8 29. Txf6! xf6 30. g7
Aber gegen den scheinbar ausscheidenden Zug Kf8! konnte noch niemand einen weißen Gewinn wirklich nachweisen. Nach 26. Dxe6 geschieht nämlich Se5! , und Weiß darf nicht dxe5 spielen wegen Lc5+ nebst Lxg2+ und Txd3, und der 'verirrte' Ta7 deckt das Matt auf f7, und Schwarz gewinnt! Also besser: 27. Dh3 droht Matt auf h8 Sf3+! (zwecks Schließung der f-Linie, aber natürlich finden nur Engines so eine Verteidigung), und es ist unklar, ob Weiß noch gewinnen kann. Es gibt hier noch viele andere Möglichkeiten, aber nicht einmal Engines bieten eine echte Klärung der Position. - Nach dem Textzug 25... Kg8 läuft die weiße Uhr jedenfalls wieder richtig, und Botwinnik gewinnt auf hübsche, auch nicht selbstverständliche Weise.
26. Dxe6+ Kh8 27. Dh3+ Kg8 Dauerschach durch De6+ und Dh3+? Nein, keineswegs! 28. Lf5! Der Verderber naht! Es droht Le6+ nebst Dh8#. Sf8
Das Problem ist, dass die am Damenflügel zusammengedrängten Figuren von Schwarz zur Hilfeleistung außer Stande sind. Auf Ld6 würde Weiß mit 29. Le6+ Kf8 30. Dh8+ Ke7 31. Dxg7+! Kxe6 32. Df7# elegant mattsetzen. Geht der Läufer im 28. Zug nach b4, um dem König Raum zu geben, so gewinnt
Lb4 29. Le6+ Kf8 30. Lxd7
29. Le6+ Sxe6 30. Dxe6+ Kh8 31. Dh3+ Kg8 Jetzt doch Dauerschach? 32. Txf6! Nein, wieder ist Botwinnik nicht einverstanden. Das ganze Schlussspiel ist sehr instruktiv. Lxf6
xf6 33. Dh7+ Kf8 34. Df7#
33. Dh7+ Kf8 34. Te1! Schneidet dem schwarzen König den Weg ab. Es droht Dh8#, was nur noch unter exzessiver Rückgabe von Material zu verhindern ist. Le5 35. Dh8+ Stärker als Txe5 Dxe5, was ebenfalls gewinnt. Aber Botwinnik schließt mit einer lustigen Königsjagd ab. Ke7 36. Dxg7+ Kd6
Ke8 37. Df7#
Ke6 37. Df7+ Kd6 38. La3+ Kc6 39. d5+
37. Dxe5+ Kd7 38. Df5+ Kc6
Kc7 39. Te7+ Kc6 40. Df3+ Kd6 41. La3#
39. d5+ Kc5
Kc7 40. Te7+
Kd6 40. La3+ Kc7 41. Te7+
40. La3+ 'Treten Sie doch näher, mein Herr', sagt der weiße Bischof scheinheilig zum schwarzen König. Kxc4 41. De4+ Kc3
Kb5 42. Db4#
42. Lb4+ Kb2 Es geht vorwärts! 43. Db1# Schwarz hat immer noch einen Mehrturm. Der kam aber nicht zum Einsatz. Interessanterweise haben sich die drei dekoraktiv in der Ecke platzierten schwarzen Figuren seit 22 Zügen nicht mehr bewegt. - Trotz des geschilderten dunklen Punkts eine ausgezeichnete Kombinationsleistung von Botwinnik und sicherlich eine Partie, die im Gedächtnis bleibt.
PGN anzeigen[Event "Moscow"]
[Site "Moscow URS"]
[Date "1935.03.08"]
[EventDate "1935.02.15"]
[Round "16"]
[Result "1-0"]
[White "Mikhail Botvinnik"]
[Black "Vitaly Chekhover"]
[ECO "A09"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "85"]

1.Nf3 d5 2.c4 e6 3.b3 {Sahen wir in der vorigen Partie der Reihe Réti b2-b4 spielen, so führt uns hier ein wenig kurioserweise Botwinnik das 'eigentliche' Réti-System

vor.} Nf6 4.Bb2 Be7 5.e3 O-O 6.Be2 c6 {Schwarz spielt die Eröffnung recht passiv. c5 ist stellungsgemäßer. Aber zur damaligen Zeit wussten die klassisch geschulten

Meister noch nicht recht mit den 'neuen', auch 'hypermodern' genannten Eröffnungsideen umzugehen.} 7.O-O
Nbd7 8.Nc3 a6 {Hat Schwarz wirklich einen Plan, oder wartet er

nur ab?} 9.Nd4 {Hierauf hätte Schwarz ganz gut mit c5 antworten können. Weiß spielt auf konsequente Zurückhaltung der Mittelbauern - die hypermoderne Idee eben.}

dxc4?! 10.bxc4 Nc5 {Das war die Idee von Schwarz: er plant e5 nebst evtl. Sd3. Auf sofortiges e5 wäre Sf5 gefolgt.} 11.f4 {Weiß verhindert dies - immer noch unter

Zurückhaltung der Mittelbauern.} Qc7 12.Nf3 {Nicht dass Schwarz doch noch e5 spielt.} Rd8
13.Qc2 {Weiß verhindert damit sowohl Sd3 wie auch Se4. Er kontrolliert das

Zentrum sehr gut mit Figuren. Spielt Schwarz nun 'routinemäßig' Ld7, so gewinnt d4 eine Figur, da der Springer kein Rückzugsfeld hätte!} Ncd7 {Dies erklärt diesen

Rückzug. Und vielleicht kommt Schwarz ja doch noch zu e5?} 14.d4 {Dies spielen sehr viele Leute bereits im ersten Zug. Nun hat Weiß über Umwege also doch letztlich ein

imposantes Bauernzentrum mit Raumvorteil etabliert.} c5 {Nun kann Schwarz dem Weißen immerhin noch so genannte 'hängende Bauern' auf der c- und d-Linie verpassen, ein

Bauernpaar, das nebeneinander stehend sehr stark ist, aber keine Nachbarbauern zur Deckung mehr hat, also sozusagen das Zwillingsäquivalent zum Isolani.} 15.Ne5 b6

16.Bd3 cxd4 17.exd4 {Nun sind sie da, die 'hängenden Bauern'. Aber Botwinnik hat keine Angst, mit so etwas zu spielen, wie er ja auch ein paar schöne Angriffspartien

mit Isolani durchgeführt hat.} Bb7 18.Qe2 {Botwinnik überdeckt noch einmal e4, bevor er das folgende Springermanöver beginnt, das sicher keinem von uns eingefallen

wäre.}
Nf8 {Führt den Springer nicht nur zur Verteidigung des Königsflügels, sondern bedroht auch den weißen d-Bauern. Wenn Weiß den jetzt etwa mit Df2 deckt, so kommt

trotzdem Txd4!, denn die Dame darf ja nicht wiedernehmen wegen Lc5. Man sieht, dass sogar in den scheinbar harmlosesten Positionen taktische Fallstricke lauern!}

19.Nd1! {Die Einleitung zur einer Springerwanderung, und zwar soll der Springer nach g5 geführt werden!} Ra7 {Der Turm soll wahrscheinlich über die 7. Reihe an der

Verteidigung mitwirken.} 20.Nf2 Qb8 {Vermutlich sollte hier noch La8 und evtl. Tc7 folgen. Dazu kommt Schwarz aber nicht mehr. Er hätte besser Lc6 nebst Le8 gespielt,

um den schwachen Punkt f7 zu decken.} 21.Nh3 h6 {Soll verhindern, dass der Springer auf f7 auftaucht.} 22.Ng5!! {Er tut es dennoch.} hxg5 {Sonst fällt f7.} 23.fxg5

N8d7 ({Zieht der angegriffene Springer, so folgt Sxf7, und der weiße Angriff dringt noch schneller durch, z.B.} 23... N6h7 24. Nxf7 Nxg5 25. Qh5 {droht Matt auf h8}

Ngh7 26. d5! {öffnet mit entscheidender Wirkung die Diagonale des Lb2} exd5 {auch andere Züge verlieren, dieser aber am schönsten} 27. Nh6+ Kh8 (gxh6 28. Qf7#) 28. Qf7

{droht Matt auf f7 und g7!} Nf6 29. Qg8+! Nxg8 30. Nf7#)
24.Nxf7! Kxf7 25.g6+?! {Leider ein dunkler Punkt der brillanten weißen Kombination. Spätere Analysen ergaben,

dass gxf6 nebst Dh5+ (oder auch gleich Dh5+) hier zum Sieg geführt hätte. Man kann Botwinnik aber wirklich keinen Vorwurf machen, dass er die versteckte Rettung, die

Schwarz nach dem Textzug in petto gehabt hätte, am Brett nicht gesehen hat. Es scheint doch auch völlig klar zu sein, dass Schwarz nun nicht Kf8 spielen kann wegen

Dxe6 mit undeckbarem Matt auf f7 ...} Kg8? ({Auch} 25... Ke8 {verliert wegen} 26. Qxe6 Nf8 27. Qf7+ Kd7 28. Ba3 Re8 29. Rxf6! gxf6 30. g7)({Aber gegen den scheinbar

ausscheidenden Zug} 25... Kf8! {konnte noch niemand einen weißen Gewinn wirklich nachweisen. Nach} 26. Qxe6 {geschieht nämlich} Ne5! {, und Weiß darf nicht dxe5

spielen wegen Lc5+ nebst Lxg2+ und Txd3, und der 'verirrte' Ta7 deckt das Matt auf f7, und Schwarz gewinnt! Also besser:} 27. Qh3 {droht Matt auf h8} Nf3+! {(zwecks

Schließung der f-Linie, aber natürlich finden nur Engines so eine Verteidigung), und es ist unklar, ob Weiß noch gewinnen kann. Es gibt hier noch viele andere

Möglichkeiten, aber nicht einmal Engines bieten eine echte Klärung der Position. - Nach dem Textzug 25... Kg8 läuft die weiße Uhr jedenfalls wieder richtig, und

Botwinnik gewinnt auf hübsche, auch nicht selbstverständliche Weise.}) 26.Qxe6+ Kh8 27.Qh3+ Kg8 {Dauerschach durch De6+ und Dh3+? Nein, keineswegs!} 28.Bf5! {Der

Verderber naht! Es droht Le6+ nebst Dh8#.} Nf8 ({Das Problem ist, dass die am Damenflügel zusammengedrängten Figuren von Schwarz zur Hilfeleistung außer Stande sind.

Auf} 28... Bd6 {würde Weiß mit} 29. Be6+ Kf8 30. Qh8+ Ke7 31. Qxg7+! Kxe6 32. Qf7# {elegant mattsetzen. Geht der Läufer im 28. Zug nach b4, um dem König Raum zu geben,

so gewinnt})(28... Bb4 29. Be6+ Kf8 30. Bxd7)
29.Be6+ Nxe6 30.Qxe6+ Kh8 31.Qh3+ Kg8 {Jetzt doch Dauerschach?} 32.Rxf6! {Nein, wieder ist Botwinnik nicht einverstanden.

Das ganze Schlussspiel ist sehr instruktiv.} Bxf6 (32... gxf6 33. Qh7+ Kf8 34. Qf7#) 33.Qh7+ Kf8
34.Re1! {Schneidet dem schwarzen König den Weg ab. Es droht Dh8#, was

nur noch unter exzessiver Rückgabe von Material zu verhindern ist.} Be5 35.Qh8+ {Stärker als Txe5 Dxe5, was ebenfalls gewinnt. Aber Botwinnik schließt mit einer

lustigen Königsjagd ab.} Ke7 36.Qxg7+ Kd6 (36... Ke8 37. Qf7#)(36... Ke6 37. Qf7+ Kd6 38. Ba3+ Kc6 39. d5+) 37.Qxe5+ Kd7 38.Qf5+ Kc6 (38... Kc7 39. Re7+ Kc6 40. Qf3+

Kd6 41. Ba3#)
39.d5+ Kc5 (39... Kc7 40. Re7+)(39... Kd6 40. Ba3+ Kc7 41. Re7+) 40.Ba3+ {'Treten Sie doch näher, mein Herr', sagt der weiße Bischof scheinheilig zum

schwarzen König.} Kxc4 41.Qe4+ Kc3 (41... Kb5 42. Qb4#) 42.Bb4+ Kb2 {Es geht vorwärts!} 43.Qb1# {Schwarz hat immer noch einen Mehrturm. Der kam aber nicht zum Einsatz.

Interessanterweise haben sich die drei dekoraktiv in der Ecke platzierten schwarzen Figuren seit 22 Zügen nicht mehr bewegt. - Trotz des geschilderten dunklen Punkts

eine ausgezeichnete Kombinationsleistung von Botwinnik und sicherlich eine Partie, die im Gedächtnis bleibt.} 1-0

Kellerdrache - 29. Jun '16
Da sieht man mal wieder, dass der Spielstil bei Großmeistern selten etwas mit (mangelndem) Können zu tun hat. Der trockende Technokrat Botwinnik mimt hier den Tal ;-)).
Die Tatsache, dass Botwinnik die Partie lange Zeit nicht als Glanzleistung anerkannt hat spricht ja dafür, dass das Opfer eben nicht präzise durchgerechnet war. Solche gab es schlieslich bei ihm oft genug. Aber so etwas spekulatives wie hier, dass eher auf allgemeinen positionellen Erwägungen beruht ist dem Wissenschaftler zuwider. Den Zuschauer freut es dagegen umso mehr.
Vielen Dank für diese mir noch unbekannte Perle.
Vabanque - 29. Jun '16
Botwinnik war ja auch Wissenschaftler (Elektrotechnik), und blieb, so weit ich mich erinnere, auch in diesem Beruf noch tätig, bis er Weltmeister geworden war. Erst dann wurde er Berufsschachspieler. Er ging halt auch Schach genauso präzise, wissenschaftlich und (letztlich) trocken an wie das Ingenieurwesen. Eine Turbine muss natürlich präzise durchgerechnet sein, bevor sie gebaut wird. Ein auf spekulativen Erwägungen basierendes Elektrogerät wird meistenteils nicht funktionieren. Bloß dass Schach halt keine Physik und kein Ingenieurwesen ist ...
RemusJohn - 30. Jun '16
Vielen Dank für diese Partie :-). Besonders schön finde ich, dass sie mit dem "klassischen Réti" beginnt (inklusive b3), einem System, dass ich gerne zur Basis eines für mich (von mir ;-)) geplanten Eröffnungssystems mit Weiß über ein grundsätzliches 1.Sf3 machen möchte. Ich weiß noch nicht, ob mir das gelingt, aber ich hoffe, dass mir auch diese Partie hier dabei helfen wird - worüber wir ja schon gesprochen hatten und -ran ich aus den genannten Gründen immer noch festhalte ;-). Auch die letzte Veröffentlichung in dieser Reihe ging ja schon in die Richtung (war wohl Mode zu der Zeit?! ;-)), aber das hier ist vielleicht noch besser, schließlich bin ich über jede Struktur froh, an der ich mich ein bisschen festhalten kann - hier eben die ganz "ursprünglichen" Réti-Züge :-).
Vabanque - 30. Jun '16
Und wenn dir dann noch so eine Springerwanderung von c3 nach g5 gelingt und du beide Springer so opfern kannst, dann bitte zeige deine Partie hier :)
Colorado77 - 30. Jun '16
Tolle Partie:

Ich vermute, der schwerste Zug war nach 25...Kf8!! der Zug Lc5+, um den König auf ein weisses Feld zu zwingen, um Lxg2+ zu spielen, was den Ta7 mitpielen lässt (Matt f7 decken).
Ich sah diesen Zwischenzug nach 1 Minute auch nicht...

Sf3+ als Möglichkeit nach Dh3 hingegen ist nicht so schwer zu sehen, ist natürlich auch subjektiv...

Danke Vabanque, gutes Taktiktraining war das!
Vabanque - 30. Jun '16
Beide Spieler sahen es während der Partie nicht, und auch einige Kommentatoren bei der Analyse nicht (ich habe Partiekommentare, wo die Möglichkeit Kf8 überhaupt nicht erwähnt wird). Von Judowitsch wird Kf8 im Turnierbuch in einer langen Analyse 'widerlegt'. Long analysis, wrong analysis ... das bestätigte sich zur Vor-Engine-Zeit immer wieder. Selbst eine spätere Analyse von Botwinnik ist falsch. Es gibt einfach keinen forcierten Gewinn nach Kf8. Man kann ein forciertes Remis für Weiß analysieren, oder eben eine Stellung, die unklar ist.