Schach

Bauernfragen

Tschechov - 14. Dez '19
Ich habe eine Frage zur Strategie des Schachspiels. Möglicherweise ist sie so unklar und diffus, daß man sie gar nicht sinnvoll beantworten kann. Vielleicht aber bin ich doch durch die eine oder andere Antwort wenigstens ein bißchen schlauer als jetzt. Meine Frage betrifft die Bauernstruktur, genauer: das Vorrücken der Bauern. Hier spuken mir zwei entgegengesetzte Erfahrungen im Kopf herum. Einerseits geht es beim Schach (unter anderem) um Raumgewinn. Daher kann es durchaus sinnvoll sein, die Bauern in Marsch zu setzen. Darüber hinaus bringt ja jeder Zug nach vorne den Bauern der ersehnten gegnerischen Grundreihe näher, er wird also immer bedrohlicher, je weiter er vorrückt. Andererseits werden natürlich die rückständigen Bauern im Verlauf eines solchen Vormarsches ebenfalls weiter nach vorne geschoben und damit leichter angreifbar. Man muß also jeweils im Einzelfall abwägen, ob der Vormarsch zu empfehlen ist oder nicht. Nun könnte man mir hier antworten: "Woraus besteht eigentlich deine Frage? Du hast sie ja schon beantwortet." Tja, wenn das so einfach wäre. Ich verstehe nämlich oftmals den vermeintlichen Nachteil vorgerückter Bauern oder einer sogenannten "unordentlichen/ gelockerten" Bauernstruktur nicht. Nehmen wir mal die spanische Eröffnung. Nach den obligatorischen Grundzügen spielt Schwarz oft a6, um den Läufer zu befragen. Weicht der Läufer nun nach a4 aus, setzt Schwarz die Hatz mit b5 fort, worauf der Läufer natürlich nach b3 geht. Er zielt jetzt also strategisch auf den neuralgischen Punkt f7. So weit, so gut. Wikipedia schreibt aber über die spanische Eröffnung, daß Weiß "dann den Vorteil (hat) dass der Läufer auf b3 weniger exponiert steht als auf c4 und dass Schwarz mit a7–a6 und b7–b5 seinen Damenflügel geschwächt hat." Kann man aber tatsächlich jetzt schon, also nach Zug vier, von einer Schwächung des Damenflügels sprechen? Die Bauern auf dem Damenflügel sind ausgerückt, was ist daran per se schlecht?
Plummelschwubb81 - 14. Dez '19
Da empfielen sich gute Strategiebücher - mein System von Nimzowitsch ist super. Oder Techniken des Poistipnsspiels im Schach.

Es ist wie du sagst, nicht einfach pauschalisierbar. Wenn ein Bauer oder mehrere mit Tempogewinn vorrücken, also Figuren angreifen, oder wichtige Felder stützen, dann kann man nicht sofort von einer Schwäche ausgehen. Wenn aber a und b vorgerückt sind, ist c potenziell schwach, jedenfalls wenn er rückständig bleibt. Und Bauern anzugreifen oder eine feste Struktur anzustreben, mit langfristigen Plänen, zählt zu den Strategischen Teilen im Schach, also Poitionsspiel.
Hasenrat - 14. Dez '19
Das ist der verhängnisvolle Auswuchs, wenn man Bauernstrukturen isoliert betrachtet und bewertet - bei allem Respekt vor der sprichwörtlichen "Seele des Spiels".
Wenn die Bauern die "Diener der Figuren" sind - und eben nicht umgekehrt - kommt es eben auf die stellungsbegleitenden Figurenkonstellationen an, ob und inwieweit eine bestimmte Struktur von Vorteil oder Nachteil ist.
pirc_ - 14. Dez '19
Das moderne Schach beschäftigt sich zu sehr mit Dingen wie der Bauernstruktur. Vergiss es - Matt beendet das Spiel

Nigel Short
Schlafabtausch - 15. Dez '19
Naja aber wärend dein Gegner die rückständigen Bauern angreift/abraumt, kann der an der Spitze ja weiter aufrücken. Ja meist meist wenn einer durchkommt. Am besten mit einem Turm in Rücken.

Und ich rücke manchmal auch schon Bauern im Mittelspiel vor selbst wenn ich weiß dass dieser eh nicht durchkommt, aber der Gegner muss sich mit ihm beschäftigen oder einen Verteidiger dafür abstellen...und Tür er das eben nicht, weil er wie ich meint, ach ist so früh da passiert nix, ist der Bauer Ruckzuck auf der 6. Oder 7. Reihe. Ich meine schau Mal: beim Doppelschritt des Bauern ruxkst du diesen in der Eröffnung schon in die 4. Reihe. Wenn du dann noch einen Schritt machst früh und der Gegner ihn deshalb ignoriert bist du schon in der 5. Dann noch ein Schritt dann nur noch bist du in der 6. Und ab dann spätestens wird es schon interessant oder? Wenn du den Bauern dort schonmal für später zementiert, wird er auf jeden Fall nervig und störend bleiben den Rest des Spiels. Reicht doch. Also, der Gegner muss nur einen frühen bauernzug ignorieren weil er denkt ach ja im.mottelspiel der kommt eh nicht durch...und plötzlich wird der Bauer, konsequent gespielt, plötzlich doch spannend.
Alapin2 - 16. Dez '19
Hallo, Tchechov !
Weiß jetzt auch nicht genau,ob bei "Wikipedia" die richtigen Schachtipps mal eben
zu finden sind....
Als ich anfing,Turnierschach zu spielen,gab es gegen Pirc,Königsindisch und
Aljechin 4-Bauern-Angriffe ( irgendwo sogar 6-B.-A.),die die Schwarzen in Schrecken versetzten.Spielt heute kaum noch einer,weil Verteidigungsmöglichkeiten gefunden wurden ! Spiele einfach Partien,schaue in
Bücher ( gibt es die eigentlich noch ?),aber spiele,spiele...Dann merkst Du irgendwann selbst,was geht und was nicht !
Vabanque - 16. Dez '19
>>Als ich anfing,Turnierschach zu spielen,gab es gegen Pirc,Königsindisch und
Aljechin 4-Bauern-Angriffe ( irgendwo sogar 6-B.-A.),die die Schwarzen in Schrecken versetzten.Spielt heute kaum noch einer,weil Verteidigungsmöglichkeiten gefunden wurden !<<

Bist du da auch wirklich sicher, dass das kaum mehr jemand spielt? Gegen Königsindisch ist mir zugegebenermaßen die Variante mit f4 tatsächlich kaum mehr untergekommen, aber gegen die verwandte Pirc-Verteidigung war doch gerade der 'Austrian Attack' mit f4 (der absolut überhaupt keine österreichische Gemütlichkeit ausstrahlt) in den letzten Jahren wieder sehr populär, und ich halte ihn - vielleicht nicht im theoretischen, aber doch im praktischen Sinne - immer noch für den Prüfstein der Pirc-Verteidigung (gegen keinen anderen Aufbau habe ich mit Pirc mit Schwarz so oft verloren).
Ähnlich der 4-Bauern-Angriff gegen die Aljechin-Verteidigung, der ursprünglich mal fast als Widerlegung galt, dann wieder nicht, dann wieder doch. Man findet Verteidigungsmöglichkeiten, ja, aber die Gegenseite findet dann wiederum eine Verstärkung des weißen Angriffs, und so geht es weiter.
Diese forschen Bauernangriffe in der Eröffnung mögen überscharf sein - aber das muss in einer praktischen Partie der Gegner erstmal nachweisen. Und allzu oft gelingt dies nicht, auf Amateurniveau schon gar nicht.
Vabanque - 16. Dez '19
>>Hasenrat - 14.12.19 +

Das ist der verhängnisvolle Auswuchs, wenn man Bauernstrukturen isoliert betrachtet und bewertet - bei allem Respekt vor der sprichwörtlichen "Seele des Spiels".
Wenn die Bauern die "Diener der Figuren" sind - und eben nicht umgekehrt - kommt es eben auf die stellungsbegleitenden Figurenkonstellationen an, ob und inwieweit eine bestimmte Struktur von Vorteil oder Nachteil ist.<<

Genau richtig. Man darf Bauernstrukturen nicht isoliert betrachten. Bauern mögen optisch noch so 'chwach' sein (z.B. rückständige Bauern oder isolierte Doppelbauern), wenn der Gegner sie mit seinen Figuren nicht angreifen kann, oder wenn umgekehrt die eigenen Figuren die Bauern genügend unterstützen, ist diese Schwäche gegenstandslos, weil nicht ausnutzbar.
Ebenso darf man die Rochadebauern ruhig nach vorne schicken und damit den eigenen König hemmungslos entblößen, wenn dafür Figuren die 'schwachen' Felder decken. Es gibt dafür genügend Beispiele in der Meisterpraxis.
Schwierig ist es halt oft trotzdem, in einer konkreten Situation einzuschätzen, ob man sich solche 'Schwächen' erlauben kann oder ob nicht.
Vabanque - 16. Dez '19
Genauso wie der von Tschechov im Eingangsbeitrag erwähnte Bauer, der einerseits immer stärker wird, je näher er dem Umwandlungsfeld kommt (man liest oft, auf der drittletzten Reihe wäre er an Wirkung bereits einer Leichtfigur gleichzusetzen), aber zugleich anscheinend doch auch immer schwächer, da angreifbarer (darum soll ja der Verteidiger gerade im Endspiel doch tunlichst seine Bauern hinten lassen und nicht schwächend vorrücken).
Auch dieses doppelgesichtige Phänomen lässt sich wieder durch die jeweils 'begleitenden' Figuren erklären. Unterstützen die eigenen Figuren den Bauern gut, wird er beim Vorrücken immer stärker. Versucht der Bauer einen 'Alleingang', so wird er wiederum von den stark stehenden gegnerischen Figuren leicht abgefangen und gestoppt oder gar erobert.
Plummelschwubb81 - 16. Dez '19
Eine Frage ist auch die jeweilige Sichtweise im Verhältnis zur Spielstärke. Als Anfänger lernt man ja, in der Eröffnung nicht zu viele Bauernzüge zu tun und nur um die Figuren zu aktivieren, das Zentrum zu besetzen, oder anzugreifen.

Wenn man sich Meisterpartien aus der alten Zeit anschaut, sieht man dort einen großen Unterschied zu neueren Partien. Und dann noch mal einen, zur ComputerSchach-Ära. Heutzutage ist im Spitzenschach alles was sich widerlegen lässt, auch bekannt und die Eröffnungstheorie gibt ja die Bauernstrukturen schon vor.

Aber Vabanque hat es schon richtig gesagt - im Turnierschach, auf Amateurniveau muss man erst mal einen subtilen Fehler machen, der auch konsequent widerlegt wird.

Das bringt einem zu dem Schluss, dass die Bauernführung eben doch Meistersache ist, oder das Handwerk der stärkeren Spieler. Da es eben u.a. langfristige Wirkung auf eine Position hat.
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