Kommentierte Spiele
Glanzvolle Remis VII
Vabanque - 14. Feb '16
SF Kellerdrache wird es mir schon verzeihen, wenn ich hier seine Reihe 'Glanzvolle Remis' so schamlos usurpiere bzw. mit eigenen Beiträgen weiterführe. Aber diese Partie passte mir dann doch zu gut hinein.
Es handelt sich wieder einmal um einen Kampf, der das Cliché vom 'langweiligen Großmeisterremis' aufs Eindrucksvollste zu widerlegen vermag. Ein Titanenkampf, spannend bis zum letzten Zug, nicht ganz fehlerfrei, aber auch die Fehler geschehen auf höchstem Niveau, sind also ohne gründliche Analyse gar nicht als solche erkennbar. Aus einer wahrscheinlich überscharfen Eröffnungsvariante heraus gerät Shirov als Schwarzer gegen Anand in Nachteil, aber jedes Mal, wenn Weiß schon gewonnen zu haben scheint, zaubert Schwarz noch eine Überraschung aus dem Hut, mit der er die Spannung aufrecht erhält. Am Ende ist es dann sogar Vishy, der ums Remis noch bangen muss. Ein Hitchcock-Thriller mit Happy End.
Dies ist eine sehr komplizierte Partie, aber keine Angst! Ich habe die Kommentare so gestaltet, dass auch schwächere Spieler (hoffentlich!) den Wendungen und windungen folgen können. Ich weiß, ich schreibe (manchmal) zu viel und zu ausführlich, aber jeder (und jede) muss davon nur so viel lesen, wie ihm (oder ihr) hilft.































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Es handelt sich wieder einmal um einen Kampf, der das Cliché vom 'langweiligen Großmeisterremis' aufs Eindrucksvollste zu widerlegen vermag. Ein Titanenkampf, spannend bis zum letzten Zug, nicht ganz fehlerfrei, aber auch die Fehler geschehen auf höchstem Niveau, sind also ohne gründliche Analyse gar nicht als solche erkennbar. Aus einer wahrscheinlich überscharfen Eröffnungsvariante heraus gerät Shirov als Schwarzer gegen Anand in Nachteil, aber jedes Mal, wenn Weiß schon gewonnen zu haben scheint, zaubert Schwarz noch eine Überraschung aus dem Hut, mit der er die Spannung aufrecht erhält. Am Ende ist es dann sogar Vishy, der ums Remis noch bangen muss. Ein Hitchcock-Thriller mit Happy End.
Dies ist eine sehr komplizierte Partie, aber keine Angst! Ich habe die Kommentare so gestaltet, dass auch schwächere Spieler (hoffentlich!) den Wendungen und windungen folgen können. Ich weiß, ich schreibe (manchmal) zu viel und zu ausführlich, aber jeder (und jede) muss davon nur so viel lesen, wie ihm (oder ihr) hilft.
Viswanathan Anand Alexey Shirov Bilbao Masters | Bilbao ESP | 4 | 2010.10.13 | C12 | 1/2-1/2
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. Lg5 Lb4 Diese so genannte Mac-Cutcheon-Variante, in der Schwarz Fesselung mit Gegenfesselung beantwortet, ist seit ca. 150 Jahren heftigst umstritten. Etliche Male galt sie bereits als widerlegt, aber wie diese Partie zeigt, wird sie bis heute auf Top-Niveau gespielt. 5. e5 h6 6. Ld2 Hier wurden - neben den alternativen Rückzügen Le3 und Lc1 - auch schon die Züge exf6 und Lh4 vielfach versucht, ohne einen wirklichen Vorteil für Weiß nachweisen zu können. Lxc3 7. xc3 Hier wurde auch Lxc3 gespielt, aber es erwies sich, dass der Läufer auf c3 nicht gut steht (er erfüllt dort die Funktion eines 'Großbauern'). Nach dem Textzug dagegen hilft der Doppelbauer, das weiße Zentrum zu stärken. Se4 8. Dg4 g6 Auch Kf8 wurde versucht, um die 'Angriffsmarke' g6 (deren Bedeutung wir gleich sehen werden) zu vermeiden. 9. Ld3 Dies wird am meisten gespielt, doch das sofortige h4 ist hier am schärfsten. Sxd2 10. Kxd2 c5 Schwarz könnte hier mit Dg5+ die Damen tauschen, doch das Endspiel begünstigt Weiß (wegen des 'schlechten' Läufers c8). Daher hält Schwarz einen scharfen Kampf aufrecht. 11. h4 Da5 12. Sf3 Das Opfer 12. Lxg6 wäre wegen Tg8! ein Fehler. Sc6 13. Df4 Nachdem der schwarzfeldrige Läufer von Weiß getauscht ist, muss die weiße Dame zum Teil dessen Aufgaben übernehmen. Sie würde es sich natürlich auch gerne auf f6 bequem machen. xd4 14. h5! g5 Hier wurden auch die Züge Dxc3+ und dxc3+ probiert, in jedem Fall mit sehr kompliziertem Spiel. Shirov wählt die riskanteste Fortsetzung. Wie er im Folgenden ständig am Rande des Abgrunds dahintaumelt, aber die Nerven bewahrt und immer gerade noch so im Spiel bleibt, ist schon beeindruckend, wenn auch vielleicht nicht wirklich nachahmenswert für gewöhnliche Sterbliche. 15. Df6 Tf8 Möglicherweise ist Tg8 hier besser; ich werde in der Anmerkung zum 18. Zug von Weiß schreiben, weshalb ich dieser Ansicht bin. 16. Dxh6 g4 So holt sich Schwarz den auf h6 geopferten Bauern auf e5 zurück; aber Weiß hat in dem frisch geborenen Freibauern h5 einen gewaltigen Trumpf. 17. Sg5 Sxe5 18. Sh7 Hätte Schwarz im 15. Zug Tg8 gespielt, könnte dieser Zug jetzt nicht mit Tempo geschehen. Eigentlich sieht es jetzt so aus, als ob Schwarz fast schon verloren wäre, denn auf Tg8 kann Weiß Sf6+ spielen, und kann er das denn nicht auch auf Th8? Th8 Das geht trotzdem gerade noch so, zumindest für den Moment.
Auf gar keinen Fall darf Schwarz hier xc3+? 19. Ke2 spielen, denn dann könnte der Tf8 wirklich weder nach g8 noch nach h8, und Schwarz müsste mit Dc5 die Qualität geben, wonach Weiß aber wegen der starken h-Bauern Gewinnstellung hätte. Die Pointe der Textfortsetzung besteht darin, dass sich Schwarz die Möglichkeit Dxc3+ nebst Sxd3 in petto hält.
19. Ke2! Am besten! Sowohl nach Sxd3 Eine Wahnsinns-Stellung, die man stundenlang analysieren könnte! Ich tat es nicht ganz so lang und mir schwirrt trotzdem schon der Kopf. Eigentlich stehen beide Parteien nach klassischen Gesichtspunkten fürchterlich. Weiß hat seine einzigen zwei entwickelten Figuren am Brettrand postiert, während Schwarz eigentlich bloß die Dame im Spiel hat (denn der Springer d3 fällt ja). Und beide Könige stehen unsicher. Wer wird das Rennen machen? 20. xd3 Ld7 21. Sf6+ Weiß muss jetzt schnell handeln. Ke7 22. Dg5 Anand droht jetzt so allerlei Abzugsschachs ... xc3 ... die Shirov alle ignoriert! Aber er verschafft sich selber den Trumpf eines starken Freibauern. 23. Se4+ Anand findet nicht sofort den richtigen Weg und wiederholt einmal die Züge. Ke8 24. Sf6+ Ke7 25. Sxg4+ Jetzt aber hat er eine Möglichkeit erspäht. Engines halten 25. h6 für Gewinn bringend, aber Vishy fürchtete wohl das schwarze Gegenspiel und wollte etwas Forciertes spielen. Kd6 Wer außer Shirov fühlt sich in so einer Position mit Schwarz wohl? 26. Se5 Sehr stark und mit der Doppeldrohung Sc4+ (leicht zu übersehen!) und Sxf7+ (offensichtlich) scheinbar entscheidend. f6! Aber Shirov findet wieder eine Resource. 27. Dxf6 Taf8 28. Dg7?! Hinterher kann man leicht sagen, Weiß hätte sofort Sf7+ spielen sollen. Der Textzug verliert ein Tempo; und schon geht die Initiative an Schwarz. Vielleicht war es ja dieser Zug, der einen User auf chessgames.com zu der Bemerkung veranlasste, diese Partie beweise, was Anand für ein mittelmäßiger Spieler sei. Meiner Meinung disqualifiziert sich jeder Schreiber doch mit so einem Kommentar nur selbst. Ich finde, dass die Partie im Gegenteil beweist, dass auch absolute Top-Spieler in kritisch zugespitzter Lage nicht immer das Beste treffen. Da4 Deckt nicht nur d7, sondern macht sich auch bereits zum Gegenspiel mit Dc2+. 29. Sf7+ Txf7 30. Dxf7 Dc2+ 31. Kf1 Dxd3+ 32. Kg1 Dd2 Verhindert Df4+ und bereitet den Vormarsch des c-Bauern vor. Kann Weiß (mit einer Mehrqualität!) die Partie denn jetzt überhaupt noch retten? 33. Dg7 Ja, mit dem diesem Zug, der nicht nur den Th8 angreift, sondern auch den Vormarsch des Bauern h6 unterstützt, geht es. c2 Shirov lässt seinen Turm einfach im Stich, denn der Freibauer wird einen weißen Turm zurückgewinnen. Th6 statt dessen sieht komisch aus, da sich Türme schlecht zur Blockade von Freibauern eignen. Weiß hätte darauf mit 34. Df8+ nebst Da3 den schwarzen Freibauern stoppen können. Ein schwarzer Gewinnversuch wäre Tc8 gewesen; aber wahrscheinlich hatte auch Shirov jetzt genug von all den Aufregungen und wollte es nicht mehr drauf ankommen lassen, ob nicht doch der weiße h-Bauer stärker ist als sein c- Bauer.
34. Dxh8 Auch Anand geht keine Experimente mehr ein, sondern zwingt Schwarz, das Remis zu forcieren. c1=Q+ 35. Txc1 Dxc1+ 36. Kh2 Df4+ 37. Kg1 Dc1+ 38. Kh2 mit Remis durch ewigen Pendelverkehr. Eine aufregende Partie und sicher eine Fundgrube für Analytiker.
cutter - 14. Feb '16
Eine tolle Partie auf Messers Schneide.
Und nein, du schreibst nicht zuviel. Dein Stil ist unterhaltsam und die Partie geht leichter ein. Die Rubrik "Kommentierte Spiele" hat einen Namen: Die Kellerbank ;-)
Und nein, du schreibst nicht zuviel. Dein Stil ist unterhaltsam und die Partie geht leichter ein. Die Rubrik "Kommentierte Spiele" hat einen Namen: Die Kellerbank ;-)
Vabanque - 14. Feb '16
Oder Va-drache? ;)
Auf die Reaktion des Drachen bin ich eh noch gespannt ... ansonsten erwarte ich nicht groß, dass jemand zu einer Remispartie etwas schreibt.
Auf die Reaktion des Drachen bin ich eh noch gespannt ... ansonsten erwarte ich nicht groß, dass jemand zu einer Remispartie etwas schreibt.
Kellerdrache - 16. Feb '16
Absolution ist erteilt ! Wenn die Partie so klasse ist darfst Du "meine" Reihe natürlich jederzeit ergänzen. Hier waren ja beide Jungs auf dem Zenit ihres Könnens. Wer sich bei diesem Remis gelangweilt hat dem ist wirklich nicht mehr zu helfen.
Der Kommentar ist übrigens überhaupt nicht zu lang. Die Partie ist schon ein wenig kompliziert und wäre ohne deine Erläuterungen bei weitem nicht so gut nachvollziehbar.
Der Kommentar ist übrigens überhaupt nicht zu lang. Die Partie ist schon ein wenig kompliziert und wäre ohne deine Erläuterungen bei weitem nicht so gut nachvollziehbar.