Kommentierte Spiele
Viktor Kortschnoi (III) : Kasparov-Kortschnoi
Kellerdrache - 16. Jun '16
Die nachfolgende Begegnung ist aus dem Kandidatenwettkampf, den Kortschnoi bereits am grünen Tisch gewonnen hatte. Aus Sportlichkeit oder auch aus Stolz verzichtete er aber auf diese Art Sieg und verlor den Wettkampf.
Viktor Kortschnoi war zu diesem Zeitpunkt mehr als 30 Jahre älter als sein Gegner. Vielleicht war Kasparov ihm aber auch als Feindbild nicht verhasst genug und er konnte nicht alle Kräfte mobilisieren. In der ersten Partie aber, als er noch frisch und ausgeruht war zeigte er sich von der besten Seite































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Viktor Kortschnoi war zu diesem Zeitpunkt mehr als 30 Jahre älter als sein Gegner. Vielleicht war Kasparov ihm aber auch als Feindbild nicht verhasst genug und er konnte nicht alle Kräfte mobilisieren. In der ersten Partie aber, als er noch frisch und ausgeruht war zeigte er sich von der besten Seite
Kasparov, Garry Kortschnoj, Viktor London | 1983 | E12 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 b6 4. Sc3 Lb7 5. a3 "Oh Gott, da hat aber einer Angst" pflegte ein Schachfreund von mir zu sagen wenn er solche Züge sah. a3 ist eine Erfindung von Petrosjan. Lässt man als Weißer Lb4 zu hat man es wegen der Fesselung des Sc3 schwer e4 durchzusetzen. d5 6. xd5 Sxd5 7. e3 g6 Ich hatte das Glück für meinen Kommentar sowohl auf das Buch von Kortschnoi als auch den Band von Kasparov zurückgreifen zu können. Kasparov schreibt, dass er in den Stellungen die nach der herkömmlichen Fortsetzung mit Le7 entstehen und ihm einen kombinierten Angriff in Zentrum und auf dem Königsflügel erlaubten in dieser Zeit sehr erfolgreich war. Kortschnois Abweichung brachte ihn sofort aus dem Konzept. 8. Lb5+ c6 9. Ld3 Lg7 10. e4 Sxc3 11. xc3 Das sieht jetzt eher so ein wenig nach Grünfeld-Indisch aus und das Mittespiel wird sich vorerst auch entlang dessen Motiven entwickeln. c5 So haben Reti und Nimzowitsch sich das mal vorgestellt. Erst darf das Gegenüber ein großes Zentrum aufbauen, dann wird es unter Druck gesetzt. Wer Grünfeld-Indisch spielt weiß, dass der c3 eine lästige Schwäche ist die die Beweglichkeit der weißen Zentrumsbauern einschränkt. 12. Lg5 Das ist einer dieser Züge, die ich selbst fast nie spiele. Der Läufer kann ja sofort mit f6 wieder vertrieben werden. Allerdings hat er mit e3 ja ein passables Ausweichfeld und Kortschnoi hätte seine zukünftige Königsstellung geschwächt. Dd6 Die Dame bleibt auf der d-Linie um den Druck auf d4 am Leben zu erhalten. Aber warum nicht direkt Dd7? Offensichtlich schätzte Kortschnoi den Tempogewinn durch e5 nicht hoch ein. Das ganze Zentrum verliert dadurch einen großen Teil der Beweglichkeit. 13. e5 Dd7 14. xc5 diesen Zug hielten Kasparov und Kortschnoi beide für einen Fehler obwohl er ja auf den ersten Blick nicht so schlecht aussieht. O-O
Überraschung ! Weiß hatte nur mit xc5 15. Lb5 Lc6 16. a4 gerechnet, wonach Weiß schon besser steht. Nach einem Tausch auf d1 droht beispielsweise Td8+, nach Schlagen auf b5 wird der dort auftauchende Bauer schnell lästig weil er zum einen die Enitwicklung des Springers behindert und zum anderen schnellen Vormarsch droht, da der Turm auf a8 nach z.B. axb6 ungedeckt wäre. Kortschnoi verzichtet erstmal auf den Bauern, vollendet seine Entwicklung und verlässt sich darauf schon einen der Schwächlinge auf e5 oder c3 zu bekommen.
15. xb6 xb6 16. O-O Dc7 der besagte Angriff auf e5 und c3. Schwarz kann den Druck auf die Bauern mit ganz normalen Entwicklungszügen wie Sc6 und Ta5, nebst Tfc8 verstärken. Diese Art von Passivität gefällt Kasparov nicht und er entscheidet sich den Bauern zurück zu geben und stattdessen die schwarze Entwicklung zu behindern. 17. Lb5 17. Te1 das hatte Weiß zu erst vor. Von den beiden Bauern ist der e5 eindeutig der wichtigere. Sd7 greift den e5 an ohne die Diagonale des Lb7 zu versperren. Wie Kasparov zeigt muß man aber willens sein eine Qualität herzugeben. 18. Le7 sehr lästig, da nach Ld6 der Gewinn des e5 schwer wird. Lxf3 19. xf3 nach Df3 fällt der e5 sogar noch mit Tempo
Lxe5 18. Lh6 Lg7 19. Lxg7 Kxg7 Schwarz hat freiwillig seinen Fianchettoläufer getauscht was vielen Neulingen als Todessünde gelehrt wird. Kortschnoi spielt gegen seinen als Taktiker bekannten Gegner positionell auf seine bessere Bauernstruktur, er hat eine Schwäche auf b6, Kasparov zwei auf c3 und a3. 20. Dd4+ Kg8 21. Sg5 19. Dxf3 Sxe5 20. Txe5 nach einem Wegzug der Dame fällt ja einfach der Le7 Lxe5 21. Lxf8 Txf8 und es hängen c3 und h2.
Lxe5 20. Lxf8 Lxh2+ 21. Kg2 Txf8 Hier hat Schwarz etliche Einbruchsrouten in die weiße Königsfestung. Garri entschied das sei nicht nach seinem Geschmack. Sowohl Kortschnoi als auch Kasparov hielten 21. Se5 für besser. Td8 22. Dh4 Dxe5 geht ja nicht weil dann der Td8 ungedeckt wäre Td5 und beide Leichtfiguren hängen. 23. Sg4 Txb5 24. Tad1 sehr gut! Es droht Td8+ und nach Sc6 wäre Td7 möglich, weil nach Dxd7 die Gabel auf f6 folgt Td5 25. c4 Txd1 26. Sf6+ Kf8 27. Txd1 und Remis sollte drin sein h5 28. Dg5 Ta5 29. Dh6+ Ke7 nebst Dauerschach indem der Springer zwischen f6 und g8 hin- und herspringt.
h6 22. Se4 Lxe4 Nimmt den stärksten Angreifer des Gegners vom Brett. Entgegen der herkömmlichen Weißheit schätzt der damals schon über 50jährige den Springer im kommenden Endspiel als die stärkere Figur ein 23. Dxe4 Sa6 24. De3 Dc5 Über den Abtausch kommt der Springer aktiv ins Spiel. 25. Dxc5 die Alternativen sehen nicht besser aus. Sxc5 26. Tfb1 sofort wird die Schwäche des Schwarzen, der Bauer b6 angegriffen. Nur noch den Läufer aus der Schußlinie und es geht los Tfd8 27. Lf1 Td6 28. Tb4 Ein gutes Feld für den Turm, der von hier die vierte Reihe kontrolliert und Se4 verhindert. Kf8 29. a4 Ta5 um erst einmal den weiteren Vorstoß des a-Bauern zu verhindern 30. g3 Ke7 31. Kg2 f5 der Springer möchte immer noch nach e4 32. Lb5 Td2 Kortschnoi möchte nicht länger warten und sich mit Turm und Springer am Königsflügel umsehen. Vermutlich wäre es sicherer gewesen vorher den König nach c7 zu überführen wo er den schwachen b6 deckt. 33. Td4 dieser Zug nutzt den Nachteil des voreiligen Td2, nämlich b6 im Stich gelassen zu haben nicht aus. Besser wäre es gewesen mit Tab1 die Türme zu verdoppeln. Auf Se4 kann der Bauern f2 von der zweiten Reihe aus gedeckt werden ohne den Druck auf b6 aufzugeben. Txd4 34. xd4 Sxa4 Wie Kasparov zugibt hat er diesen, für einen Großmeister, simplen Bauerngewinn in Zeitnot übersehen. Schlägt der Läufer wird er mit b5 eingesammelt, da der Turm auf der Grundreihe ungedeckt ist. Also mit dem Turm, wonach der Läufer selber ohne Deckung bleibt. 35. Txa4 Txb5 36. Ta7+ Kd6 Ein wichtiger Zug, den so vermutlich viele von uns nicht gezogen hätten. Kf6 sieht sicherer für den König aus und man kann auch leicht die Bauern decken. Aber es ist auch passiv und gibt Weiß Zeit seine Verteidigung aufzubauen. Außerdem kann der weiße Turm sich dann auf das Wunschfeld b7 hinter dem gegnerischen Freibauern plazieren und die Umwandlung erschweren. Mit dem König auf d6 würde dieser Turm sofort wiedervertrieben 37. Th7 h5 Mein laienhafter Schachinstinkt hätte mir hier geraten den g-Bauern zu retten und den Randbauern zu geben. Nach 37. ..g5 38. Txh6 kann aber der g-Bauer von hinten angegriffen werden. g4 ist dann zwar möglich aber der ganz Königsflügel wird danach unbeweglich. 38. Tg7 Td5 39. Txg6 b5 Txd5 eilt nicht. Zuerst werden mit dem Bauernvormarsch Drohungen aufgestellt. 40. Kf3 b4 Kasparov nennt das eine Frage des Stils. Man kann ihm Recht geben, dass Txd5 auch gewonnen hätte. 41. Ke3 Versucht der Turm über g8-b8 noch hinter den Freibauen zu kommen ist Schwarz mit Tb5 schneller b3 42. Kd2 Txd4+ 43. Kc3 Turm und Freibauern hängen. Hat Kortschnoi, einer der besten Endspielkenner der Schachgeschichte etwas übersehen ? b2 Wie so oft in der Schachpraxis wird ein Freibauern nicht umgewandelt sondern zeigt seinen Wert indem er wertvolle Resourcen an die Verhinderung der Umwandlung bindet. 44. Kxb2 Td2+ Und der Angriff wird auf den anderen Flügel verlagert. Der weiße König ist jetzt weit ab vom Schuß. 45. Kc3 Txf2 46. h4 f4 47. Tg5 andere Züge sind nicht besser Tf3+ 48. Kd4 Txg3 49. Txh5 Te3 Präzise wie man es von Viktor Kortschnoi erwartet. Der König wird nicht an den Bauern herangelassen 50. Th6 Ke7 Das muss sein. Der e-Bauern wird entfesselt und der König hält im Zweifelsfall den h-Bauern auf. 51. h5 e5+ Der weiße König muß vom Turm wegziehen und der f-Bauer wird wieder mobil 52. Kd5 f3
Vabanque - 16. Jun '16
Eine hochklassige Partie mit vielen Feinheiten, die du sehr schön herausgearbeitet hast, ohne dich zu sehr ins Variantendickicht zu begeben.
Natürlich hat diese Positionspartie viel Taktik, die quasi unter der Oberfläche brodelt (und nicht aufs Brett kommt).
Hätte ich diese Partie vorgesetzt bekommen, ohne die Namen der Spieler zu wissen (wobei dies zugegebenermaßen eine rein hypothetische Annahme ist), so wäre ich wohl kaum auf Kasparov und Kortschnoi gekommen. Eher hätte ich Spieler aus der ersten Hälfte des 20. Jh. dahinter vermutet, Schwarz hätte Lasker sein können, Weiß vielleicht Janowski. Jedenfalls macht die Partie einen zeitlosen Eindruck.
Übrigens muss es im Kommentar zum 39. wie auch zu 40. Zug natürlich Txd4 (statt Txd5) heißen, aber das sieht ja jeder sofort, dass das nur vertippt ist. Ansonsten sind mir auf die Schnelle jetzt keine Fehler aufgefallen (nur Tippfehler im Text), was bei der Länge der Kommentare schon sehr gut ist. Aber die Kommentare sind ja vor allem auch sehr gut ausgearbeitet und erklären zu jedem Zug das wirklich Wichtige. So stelle ich mir einen guten Partiekommentar vor, aber anders ist man es von dir aber sowieso nicht gewohnt. Am Schluss hättest du natürlich noch schreiben können: 'und Weiß kann nicht mehr verhindern, dass der f-Bauer sich umwandelt, auch Turmschachs ändern daran nichts', aber das kann man mit einiger Überlegung sich dann auch selber ausmalen.
Natürlich hat diese Positionspartie viel Taktik, die quasi unter der Oberfläche brodelt (und nicht aufs Brett kommt).
Hätte ich diese Partie vorgesetzt bekommen, ohne die Namen der Spieler zu wissen (wobei dies zugegebenermaßen eine rein hypothetische Annahme ist), so wäre ich wohl kaum auf Kasparov und Kortschnoi gekommen. Eher hätte ich Spieler aus der ersten Hälfte des 20. Jh. dahinter vermutet, Schwarz hätte Lasker sein können, Weiß vielleicht Janowski. Jedenfalls macht die Partie einen zeitlosen Eindruck.
Übrigens muss es im Kommentar zum 39. wie auch zu 40. Zug natürlich Txd4 (statt Txd5) heißen, aber das sieht ja jeder sofort, dass das nur vertippt ist. Ansonsten sind mir auf die Schnelle jetzt keine Fehler aufgefallen (nur Tippfehler im Text), was bei der Länge der Kommentare schon sehr gut ist. Aber die Kommentare sind ja vor allem auch sehr gut ausgearbeitet und erklären zu jedem Zug das wirklich Wichtige. So stelle ich mir einen guten Partiekommentar vor, aber anders ist man es von dir aber sowieso nicht gewohnt. Am Schluss hättest du natürlich noch schreiben können: 'und Weiß kann nicht mehr verhindern, dass der f-Bauer sich umwandelt, auch Turmschachs ändern daran nichts', aber das kann man mit einiger Überlegung sich dann auch selber ausmalen.
Vabanque - 16. Jun '16
Ach ja, und das dies nicht Teil IV sondern nochmals Teil III der Serie ist, ist ein Fehler, der von mir stammen könnte ;)
Kellerdrache - 17. Jun '16
Tja, solche Fehler mit der Überschrift passieren wenn man nach der Arbeit noch sein Gehirn benutzen will. Ursprünglich hatte mein Kommentar noch etliche Varianten mehr, aber ich habe mich entschieden sie nach Möglichkeit durch Erklärungen zu ersetzen.
Heutzutage ist es leider oft so, dass die knackigen Kombinationen und Opfer nur noch in den Varianten zu sehen sind und nicht mehr aufs Brett kommen. Man kann in dieser Partie an diversen Stellen einfach nur Kortschnois Positionsgefühl bewundern. Seine Entscheidung den Läufer gegen Kasparovs Springer zugeben z.B. erweist sich als richtig, aber woran macht man das zum Zeitpunkt des Abtausches fest ? Lasker und Kortschnoi haben tatsächlich häufig einen sehr ähnlichen Stil, auch wenn solche Vergleiche über die Jahrzehnte hinweg natürlich wegen der Entwicklungen in Theorie und der Mehrzahl der gespielten Partien hinken. Beide haben ja auch bis in ihre späten Jahre noch Erfolge erzielt, während ihre Zeitgenossen bereits gemütlich auf dem Sofa lagen.
Heutzutage ist es leider oft so, dass die knackigen Kombinationen und Opfer nur noch in den Varianten zu sehen sind und nicht mehr aufs Brett kommen. Man kann in dieser Partie an diversen Stellen einfach nur Kortschnois Positionsgefühl bewundern. Seine Entscheidung den Läufer gegen Kasparovs Springer zugeben z.B. erweist sich als richtig, aber woran macht man das zum Zeitpunkt des Abtausches fest ? Lasker und Kortschnoi haben tatsächlich häufig einen sehr ähnlichen Stil, auch wenn solche Vergleiche über die Jahrzehnte hinweg natürlich wegen der Entwicklungen in Theorie und der Mehrzahl der gespielten Partien hinken. Beide haben ja auch bis in ihre späten Jahre noch Erfolge erzielt, während ihre Zeitgenossen bereits gemütlich auf dem Sofa lagen.
Vabanque - 17. Jun '16
Dein Gehirn funktionierte nach der Arbeit noch ganz gut ;)
Nein, die Anzahl der gegebenen Varianten finde ich genau richtig so. Mehr kann der durchschnittliche Schachkonsument (der ja hauptsächlich die Partie genießen und nebenbei noch ein wenig Schachverständnis dazulernen will) nicht verdauen.
Lasker und Kortschnoi sind sich insofern ähnlich, als beide auch vor einer sehr schwierigen Verteidigungsaufgabe nicht zurückgeschreckt sind, und bei beiden kann man schlecht sagen, ob sie mehr ein strategischer oder mehr ein taktischer Spieler gewesen sind. Bei beiden ist die Taktik in die Strategie eingewoben. Die Partien sind in der Regel hochkompliziert, und das kämpferische Element dominiert.
Die Zeitgenossen lagen aber nicht unbedingt auf dem Sofa, viele waren schon tot, als Lasker und Kortschnoi noch einmal so richtig 'aufgedreht' haben ;)
Nein, die Anzahl der gegebenen Varianten finde ich genau richtig so. Mehr kann der durchschnittliche Schachkonsument (der ja hauptsächlich die Partie genießen und nebenbei noch ein wenig Schachverständnis dazulernen will) nicht verdauen.
Lasker und Kortschnoi sind sich insofern ähnlich, als beide auch vor einer sehr schwierigen Verteidigungsaufgabe nicht zurückgeschreckt sind, und bei beiden kann man schlecht sagen, ob sie mehr ein strategischer oder mehr ein taktischer Spieler gewesen sind. Bei beiden ist die Taktik in die Strategie eingewoben. Die Partien sind in der Regel hochkompliziert, und das kämpferische Element dominiert.
Die Zeitgenossen lagen aber nicht unbedingt auf dem Sofa, viele waren schon tot, als Lasker und Kortschnoi noch einmal so richtig 'aufgedreht' haben ;)