Kommentierte Spiele

Spektakuläre Schwarzsiege (VI): Enders - Jussupow 1994

Vabanque - 25. Sep '16
Heute kennt man den gebürtigen Russen Artur Jussupow (der schon lange in Deutschland lebt) hauptsächlich noch als Buchautor ('Tigersprung') und Trainer. Dass er einst ein Spieler der Weltspitze gewesen ist, scheint vergessen. Auch heute, im vorgerückten Alter, hat er noch eine Elo-Zahl von fast 2600 aufzuweisen. In der folgenden Partie, die 1994 in der Bundesliga gespielt wurde, deklassiert Jussupow seinen Gegner, den deutschen GM Peter Enders, vollkommen. Man hat - mehr noch als bei den bisherig in der Serie gezeigten Partien - den Eindruck, dass hier wieder einmal der berüchtigte NN, unbelastet von der Kenntnis gesunder Entwicklungsprinzipien, die weißen Steine geführt hat. (Nun bekomme ich wahrscheinlich lauter Minus von Enders-Fans ;)))

Peter Enders Artur Yusupov Bundesliga 9495 | Germany | 1994 | C43 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 Die Russische Verteidigung gilt ja heute (insbesondere seit dem Wettkampf Hübner-Smyslov 1983) allgemein als eine Remisfortsetzung. Das war aber nicht immer so gewesen; z.B. war Russisch die bevorzugte Waffe von Frank Marshall gegen 1. e4, mit der er etliche glänzende Schwarzsiege erfocht. Dass dies immer noch passieren kann, wenn Weiß ungenau spielt, zeigt diese Partie. 3. d4 Eine zu 3. Sxe5 gleichwertige Fortsetzung. Sxe4 exd4 ist ebenfalls spielbar, aber gefährlicher für Schwarz. Der Textzug ist mehr im Sinne der Idee von Russisch. 4. Ld3 d5 5. Sxe5 dxe5 ist auch gut, wird aber viel seltener gespielt. Sd7 Schwarz 'befragt' den weißen Vorposten sofort. Der vorgeschobene Springer kann sich auf seinem Platz nicht halten und muss sich tauschen. Aber wie sieht es mit dem schwarzen Vorpostenspringer aus? 6. Sxd7 Lxd7 7. O-O Le7 Üblicher ist Ld6. 8. c3?! Eine sehr zahme Fortsetzung. Weiß sollte sofort mit c4 oder Te1 den weißen Vorpostenspringer unterminieren. Enders erkennt - ähnlich wie Topalov in der ersten Folge der Serie - die Erfordernisse der Stellung nicht. O-O 9. Dc2 Ld6! Diesen 'Zeitverlust' kann sich Schwarz gut leisten, er hat trotzdem ein Tempo Vorsprung. 10. Lxe4? Und deswegen sollte Weiß hier nicht zuschnappen! Eigentlich unverständlich, dass Enders glaubt, sich diesen Bauernraub leisten zu können. xe4 11. Dxe4 Lb5! Diesen Zug hat Weiß bestimmt übersehen, aber bei dem schwarzen Entwicklungsvorsprung ist es jetzt nicht so überraschend, dass gleich etwas 'geht'. 12. c4
Weiß gibt den geopferten Bauern bereits wieder zurück, was noch das Beste ist. 12. Te1 Te8 verliert natürlich auf der Stelle, aber auch nach
12. Td1 Te8 13. Dc2 bessere Felder für die Dame gibt es nicht Dh4 wird der schwarze Angriff übermächtig. Da muss man auch nicht groß analysieren, allein die wie eine Schafherde am Damenflügel zusammengedrängte weiße Figurenstellung (während der Wolf am Königsflügel zuschlägt) spricht Bände.
Lxc4 13. Te1 Der Sinn von c4 bestand darin, den schwarzen Läufer von der Deckung von e8 abzulenken, so dass Weiß jetzt nach Te8 mit der Dame auf e8 schlagen und ins Endspiel abwickeln könnte. Ld5!
Auch das Endspiel nach Te8 14. Dxe8+ Dxe8 15. Txe8+ Txe8 16. Le3 ist wegen des Läuferpaars und des Isolanis auf d4 günstig für Schwarz. Jussupow aber sieht gute Chancen, die Partie nicht im Endspiel, sondern im Angriff zu gewinnen. Die Folge gibt ihm Recht.
14. Dd3
Natürlich nicht 14. Dxd5?? Lh2+ mit Damengewinn. Jetzt stehen die schwarzen Läufer ideal.
Dh4 15. h3 Tae8 16. Td1?
Der Abtausch 16. Txe8 Txe8 17. Le3 war immer noch besser als dieses Ausweichen, das schnell verliert.
Le4 17. Dc4 Mit Db3 konnte Weiß die folgende Wendung verhindern, aber dann wäre mit Te6 der schwarze Turm zum Angriff gekommen, so dass Weiß ebenfalls nichts mehr zu lachen gehabt hätte. Lf3!
Bereits der machtvolle Schlussakkord! Nach Lf3 kann der angegriffene weiße Turm nirgends hin (er kann die Grundreihe nicht verlassen wegen Te1+, aber auf Tf1 gewinnt schon das einfache Le2, wenn Schwarz nicht noch etwas Stärkeres hat). Wenn Weiß den Läufer aber schlägt, kommt 18. xf3 Dxh3 und Schwarz droht Dh2+ nebst Dh1#, da dem weißen König die Flucht über die e-Linie versperrt ist. Nur zwei Züge verhindern dann das unmittelbare Matt, nämlich 19. f4, das aber direkt an Dg4+ mit Gewinn des Td1 scheitert, und 19. Le3 , was die e-Linie für den weißen König zunächst wieder zugänglich macht, worauf aber das folgende sehr instruktive Manöver folgt: Lh2+ 20. Kh1 Lf4+! 21. Kg1 Txe3! und wieder kann der weiße König die e-Linie nicht betreten 22. xe3 sonst Dh2+ nebst Dh1+ Lxe3# mit einem schönen finalen Mattbild. Trotz des außerordentlich schwachen weißen Spiels eine ausgesprochene Lehrstunde in Angriffsführung.
PGN anzeigen[Event "Bundesliga 9495"]
[Site "Germany"]
[Date "1994.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "?"]
[Result "0-1"]
[White "Peter Enders"]
[Black "Artur Yusupov"]
[ECO "C43"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "34"]

1. e4 e5 2. Nf3 Nf6 {Die Russische Verteidigung gilt ja heute (insbesondere seit dem Wettkampf Hübner-Smyslov 1983) allgemein als eine Remisfortsetzung. Das war aber nicht immer so gewesen; z.B. war Russisch die bevorzugte Waffe von Frank Marshall gegen 1. e4, mit der er etliche glänzende Schwarzsiege erfocht. Dass dies immer noch passieren kann, wenn Weiß ungenau spielt, zeigt diese Partie.} 3. d4 {Eine zu 3. Sxe5 gleichwertige Fortsetzung.} Nxe4 {exd4 ist ebenfalls spielbar, aber gefährlicher für Schwarz. Der Textzug ist mehr im Sinne der Idee von Russisch.} 4. Bd3 d5 5. Nxe5 {dxe5 ist auch gut, wird aber viel seltener gespielt.} Nd7 {Schwarz 'befragt' den weißen Vorposten sofort. Der vorgeschobene Springer kann sich auf seinem Platz nicht halten und muss sich tauschen. Aber wie sieht es mit dem schwarzen Vorpostenspringer aus?} 6. Nxd7 Bxd7 7. O-O Be7 {Üblicher ist Ld6.} 8.
c3?! {Eine sehr zahme Fortsetzung. Weiß sollte sofort mit c4 oder Te1 den weißen Vorpostenspringer unterminieren. Enders erkennt - ähnlich wie Topalov in der ersten Folge der Serie - die Erfordernisse der Stellung nicht.} O-O 9. Qc2 Bd6! {Diesen 'Zeitverlust' kann sich Schwarz gut leisten, er hat trotzdem ein Tempo Vorsprung.} 10. Bxe4? {Und deswegen sollte Weiß hier nicht zuschnappen! Eigentlich unverständlich, dass Enders glaubt, sich diesen Bauernraub leisten zu können.} dxe4 11. Qxe4 Bb5! {Diesen Zug hat Weiß bestimmt übersehen, aber bei dem schwarzen Entwicklungsvorsprung ist es jetzt nicht so überraschend, dass gleich etwas 'geht'.} 12. c4 ({Weiß gibt den geopferten Bauern bereits wieder zurück, was noch das Beste ist.} 12. Re1 Re8 {verliert natürlich auf der Stelle, aber auch nach})(12. Rd1 Re8 13. Qc2 {bessere Felder für die Dame gibt es nicht} Qh4 {wird der schwarze Angriff übermächtig. Da muss man auch nicht groß analysieren, allein die wie eine Schafherde am Damenflügel zusammengedrängte weiße Figurenstellung (während der Wolf am Königsflügel zuschlägt) spricht Bände.}) Bxc4 13. Re1 {Der Sinn von c4 bestand darin, den schwarzen Läufer von der Deckung von e8 abzulenken, so dass Weiß jetzt nach Te8 mit der Dame auf e8 schlagen und ins Endspiel abwickeln könnte.} Bd5! ({Auch das Endspiel nach} 13. Re8 14. Qxe8+ Qxe8 15. Rxe8+ Rxe8 16. Be3 {ist wegen des Läuferpaars und des Isolanis auf d4 günstig für Schwarz. Jussupow aber sieht gute Chancen, die Partie nicht im Endspiel, sondern im Angriff zu gewinnen. Die Folge gibt ihm Recht.}) 14. Qd3 ({Natürlich nicht} 14. Qxd5?? Bh2+ {mit Damengewinn. Jetzt stehen die schwarzen Läufer ideal.})
Qh4 15. h3 Rae8 16. Rd1? ({Der Abtausch} 16. Rxe8 Rxe8 17. Be3 {war immer noch besser als dieses Ausweichen, das schnell verliert.}) 16... Be4 17. Qc4 {Mit Db3 konnte Weiß die folgende Wendung verhindern, aber dann wäre mit Te6 der schwarze Turm zum Angriff gekommen, so dass Weiß ebenfalls nichts mehr zu lachen gehabt hätte.} Bf3! ({Bereits der machtvolle Schlussakkord! Nach} 17... Bf3 {kann der angegriffene weiße Turm nirgends hin (er kann die Grundreihe nicht verlassen wegen Te1+, aber auf Tf1 gewinnt schon das einfache Le2, wenn Schwarz nicht noch etwas Stärkeres hat). Wenn Weiß den Läufer aber schlägt, kommt} 18. gxf3 Qxh3 {und Schwarz droht Dh2+ nebst Dh1#, da dem weißen König die Flucht über die e-Linie versperrt ist. Nur zwei Züge verhindern dann das unmittelbare Matt, nämlich 19. f4, das aber direkt an Dg4+ mit Gewinn des Td1 scheitert, und} 19. Be3 {, was die e-Linie für den weißen König zunächst wieder zugänglich macht, worauf aber das folgende sehr instruktive Manöver folgt:} Bh2+ 20. Kh1 Bf4+! 21. Kg1 Rxe3! {und wieder kann der weiße König die e-Linie nicht betreten} 22. fxe3 {sonst Dh2+ nebst Dh1+} Bxe3# {mit einem schönen finalen Mattbild. Trotz des außerordentlich schwachen weißen Spiels eine ausgesprochene Lehrstunde in Angriffsführung.}) 0-1
Kellerdrache - 26. Sep '16
Das Leben ist voller Überraschungen. Jussupow galt ja eigentlich weniger als überragender Kombinationskünstler und Angriffsspieler. Wie aber auch die netten Gegenbeispiele von Spielern wie Petrosjan, Leko oder Karpov gezeigt haben - am Können liegt es in der Regel nicht.
Entsprechend provoziert durch Enders Aufbau kann auch der ruhige Herr Jussupow mal dazwischenhauen das es nur so staubt. Ich hab beim Mannschaftskampf im Nahschach mal wieder mehrfach erleben dürfen wie schnell man eine überlegene Stellung versauen kann. Vielleicht sollte ich diese Partie mal als Lehrbeispiel am nächsten Spielabend vorführen.
Vielen Dank für die Kommentierung die nicht nur den Schlußangriff verständlich macht, sondern auch die zu Grunde liegenden Fehler von GM Enders.
positiva - 06. Okt '16
schön! vielen dank, immer wieder spannend und lehrreich..
mit lieben grüssen,
positiva