Kommentierte Spiele
Brilliante Mattangriffe (XXI): Keres - Shapiro 1935
Vabanque - 09. Feb '16
Paul Keres spielte am Anfang seiner Karriere viel Fernschach, vor allem aus dem Grund, weil es in Estland damals nur wenige Turniere gab und Fernschach die einzige Möglichkeit war, an vergleichsweise starke Gegner zu kommen. In dieser Zeit experimentierte er auch viel mit Gambit-Eröffnungen, die großenteils auch nicht wirklich solide waren (und die man heute aus eben diesem Grund im Fernschach nicht mehr anwenden könnte).
Auch in vorliegender Partie spielt Keres ein Gambit, doch ist die Eröffnung vergleichsweise unspektakulär. Doch ein Fehler des Gegners im 11. Zug lässt Keres einen Wirbelwind entfachen, in dem es ein Keulenschlag dem anderen folgt.
Fred Reinfeld meinte in seinem Buch über Keres, dass keine von Keres' frühen Partien so viel Ähnlichkeit mit denen Morphys hätte wie diese. Allerdings bezieht sich diese Ähnlichkeit in meinen Augen nur auf den Schlussangriff; die Eröffnung ist dazu viel zu modern, ja sogar modern für die Zeit, in der die Partie gespielt wurde. Und das Bauernopfer, das Keres bringt, ist auch kein Bauernopfer im Stile Morphys, denn es beschleunigt nicht die eigene Entwicklung, sondern behindert die des Gegners. Aber seht euch die Partie einfach selbst an ...































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Auch in vorliegender Partie spielt Keres ein Gambit, doch ist die Eröffnung vergleichsweise unspektakulär. Doch ein Fehler des Gegners im 11. Zug lässt Keres einen Wirbelwind entfachen, in dem es ein Keulenschlag dem anderen folgt.
Fred Reinfeld meinte in seinem Buch über Keres, dass keine von Keres' frühen Partien so viel Ähnlichkeit mit denen Morphys hätte wie diese. Allerdings bezieht sich diese Ähnlichkeit in meinen Augen nur auf den Schlussangriff; die Eröffnung ist dazu viel zu modern, ja sogar modern für die Zeit, in der die Partie gespielt wurde. Und das Bauernopfer, das Keres bringt, ist auch kein Bauernopfer im Stile Morphys, denn es beschleunigt nicht die eigene Entwicklung, sondern behindert die des Gegners. Aber seht euch die Partie einfach selbst an ...
Paul Keres M Shapiro corr | corr | 1935 | B04 | 1:0
8








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5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 Sf6 2. e5 Sd5 3. d4 d6 4. Sf3 Sc6 Am üblichsten ist hier Lg4; auch g6 ist gut. Der Textzug ist spielbar, Schwarz muss aber in der Folge genau spielen, was er in vorliegender Partie unterlässt. 5. c4 Sb6 6. e6!? Keres ergreift sogleich die Gelegenheit zu einem interessanten Bauernopfer, dessen Zweck es ist, die schwarze Entwicklung zu erschweren, also ein so genanntes Hemmungsopfer. xe6 7. Sg5 Am einfachsten war der Entwicklungszug Sc3; aber Keres stellt den Springer hier auf ein unanfechtbares Feld, da h7-h6 wegen Dh5+ natürlich ausscheidet. e5 Schwarz muss sich natürlich bemühen, seine Entwicklung voranzutreiben. Vielleicht war g6 zu diesem Zweck geeigneter, aber als Fehler kann man den Textzug sicher nicht bezeichnen. 8. d5 Sd4 Auf diesem vorgeschobenen Posten wird sich der Springer zwar nicht halten können, aber eine Alternative gibt es nicht, da auf Sb8 jetzt Df3 stark wäre. 9. Le3 Der mit Engine bewaffnete Kommentator kann leicht herausanalysieren, dass hier Ld3 stärker gewesen wäre. Zu Keres' Zeiten musste nicht nur der Spieler, sondern auch der Kommentator noch selber denken. Wie dem auch sei, nach dem Textzug hat Schwarz Chancen, sich zu befreien. e6! Zunächst gut und richtig, da Lxd4 jetzt wegen Dxg5! gar nicht gut für Weiß wäre. Schwarz knabbert jetzt den weißen Bauern d5 an, und bereitet zudem die Läuferentwicklung Le7 mit Tempo, nämlich Angriff auf den Sg5, vor. 10. Ld3 Weiß muss also jetzt echt mal auf die Tube drücken. Er droht jetzt Dh5+ Sf5? Danach kommt Schwarz nicht mehr zu Atem, weil Keres alle Register zieht. g6 war nötig und auch gut. Es wäre dann an Weiß gewesen, Kompensation für den geopferten Bauern nachzuweisen. 11. Sxe6! Einfach und gut! Damit wird der Sf5 'entwurzelt' (d.h. ihm wird die Deckung entzogen), und der 'Zwischenzug' Sxe3 funktioniert nicht wegen Dh5+. Lxe6 12. xe6 Wieder hängt der Sf5, und wieder darf er nicht auf e3 schlagen. Df6 Sieht ja eigentlich noch ganz freundlich aus für Schwarz. Der weiße Bauer e6 hängt, und die lange Rochade scheint ebenfalls in Sicht. 13. Lxb6! Zunächst überraschend, aber Weiß schaltet damit die Möglichkeit Sxe3 (die mit der Dame auf f6 jetzt ginge!) aus. xb6 14. Df3 Und mit diesem Doppelangriff auf f5 und b7 werden die Hoffnungen des Schwarzen auf die lange Rochade zunichte gemacht. Sd4 15. Dxb7 Dd8 16. Sc3 Tb8 Plausibel, aber die beste Chance bestand wohl noch in Dc8. 17. Dd5 Eine 'Feinheit'. Der folgende schwarze Zug soll provoziert werden, damit später c6 hängt. Die Rechnung geht auf - allerdings mit geringfügiger Mithilfe von Schwarz. c6 Erzwungen war das jetzt nicht; Schwarz hätte Df6 oder De7 mit der Absicht Dxe6 versuchen können. Damit hätte Schwarz seinen Mehrbauern wieder gewonnen; allerdings ist zu bezweifeln, dass er daran viel Freude gehabt hätte. 18. De4 Ke7 Gewiss ein merkwürdiger Zug; vermutlich soll nach dem zu erwartenden weißen Se2 und der schwarzen Antwort Sxe6 der Bauer c6 zumindest nicht mit Schach fallen können. Die Frage, ob hier andere Züge noch geretten hätten, ist freilich schwer zu beantworten. So oder so - der schwarze König kommt nicht mehr aus der Mitte weg. 19. O-O Sxe6 20. f4! Öffnet alle Linien gegen den schwarzen König. Sc5 21. Dxc6! Keres lässt ihn natürlich einfach hängen! Sxd3 22. xe5 Diese Linienöffnung ist tödlich für den schwarzen König. Sxe5 23. Sd5+ Ke6 Der schwarze König ist nun schon recht adrett als Geschenk verpackt; alle Felder um ihn herum beherrscht Weiß. Aber wie setzt man ihn Matt? 24. Tae1 Droht ein hübsches Matt in 3 Zügen. Wer sieht es hier schon? Dc8 25. Sc7+ Ke7 auf Dxc7 geht ein Matt durch Txe5+! nebst Dd5# wie in der vorigen Anmerkung 26. Txe5+!! Auch hier ist dies verblüffender Weise möglich, wenn auch mit einer anderen Pointe. xe5 27. Sd5+ Kd8 28. Txf8+! Das ist sie. Weiß hat ein doppeltes Qualitätsopfer gebracht, gewinnt aber in der Folge in origineller Weise beide schwarzen Türme. Txf8 29. Dd6+ Dd7 Schwarz muss den b-Turm im Stich lassen, da er sonst matt wird. 30. Dxb8+ Das Witzige ist, dass es egal ist, in welcher Reihenfolge Weiß die Türme nimmt. Dc8 31. Dd6+ Dd7 Wieder darf er den Turm wegen einzügigen Matts nicht schützen. 32. Dxf8+ De8 33. Dxg7 Schwarz gab auf. Seit dem 11. Zug prasselte eine quasi ununterbrochene Serie von Schlägen auf ihn ein. Jetzt liegt er am Boden und steht sicher nicht mehr auf.
Kellerdrache - 09. Feb '16
Die Eröffnung macht keinen so wirklich durchdachten Eindruck, aber der Mattangriff ist wirklich sehr schön und gar nicht so einfach zu finden.
Die Varianten sind fast so schön wie die Partie selbst. Es ist wieder mal ein Beispiel dafür wie aus recht "lahmen" Eröffnungen ziemlich wilde Partien werden können. Der wichtigste Schritt ein Angriffsspieler zu werden ist eben nicht möglich wilde Varianten zu spielen sondern immer und überall positionelle Schwächen zu suchen und taktische Mittel zu finden diese auszubeuten.
Die Varianten sind fast so schön wie die Partie selbst. Es ist wieder mal ein Beispiel dafür wie aus recht "lahmen" Eröffnungen ziemlich wilde Partien werden können. Der wichtigste Schritt ein Angriffsspieler zu werden ist eben nicht möglich wilde Varianten zu spielen sondern immer und überall positionelle Schwächen zu suchen und taktische Mittel zu finden diese auszubeuten.
Vabanque - 09. Feb '16
Hervorragend von dir beschrieben!
Bluemax - 09. Feb '16
der gute Paul Keres (wikipedia nennt ihn den 'ewigen zweiten') hatte wohl immer das
pech, bärenstarke kontrahenten neben bzw. vor sich zu haben.
in einer zeit in dem einem spieler wie Aljechin, Botwinnik, Smyslow, Fine, Petrosjan (später kamen noch Spasski und Tal hinzu) gegenüberstehen, muss man seine leistungen umso höher bewerten.
das nachspielen seiner partien hat mir immer den grössten genuss bereitet, legendär natürlich sein turniersieg beim AVRO- Turnier 1938
pech, bärenstarke kontrahenten neben bzw. vor sich zu haben.
in einer zeit in dem einem spieler wie Aljechin, Botwinnik, Smyslow, Fine, Petrosjan (später kamen noch Spasski und Tal hinzu) gegenüberstehen, muss man seine leistungen umso höher bewerten.
das nachspielen seiner partien hat mir immer den grössten genuss bereitet, legendär natürlich sein turniersieg beim AVRO- Turnier 1938
Vabanque - 09. Feb '16
Ja, das war schachlich schon eine tolle Zeit, in der Paul Keres oben mitmischte. Ich habe ja die Partie in der Titelzeile verwegen als Teil I einer Reihe angekündigt. Mal sehen, wie lang die wird. Aber wenn die doch länger werden sollte, werden auch Begegnungen mit den von dir erwähnten Größen dabei sein.
Vabanque - 10. Feb '16
Oh Mann, man sollte keine Beiträge am Faschingsdienstag um Mitternacht verfassen ... tatsächlich hatte ich die Partie statt als Teil I einer Keres-Reihe ja noch kurzfristig in die Reihe der Brillanten Mattangriffe umgewidmet :))
kingcrusher - 10. Feb '16
Ich finde die Partien, die du hier vorstellst echt klasse!
Nur so am Rande
<Klugscheißer-Modus ein>
"Brilliante Mattangriffe" -> sollte eher so aussehen: "Brillante Mattangriffe", also ohne "i". Schuld an diesem beliebten Rechtschreibfehler sind (mal wieder) die Franzosen ;-)
<Klugscheißer-Modus aus>
LG, Alex
Nur so am Rande
<Klugscheißer-Modus ein>
"Brilliante Mattangriffe" -> sollte eher so aussehen: "Brillante Mattangriffe", also ohne "i". Schuld an diesem beliebten Rechtschreibfehler sind (mal wieder) die Franzosen ;-)
<Klugscheißer-Modus aus>
LG, Alex
Vabanque - 10. Feb '16
Du hast natürlich Recht! Ich weiß das auch, verschreibe mich aber unterbewusst immer wieder :(