Kommentierte Spiele

Die Vergessenen (IX): Gheorghiu

Vabanque - 03. Nov '16
Zu den Vergessenen ist auch der 9-malige rumänische Meister, GM Florin Gheorghiu (geb. 1944) zu rechnen; er wurde 1963 Jugendweltmeister und schlug 1966 Bobby Fischer auf der Schacholympiade von Havanna. Bis in die frühen 80er Jahre hinein belegte er noch viele vordere Plätze in stark besetzten internationalen Turnieren; danach wurde es still um ihn. Heute ist er wohl schachlich nicht mehr aktiv.
Die folgende Partie wurde bei der Jugendweltmeisterschaft 1961 gespielt, als Gheorghiu erst 17 Jahre alt war; und zwar gegen den gleichaltrigen Schweden Ove Kinnmark.

Florin Gheorghiu Ove Kinnmark The Hague | Wch U20 fin-A | 7 | 1961 | E11 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 An dieser Stelle kann Schwarz entweder mit b6 die Damenindische Verteidigung wählen oder mit d5 ins Damengambit einlenken. Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit, die in dieser Partie zur Anwendung kommt: Die Bogoljubow-indische Verteidigung. Die schwarze Behandlungsweise gerät aber hier nicht gerade zu einer Werbeveranstaltung für diese Variante. Lb4+ 4. Sbd2 Auch Ld2 ist gut und üblich. d5 5. e3 O-O 6. Dc2 c6 Schwarz lenkt in eine Art Halbslawisch ein, wo der Läufer auf b4 aber ziemlich nutzlos herumsteht. 7. Ld3 Sbd7 8. O-O Ld6 Eben. Schwarz muss ein Tempo verlieren, um diesen Läufer einer sinnvolleren Verwendung zuführen zu können. Er plant e5. 9. e4 Weiß kommt ihm aber mit der Öffnung der Stellung zuvor. xe4 10. Sxe4 Sxe4 11. Lxe4 Nun ist tatsächlich eine bekannte Stellung der Halbslawischen Verteidigung mit einem Mehrtempo (Dc2) entstanden. Dies kann ja nur gut für Weiß sein. Schon hängt h7. h6 Natürlicher erscheint Sf6, aber Schwarz verfolgt weiterhin seinen Plan e5 und braucht dafür den Springer auf e5. 12. b3 Dem schwarzfeldrigen Läufer wird eine schöne Diagonale bereitet. e5 13. Lb2 Und natürlich tauscht Weiß nicht etwa selbst, was die schwarze Stellung befreien würde, sondern lässt tauschen. xd4 Dc7 geht ja nicht wegen c5! mit Gewinn des Bauern e5. Und auf e7 hätte die schwarze Dame erst recht kein freudiges Leben, da sich ihr gleich ein weißer Turm auf e1 entgegen stellen würde. Te8 kam vielleicht noch in Frage. Schwarz tauscht, um dem Sd7 das Feld c5 frei zu machen. 14. Lxd4 Sc5 15. Lh7+! Sieht auf den ersten Blick etwas merkwürdig aus, aber Weiß will dem Schwarzen nicht das Läuferpaar gönnen, und der Läufer verläuft sich hier auch nicht auf h7, da Schwarz keine Möglichkeit hat, ihn mittels g6 abzuschneiden. Kh8 16. Tad1 Droht schon Lxc5. Dc7 17. h3 Um dem Lc8 nicht das gute Entwicklungsfeld g4 zu gönnen. a5 Dies ist in Hinblick auf den nächsten schwarzen Zug inkonsequent. Warum sollte Schwarz b4 verhindern, wenn er den Springer sowieso nach e6 wegziehen will? Aber die schwarze Stellung ist eben schon so schlecht geworden, das ein guter Plan nicht mehr leicht zu finden ist. Gheorghiu hat nach 17 Zügen seinen Gegner bereits überspielt, und das, ohne irgendetwas Besonderes zu machen. 18. Lb2 Der Läufer macht die d-Linie frei und ermöglicht auch ein eventuelles Dc3 mit Mattdrohung auf g7. Se6 19. Lf5 Natürlich würde jetzt, wo g7 gedeckt ist, sich Schwarz nach Dc3?? einfach auf h7 bedienen können. b5
Nun fällt ihm gar nichts mehr ein. Aber Ld7?? würde ja nach 20. Dd2 bereits einen Läufer kosten!
20. Tfe1 b4 21. Se5 Während Schwarz nichts Konstruktives an seiner Stellung zu verbessern weiß, verstärkt Weiß in der Zwischenzeit konsequent die seinige. Schon droht Sxf7 mit Entwurzelung des Se6 (die schwarze Dame musss ja auch den Ld6 bewachen). Sc5 Deswegen zieht der Ritter beleidigt von dannen. Damit ist aber eine weitere Figur von der Verteidigung des Königsflügels abgezogen. Nun findet Gheorghiu einen forcierten Gewinn, der die schwache Grundreihe von Schwarz (bedingt durch die fehlende Verbindung der Türme) ausnutzt. 22. Txd6! Dieses Qualitätsopfer hat als Pointe zwei weitere Opfer. Dxd6
Noch schlimmer kommt es nach Lxf5 23. Txh6+ xh6 24. Sxf7+ Kg8 25. Sxh6+ Kh7 26. Sxf5
23. Sxf7+! Lenkt den Turm von der Bewachung der Grundreihe ab. Txf7 24. Te8+ Df8
Er hofft zwei Türme für die Dame zu bekommen. Nach Tf8 käme nämlich 25. Dd2!! mit Ablenkung der schwarzen Dame von der Deckung von f8. Normalerweise sieht man dieses Kombinationsmotiv bei fehlendem Luftloch. Hier dagegen besteht das Luftloch auf h7 sogar, ist aber wertlos wegen des weißen Lf5! Txe8
oder Sd3 26. Dxh6+!! wenn Schwarz die weiße Dame nicht nehmen will, wird er eben dazu gezwungen! Dxh6 27. Txf8#
26. Dxd6 Lxf5 27. Dxh6+
25. Txf8+ Txf8 26. Dd2! Schwarz büßt wegen der kräftigen Drohung Dxh6+ nebst Matt weiteres Material ein. Kg8
Lxf5 27. Dxh6+
27. Dd4 Wieder eine Mattdrohung, die nun den Sc5 kostet. Tf7 28. Lxc8 Txc8 29. Dxc5 Tcf8 30. Ld4 Hier gab der Schwede auf; er hat Figur und Bauer weniger, und es fällt noch ein Bauer. Von Gheorghiu stark und phantasievoll gespielt; eine überzeugende Talentprobe des damals 17jährigen.
PGN anzeigen

[Event "The Hague"]
[Site "Wch U20 fin-A"]
[Date "1961.??.??"]
[EventDate "1961.??.??"]
[Round "7"]
[Result "1-0"]
[White "Florin Gheorghiu"]
[Black "Ove Kinnmark"]
[ECO "E11"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "59"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nf3 {An dieser Stelle kann Schwarz entweder mit b6 die Damenindische Verteidigung wählen oder mit d5 ins Damengambit einlenken. Es gibt aber auch noch eine dritte Möglichkeit, die in dieser Partie zur Anwendung kommt: Die Bogoljubow-indische Verteidigung. Die schwarze Behandlungsweise gerät aber hier nicht gerade zu einer Werbeveranstaltung für diese Variante.} Bb4+ 4. Nbd2 {Auch Ld2 ist gut und üblich.} d5 5. e3 O-O 6. Qc2 c6 {Schwarz lenkt in eine Art Halbslawisch ein, wo der Läufer auf b4 aber ziemlich nutzlos herumsteht.} 7. Bd3 Nbd7 8.
O-O Bd6 {Eben. Schwarz muss ein Tempo verlieren, um diesen Läufer einer sinnvolleren Verwendung zuführen zu können. Er plant e5.} 9. e4 {Weiß kommt ihm aber mit der Öffnung der Stellung zuvor.} dxe4 10. Nxe4 Nxe4 11. Bxe4 {Nun ist tatsächlich eine bekannte Stellung der Halbslawischen Verteidigung mit einem Mehrtempo (Dc2) entstanden. Dies kann ja nur gut für Weiß sein. Schon hängt h7.} h6 {Natürlicher erscheint Sf6, aber Schwarz verfolgt weiterhin seinen Plan e5 und braucht dafür den Springer auf e5.} 12. b3 {Dem schwarzfeldrigen Läufer wird eine schöne Diagonale bereitet.} e5 13. Bb2 {Und natürlich tauscht Weiß nicht etwa selbst, was die schwarze Stellung befreien würde, sondern lässt tauschen.} exd4 {Dc7 geht ja nicht wegen c5! mit Gewinn des Bauern e5. Und auf e7 hätte die schwarze Dame erst recht kein freudiges Leben, da sich ihr gleich ein weißer Turm auf e1 entgegen stellen würde. Te8 kam vielleicht noch in Frage. Schwarz tauscht, um dem Sd7 das Feld c5 frei zu machen.} 14. Bxd4
Nc5 15. Bh7+! {Sieht auf den ersten Blick etwas merkwürdig aus, aber Weiß will dem Schwarzen nicht das Läuferpaar gönnen, und der Läufer verläuft sich hier auch nicht auf h7, da Schwarz keine Möglichkeit hat, ihn mittels g6 abzuschneiden.} Kh8 16. Rad1 {Droht schon Lxc5.} Qc7 17. h3 {Um dem Lc8 nicht das gute Entwicklungsfeld g4 zu gönnen.} a5 {Dies ist in Hinblick auf den nächsten schwarzen Zug inkonsequent. Warum sollte Schwarz b4 verhindern, wenn er den Springer sowieso nach e6 wegziehen will? Aber die schwarze Stellung ist eben schon so schlecht geworden, das ein guter Plan nicht mehr leicht zu finden ist. Gheorghiu hat nach 17 Zügen seinen Gegner bereits überspielt, und das, ohne irgendetwas Besonderes zu machen.} 18. Bb2 {Der Läufer macht die d-Linie frei und ermöglicht auch ein eventuelles Dc3 mit Mattdrohung auf g7.} Ne6 19. Bf5 {Natürlich würde jetzt, wo g7 gedeckt ist, sich Schwarz nach Dc3?? einfach auf h7 bedienen können.} b5 ({Nun fällt ihm gar nichts mehr ein. Aber} 19... Bd7?? {würde ja nach} 20. Qd2 {bereits einen Läufer kosten!}) 20. Rfe1 b4 21.
Ne5 {Während Schwarz nichts Konstruktives an seiner Stellung zu verbessern weiß, verstärkt Weiß in der Zwischenzeit konsequent die seinige. Schon droht Sxf7 mit Entwurzelung des Se6 (die schwarze Dame musss ja auch den Ld6 bewachen).} Nc5 {Deswegen zieht der Ritter beleidigt von dannen. Damit ist aber eine weitere Figur von der Verteidigung des Königsflügels abgezogen. Nun findet Gheorghiu einen forcierten Gewinn, der die schwache Grundreihe von Schwarz (bedingt durch die fehlende Verbindung der Türme) ausnutzt.} 22. Rxd6! {Dieses Qualitätsopfer hat als Pointe zwei weitere Opfer.} Qxd6 ({Noch schlimmer kommt es nach} 22... Bxf5 23. Rxh6+ gxh6 24. Nxf7+ Kg8 25. Nxh6+ Kh7
26. Nxf5) 23. Nxf7+! {Lenkt den Turm von der Bewachung der Grundreihe ab.} Rxf7 24. Re8+ Qf8 ({Er hofft zwei Türme für die Dame zu bekommen. Nach} 24... Rf8 {käme nämlich} 25. Qd2!! {mit Ablenkung der schwarzen Dame von der Deckung von f8. Normalerweise sieht man dieses Kombinationsmotiv bei fehlendem Luftloch. Hier dagegen besteht das Luftloch auf h7 sogar, ist aber wertlos wegen des weißen Lf5!} Rxe8 ({oder} 25... Nd3 26. Qxh6+!! {wenn Schwarz die weiße Dame nicht nehmen will, wird er eben dazu gezwungen!} Qxh6 27. Rxf8#) 26. Qxd6 Bxf5 27. Qxh6+) 25. Rxf8+ Rxf8 26. Qd2! {Schwarz büßt wegen der kräftigen Drohung Dxh6+ nebst Matt weiteres Material ein.} Kg8 (26... Bxf5 27. Qxh6+
) 27. Qd4 {Wieder eine Mattdrohung, die nun den Sc5 kostet.} Rf7 28. Bxc8 Rxc8 29. Qxc5 Rcf8 30. Bd4 {Hier gab der Schwede auf; er hat Figur und Bauer weniger, und es fällt noch ein Bauer. Von Gheorghiu stark und phantasievoll gespielt; eine überzeugende Talentprobe des damals 17jährigen.} 1-0
Colorado77 - 03. Nov '16
Diese Partie hat Weiss sehr straight gespielt! Klaren Plan verfolgt, während Schwarz irgendwie gar nicht genau wusste, wie er nach e5 weiter spielen sollte.
Schöne Kommentare! Die Kombi rund um Txd6/Sxf7 ist nett! Auffallend, dass grundreihe so schwach war und die neuralgischen Punkte xd6 und xf7 nur 1x gedeckt waren, zudem die unverbundenen Türme. Das schreit dann nach einer netten Schlusskombination ;-)
Zur Eröffnung: Ich bin da nicht besonders fit, aber ist es nicht der Sinn vom Bogo-Indisch, den Springer zu schlagen, um weitere Kontrolle über xe4 zu bekommen? Heute spielen die meisten Weissen ja Ld2 und dann folgt a5 oder De7.
Kellerdrache - 04. Nov '16
Eine gewisse Schwäche der Grundreihe scheint sich ja als ein roter Faden der letzten Partien heraus zu schälen. Kinnmark hat in der Eröffnung zu schematisch gespielt. Er wollte unbedingt seinen e5 Plan zu Ende bringen ohne zu bedenken ob die entstehende Stellung denn noch gut für ihn sein kann.
Gheorgius klares Verständnis der Stellung ist vor allem für sein jugendliches Alter erstaunlich. Da wo unsereiner herumstochert und hofft, dass sich irgendwo eine Stelle als Schwach herausstellt passen hier alle Züge zusammen wie ein vorausgeplantes Bauwerk.
Vabanque - 07. Nov '16
Also, ich kenn mich im Bogo-Indischen jetzt auch nicht direkt aus, obwohl ich diese Eröffnung mit Schwarz vor ca. 20 Jahren öfters mal gespielt (und auch als Weißer ab und zu aufs Brett bekommen) habe. Allerdings wurde mir da fast ausschließlich Ld2 'serviert', und so kann ich zu Sbd2 wenig sagen. Weiß scheint das Ganze sowieso nicht sehr theorielastig zu behandeln. So wie der schwarze Lb4 aber in der Partie herumsteht, scheint auch mir ein Abtausch jedenfalls sinnvoller als ein Rückzug mit Tempoverlust.