Kommentierte Spiele

Die Vergessenen (IV): Psachis

Vabanque - 20. Okt '16
Der vormals russische GM Lew Psachis spielte sich 1982, im Alter von 24 Jahren, auf Platz 7 der Weltrangliste. Er konnte dieses Level jedoch nicht halten und geriet allmählich in Vergessenheit.
Der folgende Schwarzsieg gegen den exzellenten klassischen Pianisten und früheren WM-Kandidaten Taimanov (dessen Aufnahmen im Duo mit seiner Ex-Frau Liubov Bruk sind legendär und in meinen Augen ein Muss für jeden Klassik-Fan) zeigt aber, zu welchen Glanzleistungen Psachis in seiner besten Zeit fähig war.
Seit 1990 lebt er in Israel und arbeitet als Trainer.

Mark Taimanov Lev Psakhis Moscow tt | Moscow | 2 | 1981 | A04 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. Sf3 c5 2. b3 b6 3. Lb2 Lb7 4. e3 Sf6 Eine sehr unspektakuläre Eröffnung. Aber ich habe ja schon oft genug betont, dass die Glanzpartien der neueren Zeit in aller Regel aus geschlossenen Partien heraus entstanden sind, während offene Spiele bei beiderseits korrekter Behandlung zu schnellen Verflachungstendenzen neigen. 5. d4 g6 6. Le2 Lg7 7. O-O O-O 8. c4 e6 Beide Seite bauen sich in damals durchaus moderner Weise auf. 9. xc5 Dieses frühzeitige Herausschlagen aus dem Zentrum widerspricht eigentlich den strategischen Grundsätzen (Schwarz erhält ja schließlich einen Mehrbauern im Zentrum), aber Taimanov wird sich sicher dabei etwas gedacht haben (vielleicht wollte er die nach z.B. 9. Sc3 d5 entstehende völlig symmetrische Bauernstruktur vermeiden. Die Erfahrung zeigt allerdings immer wieder, dass es nicht gut ist, die Zentrumsspannung frühzeitig aufzuheben; man wartet lieber damit bis es der Gegner tut! xc5 10. Sc3 De7 11. Dd2 Td8 12. Tfd1 d5 13. xd5 xd5 Nun hat Schwarz die berüchtigten 'hängenden Bauern' auf c5 und d5, die ebenso schwach wie auch stark sein können. Schwach sind sie, weil sie der Figurendeckung bedürfen (sie haben ja keine Nebenmänner mehr, die sie stützen könnten), stark sind sie einerseits, weil sie die 4 Felder b4, c4, d4 und e4 beherrschen, und andererseits, weil sie bei genügend starker Figurenstellung von Schwarz durch den Vorstoß d5-d4 oft genug schon Verheerungen angerichtet haben. 14. Tac1 Weiß ist jetzt in klassischer Weise 'voll entwickelt' und hat auch seine schweren Figuren schon in Position gegen die 'schwachen' schwarzen Bauern auf der c- und d-Linie gebracht. Taimanov spielte eben klassisch - ob Klavier oder Schach. Lh6!? Ein interessanter Zug, auf den Engines niemals kämen, zu dem Weiß aber durch die Stellung seiner Dame und des c-Turms quasi eingeladen hat. Es droht besagtes d5-d4. 15. Sa4 Bedroht direkt den 'schwachen' c-Bauern. Se4 Deckt mit Tempo. 16. Dc2 Die angegriffene Dame bedroht wieder c5. Sd7 Deckt mit Entwicklung und droht wieder d4. 17. b4 Weiß findet nichts Besseres als dieses Bauernopfer, das Schwarz aber nicht annimmt, da nach cxb4 das Feld d4 nun wirklich fest in der Hand des Weißen wäre. d4! Dieser mutige Agrarökonom wird noch Karriere machen! (Schach ist eben doch wie das Leben.) 18. xc5? Relativ besser war Sxc5, aber Weiß spekuliert auf die Bauerngabel auf c6, die Psachis jedoch einberechnet hat. xe3 19. c6 xf2+ Ein schwarzer Freibauer auf f2 im 19. Zug! Dies ist die einzige mir bekannte Partie, in der so etwas geschehen ist. (In einer Partie Rauser - Botwinnik 1933 passierte 'es' im 21. Zug, und wird dort in allen Partiebesprechungen auch schon als eine Art Wunder gepriesen.) 20. Kf1 Lxc6! Stärker als das 'offensichtliche' Tac8, wonach Weiß mit dem Damenopfer cxb7! noch ganz gut davon käme. 21. Dxc6 Lxc1 22. Dxc1 Sdf6?! Hier hielt die Einschaltung von Tac8 den Vorteil besser fest. 23. Sc3 Richtigerweise führt Weiß den Randspringer wieder ins Spiel zurück. Txd1+ Weiß hat nun drei Möglichkeiten zurückzuschlagen. Welche soll er wählen? 24. Sxd1? Genauso falsch wie Dxd1. Lxd1 dagegen war - wenn man Engine-Analysen glauben darf - geeignet, die Stellung zu halten. Aber man kann Taimanov hier bestimmt keinen Vorwurf machen; die Komplexität der Stellung ist jenseits menschlichen Berechnungsvermögens. Der Textzug sieht plausibel aus, da er den 'Pfahl im Fleische', den mehr als lästigen Bauern f2, anpopelt. Sg4! Der lässt sich gut so decken, da nun h3?? an Sg3# scheitert. Zugleich droht Schwarz aber auch mit dem fetzigen Damenopfer Dh4!!, dessen Annahme Sxh4 zu einem weiteren Springermatt (Sxh2#) führen würde, und das dann auch mit Dxh2!! ein erneutes Damenopfer drohen würde. 25. Df4 Verhindert das erwähnte Damenopfer: nun könnte Weiß auf Dh4?? mit Sxh4 antworten, da h2 gedeckt ist. Gleichzeitig sieht der Zug aktiv aus, da er den Sg4 angreift. Te8! Psachis lässt den Springer munter hängen und beteiligt die letzte noch inaktive Figur am Angriff. Es droht der Abzug Sg3+ nebst Dxe2#. 26. Se5
Denn auf 26. Dxg4 geschieht Sg3+! 27. Kxf2 Sh1+! 28. Kg1 Dxe2 28. Dd4 die einzige Möglichkeit, den Sd1 und Lb2 zugleich zu retten
28. Kxh1 Dxd1+ 29. Sg1 Dxg4
De1+!! nebst Matt. Der 'todgeweihte' Sh1 knüpft am Mattnetz mit - eine erstaunliche Wendung.
Df6!! Kein Damentauschangebot, sondern ein vernichtender Angriffszug! Weiß kann die Damen gar nicht tauschen, da die weiße Dame das Mattfeld h2 decken muss! Aus demselben Grund kann Weiß auch nicht auf e4 nehmen. Auf g4 kann er aber ebensowenig nehmen, da dann der Se4 Matt auf d2 gibt! Zu allem Überfluss hängt aber jetzt die Df4. Eine verfahrene Situation, aus der es keinen Ausweg mehr gibt. 27. g3 Der einzige Zug, der für den Moment noch rettet; nun aber leitet Psachis forciert in ein gewonnenes Endspiel über. Sxh2+ 28. Kg2 Dxf4 29. xf4 Td8! 30. Sxf2
Der Freibauer muss unbedingt beseitigt werden; 30. Kxh2 ermöglicht nämlich die hübsche Wendung Txd1!
Td2 In dieser verwirrenden Position steht ziemlich viel Zeug auf der 2. Reihe rum! Wieder mal so eine Stellung, in der beiderseits viel hängt. Aber wie Weiß auch spielt; er zieht immer den Kürzeren. 31. Sxe4 Txe2+ 32. Sf2 Txb2 33. Sed3 Ta2 34. Kxh2 Rein rechnerisch ist der Materialnachteil des Weißen nur gering; aber die Springer (die auch noch in der denkbar ungünstigsten Lage, nämlich wo sie einander decken, positioniert sind) sind gegen den 'entfernten Freibauern' auf der a-Linie komplett hilflos. a5 35. Kg3 a4 Taimanov hatte hier ein Einsehen und gab auf. Danach setzte er sich wieder ans Klavier ...
PGN anzeigen[Event "Moscow tt"]
[Site "Moscow"]
[Date "1981.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "2"]
[Result "0-1"]
[White "Mark Taimanov"]
[Black "Lev Psakhis"]
[ECO "A04"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "70"]

1. Nf3 c5 2. b3 b6 3. Bb2 Bb7 4. e3 Nf6 {Eine sehr unspektakuläre Eröffnung. Aber ich habe ja schon oft genug betont, dass die Glanzpartien der neueren Zeit in aller Regel aus geschlossenen Partien heraus entstanden sind, während offene Spiele bei beiderseits korrekter Behandlung zu schnellen Verflachungstendenzen neigen.} 5. d4 g6 6. Be2 Bg7
7. O-O O-O 8. c4 e6 {Beide Seite bauen sich in damals durchaus moderner Weise auf.} 9. dxc5 {Dieses frühzeitige Herausschlagen aus dem Zentrum widerspricht eigentlich den strategischen Grundsätzen (Schwarz erhält ja schließlich einen Mehrbauern im Zentrum), aber Taimanov wird sich sicher dabei etwas gedacht haben (vielleicht wollte er die nach z.B. 9. Sc3 d5 entstehende völlig symmetrische Bauernstruktur vermeiden. Die Erfahrung zeigt allerdings immer wieder, dass es nicht gut ist, die Zentrumsspannung frühzeitig aufzuheben; man wartet lieber damit bis es der Gegner tut!} bxc5 10.Nc3 Qe7 11. Qd2 Rd8
12. Rfd1 d5 13. cxd5 exd5 {Nun hat Schwarz die berüchtigten 'hängenden Bauern' auf c5 und d5, die ebenso schwach wie auch stark sein können. Schwach sind sie, weil sie der Figurendeckung bedürfen (sie haben ja keine Nebenmänner mehr, die sie stützen könnten), stark sind sie einerseits, weil sie die 4 Felder b4, c4, d4 und e4 beherrschen, und andererseits, weil sie bei genügend starker Figurenstellung von Schwarz durch den Vorstoß d5-d4 oft genug schon Verheerungen angerichtet haben.} 14. Rac1 {Weiß ist jetzt in klassischer Weise 'voll entwickelt' und hat auch seine schweren Figuren schon in Position gegen die 'schwachen' schwarzen Bauern auf der c- und d-Linie gebracht. Taimanov spielte eben klassisch - ob Klavier oder Schach.} Bh6!? {Ein interessanter Zug, auf den Engines niemals kämen, zu dem Weiß aber durch die Stellung seiner Dame und des c-Turms quasi eingeladen hat. Es droht besagtes d5-d4.} 15. Na4 {Bedroht direkt den 'schwachen' c-Bauern.} Ne4 {Deckt mit Tempo.} 16. Qc2 {Die angegriffene Dame bedroht wieder c5.} Nd7 {Deckt mit Entwicklung und droht wieder d4.}
17. b4 {Weiß findet nichts Besseres als dieses Bauernopfer, das Schwarz aber nicht annimmt, da nach cxb4 das Feld d4 nun wirklich fest in der Hand des Weißen wäre.} d4! {Dieser mutige Agrarökonom wird noch Karriere machen! (Schach ist eben doch wie das Leben.)} 18. bxc5? {Relativ besser war Sxc5, aber Weiß spekuliert auf die Bauerngabel auf c6, die Psachis jedoch einberechnet hat.} dxe3 19. c6 exf2+ {Ein schwarzer Freibauer auf f2 im 19. Zug! Dies ist die einzige mir bekannte Partie, in der so etwas geschehen ist. (In einer Partie Rauser - Botwinnik 1933 passierte 'es' im 21. Zug, und wird dort in allen Partiebesprechungen auch schon als eine Art Wunder gepriesen.)} 20. Kf1 Bxc6! {Stärker als das 'offensichtliche' Tac8, wonach Weiß mit dem Damenopfer cxb7! noch ganz gut davon käme.} 21. Qxc6
Bxc1 22. Qxc1 Ndf6?! {Hier hielt die Einschaltung von Tac8 den Vorteil besser fest.} 23. Nc3 {Richtigerweise führt Weiß den Randspringer wieder ins Spiel zurück.} Rxd1+ {Weiß hat nun drei Möglichkeiten zurückzuschlagen. Welche soll er wählen?} 24. Nxd1? {Genauso falsch wie Dxd1. Lxd1 dagegen war - wenn man Engine-Analysen glauben darf - geeignet, die Stellung zu halten. Aber man kann Taimanov hier bestimmt keinen Vorwurf machen; die Komplexität der Stellung ist jenseits menschlichen Berechnungsvermögens. Der Textzug sieht plausibel aus, da er den 'Pfahl im Fleische', den mehr als lästigen Bauern f2, anpopelt.} Ng4! {Der lässt sich gut so decken, da nun h3?? an Sg3# scheitert. Zugleich droht Schwarz aber auch mit dem fetzigen Damenopfer Dh4!!, dessen Annahme Sxh4 zu einem weiteren Springermatt (Sxh2#) führen würde, und das dann auch mit Dxh2!! ein erneutes Damenopfer drohen würde.} 25. Qf4 {Verhindert das erwähnte Damenopfer: nun könnte Weiß auf Dh4?? mit Sxh4 antworten, da h2 gedeckt ist. Gleichzeitig sieht der Zug aktiv aus, da er den Sg4 angreift.} Re8! {Psachis lässt den Springer munter hängen und beteiligt die letzte noch inaktive Figur am Angriff. Es droht der Abzug Sg3+ nebst Dxe2#.}
26. Ne5 ({Denn auf} 26. Qxg4 {geschieht} Ng3+! 27. Kxf2 Nh1+! 28. Kg1 Qxe2 28. Qd4 {die einzige Möglichkeit, den Sd1 und Lb2 zugleich zu retten} (28. Kxh1 Qxd1+ 29. Ng1 Qxg4) Qe1+!! {nebst Matt. Der 'todgeweihte' Sh1 knüpft am Mattnetz mit - eine erstaunliche Wendung.}) Qf6!! {Kein Damentauschangebot, sondern ein vernichtender Angriffszug! Weiß kann die Damen gar nicht tauschen, da die weiße Dame das Mattfeld h2 decken muss! Aus demselben Grund kann Weiß auch nicht auf e4 nehmen. Auf g4 kann er aber ebensowenig nehmen, da dann der Se4 Matt auf d2 gibt! Zu allem Überfluss hängt aber jetzt die Df4. Eine verfahrene Situation, aus der es keinen Ausweg mehr gibt.} 27. g3 {Der einzige Zug, der für den Moment noch rettet; nun aber leitet Psachis forciert in ein gewonnenes Endspiel über.} Nxh2+ 28. Kg2 Qxf4 29. gxf4 Rd8! 30. Nxf2 ({Der Freibauer muss unbedingt beseitigt werden;} 30. Kxh2 {ermöglicht nämlich die hübsche Wendung} Rxd1!)
Rd2 {In dieser verwirrenden Position steht ziemlich viel Zeug auf der 2. Reihe rum! Wieder mal so eine Stellung, in der beiderseits viel hängt. Aber wie Weiß auch spielt; er zieht immer den Kürzeren.} 31. Nxe4 Rxe2+ 32. Nf2 Rxb2 33. Ned3 Rxa2 34. Kxh2 {Rein rechnerisch ist der Materialnachteil des Weißen nur gering; aber die Springer (die auch noch in der denkbar ungünstigsten Lage, nämlich wo sie einander decken, positioniert sind) sind gegen den 'entfernten Freibauern' auf der a-Linie komplett hilflos.} a5
35. Kg3 a4 {Taimanov hatte hier ein Einsehen und gab auf. Danach setzte er sich wieder ans Klavier ... } 0-1

pirc_ - 20. Okt '16
irgendwas stimmt mit der PGN nicht...die Züge 33. Sed3 Ta2 werden nicht ausgeführt...oder iss das nur bei mir so?
Vabanque - 20. Okt '16
Interessante Beobachtung ... und ich weiß auch, woran das liegt ... der Viewer akzeptiert 33. Sed3 nicht, sondern nur Sd3, weil der andere Springer 'wägen Rägel' nicht ziehen kann. (Aber alle anderen Viewer akzeptieren es).

Hier also nochmal:


Mark Taimanov Lev Psakhis Moscow tt | Moscow | 2 | 1981 | A04 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. Sf3 c5 2. b3 b6 3. Lb2 Lb7 4. e3 Sf6 Eine sehr unspektakuläre Eröffnung. Aber ich habe ja schon oft genug betont, dass die Glanzpartien der neueren Zeit in aller Regel aus geschlossenen Partien heraus entstanden sind, während offene Spiele bei beiderseits korrekter Behandlung zu schnellen Verflachungstendenzen neigen. 5. d4 g6 6. Le2 Lg7 7. O-O O-O 8. c4 e6 Beide Seite bauen sich in damals durchaus moderner Weise auf. 9. xc5 Dieses frühzeitige Herausschlagen aus dem Zentrum widerspricht eigentlich den strategischen Grundsätzen (Schwarz erhält ja schließlich einen Mehrbauern im Zentrum), aber Taimanov wird sich sicher dabei etwas gedacht haben (vielleicht wollte er die nach z.B. 9. Sc3 d5 entstehende völlig symmetrische Bauernstruktur vermeiden. Die Erfahrung zeigt allerdings immer wieder, dass es nicht gut ist, die Zentrumsspannung frühzeitig aufzuheben; man wartet lieber damit bis es der Gegner tut! xc5 10. Sc3 De7 11. Dd2 Td8 12. Tfd1 d5 13. xd5 xd5 Nun hat Schwarz die berüchtigten 'hängenden Bauern' auf c5 und d5, die ebenso schwach wie auch stark sein können. Schwach sind sie, weil sie der Figurendeckung bedürfen (sie haben ja keine Nebenmänner mehr, die sie stützen könnten), stark sind sie eineseits, weil sie die 4 Felder b4, c4, d4 und e4 beherrschen, und andererseits, weil sie bei genügend starker Figurenstellung von Schwarz durch den Vorstoß d5-d4 oft genug schon Verheerungen angerichtet haben. 14. Tac1 Weiß ist jetzt in klassischer Weise 'voll entwickelt' und hat auch seine schweren Figuren schon in Position gegen die 'schwachen' schwarzen Bauern auf der c- und d-Linie gebracht. Taimanov spielte eben klassisch - ob Klavier oder Schach. Lh6!? Ein interessanter Zug, auf den Engines niemals kämen, zu dem Weiß aber durch die Stellung seiner Dame und des c-Turms quasi eingeladen hat. Es droht besagtes d5-d4. 15. Sa4 Bedroht direkt den 'schwachen' c-Bauern. Se4 Deckt mit Tempo. 16. Dc2 Die angegriffene Dame bedroht wieder c5. Sd7 Deckt mit Entwicklung und droht wieder d4. 17. b4 Weiß findet nichts Besseres als dieses Bauernopfer, das Schwarz aber nicht annimmt, da nach cxb4 das Feld d4 nun wirklich fest in der Hand des Weißen wäre. d4! Dieser mutige Agrarökonom wird noch Karriere machen! (Schach ist eben doch wie das Leben.) 18. xc5? Relativ besser war Sxc5, aber Weiß spekuliert auf die Bauerngabel auf c6, die Psachis jedoch einberechnet hat. xe3 19. c6 xf2+ Ein schwarzer Freibauer auf f2 im 19. Zug! Dies ist die einzige mir bekannte Partie, in der so etwas geschehen ist. (In einer Partie Rauser - Botwinnik 1933 passierte 'es' im 21. Zug, und wird dort in allen Partiebesprechungen auch schon als eine Art Wunder gepriesen.) 20. Kf1 Lxc6! Stärker als das 'offensichtliche' Tac8, wonach Weiß mit dem Damenopfer cxb7! noch ganz gut davon käme. 21. Dxc6 Lxc1 22. Dxc1 Sdf6?! Hier hielt die Einschaltung von Tac8 den Vorteil besser fest. 23. Sc3 Richtigerweise führt Weiß den Randspringer wieder ins Spiel zurück. Txd1+ Weiß hat nun drei Möglichkeiten zurückzuschlagen. Welche soll er wählen? 24. Sxd1? Genauso falsch wie Dxd1. Lxd1 dagegen war - wenn man Engine-Analysen glauben darf - geeignet, die Stellung zu halten. Aber man kann Taimanov hier bestimmt keinen Vorwurf machen; die Komplexität der Stellung ist jenseits menschlichen Berechnungsvermögens. Der Textzug sieht plausibel aus, da er den 'Pfahl im Fleische', den mehr als lästigen Bauern f2, anpopelt. Sg4! Der lässt sich gut so decken, da nun h3?? an Sg3# scheitert. Zugleich droht Schwarz aber auch mit dem fetzigen Damenopfer Dh4!!, dessen Annahme Sxh4 zu einem weiteren Springermatt (Sxh2#) führen würde, und das dann auch mit Dxh2!! ein erneutes Damenopfer drohen würde. 25. Df4 Verhindert das erwähnte Damenopfer: nun könnte Weiß auf Dh4?? mit Sxh4 antworten, da h2 gedeckt ist. Gleichzeitig sieht der Zug aktiv aus, da er den Sg4 angreift. Te8! Psachis lässt den Springer munter hängen und beteiligt die letzte noch inaktive Figur am Angriff. Es droht der Abzug Sg3+ nebst Dxe2#. 26. Se5
Denn auf 26. Dxg4 geschieht Sg3+! 27. Kxf2 Sh1+! 28. Kg1 Dxe2 28. Dd4 die einzige Möglichkeit, den Sd1 und Lb2 zugleich zu retten
28. Kxh1 Dxd1+ 29. Sg1 Dxg4
De1+!! nebst Matt. Der 'todgeweihte' Sh1 knüpft am Mattnetz mit - eine erstaunliche Wendung.
Df6!! Kein Damentauschangebot, sondern ein vernichtender Angriffszug! Weiß kann die Damen gar nicht tauschen, da die weiße Dame das Mattfeld h2 decken muss! Aus demselben Grund kann Weiß auch nicht auf e4 nehmen. Auf g4 kann er aber ebensowenig nehmen, da dann der Se4 Matt auf d2 gibt! Zu allem Überfluss hängt aber jetzt die Df4. Eine verfahrene Situation, aus der es keinen Ausweg mehr gibt. 27. g3 Der einzige Zug, der für den Moment noch rettet; nun aber leitet Psachis forciert in ein gewonnenes Endspiel über. Sxh2+ 28. Kg2 Dxf4 29. xf4 Td8! 30. Sxf2
Der Freibauer muss unbedingt beseitigt werden; 30. Kxh2 ermöglicht nämlich die hübsche Wendung Txd1!
Td2 In dieser verwirrenden Position steht ziemlich viel Zeug auf der 2. Reihe rum! Wieder mal so eine Stellung, in der beiderseits viel hängt. Aber wie Weiß auch spielt; er zieht immer den Kürzeren. 31. Sxe4 Txe2+ 32. Sf2 Txb2 33. Sd3 Txa2 34. Kxh2 Rein rechnerisch ist der Materialnachteil des Weißen nur gering; aber die Springer (die auch noch in der denkbar ungünstigsten Lage, nämlich wo sie einander decken, positioniert sind) sind gegen den 'entfernten Freibauern' auf der a-Linie komplett hilflos. a5 35. Kg3 a4 Taimanov hatte hier ein Einsehen und gab auf. Danach setzte er sich wieder ans Klavier ...
PGN anzeigen[Event "Moscow tt"]
[Site "Moscow"]
[Date "1981.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "2"]
[Result "0-1"]
[White "Mark Taimanov"]
[Black "Lev Psakhis"]
[ECO "A04"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "70"]

1. Nf3 c5 2. b3 b6 3. Bb2 Bb7 4. e3 Nf6 {Eine sehr unspektakuläre Eröffnung. Aber ich habe ja schon oft genug betont, dass die Glanzpartien der neueren Zeit in aller Regel aus geschlossenen Partien heraus entstanden sind, während offene Spiele bei beiderseits korrekter Behandlung zu schnellen Verflachungstendenzen neigen.} 5. d4 g6 6. Be2 Bg7
7. O-O O-O 8. c4 e6 {Beide Seite bauen sich in damals durchaus moderner Weise auf.} 9. dxc5 {Dieses frühzeitige Herausschlagen aus dem Zentrum widerspricht eigentlich den strategischen Grundsätzen (Schwarz erhält ja schließlich einen Mehrbauern im Zentrum), aber Taimanov wird sich sicher dabei etwas gedacht haben (vielleicht wollte er die nach z.B. 9. Sc3 d5 entstehende völlig symmetrische Bauernstruktur vermeiden. Die Erfahrung zeigt allerdings immer wieder, dass es nicht gut ist, die Zentrumsspannung frühzeitig aufzuheben; man wartet lieber damit bis es der Gegner tut!} bxc5 10.Nc3 Qe7 11. Qd2 Rd8
12. Rfd1 d5 13. cxd5 exd5 {Nun hat Schwarz die berüchtigten 'hängenden Bauern' auf c5 und d5, die ebenso schwach wie auch stark sein können. Schwach sind sie, weil sie der Figurendeckung bedürfen (sie haben ja keine Nebenmänner mehr, die sie stützen könnten), stark sind sie eineseits, weil sie die 4 Felder b4, c4, d4 und e4 beherrschen, und andererseits, weil sie bei genügend starker Figurenstellung von Schwarz durch den Vorstoß d5-d4 oft genug schon Verheerungen angerichtet haben.} 14. Rac1 {Weiß ist jetzt in klassischer Weise 'voll entwickelt' und hat auch seine schweren Figuren schon in Position gegen die 'schwachen' schwarzen Bauern auf der c- und d-Linie gebracht. Taimanov spielte eben klassisch - ob Klavier oder Schach.} Bh6!? {Ein interessanter Zug, auf den Engines niemals kämen, zu dem Weiß aber durch die Stellung seiner Dame und des c-Turms quasi eingeladen hat. Es droht besagtes d5-d4.} 15. Na4 {Bedroht direkt den 'schwachen' c-Bauern.} Ne4 {Deckt mit Tempo.} 16. Qc2 {Die angegriffene Dame bedroht wieder c5.} Nd7 {Deckt mit Entwicklung und droht wieder d4.}
17. b4 {Weiß findet nichts Besseres als dieses Bauernopfer, das Schwarz aber nicht annimmt, da nach cxb4 das Feld d4 nun wirklich fest in der Hand des Weißen wäre.} d4! {Dieser mutige Agrarökonom wird noch Karriere machen! (Schach ist eben doch wie das Leben.)} 18. bxc5? {Relativ besser war Sxc5, aber Weiß spekuliert auf die Bauerngabel auf c6, die Psachis jedoch einberechnet hat.} dxe3 19. c6 exf2+ {Ein schwarzer Freibauer auf f2 im 19. Zug! Dies ist die einzige mir bekannte Partie, in der so etwas geschehen ist. (In einer Partie Rauser - Botwinnik 1933 passierte 'es' im 21. Zug, und wird dort in allen Partiebesprechungen auch schon als eine Art Wunder gepriesen.)} 20. Kf1 Bxc6! {Stärker als das 'offensichtliche' Tac8, wonach Weiß mit dem Damenopfer cxb7! noch ganz gut davon käme.} 21. Qxc6
Bxc1 22. Qxc1 Ndf6?! {Hier hielt die Einschaltung von Tac8 den Vorteil besser fest.} 23. Nc3 {Richtigerweise führt Weiß den Randspringer wieder ins Spiel zurück.} Rxd1+ {Weiß hat nun drei Möglichkeiten zurückzuschlagen. Welche soll er wählen?} 24. Nxd1? {Genauso falsch wie Dxd1. Lxd1 dagegen war - wenn man Engine-Analysen glauben darf - geeignet, die Stellung zu halten. Aber man kann Taimanov hier bestimmt keinen Vorwurf machen; die Komplexität der Stellung ist jenseits menschlichen Berechnungsvermögens. Der Textzug sieht plausibel aus, da er den 'Pfahl im Fleische', den mehr als lästigen Bauern f2, anpopelt.} Ng4! {Der lässt sich gut so decken, da nun h3?? an Sg3# scheitert. Zugleich droht Schwarz aber auch mit dem fetzigen Damenopfer Dh4!!, dessen Annahme Sxh4 zu einem weiteren Springermatt (Sxh2#) führen würde, und das dann auch mit Dxh2!! ein erneutes Damenopfer drohen würde.} 25. Qf4 {Verhindert das erwähnte Damenopfer: nun könnte Weiß auf Dh4?? mit Sxh4 antworten, da h2 gedeckt ist. Gleichzeitig sieht der Zug aktiv aus, da er den Sg4 angreift.} Re8! {Psachis lässt den Springer munter hängen und beteiligt die letzte noch inaktive Figur am Angriff. Es droht der Abzug Sg3+ nebst Dxe2#.}
26. Ne5 ({Denn auf} 26. Qxg4 {geschieht} Ng3+! 27. Kxf2 Nh1+! 28. Kg1 Qxe2 28. Qd4 {die einzige Möglichkeit, den Sd1 und Lb2 zugleich zu retten} (28. Kxh1 Qxd1+ 29. Ng1 Qxg4) Qe1+!! {nebst Matt. Der 'todgeweihte' Sh1 knüpft am Mattnetz mit - eine erstaunliche Wendung.}) Qf6!! {Kein Damentauschangebot, sondern ein vernichtender Angriffszug! Weiß kann die Damen gar nicht tauschen, da die weiße Dame das Mattfeld h2 decken muss! Aus demselben Grund kann Weiß auch nicht auf e4 nehmen. Auf g4 kann er aber ebensowenig nehmen, da dann der Se4 Matt auf d2 gibt! Zu allem Überfluss hängt aber jetzt die Df4. Eine verfahrene Situation, aus der es keinen Ausweg mehr gibt.} 27. g3 {Der einzige Zug, der für den Moment noch rettet; nun aber leitet Psachis forciert in ein gewonnenes Endspiel über.} Nxh2+ 28. Kg2 Qxf4 29. gxf4 Rd8! 30. Nxf2 ({Der Freibauer muss unbedingt beseitigt werden;} 30. Kxh2 {ermöglicht nämlich die hübsche Wendung} Rxd1!)
Rd2 {In dieser verwirrenden Position steht ziemlich viel Zeug auf der 2. Reihe rum! Wieder mal so eine Stellung, in der beiderseits viel hängt. Aber wie Weiß auch spielt; er zieht immer den Kürzeren.} 31. Nxe4 Rxe2+ 32. Nf2 Rxb2 33. Nd3 Rxa2 34. Kxh2 {Rein rechnerisch ist der Materialnachteil des Weißen nur gering; aber die Springer (die auch noch in der denkbar ungünstigsten Lage, nämlich wo sie einander decken, positioniert sind) sind gegen den 'entfernten Freibauern' auf der a-Linie komplett hilflos.} a5
35. Kg3 a4 {Taimanov hatte hier ein Einsehen und gab auf. Danach setzte er sich wieder ans Klavier ... } 0-1

Colorado77 - 20. Okt '16
Tolle Partie, die werden ja immer noch besser ;-)

Psakhis war schon ein sehr guter in den 80-er. Aber so unbekannt ist er doch nicht, ich wette, die meisten Schachspieler Ü30 kennen den Namen.

Beim Nachspielen eine Idee: Sa4 - normalerweise ja gut und Standard hier aber doch fragwürdig wegen Se4 und dieser Springer ist ja fortan das Problem.
Ich bin jetzt zu faul es zu checken, aber 15.h4 sieht doch gut aus: Idee Sg5 --> Bahn des Lh6 verstopft und Se4 weiterhin erschwert.
Was hälst Du von dem Zug?
Vabanque - 20. Okt '16
Geht auf 15. h4 (darauf wäre ich jetzt nicht gekommen) denn nicht auch sofort d4?
Colorado77 - 20. Okt '16
Check es bitte mal mit ner Engine: Ich spiel dann Sg5, der Td8 hängt ja im Falle von dxc...
Nach Sg5-Sc6 kommt Sa4.
Idee des ganzen mit Sg5, selbst wenn da ein Bauer über die Wupper geht auf xg5 hat Weiss immer Gegenspiel auf der schwarzen Diagonale a1-h8....
Vabanque - 20. Okt '16
Ja, das mag sein. Lh6 hat ja sicher auch den Nachteil, diese Diagonale zu verlassen. In der Partie freilich konnte Weiß das nie ausnutzen.

Was Psachis (Psakhis) selbst betrifft: Es geht in dieser Reihe ja nicht um völlig unbekannte Spieler, sondern um solche, die kurz mal an der Weltspitze waren (und in dieser Phase dem entsprechend auch bekannt waren), aber dann aus irgendwelchen Gründen (sei es Krankheit bzw. früher Tod, oder Abwendung vom Turnierschach) aus dem Fokus geraten sind. Was die Gründe bei Psachis waren, weiß ich nicht, da mir biografisch so gut wie nichts über ihn bekannt ist.
Kellerdrache - 21. Okt '16
Psachis ist, für mich wenigstens, ein Idealbeispiel für diese Reihe. Obwohl ich damals bestimmt etliche Partien von ihm gesehen habe ist er in meinem Gedächtnis im Laufe der Zeit weit ins Dunkle gerückt. Erst als ich den Namen las kamen mir langsam wieder ein paar Erinnerungen hoch.

Die ausgesuchte Partie ist wirklich ein schönes Beispiel für seine sowohl präzise wie auch phantasievolle Art zu spielen. Oft genug ist der Unterscheid zwischen den ganz großen Spielern und der zweiten Garde (was sich abwertender anhört als es gemeint ist) ja schlichtweg die Konstanz und Langlebigkeit. Will man eine Gemeinsamkeit aller bisherigen Spieler dieser Reihe finden ist es gerade die Kürze ihrer Glanzzeit. Charousek und Breyer starben früh, Mecking wurde von einer schweren Erkrankung aus der Erfolgsbahn geworfen und Psachis konnte vielleicht einfach dem Druck und den Anforderungen des Turnierschachs auf diesem Niveau nicht auf Dauer standhalten.

Colorados Idee ist es sicher wert mal genauer untersucht zu werden. Am Brett oder genauer gesagt am Bildschirm habe ich sie jedenfalls nicht widerlegen können.
pirc_ - 21. Okt '16
Also ich bin deutlich Ü30 und kannte ihn nicht...könnte aber daran liegen, dass ich mich in den 80ern mit Beckenbauer, Al Bundy, Westernhagen, Sophie Marceau...und weniger mit Schach beschäftigt habe ;-)
Vabanque - 21. Okt '16
Jetzt kennst du ihn :)