Kommentierte Spiele

Brillante Mattangriffe (XXVII): Trebugov-Lalic 2000

Vabanque - 11. Okt '16
Die nachfolgende Partie hätte ich auch unter 'Glanzpartien unbekannter Spieler' einreihen können, denn obwohl der 1971 geborene Russe Pavel Tregubov 2000 die Europameisterschaft gewann, dürfte er nur den wenigsten Schachfreunden bekannt sein.
Die Partie stammt aus jenem Europameisterschaftsturnier und wartet nach einem stilvollen Damenopfer mit einer Fülle schillernder Mattwendungen auf, die genau zu studieren sich lohnt.

Tregubov, Pavel V. Lalic, Bogdan I C.to Europeo | Saint Vincent - Chatillon ITA | 5 | 2000.7.7 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 Sf6 2. c4 g6 3. g3 Lg7 4. Lg2 O-O 5. Sc3 d6 6. Sf3 Sc6 7. O-O e5 8. d5 Se7 9. e4 Kh8 10. Se1 Sd7 11. Sd3 c6 12. Kh1 xd5 13. xd5 f5 Die Eröffnungszüge habe ich hier, wo es vor allem um die taktische Schlussphase geht, unkommentiert gelassen; beide Seiten verfolgen allerdings typische Pläne im Königsinder. Die neckischen 'Sidesteps' der beiden Könige dienen dazu, etwaigen Diagonalschachs nach dem geplanten Aufzug des f-Bauern präventiv aus dem Weg zu gehen. 14. f4! Schärfer als das ebenfalls vertretbare f3 (welches die Aufrechterhaltung der weißen Bauernkette zum Ziel hat); so wie Tregubov es weiterspielt, beinhaltet der Zug ein Bauernopfer. xf4 15. Lxf4 xe4 16. Sxe4!? Das erwähnte Bauernopfer. Von dem ebenfalls spielbaren, aber zahmeren Lxe4 hatte Weiß sich wohl nicht viel versprochen. Sxd5 17. Lg5!
Während 17. Lxd6? Se3 dubios aussieht,
war 17. Sxd6 durchaus spielbar. Aber Tregubov wollte sich wohl ungern von seinem Läuferpaar trennen.
Db6 18. De2 Txf1+ Merkwürdigerweise gerät Schwarz auf die Verliererstraße, ohne dass man ihm einen besonderen Vorwurf machen könnte. Da ein späterer Fehlzug des Schwarzen nicht mehr auszumachen ist, bestand hier vielleicht die letzte Chance, mit 18... h6 den späteren weißen Mattwendungen von vornherein die Spitze abzubrechen. 19. Txf1 Se5 Der schwarze Plan sieht völlig plausibel aus; im nächsten Zug wird der Lc8 entwickelt werden, und die Probleme sind gelöst. Oder? 20. Sxd6! Der erste hübsche Zug; weitere werden folgen. Lg4
Nach Dxd6 21. Sxe5 Lxe5
Dxe5?? 22. Tf8+! verliert durch die typische erzwungene Ablenkung des Lf8 die Dame: Lxf8 23. Dxe5+ Lg7
Kg8 24. Lxd5+ Le6 25. Lxe6# Mattbild #1
24. De8+ Lf8 25. Dxf8# Mattbild #2
22. Tf8+! Kg7
Dxf8? 23. Dxe5+ Dg7 24. De8+ Dg8 25. Lxd5!! Dxe8 26. Lf6# ist auch sehr nett - Mattbild #3
23. Td8! gewinnt Weiß die Figur vorteilhaft zurück; gegenüber der Textfortsetzung wäre dies allerdings immer noch die bessere Alternative gewesen.
21. Sxe5! Die einzige Widerlegung von Lg4; auf Damenzüge hätte Schwarz nämlich Ausgleich. Lxe2 Eine brauchbare Alternative zur Annahme des Opfers ist nicht vorhanden. 22. Sef7+ Kg8 23. Sh6+ Lxh6
Kh8 24. Sdf7# Mattbild #4
24. Lxd5+ Kh8
Kg7 25. Tf7+ Kh8
Kg8 26. Td7+ Kh8 27. Lf6+ Lg7 28. Lxg7# Mattbild #5
26. Lf6+ Kg8
Lg7 27. Lxg7+ Kg8 28. Td7# Mattbild #6
27. Tg7+ Kf8
Kh8 28. Sf7# Mattbild #7
28. Tg8# Mattbild #8
25. Sf7+ Kg7
Das Matt vermied nur Kg8 26. Sxh6+ Kg7
Kh8 27. Sf7+ Kg8 28. Sd6+ Kg7 29. Tf7+ Kh8
Kg8 30. Txb7+ Kf8 31. Lh6# Mattbild #9
30. Lf6+ Kg8 31. Txb7+ Kf8 32. Lg7# Mattbild #9a
27. Tf7+ Kh8 28. Lf6+ Ein Beinahe-Mattbild, aber Schwarz kann die Dame zurückgeben Dxf6 29. Txf6 Kg7 30. Tf2! nebst Sf7, und Weiß behält die Mehrfigur. Ob Tregubov das alles gesehen hat??! Nach dem schwarzen Textzug ist es jedenfalls leicht für Weiß.
26. Lxh6+ Kg8 27. Sd8+!
Diese elegante Sperrung der 8. Reihe musste allerdings noch erkannt werden; es folgt 27. Sd8+ Kh8 28. Tf8# mit Mattbild #10. Von Tregubov ab dem 20. Zug im Stil der alten Meister gespielt.
PGN anzeigen[Event "I C.to Europeo"]
[Site "Saint Vincent - Chatillon ITA"]
[Round "5"]
[Date "2000.7.7"]
[White "Tregubov, Pavel V."]
[Black "Lalic, Bogdan"]
[Result "1-0"]

1. d4 Nf6 2. c4 g6 3. g3 Bg7 4. Bg2 O-O 5. Nc3 d6 6. Nf3 Nc6 7. O-O e5 8. d5
Ne7 9. e4 Kh8 10. Ne1 Nd7 11. Nd3 c6 12. Kh1 cxd5 13. cxd5 f5 {Die Eröffnungszüge habe ich hier, wo es vor allem um die taktische Schlussphase geht, unkommentiert gelassen; beide Seiten verfolgen allerdings typische Pläne im Königsinder. Die neckischen 'Sidesteps' der beiden Könige dienen dazu, etwaigen Diagonalschachs nach dem geplanten Aufzug des f-Bauern präventiv aus dem Weg zu gehen.} 14. f4! {Schärfer als das ebenfalls vertretbare f3 (welches die Aufrechterhaltung der weißen Bauernkette zum Ziel hat); so wie Tregubov es weiterspielt, beinhaltet der Zug ein Bauernopfer.} exf4 15.
Bxf4 fxe4 16. Nxe4!? {Das erwähnte Bauernopfer. Von dem ebenfalls spielbaren, aber zahmeren Lxe4 hatte Weiß sich wohl nicht viel versprochen.} Nxd5 17. Bg5! ({Während} 17. Bxd6? Ne3 {dubios aussieht,}) ({war} 17. Nxd6 {durchaus spielbar. Aber Tregubov wollte sich wohl ungern von seinem Läuferpaar trennen.}) 17... Qb6 18.
Qe2 Rxf1+ {Merkwürdigerweise gerät Schwarz auf die Verliererstraße, ohne dass man ihm einen besonderen Vorwurf machen könnte. Da ein späterer Fehlzug des Schwarzen nicht mehr auszumachen ist, bestand hier vielleicht die letzte Chance, mit 18... h6 den späteren weißen Mattwendungen von vornherein die Spitze abzubrechen.} 19. Rxf1 Ne5 {Der schwarze Plan sieht völlig plausibel aus; im nächsten Zug wird der Lc8 entwickelt werden, und die Probleme sind gelöst. Oder?} 20. Nxd6! {Der erste hübsche Zug; weitere werden folgen.} Bg4 ({Nach} 20... Qxd6 21. Nxe5 Bxe5 (21...
Qxe5?? 22. Rf8+! {verliert durch die typische erzwungene Ablenkung des Lf8 die Dame:} Bxf8 23. Qxe5+ Bg7 (23... Kg8 24. Bxd5+ Be6 25. Bxe6# {Mattbild #1}) 24. Qe8+ Bf8 25. Qxf8# {Mattbild #2}) 22. Rf8+! Kg7 (22... Qxf8? 23. Qxe5+ Qg7 24. Qe8+ Qg8 25. Bxd5!!
Qxe8 26. Bf6# {ist auch sehr nett - Mattbild #3}) 23. Rd8! {gewinnt Weiß die Figur vorteilhaft zurück; gegenüber der Textfortsetzung wäre dies allerdings immer noch die bessere Alternative gewesen.}) 21. Nxe5! {Die einzige Widerlegung von Lg4; auf Damenzüge hätte Schwarz nämlich Ausgleich.} Bxe2 {Eine brauchbare Alternative zur Annahme des Opfers ist nicht vorhanden.} 22. Nef7+ Kg8
23. Nh6+ Bxh6 (23... Kh8 24. Ndf7# {Mattbild #4}) 24. Bxd5+ Kh8 (24... Kg7 25. Rf7+ Kh8 (
25... Kg8 26. Rd7+ Kh8 27. Bf6+ Bg7 28. Bxg7# {Mattbild #5}) 26. Bf6+ Kg8 (26... Bg7 27. Bxg7+ Kg8 28. Rd7# {Mattbild #6}
) 27. Rg7+ Kf8 (27... Kh8 28. Nf7# {Mattbild #7}) 28. Rg8# {Mattbild #8}) 25. Nf7+ Kg7 ({Das Matt vermied nur} 25... Kg8 26. Nxh6+
Kg7 (26... Kh8 27. Nf7+ Kg8 28. Nd6+ Kg7 29. Rf7+ Kh8 (29... Kg8 30. Rxb7+ Kf8
31. Bh6# {Mattbild #9}) 30. Bf6+ Kg8 31. Rxb7+ Kf8 32. Bg7# {Mattbild #9a}) 27. Rf7+ Kh8 28. Bf6+ {Ein Beinahe-Mattbild, aber Schwarz kann die Dame zurückgeben} Qxf6 29.
Rxf6 Kg7 30. Rf2! {nebst Sf7, und Weiß behält die Mehrfigur. Ob Tregubov das alles gesehen hat??! Nach dem schwarzen Textzug ist es jedenfalls leicht für Weiß.}) 26. Bxh6+ Kg8 27. Nd8+! ({Diese elegante Sperrung der 8. Reihe musste allerdings noch erkannt werden; es folgt} 27. Nd8+ Kh8 28. Rf8# {mit Mattbild #10. Von Tregubov ab dem 20. Zug im Stil der alten Meister gespielt.}) 1-0
Colorado77 - 11. Okt '16
Schöne Partie von Tregubov, der vor allem als bekennender Wolga-Spieler bekannt ist! Abenteuerlustig...
Hier hat es Lalic ihm echt einfach gemacht, Txf1 ist positionell grausam. h6 ist die Enginelösung, was auch gut geht ist S7f6, Entwicklung und Verschliessung der f-Linie. Danach ist es ausgeglichen.
Nach Massentausch auf xf6 käme auf De8+ Kg7 Tae1 der wunderschöne Zug Lh3! nach dann Dxa8-Lxg2+ Kxg2 Dc6+ ist es Dauerschach (Kg1-Db6+).
Gute Kommentare!
Vabanque - 11. Okt '16
Nun ist mir in der Überschrift auch noch ein Buchstabendreher im Namen passiert, weil mir der Spieler eben unvertraut ist und ich mir russische Namen sowieso nie merken kann ... sofern sie nicht Botwinnik oder Spassky heißen, lach ...

Es stimmt, 18... Txf1+ sieht positionell falsch aus, weil es den weißen Entwicklungsvorsprung zunächst noch vergrößert und die f-Linie aufgibt, aber Schwarz wollte halt Se5 damit vorbereiten, womit er hoffte, nach einem Zug des Lc8 wieder ins Spiel zu kommen. Und hätte Weiß nicht brillant die Dame geopfert, wäre der schwarze Plan ja aufgegangen, d.h. der 'positionell grausame' schwarze Zug wäre taktisch gerechtfertigt gewesen. Nur ist es halt hier wie oft auch so, dass der positionell verdächtige Zug auch taktisch widerlegt werden kann, freilich nur, falls man diese Widerlegung auch findet. Weiß fand sie.

Es stimmt auch, dass 18... h6 ein Enginevorschlag ist, den ich deswegen auch nicht weiter kommentiert habe. Züge, die ich nicht verstehe (was häufig bei Enginezügen der Fall ist), kommentiere ich auch nicht (wäre ja auch verlogen).

Dafür habe ich in der Schlussphase wirklich alle Verzweigungen angegeben, weil sie (selbst für wenig geübte Spieler) leicht nachzuvollziehen sind, und größtenteils sehr hübsch.

Danke für die zusätzliche Variante nach 18.... S7f6, die mir völlig entgangen war.
Kellerdrache - 12. Okt '16
Interessante Partie. Der Schlußangriff ist wirklich schön und vor allem wegen der zahlreichen Seitenwege auch gar nicht so leicht zu sehen.
Ich muß sagen, dass ich bereits bei 15...fxe4 kein gutes Gefühl hatte. Der Nachteil des weißen Aufbaus mit dem aggressiven f4 ist ja, dass die schwarzen Figuren ebenfalls aktive Möglichkeiten bekommen. Tregubov macht mit seinen Zügen aus der geschlossenen eine offene Stellung und dort zählt Entwicklung klar mehr als Material. Züge wie Se5 oder Sb6 kamen mir als Alternativen in den Sinn.
All das soll übrigens Tregubovs Leistung nicht schmälern. Jeder taktische Angriff beruht ja, wenn er denn korrekt ist, auf positionellen Fehlern des Gegners. Das war auch bei Aljechin oder Kasparov nicht anders.
Vabanque - 12. Okt '16
15... Se5 als Alternative zu fxe4 finde ich jetzt aber (ohne zu analysieren) auf den ersten Blick seltsam, weil Weiß durch Abtausch auf e5 einen gedeckten Freibauern auf d5 bekommen kann.
Es scheint allerdings generell typisch zu sein, dass heutige Glanzpartien immer aus geschlossenen Eröffnungen heraus entstehen. Offene Eröffnungen führen in der Regel dagegen zu frühzeitigem Generalabtausch und Remis. Natürlich kann man das nicht verallgemeinern, doch der beste Weg, für einen heutigen GM, eine Glanzpartie zu erzielen, scheint zu sein: Geschlossen beginnen, dann öffnen, wenn das Getümmel im Zentrum am dichtesten ist, und der Gegner mit unscheinbaren Ungenauigkeiten (die kaum zu orten sind) schon in entscheidenden Nachteil gerät.
Das ist der entscheidende Unterschied der heutigen Glanzpartien im Vergleich zu denen des 19. und frühen 20. Jh.
Kellerdrache - 12. Okt '16
So nebenbei: Als ich den Titel las dachte ich doch tatsächlich, dass es sich bei Lalic 2000 um ein Computerprogramm handelte ;-)). Erst der weitere Text eröffnete mir dann die Wahrheit.
Vabanque - 12. Okt '16
Nein, Bogdan Lalic ist ein (wenn auch sehr unbekannter) GM, und die Partie wurde ausgerechnet im Jahre 2000 gespielt :))

Wäre das nicht auch eine neue Reihe: 'Milenniumspartien', eine Sammlung von Schachpartien, die im Jahre 2000 gespielt wurden?

In den 70er Jahren gab es mal einen Schlager: 'Im Jahre 2002, ja da ist alles vorbei' ... hm, der Songtitel hat sich jedenfalls nicht bewahrheitet ;)
Colorado77 - 12. Okt '16
Lalic ist so unbekannt auch nicht, er hat mehrere Bücher verfasst, Eröffnungsbücher, die mir pers. allerdings überhaupt nicht gefielen!
Vabanque - 12. Okt '16
Gibt es eigentlich irgendeinen Spieler, den du nicht kennst? ;)