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Bemerkenswerte Endspiele (II): Topalov-Ivanchuk 2008
Vabanque - 03. Jun '16
Hier sehen wir noch ein zweites Mal den großen Taktiker und Angriffsspieler Topalov als Endspielkünstler. Diesmal gewinnt er ein Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern (was den meisten Amateuren doch generell als remis gilt), und zwar gegen keinen Geringeren als Ivanchuk. Noch dazu ist es ein isolierter Freibauer, den Topalov hier zur Dame führt, und das, obwohl sein Läufer (wegen der 'falschen' Farbe) das Umwandlungsfeld nicht beherrscht. Dass Ivanchuk die Partie wahrscheinlich hätte halten können, wenn er im 37. Zug die beste Verteidigung gefunden hätte, ändert nichts an der großartigen Leistung Topalovs und an dem Rang der Partie als moderner Klassiker.































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Veselin Topalov Vassily Ivanchuk Bilbao Grand Slam Chess Final | Bilbao ESP | 10 | 2008.09.13 | D47 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sf3 d5 4. Sc3 c6 5. e3 Sbd7 6. Ld3 xc4 7. Lxc4 b5 Die so genannte Meraner Verteidigung des slawischen Damengambits, die zu allen Zeiten ein Favorit von Spielern gewesen ist, die mit den schwarzen Steinen frühzeitig nach Initiative streben. 8. Ld3 Lb7 a7-a6 als Vorbereitung zu c6-c5 wird an dieser Stelle auch oft gespielt. Auch b5-b4 ist eine Möglichkeit. 9. a3 Nun nimmt Weiß dem Vorstoß b5-b4 die Kraft. Ld6 10. O-O O-O 11. Dc2 h6 Über den genauen Sinn dieses Randbauernzuges kann ich nur spekulieren. Eventuell wollte Ivanchuk damit nach dem zu erwartenden weißen e3-e4 die Fesselung Lg5 ausschalten. 12. e4 Schon mit der Gabeldrohung e4 -e5. e5 Natürlich muss sich Schwarz im Zentrum entgegenstemmen. 13. xe5 Sxe5 14. Sxe5 Lxe5 15. h3 a6 Schwarz deckt seinen Bauern b5, um c6-c5 vorzubereiten und damit seinem Läufer b7 freie Bahn zu verschaffen. 16. Le3 Weiß ist der Meinung, dass Schwarz c6-c5 nicht ziehen sollte. Er möchte die schwarzen Damenflügelbauern auf den weißen Feldern halten, damit der Lb7 'schlecht' bleibt. c5?! Einem Spieler wie Ivanchuk liegt die Verteidigung nicht. Er opfert lieber einen Bauern, um freies Figurenspiel zu erhalten. 17. Lxc5 Te8 Der Turm entzieht sich damit nicht nur der Bedrohung durch den weißen Läufer, er zielt auch auf den weißen Bauern e4, der durch Lxc3 nebst Sxe4 erobert werden soll. 18. Tad1 Jetzt droht der Abzug Lxb5. Dc7 Die schwarze Dame entzieht sich dem unangenehmen Gegenüber des weißen Turms, greift gleichzeitig den Lc5 an, und es droht auch wieder die Rückeroberung des Bauern mittels Lxc3 nebst Sxe4. Erhält Schwarz nun die Oberhand? 19. Sd5! Nein! Dieser starke Zug gibt zwar den Bauern zurück, aber Weiß behält ein Stellungsübergewicht. Sxd5 Das Schlagen des Springers ist praktisch erzwungen, da dieser sonst viel zu stark stünde. Weiß erhält aber nun einen Freibauern. 20. xd5 Lxb2 21. d6 Der weiße Freibauer ist zwar ein Isolani, aber diese missachtete Spezies kann ganz schön gefährlich werden, falls sie zentral steht und von assistierenden Offizieren freies Geleit erhält. Dc6 Zur Abwechslung mal eine kleine Mattdrohung auf g2. 22. f3 Deckt nicht nur die Mattdrohung, sondern bereitet auch ein nettes Manöver vor. Tec8 Da der Lc5 nun nicht fliehen kann, sieht es auf den ersten Blick so aus, als müsste sich Weiß auf 23. Dxb2 Dxc5+ einlassen, wonach der Bauer d6 deutlich schwach wird (allerdings nicht sofort geschlagen werden könnte wegen des Abzugs Lh7+). 23. Lh7+! Ein wichtiger Zwischenzug, der den schwarzen König nach h8 zwingt, damit später der Bauer f7 schutzlos ist. So weit planen Spitzenspieler voraus! Kh8 24. Le4 Dieser Zug ist dank 22. f3 möglich. Dxc5+ 25. Dxc5 Txc5 26. Lxb7 Td8 27. Tfe1 Le5 Greift nicht nur den Bauern an, sondern sperrt auch schon mal die e-Linie gegen d7 nebst Te8. 28. d7 a5 Nun ist eine Position mit ungleichen Läufern und Türmen entstanden, in der Weiß über einen weit vorgerückten Freibauern auf d7 verfügt. Es ist aber nicht zu sehen, wie dieser Bauer die letzte Hürde zum Umwandlungsfeld nehmen soll, zumal dieses Feld nicht die Farbe des weißen Läufers hat, und damit fest in der Hand des Schwarzen zu sein scheint. Außerdem steht Schwarz bereit, mit b5-b4 ebenfalls einen Freibauern zu bilden. Wie auch in der kürzlich vorgestellten Partie gegen Gelfand, greift aber Topalov auch hier nun in seine Zauberkiste. 29. f4! Der darf natürlich wegen Te8+ nicht genommen werden. Der Zug ist aber nur der erste in einer ganzen Serie von Nadelstichen, die in der Summe die schwarze Stellung schließlich zum Einsturz bringen werden. Lc7
Nach f6 darf der Läufer nicht, weil nach Lf6? 30. Te8+ Kh7 31. Td6! die Beseitigung des d8 schützenden Läufers mittels Txf6 droht, und es gegen diese Drohung keine Verteidigung mehr gibt (auf Lh4 folgt g3, und auf Le7 einfach Txe7). Das gleiche Motiv wird auch später in der Partie entscheidend wirken.
30. Ld5! Der zweite Nadelstich. Nun ist (dank des studienartigen Zwischenmanövers 23. Lh7+) der Bauer f7 bedroht, und auf d7 darf nicht genommen werden. Kh7 Denn Txd7?? 31. Te8+ Kh7 32. Le4+ mit Verlust des Td7. Man sieht, wie strategische Ziele im Endspiel (das aber hier wegen des nicht so stark reduzierten Materials ohnehin mittelspielähnlichen Charakter hat) häufig mit Hilfe kleiner taktischer Finessen erreicht werden. Mit dem Textzug entscheidet sich Schwarz gegen das passive f7-f6 und schützt sich präventiv gegen Te8+. Den Bauern f7 wird er zurückerobern, so dass das Folgende auf einen Bauerntausch hinausläuft, der ja in der Regel der schwächeren Partei im Endspiel entgegen kommt. Ob das in vorliegendem konkreten Fall auch so ist, wird sich zeigen.
31. Lxf7 Tf5 32. La2 Droht übrigens so nebenbei Lb1 mit Fesselung des Turms. Txf4 33. Lb1+ Kg8 Jetzt muss dieser Kerl wieder auf die verhasste Grundreihe zurück, da 33... g6?? wegen Te7+ nebst Lxg6 ausscheidet. 34. Lg6 Und jetzt wird er auf besagter Grundreihe auch noch eingeklemmt. Wie fühlt man sich in solcher Lage als schwarze Monarch? Lb6+ Durch dieses Manöver bringt Schwarz den Läufer nach c5, von wo aus er das Feld f8 schützen kann. 35. Kh1 Lc5 36. Tc1 Der schwarze Läufer kann sich jetzt allerdings in seiner guten Verteidigungsstellung nicht halten. Lf8 37. Ted1 Auf Tc8?? hätte nun Schwarz einfach auf d7 nehmen können, da der schwarze Zug Lf8 die Fesselung aufgehoben hat. Nachdem der Textzug d7 gedeckt hat, droht ganz simpel wieder Tc8. Lxa3? Danach reißt das Seil. Freilich, der Textzug ist verlockend, da er Schwarz zwei verbundene Freibauern verschafft. Schwarz macht außerdem das Feld f8 für den f-Turm frei, so dass scheinbar nichts passieren kann. Aber da täuscht er sich, wie Topalov gleich in feiner Weise nachweist. Nach 37... Tc4! wäre es fraglich gewesen, ob Weiß hätte gewinnen können. Zumindest haben die Analytiker nach der Partie keinen Gewinn nachweisen können. 38. Tc8 Tff8 Scheinbar ist alles gedeckt. 39. Le8! Ein schöner, ungewöhnlicher Zug. Der Läufer beherrscht zwar nicht das Umwandlungsfeld des Freibauern, aber er unterbricht die Verbindung der Türme! Gleichzeitig deckt er auch noch einmal den Bauern d7, so dass der Td1 von dieser Aufgabe entbunden wird. Le7 Das Einzige. Aber der Läufer steht auf wackligen Beinen. Übrigens ein drolliges Stellungsbild mit dem 'Gedränge' auf der 8. Reihe! 40. Te1 Lg5 Nirgends auf der Diagonalen e7-h4 wird sich der Läufer lange halten können, wie man gleich sehen wird. Nach Lf6 käme sofort Te6 mit der Opferdrohung Txf6. Und auf Lh4 folgt 41. Te4 Lg3!? ein letzter Versuch; Schwarz droht nun selber Matt 42. Kg1 Lf2+ nur so kommt der Läufer zur Deckung von d8 zurück 43. Kh2 Lb6 aber auch auf dieser neuen Diagonalen kann der Läufer besagte Deckung nicht halten 44. Te6 mit Gewinn.
41. g3 a4 42. h4 Lf6 43. Te6 Gegen die Drohung Txf6 nebst Txd8 hilft jetzt nur noch 43... Txd7, aber mit dem Mehrturm hält Weiß dann die verbundenen Freibauern leicht auf. Ivanchuk streckte daher hier die Waffen. Eine Partie, die ohne spektakuläre Kombinationen auskommt, die aber dennoch einen sehr starken ästhetischen Eindruck hinterlässt. Und zugleich ein Endspiel mit keinem einzigen langweiligen Zug.
Vabanque - 03. Jun '16
Hm. Hier ist in der Variante zum 36. Zug von Schwarz etwas schief gegangen. Schade, dass ich es in der Vorschau nicht gesehen habe. Lesen lässt sie sich, aber nicht nachspielen. Ich hätte dort stattt 37... Rf8 schreiben müssen: Rff8. Hatte das natürlich als selbstverständlich vorausgesetzt, da Rdf8 schachlich keinen Sinn machen würde. Aber freilich, der Viewer versteht die Züge nicht, die er einliest ;)