Der 1936 geborene Mathematiker Heinz Liebert aus Halle
an der Saale ist nie ein professioneller Schachspieler
gewesen. Aber er hat die DDR bei jeder Schacholympiade
von 1962 bis 1972 vertreten. Im Jahre 1966 wurde ihm
der internationale Meistertitel verliehen. Zweimal in
seinem Schachleben gelang ihm ein Sieg gegen einen
Spitzenspieler: 1956 gegen Polugajevsky, und 20 Jahre
später gegen Uhlmann. Bemerkenswert daran ist, dass
Liebert beide Siege mit den schwarzen Steinen erfochten
hat, und dass beide Partien mit einem sehenswerten Matt
enden. Ich habe hier den Sieg gegen Uhlmann ausgewählt,
wo dieser in der Eröffnung - scheinbar sogar
erfolgreich - auf Bauernjagd geht, aber mit der
Schwäche seiner Königsstellung zu teuer bezahlt.
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[Event "It"]
[Site "It"]
[Date "1976.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "?"]
[Result "0-1"]
[White "Wolfgang Uhlmann"]
[Black "Heinz Liebert"]
1. c4 Nf6 2. Nc3 d5 3. cxd5 Nxd5 4. g3 c5 5. Bg2 Nc7 6.
Nf3 Nc6 7. Qa4!? {Ein ungewöhnlicher Zug. Einfach und
gut wären d3 oder die Rochade.} Qd7?! {Es ist nicht
ganz verständlich, was Schwarz gegen die natürliche
Antwort Ld7 gesehen hat. Möglicherweise wollte Uhlmann
darauf De4 spielen.} 8.
O-O g6?! {Nachlässigkeit oder Provokation? Es ist zwar
wünschenswert, den Königsläufer auf die lange Diagonale
zu entwickeln, aber dadurch wird der Bauer c5 sehr
anfällig.} 9. Qc4 {Schon stürzt sich Weiß auf diesen
Bauern. Zwar zieht er mit der Dame herum und verliert
Tempi, aber Schwarz ist ja nicht gerade gut
entwickelt.} b6 10. b4!? {Geistreich gespielt. Der
letzte schwarze Zug hat die Diagonale des weißen Lg2
'verlängert', so dass auf 10... Sxb4 11. Sg5! mit
Doppelangriff gegen f7 und a8 folgen könnte, während
auf 10... cxb4 11. Sg5 genauso funktioniert, da dann
neben f7 auch der Sc6 bedroht ist.} Bg7! {Also gibt
Schwarz lieber den Bauern her und treibt seine
Entwicklung voran. Auf Sg5 könnte er jetzt einfach
rochieren.} 11. bxc5 b5! {Mit diesem überraschenden
Zug, der die Stärke des Lg7 erweist, übernimmt Schwarz
die Initiative.} 12. Qb3 b4 {Verliert jetzt Weiß gar
eine Figur?} 13. Ng5! {Nein! Er gewinnt stattdessen
einen zweiten Bauern, aber um welchen Preis?!} O-O 14.
Bxc6? {Führt zum Gewinn des Bauern b4. Aber durch den
Abtausch des weißfeldrigen Schutzläufers wird die weiße
Königsburg krankhaft schwach auf den weißen Feldern,
zumal ja der Lc8 nur darauf brennt, nach b7 zu gehen
und seine Lady dort bei ihren Mattdrohungen zu
unterstützen. Uhlmann dachte an dieser Stelle
vielleicht, dass 14. Lxc6 erzwungen wäre, um den Sc3 zu
retten. Dabei stand ihm mit 14. Da4! Lb7 15. Tb1! eine
ausgezeichnete Ausrede zur Verfügung, die auf dem dann
ungedeckten Lb7 basiert. Es wäre dann eine Stellung mit
etwa gleichen Chancen entstanden. Vielleicht hat
Uhlmann dies aber sogar gesehen, und es war ihm gegen
einen 'schwächeren' Gegner zu wenig. Er glaubte
möglicherweise, den kommenden Angriff abwehren und mit
den beiden Mehrbauern schließlich im Endspiel siegreich
bleiben zu können. Er sollte sich schwer täuschen. Der
'schwächere' Gegner spielt ab jetzt auf wie Tal
persönlich.} Qxc6
15. Qxb4 Rb8! {Schon wieder eine Überraschung und
stärker als das 'selbstverständliche' Lb7. Nimmt Weiß
jetzt den Tb8, so muss er nach Lb7 wegen der
Mattdrohung die Dame geben und wird dann auf der langen
Diagonalen ausgespielt, da der Sc7 über b5 (oder e6)
nach d4 gelangt, z.B. 16. Dxb8 Lb7 17. Dxf8+ Kxf8 18.
Sf3 (18. f3? verliert nach Dxc5+ den Sg5, während auf
18. e4 h6 nebst Lxc3 und Dxe4 folgen kann) Sb5 nebst
Sd4.} 16. Qf4 Bb7 {Droht brutal Matt auf g2 oder h1.}
17. Nf3 Ne6 {Die weiße Dame befindet sich auf der
Flucht und findet kein lauschiges Plätzchen, um ihr
müdes Haupt zur Ruhe zu betten.} 18. Qe3 {Auch hier
nicht.} Bd4! 19. Qh6 {Vielleicht hier?} Ba8! {Liebert
gönnt dem Gegner scheinbar eine Atempause; in
Wirklichkeit zeigt er mit diesem Zug an, dass Weiß so
schlecht steht, dass er überhaupt keine gute Antwort
hat, und dass seine Stellung an der eigenen
Schlechtigkeit zu Grunde gehen muss! Der einzige Zug,
der die weiße Stellung verbessert hätte, nämlich Lb2,
wird jedenfalls durch La8 verhindert.} 20. Rb1 {Sieht
noch am plausibelsten aus, verliert aber ebenso wie
alles andere.} Rxb1 21.
Nxb1 Qe4 22. Nc3 Bxc3 23. dxc3 Qxe2 {Nun ist der
Stützpunkt des Sf3 gefallen, der wiederum die tödliche
lange Diagonale verstopft hatte.} 24. Nd2 {Auf Sh4 käme
ebenfalls Td8, und zwar in diesem Fall mit der Drohung
Td1!} Rd8! {Schwarz droht, auf d2 zu opfern, um Df3
(mit undeckbarer Mattdrohung) folgen lassen zu können.} 25. Qe3 {Auf
f3 käme g5!, was die weiße Dame von d2 abschneidet.
Nach dem Textzug sieht es zunächst so aus, als ob sich
die schwarze Dame nun entweder tauschen oder
zurückziehen müsste, aber ...} Rxd2!! {... es folgt ein
spektakulärer Schluss! Der Damentausch würde Weiß jetzt
mit einer Minusfigur zurücklassen, und auf Dxd2 würde
natürlich wieder Df3 folgen.} 26. Bxd2 {Aber was hat
sich Schwarz darauf ausgedacht?} Ng5!! {Fast zu schön,
um wahr zu sein! Solche Kombinationen ereignen sich
doch normalerweise nur in komponierten Studien - oder
im Traum! Die Mattdrohung Sh3 macht Weiß nun den
Garaus. 27. f3 hilft ja nicht wegen Sh3+ nebst Dxf1+,
und auf 27. h4 (oder h3) kann Schwarz zwischen Sh3+
nebst Dxf1 und 27... Sf3+ nebst Sxd2+ wählen. Und der
Sg5 ist natürlich wegen Df3 wieder tabu.}
Qxe2 {Ob Uhlmann das Matt wirklich übersehen hat oder
ob er - als vorbildlicher Sportsmann, der er stets war
- seinem Gegner die Mattsetzung gönnen wollte,
sei dahin gestellt.} Nh3# {Das Schlussbild ist jedenfalls
ein Paradebeispiel für den Sieg des Geistes über die
Materie.} 0-1
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