Kommentierte Spiele

Exot Nr.3 Karpov-Miles

Kellerdrache - 01. Mai '15
Ich bin euch ja noch einen dritten Exoten schuldig. Da ich meine eigene Partie verbummelt habe, folgt nun ein Klassiker der Exotenpartien, wenn nicht gar "der Klassiker".
Auch unter Großmeistern werden schon mal verwegene Eröffnungen versucht. Larsen spielte z.B. häufiger 1.b3. Allerdings sind diese Systeme zwar selten, aber durchaus nicht unerforscht. Anthony Miles, damals vermutlich der stärkste westliche Schachspieler war kein Mann der halben Sachen. Sein Gegner, Anatoly Karpov war damals Weltmeister und auf der absoluten Höhe seines Könnens. Gegen Miles z.B. hatte er bis dahin eigentlich immer überlegen gespielt. Vielleicht dachte der Engländer deswegen : " Wenn Sizilianisch, Damengambit und Caro Kann ja sowieso auch in die Hose gehen, kann ich ja mal was versuchen." Wie er selber schrieb fingen die Zuschauer bei seinem zweiten Zug sogar an zu lachen.
Ich hoffe, es ist mir gelungen diese Partie so zu kommentieren, dass sie für normal Sterbliche verständlich ist und sie den (von Vabanque) verwöhnten Lesern bei Chessmail gefällt.

Karpov, Anatoly Miles, Anthony J EU-chT (Men) | Skara | 1 | 1980 | B00 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 a6 Ist das mutig oder unverschämt ? Miles hatte, soweit ich das feststellen konnte bis dahin noch nie gegen Karpov gewonnen. selbts mit den erprobtesten Eröffnungen nicht. Ausgerechnet so eine Partie als Premiere für "something completly different" auszusuchen ist sicher dreist. 2. d4 b5 3. Sf3 Lb7 Wenn man von einer Eröffnung abseits der eigenen Kentnisse überrascht wird heißt der Rat, nicht nach einer direkten Widerlegung zu suchen sondern erstmal gesund entwickeln. Bisher also für Weiß alles im grünen Bereich. 4. Ld3 Sf6 Schwarz entwickelt sich erstmal ohne sich im Zentrum irgendwo festzulegen. Auf e5 könnte der Sf6 nach d5, wo der b5-Bauer eine schnelle Vertreibung verhindert. 5. De2 Sc3 kann einfach vertrieben werden, Sbd2 ist dem schwarzfeldrigen Läufer im Weg e6 6. a4 c5 Mit 5...e6 hat Miles den Vorstoß des weißen d-Bauern verhindert. Jetzt wird das Zentrum angeknabbert. Das Schlagen des c5 entwickelt zwar den Lf8, aber c4 zuzulassen, z.B. nach c3, sieht auch nicht einladend aus 7. xc5 Lxc5 8. Sbd2 b4
Alle die sich schon vorher gefragt haben ob man denn nicht auf b5 einen Bauern gewinnen konnte...Bisher nicht, da nach Lxb5 der e4 nicht mehr ausreichend gedeckt war. 8.Sbd2 hat das geändert O-O 9. xb5 xb5 10. Txa8 Lxa8 11. Lxb5 Sxe4
9. e5 Sd5 10. Se4 Le7 Bisher gefällt mir eigentlich die weiße Stellung ganz gut. Der Springer auf e4 steht sehr schön und könnte mal auf d6 oder g5 landen. Aber auch Schwarz steht trotz exotischer Eröffnung nicht so übel. Der Sd5 ist perfekt, beide Läufer haben schöne Diagonalen und man hat Übergewicht am Damenflügel 11. O-O Sc6 12. Ld2
Was ist eigentlich mit 12. Lg5 ? Miles hatte folgende Variante im Kopf f6 13. xf6 xf6 14. Lh4 Dc7 nebst langer Rochade !! Sieht irre aus, aber Schwarz beherrscht jetzt das Zentrum und hat die halboffene Linie auf den weißen König
Dc7 13. c4 der zentrale Springer soll weg ! Man muß aber überlegen wie man nach bxc3 wiedernehmen will. bxc3 gibt einen häßlichen Isolani, Lxc3 überlässt dem Gegner nach 14...Sxc3 das Läuferpaar und Sxc3 tauscht eben auch den eigenen zentralen Springer ab. bc3 14. Sxc3 Sxc3 15. Lxc3 Sb4 16. Lxb4 Eine Partie der schweren Entscheidungen. Ich hätte hier eher dazu tendiert mit Lb1 oder Le4 mein Läuferpaar zu behalten. Allerdings wäre dann wieder ein schwarzer Spinger auf d5 gelandet (mit Angriff auf den Lc3). Lxb4 17. Tac1 Db6 18. Le4 Dieser Zug wurde damals als Fehler angesehen. Es ist natürlich kein Patzer im klassischen Sinne, aber inwiefern soll sich dadurch die Stellung verbessern ? 18.Sg5 h6 Se4, eventuell gefolgt von Tfd1 sieht aktiver aus O-O 19. Sg5 Nach Le4 hatte ich jetzt mit Läufertausch auf b7 gerechnet. Warum sonst ist er auf diese Diagonale gezogen worden ? h6 20. Lh7+ Kh8 21. Lb1 Le7
xg5 geht natürlich nicht wegen... 22. Dh5+ Kg8 23. Dh7#
22. Se4 Tac8 23. Dd3 Als gemeiner Amateuer scheut man sich natürlich einem Weltmeisterzug ein ? zu geben, aber er scheint mir der Beginn der schwarzen Überlegenheit zu sein. Auf den ersten Blick hängt b2, aber das tut der d7 ja auch. Txc1 24. Txc1 Dxb2 Nach dem dazwischen geschobenen Tausch der Türme hängt jetzt der Turm auf c1, sodaß Dxc7 nicht sofort geht. Also vorerst ein Bauer mehr für Miles 25. Te1 Dxe5 26. Dxd7 Der Springer auf e4 ist ja durch Turm und Läufer gedeckt. Nicht nur holt man sich einen der beiden Bauern zurück. Man greift auch beide Läufer an Lb4 Sehr hübsch! Die e-Linie darf der Turm nicht verlassen und wenn er nach vorne zieht wird die Grundreihe schwach 27. Te3 Dd5 28. Dxd5 Lxd5 Ein für Miles klar besseres Endspiel. Ein Bauer mehr und das Läuferpaar - unter Großmeistern reicht das. Karpov versucht es aber noch ein bischen. Vermutlich musste er sich erstmal damit abfinden gegen den exotischen Aufbau des Engländers solche Probleme gehabt zu haben. 29. Sc3 Tc8 30. Se2 Die Grundreihenschwäche verhindert das Schlagen des Läufers auf d5 oder wenigstens dessen Vertreibung g5 nimmt dem Springer den Weg über f4 31. h4 wenigstens keine Sorgen mehr wegen eines möglichen Grundlinienmatts Kg7 32. xg5 xg5 33. Ld3 a5 34. Tg3 Kf6 Zu diesem Enspiel hab ich keine Kommentare mehr gefunden. Kf6 statt Bauer f6 erlaubt dem König die aktive Teilnahme am Spiel 35. Tg4 Ld6 36. Kf1 Le5 Tg4 ermöglichte f4, wogegen sich Ld6 richtet. Das geht zwar auch jetzt, da der Springer ja ebenfalls auf f4 nehmen könnte. Doch dann kommt der schwarze Turm mit Schach ins Spiel. Stünde der König auf d2 sähe wieder alles anders aus. 37. Ke1 Th8 38. f4 xf4 39. Sxf4 Lc6 Weiß hat einige Probleme. Der a4 hängt und der Turm von h8 droht auf h1 einzudringen. Endspielweisheit : Der Turm gehört hinter die Bauern (die eigenen und die des Gegners). 40. Se2 Th1+ 41. Kd2 Th2 42. g3 Lf3 Der Angriff auf den Turm ist nur ein Nebenprodukt. Im nächsten Zug wird der Springer getauscht, wonach g3 nicht mehr ausreichend gedeckt ist 43. Tg8 Tg2 44. Ke1 Lxe2 45. Lxe2 Txg3 46. Ta8 Lc7 Es sind zwar ungleichfarbige Läufer auf dem Brett, aber wer glaubt hier noch an Remis ? Karpov jedenfalls nicht mehr. Er gab auf !
PGN anzeigen
[Event "EU-chT (Men)"]
[Site "Skara"]
[Date "1980.??.??"]
[Round "1"]
[White "Karpov, Anatoly"]
[Black "Miles, Anthony J"]
[Result "0-1"]
[ECO "B00"]
[WhiteElo "2725"]
[BlackElo "2545"]

1. e4 a6 {Ist das mutig oder unverschämt ? Miles hatte, soweit ich das
feststellen konnte bis dahin noch nie gegen Karpov gewonnen. selbts mit den
erprobtesten Eröffnungen nicht. Ausgerechnet so eine Partie als Premiere für
"something completly different" auszusuchen ist sicher dreist.} 2. d4 b5 3. Nf3
Bb7 {Wenn man von einer Eröffnung abseits der eigenen Kentnisse überrascht
wird heißt der Rat, nicht nach einer direkten Widerlegung zu suchen sondern
erstmal gesund entwickeln. Bisher also für Weiß alles im grünen Bereich.} 4.
Bd3 Nf6 {Schwarz entwickelt sich erstmal ohne sich im Zentrum irgendwo
festzulegen. Auf e5 könnte der Sf6 nach d5, wo der b5-Bauer eine schnelle
Vertreibung verhindert.} 5. Qe2 {
Sc3 kann einfach vertrieben werden, Sbd2 ist dem schwarzfeldrigen Läufer im Weg
} e6 6. a4 c5 {Mit 5...e6 hat Miles den Vorstoß des weißen d-Bauern verhindert.
Jetzt wird das Zentrum angeknabbert. Das Schlagen des c5 entwickelt zwar den
Lf8, aber c4 zuzulassen, z.B. nach c3, sieht auch nicht einladend aus} 7. dxc5
Bxc5 8. Nbd2 b4 ({Alle die sich schon vorher gefragt haben ob man denn nicht
auf b5 einen Bauern gewinnen konnte...Bisher nicht, da nach Lxb5 der e4 nicht
mehr ausreichend gedeckt war. 8.Sbd2 hat das geändert} 8... O-O 9. axb5 axb5
10. Rxa8 Bxa8 11. Bxb5 Nxe4) 9. e5 Nd5 10. Ne4 Be7 {Bisher gefällt mir
eigentlich die weiße Stellung ganz gut. Der Springer auf e4 steht sehr schön
und könnte mal auf d6 oder g5 landen. Aber auch Schwarz steht trotz
exotischer Eröffnung nicht so übel. Der Sd5 ist perfekt, beide Läufer haben
schöne Diagonalen und man hat Übergewicht am Damenflügel} 11. O-O Nc6 12. Bd2 (
{Was ist eigentlich mit} 12. Bg5 {? Miles hatte folgende Variante im Kopf} f6
13. exf6 gxf6 14. Bh4 Qc7 {nebst langer Rochade !! Sieht irre aus, aber
Schwarz beherrscht jetzt das Zentrum und hat die halboffene Linie auf den
weißen König}) 12... Qc7 13. c4 {der zentrale Springer soll weg ! Man muß aber
überlegen wie man nach bxc3 wiedernehmen will. bxc3 gibt einen häßlichen
Isolani, Lxc3 überlässt dem Gegner nach 14...Sxc3 das Läuferpaar und Sxc3
tauscht eben auch den eigenen zentralen Springer ab.} bxc3 14. Nxc3 Nxc3 15.
Bxc3 Nb4 16. Bxb4 {Eine Partie der schweren Entscheidungen. Ich hätte hier
eher dazu tendiert mit Lb1 oder Le4 mein Läuferpaar zu behalten. Allerdings
wäre dann wieder ein schwarzer Spinger auf d5 gelandet (mit Angriff auf den
Lc3).} Bxb4 17. Rac1 Qb6 18. Be4 {Dieser Zug wurde damals als Fehler angesehen.
Es ist natürlich kein Patzer im klassischen Sinne, aber inwiefern soll sich
dadurch die Stellung verbessern ? 18.Sg5 h6 Se4, eventuell gefolgt von Tfd1
sieht aktiver aus} O-O 19. Ng5 {Nach Le4 hatte ich jetzt mit Läufertausch auf
b7 gerechnet. Warum sonst ist er auf diese Diagonale gezogen worden ?} h6 20.
Bh7+ Kh8 21. Bb1 Be7 (21... hxg5 {geht natürlich nicht wegen...} 22. Qh5+ Kg8
23. Qh7#) 22. Ne4 Rac8 23. Qd3 {Als gemeiner Amateuer scheut man sich
natürlich einem Weltmeisterzug ein ? zu geben, aber er scheint mir der Beginn
der schwarzen Überlegenheit zu sein. Auf den ersten Blick hängt b2, aber das
tut der d7 ja auch.} Rxc1 24. Rxc1 Qxb2 {Nach dem dazwischen geschobenen
Tausch der Türme hängt jetzt der Turm auf c1, sodaß Dxc7 nicht sofort geht.
Also vorerst ein Bauer mehr für Miles} 25. Re1 Qxe5 26. Qxd7 {Der Springer auf
e4 ist ja durch Turm und Läufer gedeckt. Nicht nur holt man sich einen der
beiden Bauern zurück. Man greift auch beide Läufer an} Bb4 {Sehr hübsch! Die
e-Linie darf der Turm nicht verlassen und wenn er nach vorne zieht wird die
Grundreihe schwach} 27. Re3 Qd5 28. Qxd5 Bxd5 {Ein für Miles klar besseres
Endspiel. Ein Bauer mehr und das Läuferpaar - unter Großmeistern reicht das.
Karpov versucht es aber noch ein bischen. Vermutlich musste er sich erstmal
damit abfinden gegen den exotischen Aufbau des Engländers solche Probleme
gehabt zu haben.} 29. Nc3 Rc8 30. Ne2 {Die Grundreihenschwäche verhindert das
Schlagen des Läufers auf d5 oder wenigstens dessen Vertreibung} g5 {
nimmt dem Springer den Weg über f4} 31. h4 {
wenigstens keine Sorgen mehr wegen eines möglichen Grundlinienmatts} Kg7 32.
hxg5 hxg5 33. Bd3 a5 34. Rg3 Kf6 {Zu diesem Enspiel hab ich keine Kommentare
mehr gefunden. Kf6 statt Bauer f6 erlaubt dem König die aktive Teilnahme am
Spiel} 35. Rg4 Bd6 36. Kf1 Be5 {Tg4 ermöglichte f4, wogegen sich Ld6 richtet.
Das geht zwar auch jetzt, da der Springer ja ebenfalls auf f4 nehmen könnte.
Doch dann kommt der schwarze Turm mit Schach ins Spiel. Stünde der König auf
d2 sähe wieder alles anders aus.} 37. Ke1 Rh8 38. f4 gxf4 39. Nxf4 Bc6 {
Weiß hat einige Probleme. Der a4 hängt und der Turm von h8 droht auf h1
einzudringen. Endspielweisheit : Der Turm gehört hinter die Bauern (die
eigenen und die des Gegners).} 40. Ne2 Rh1+ 41. Kd2 Rh2 42. g3 Bf3 {Der Angriff
auf den Turm ist nur ein Nebenprodukt. Im nächsten Zug wird der Springer
getauscht, wonach g3 nicht mehr ausreichend gedeckt ist} 43. Rg8 Rg2 44. Ke1
Bxe2 45. Bxe2 Rxg3 46. Ra8 Bc7 {Es sind zwar ungleichfarbige Läufer auf dem
Brett, aber wer glaubt hier noch an Remis ? Karpov jedenfalls nicht mehr. Er
gab auf !} 0-1