Kommentierte Spiele
Eröffnungsraritäten: Belgrader Gambit
Colorado77 - 16. Jul '16
Auf besonderen Wunsch von Chefkommentator Vabanque habe ich folgende Kurzpartie analysiert.
Die Protagonisten sind der illustre spanische GM Bellon Lopez (bekannt durch seine Tromp-Partien) und der eher unbekannte Spieler Stuart Wagman.
Zuerst war ich skeptisch ob des Niveaus des schwarzen Spiels und der Kürze der Partie.
Warum das ganze dann doch noch zu einem guten Ende führte, auch für Wagman, siehe unten....
Die Partie soll vor allem taktisch einiges bieten und eröffnungstheoretisch interessant ist sie auch, da in den Varianten zu 5...Sb4 ein gutes Repertoire gegeben wird, falls man selbst mal in die Verlegenheit kommen sollte, dem Belgrader Gambit gegenüberzutreten.
5...Sb4 ist übrigens die Empfehlung von L. Kaufmann.
Genug der Worte, nun viel Spass!































PGN anzeigen
Nach diesem Gemetzel wusste der arme Wagman wohl nicht mehr, ob er Männlein oder Weiblein war ;-)
Das gute Ende kam dennoch ca. 10 Jahre später, als der mittlerweile Mitte 60-Jährige dann doch noch FM wurde. Wagman war damit ein Spätzünder.
Was lernen wir daraus: Es ist niemals zu spät ;-)
Besten Gruss
Ralf
Die Protagonisten sind der illustre spanische GM Bellon Lopez (bekannt durch seine Tromp-Partien) und der eher unbekannte Spieler Stuart Wagman.
Zuerst war ich skeptisch ob des Niveaus des schwarzen Spiels und der Kürze der Partie.
Warum das ganze dann doch noch zu einem guten Ende führte, auch für Wagman, siehe unten....
Die Partie soll vor allem taktisch einiges bieten und eröffnungstheoretisch interessant ist sie auch, da in den Varianten zu 5...Sb4 ein gutes Repertoire gegeben wird, falls man selbst mal in die Verlegenheit kommen sollte, dem Belgrader Gambit gegenüberzutreten.
5...Sb4 ist übrigens die Empfehlung von L. Kaufmann.
Genug der Worte, nun viel Spass!
Juan Bellon Lopez Stuart Wagman Open | Cirella Diamonte | 1976 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Sc3 Sf6 4. d4 xd4 5. Sd5 Dieser Zug kennzeichnet das Belgrader Gambit, eine Sonderform des Vierspringerspiels. Extrem selten, oft bizarr mit einigen netten Tricks, da die vielfältigen Springertänze nicht immer leicht zu durchschauen sind. Ob es objektiv 100% korrekt ist, weiss ich nicht. OTB würde ich Sxe4 vermeiden und die starke Nebenvariante 5...Sb4 spielen: Dies ist auch eine Empfehlung von Larry Kaufmann (Developer von Komodo). Sxe4 In Anbetracht der sehr seltenen Häufigkeit des Belgrader Gambit empfehlen viele Repertoireautoren, es mit 5....Le7 abzulehnen oder wenn man den Stier bei den Hörnern packen will, sollte man zu 5....Sb4 greifen.
Sb4! Ein merkwürdiger Zug! Und doch logisch: Einziger Sinn ist, den Sd5 abzutauschen und zwar so, dass möglichst der Sf6 erhalten bleibt oder zumindest der Gratiszug Dxf6 dem Schwarzen "geschenkt" wird. 6. Sxd4
6. De2 f5 7. Lf4 Das folgende ist die HV: Bizarr, lang und es gibt nur einen gangbaren Weg für Schwarz. 6. Lc4 Sxd5 7. xd5 Lb4+ 8. Ld2 De7+ 9. De2 Lxd2+ 10. Kxd2 Dxe2+ 11. Kxe2 c5 12. dc6 xc6 13. Sxd4 d5 =+ Mit recht einfachen Zügen hat Schwarz dem Weissen sein Gambit "versaut": Dame ist weg vom Brett, die bessere Zentrumskontrolle und der leicht unsichere weisse König sichern ihm einen kleinen Vorteil.
6. Sxf6+ Dies ist noch die häufigste weisse Fortsetzung, da sie auf eine fiese Falle abzielt. Dxf6 7. Lc4 Lc5 8. O-O d6 9. e5 xe5 10. a3 dieser Zug will die Deckungsmöglichkeiten für den Lc5 durch die Dame einschränken, siehe unten... Sc6 11. Sg5 h6 ! Nimm doch, Schwarz kann sich die Rückgabe eines Bauern erlauben, denn er hat ja zwei mehr ...
Sxe4 7. Sb5 Sxd5 8. Dxd5 De7 Wer das Figurenopfer vermeiden will, kann sich auch Bologan´s Empfehlung anschauen: 9. Sxc7+ Kd8 10. Lf4 einziger Zug, der Drohung Sc3+ mit Damengewinn geschuldet. d6 11. O-O-O Kxc7 -/+ Schwarz steht trotz Mehrfigur nicht auf Gewinn, dazu ist der Se4 zu wackelig und auch die Unterentwicklung des Lf8/Th8 kostet viel Zeit. Dennoch hat Weiss keine völlige Kompensation und kann nur versuchen, im Trüben zu fischen. O-O? Mir selbst im Blitz passiert, im 13....Zug wollte ich f6 ziehen, aber irgendwie wollte meine Maus nicht, bis ich dann die Ursache sah ;-) 12. Se4 De7 13. Lg5 +-, und der Lc5 zieht in die ewigen Jagdgründe ein, da f6 leider nicht geht.
12. Lxf7+ Kf8 13. Se4 Dxf7 14. Sxc5 Dd5 -/+ Schwarz steht klar besser, der Kf8 geht nach xh7, evtl. spielt Schwarz nach Lf5 auch g5, und macht damit den Lc1 zu einem Statisten. Weiss hat keine Kompensation für den Minusbauern. 7. Sg5 d3! dient einzig dazu, dem Sc6 den Vorposten d4 zu sichern. 8. xd3 Sd4 9. Dh5+ g6 10. Dh4 c6! 11. xe4 xd5 12. xd5 Lg7 Die offensichtliche Drohung Sc2+ geht taktisch wegen den schwachen Feldern rund um den sK nicht.
d6 8. O-O-O Se5?? Von den übrigen 3 Kandidatenzügen erscheinen 2 einfach: Es wird eine Figur entwickelt und die e-Linie verschlossene. Beide gelangen jedoch nur zum Ausgleich. Sc2+? 13. Kd1 Sxa1 14. Dd4 Tg8 15. d6 +- denn es droht De3+, Lc4 steht auch auf der Karte. Lg7 16. De3+ Kf8 17. Sxh7+ Kf7 18. Lc4#
13. Kd1 h6 erzwingt Damentausch und nimmt Weiss den Wind aus den Segeln. 14. Sf3 Dxh4 15. Sxh4 Kf7 16. Le3 f4 17. Lxd4 Lxd4 18. Ld3 Tg8 19. Tc1 Lxb2 20. Tc4 Lf6 21. Sf3 b6! Der letzte genaue Zug: Schwarz gibt seinen Mehrbauern ab, wissend dass diese Trümpfe ihm ein besseres Endspiel bescheren: - 2:1 Bauernmajorität am DF - Läuferpaar, insbesondere starker Lf6 vs schwachen Sf3 - Kf7 besser als Kd1 - Bd5 schwach 22. Txf4 g5 =+ -/+ Le7 9. Sxd4 Sxd4 10. Txd4 O-O 11. Dc4 Le6 12. Dxc7 Lxd5 13. Dxd8 Txd8 14. Txd5 Sxf2 15. Tg1 Se4 16. Lc4 Kh8 17. Te1 =
Se7 ! =+ Dieser Zug erkennt, dass die wichtigste weisse Figur der janusartige Sd5 ist. Ihn gilt es abzutauschen. Auch wenn damit ein Grundsatz verletzt wird (ziehe nicht 2x dieselbe Figur). 9. Sxd4 Sxd5 10. Sxf5 Sc3 ! Mit diesem freiwilligen Opfer, einer der beiden Springer hätte eh seinen ewigen Frieden bald finden müssen, wird die weisse Struktur rund um den eigenen König völlig zerstört. 11. xc3 Lxf5 12. f3 c6 13. xe4 Le6 -/+, denn Schwarz wird mit Da5 und 000 seine Entwicklung abschliessen und Weiss wird sich noch lange um seine schwachen Bauern a2, c3 und den schwachen Felderkomplex entlang der Diagonale a2-g8 kümmern müssen.
9. Txd4 +/- c6? Allerletzte Chance auf Widerstand war Entwicklung. Schwarz hatte wohl Angst vor Db5+. 10. Sxe5 +- xe5 Was ein Bild! 3 weisse Figuren hängen, doch meist kann man eh nur eine schlagen... 11. Txe4! Ein Donnerschlag, Schwarz konnte hier schon getrost aufgeben, aber nach 11 Zügen, das war ihm dann doch noch zu wenig. Ld6 12. Txe5+ Normalerweise hat man Material weniger, wenn man opfert, hier aber nicht ;-) Kf7 13. Sc7 !! Dieses Räumungsopfer macht den Platz frei für die leichte Artillerie Lc4+ Dxc7 14. Dh5+ Aufgabe Schwarz! Es könnte noch folgen: g6 15. Lc4+ Kf8 16. Dh6+ Dg7 17. Txf5+ Lxf5 18. Lxd6+ Ke8 19. Dxg7 nebst Matt Nach diesem Gemetzel wusste der arme Wagman wohl nicht mehr, ob er Männlein oder Weiblein war ;-)
Das gute Ende kam dennoch ca. 10 Jahre später, als der mittlerweile Mitte 60-Jährige dann doch noch FM wurde. Wagman war damit ein Spätzünder.
Was lernen wir daraus: Es ist niemals zu spät ;-)
Besten Gruss
Ralf
birdsong - 16. Jul '16
Meine Datenbank: 1042 Partien
37,5% Weißsieg
29,8% Schwarzsieg
32,7% Remis
Das Belgrader Gambit ist nicht so schlecht.
37,5% Weißsieg
29,8% Schwarzsieg
32,7% Remis
Das Belgrader Gambit ist nicht so schlecht.
Colorado77 - 16. Jul '16
Bitte an birdsong: Diese DB Statistiken bringen nur etwas, wenn sie bezogen sind auf eine bestimmte Variante: 5...Sb4 z.B. schneidet sehr sehr gut ab für Schwarz. Auch die lange HV mit Sxe4, angegeben in der Partie, schneidet gut ab für Schwarz.
Sind Deine Werte bezogen auf 5.Sd5?
Sind Deine Werte bezogen auf 5.Sd5?
Kellerdrache - 16. Jul '16
Diese Partie und vor allem auch die ausführlich dargestellten kritischen Punkte der Eröffnung zeigen warum die meisten Grossmeister um Gambia einen grossen Bogen machen.
Allzu oft gibt es nur einen spielbaren Weg auf des Messers Schneide und man erreicht auch nicht mehr als mit den alt erprobten Bekannten. Der Glanz und der Genuss den so ein Sieg mit sich bringt wiegt das für einen Profi nicht auf. Für uns Amateure dagegen um so mehr.
Allzu oft gibt es nur einen spielbaren Weg auf des Messers Schneide und man erreicht auch nicht mehr als mit den alt erprobten Bekannten. Der Glanz und der Genuss den so ein Sieg mit sich bringt wiegt das für einen Profi nicht auf. Für uns Amateure dagegen um so mehr.
Vabanque - 17. Jul '16
Meiner Meinung sagen Datenbank-Statistiken so gut wie gar nichts aus. Die Züge mit den höchsten Quoten sind oft die von Engines am schlechtesten bewerteten (was wiederum aber auch nicht unbedingt sagt, dass die Engines Recht hätten; ob man einer Engine-Bewertung trauen kann, hängt vom Stellungstyp ab).
Zur Partie: Ich bin natürlich nicht der 'Chefkommentator', aber es ist richtig, dass ich diese Partie Colorado77 zur gelegentlichen Analyse empfohlen hatte, weil sie mir selber zu kompliziert erschien, und weil ich mich in dieser Eröffnung nicht auskenne.
Natürlich wird ziemlich schnell klar, dass 8... Se5? der Fehler schlechthin ist. Schwer zu finden ist hingegen, dass das kontra-intuitive 8... Se7 (das ja eine Figur zweimal zieht und die Entwicklung des Königsflügels scheinbar behindert) die beste Antwort ist. Ich hätte spontan zu 8... Le7 tendiert (was aber ja auch kein schlechter Zug ist).
Wie Bellon Lopez den Fehler ausnutzt, ist natürlich immer noch sehr sehenswert und kompliziert.
Zur Partie: Ich bin natürlich nicht der 'Chefkommentator', aber es ist richtig, dass ich diese Partie Colorado77 zur gelegentlichen Analyse empfohlen hatte, weil sie mir selber zu kompliziert erschien, und weil ich mich in dieser Eröffnung nicht auskenne.
Natürlich wird ziemlich schnell klar, dass 8... Se5? der Fehler schlechthin ist. Schwer zu finden ist hingegen, dass das kontra-intuitive 8... Se7 (das ja eine Figur zweimal zieht und die Entwicklung des Königsflügels scheinbar behindert) die beste Antwort ist. Ich hätte spontan zu 8... Le7 tendiert (was aber ja auch kein schlechter Zug ist).
Wie Bellon Lopez den Fehler ausnutzt, ist natürlich immer noch sehr sehenswert und kompliziert.
Colorado77 - 17. Jul '16
Was Kellerdrache schreibt:
Ja, das sehe ich genauso. Dem Gambit haftet etwas Anrüchiges und Skurriles an. Die vielen Springerzüge haben mich immer verwirrt, bisher musste ich ausser im Blitz nie dagegen antreten.
GM Bologan 2650+ seines Zeichens schreibt auch gar nicht viel Erklärendes verbal zu diesem Gambit: Er hebt nur hervor, dass Glanz und Glorie des ganzen Aufbaus der Sd5 ist. Und dieser wird mit dem schönen 5...Sb4 ausgehebelt.
Andere GMs wie Lysiy empfehlen das weisse Spiel mit der Nichtannahme 5...Le7 zu ersticken.
Ein rein pragmatischer Ansatz, auch diese Spieler vergessen Theorie, wie wir alle.
Ja, das sehe ich genauso. Dem Gambit haftet etwas Anrüchiges und Skurriles an. Die vielen Springerzüge haben mich immer verwirrt, bisher musste ich ausser im Blitz nie dagegen antreten.
GM Bologan 2650+ seines Zeichens schreibt auch gar nicht viel Erklärendes verbal zu diesem Gambit: Er hebt nur hervor, dass Glanz und Glorie des ganzen Aufbaus der Sd5 ist. Und dieser wird mit dem schönen 5...Sb4 ausgehebelt.
Andere GMs wie Lysiy empfehlen das weisse Spiel mit der Nichtannahme 5...Le7 zu ersticken.
Ein rein pragmatischer Ansatz, auch diese Spieler vergessen Theorie, wie wir alle.
Vabanque - 17. Jul '16
Vor allem Theorie, die man nur sehr selten benutzt!
Leider vergesse ich sogar die Theorie der Varianten, die ich ständig spiele :(
Ich vergesse natürlich nicht die generellen Pläne des Aufbaus, aber ich vergesse konkrete Zugfolgen, was vor allem dann wichtig wird, wenn Zugumstellungen nicht sofort erkennbare, aber letztlich fatale Folgen haben.
Leider vergesse ich sogar die Theorie der Varianten, die ich ständig spiele :(
Ich vergesse natürlich nicht die generellen Pläne des Aufbaus, aber ich vergesse konkrete Zugfolgen, was vor allem dann wichtig wird, wenn Zugumstellungen nicht sofort erkennbare, aber letztlich fatale Folgen haben.