Kommentierte Spiele
Spektakuläre Schwarzsiege (III): Shavtvaladze - Rozentalis
Vabanque - 20. Sep '16
Nein, keine Sorge - es kommt jetzt nicht täglich eine neue Folge dieser Reihe, aber ich hatte am Wochenende zu viel Zeit (was so schnell nicht wieder vorkommen wird!), und da schaffte ich es ausnahmsweise, gleich 5 Partien zu kommentieren ... danach ist dann erst mal wieder Pause, und andere dürfen sich beim Kommentieren gerne 'vordrängen' ;)
Jetzt aber zum 'echten' Einleitungstext zu dieser Folge:
Man möchte kaum glauben, dass es insbesondere im 21. Jahrhundert noch Partien auf GM-Niveau gibt, die Schwarz innerhalb von 20 Zügen durch einen spektakulären Opferangriff gewinnt, und das, obwohl Weiß nur plausible Züge macht und sich jedenfalls kein grobes Versehen zu Schulden kommen lässt.
Dem litauischen Spitzenspieler Eduardas Rozentalis gelingt dieses Kunststück in der folgenden, leider kaum bekannten Partie. Zuerst opfert er einen Bauern, dann eine Figur, dann noch die Qualität und schließlich noch einen Turm, um damit endlich seinen Gegner (einen georgischen IM) vor ein undeckbares Matt stellen zu können. Es handelt sich wohl um die inhaltsreichste Kurzpartie, auf die ich in letzter Zeit gestoßen bin. Sie bietet noch viel mehr Stoff zum Analysieren, als ich in meinen knappen Anmerkungen dargestellt habe. GM Rozentalis (geb. 1963) ist offenbar ein interessanter, kreativer Spieler, der generell wesentlich mehr Beachtung verdient.































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Jetzt aber zum 'echten' Einleitungstext zu dieser Folge:
Man möchte kaum glauben, dass es insbesondere im 21. Jahrhundert noch Partien auf GM-Niveau gibt, die Schwarz innerhalb von 20 Zügen durch einen spektakulären Opferangriff gewinnt, und das, obwohl Weiß nur plausible Züge macht und sich jedenfalls kein grobes Versehen zu Schulden kommen lässt.
Dem litauischen Spitzenspieler Eduardas Rozentalis gelingt dieses Kunststück in der folgenden, leider kaum bekannten Partie. Zuerst opfert er einen Bauern, dann eine Figur, dann noch die Qualität und schließlich noch einen Turm, um damit endlich seinen Gegner (einen georgischen IM) vor ein undeckbares Matt stellen zu können. Es handelt sich wohl um die inhaltsreichste Kurzpartie, auf die ich in letzter Zeit gestoßen bin. Sie bietet noch viel mehr Stoff zum Analysieren, als ich in meinen knappen Anmerkungen dargestellt habe. GM Rozentalis (geb. 1963) ist offenbar ein interessanter, kreativer Spieler, der generell wesentlich mehr Beachtung verdient.
Shavtvaladze, Nikoloz Rozentalis, Eduardas 14th Open | Kavala GRE | 5 | 2005.8.15 | 0- 1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. d4 xd4 4. Sxd4 g6 Diese Spielweise in Schottisch ist ungewöhnlich, aber nicht schlecht. Sie zielt nicht auf Ausgleich ab wie die üblichen, mit Sf6 oder Lc5 beginnenden Systeme, sondern strebt eine möglichst verwickelte Stellung an, um mit Schwarz auf Gewinn spielen zu können. 5. Sc3 Lg7 6. Le3 d6 7. Dd2 Sf6 8. O-O-O O-O Durch die heterogenen Rochaden wird das Spiel sehr scharf. 9. f3 Te8 10. g4 Nun sieht es aber so aus, als wenn Weiß die weit besseren Chancen hätte, denn wie soll Schwarz zum Gegenangriff auf dem anderen Flügel gelangen? Um zu der dafür notwendigen Öffnung von Linien und Diagonalen zu kommen, greift Rozentalis zu einem interessanten, äußerst drastischen Mittel. Sxd4 11. Lxd4 c5!? Sehr originell, funktioniert aber nur, weil Weiß wirklich 'anbeißt'. 12. Lxc5?!
'Natürlich' lässt Weiß es sich zeigen (der Bauer d6 ist ja gefesselt und kann nicht schlagen!), doch 12. Le3 führte ohne Risiko zu einer guten Stellung, da Schwarz dann den rückständigen Bauern d6 und das schwache Feld d5 hätte.
Lxg4! Das hatte Weiß bei 12. Lxc5 sicher einberechnet, sich aber auf seinen nächsten Zug verlassen. 13. De3 Da5! Ignoriert scheinbar alles. Aber in Stellungen mit heterogenen Rochaden darf man mit Material nicht kleinlich sein, hier zählt vor allem Tempo. 14. Lxd6?! Tac8! Schwarz kümmert sich gar nicht um seinen Lg4! 15. xg4?! Weiß 'nimmt alles', doch kommt dieses Privileg laut ABBA bekanntlich nur dem Sieger zu. 15. a3 oder 15. Lg2 waren zu erwägen - ob auch ausreichend, mögen versiertere Analytiker als ich herausfinden. Die weiße Lage ist sehr kritisch geworden; am Brett findet hier wohl keiner mehr mit heiler Haut heraus. Txc3! Schwarz hatte bisher offenbar noch nicht genug geopfert. 16. xc3? Verliert endgültig. Die letzte Chance bestand in 16. Dxc3 mit der möglichen Folge Dxa2 droht Sxe4 wie auch Lh6+, jeweils mit nachfolgendem Matt auf a1. 17. Df3 Sxe4 droht Matt durch Da1 18. c3 Da1+ 19. Kc2 Da4+ 20. Kc1 Sxd6 21. Le2 Se4 wonach Schwarz wegen der geschwächten weißen Königsstellung aber auch guten Angriff behält (bei nur noch geringem Materialnachteil).
Sxe4 Mit einem ganzen Turm weniger ist es aber jetzt nur Schwarz, der die Drohungen hat, vor allem Dxa2 nebst Da1#. 17. Lc4 Deckt nicht nur a2, sondern stellt auch eine (vermeintliche) Gegendrohung auf. Sxd6 18. Lxf7+ Das war die Idee! Auf Sxf7?? 19. Dxe8+ gewänne jetzt Weiß, und auf Kxf7? 19. Df4+ oder Df3+ hätte Weiß immerhin noch Gegenspiel. Aber in solchen Stellungen sind derartige zwar geistreiche Gegenschläge meist doch zum Scheitern verurteilt. Kh8! Er gibt noch mehr Material! 19. Lxe8 Sc4 Schwarz hat jetzt Turm, Qualität und Bauer weniger, aber sein König ist in Sicherheit, und er droht tödlich Da3+ nebst Matt. Weiß steht vor dem Aus. 20. De7 Dxc3 Nun erkannte Weiß, dass er die Mattsetzung durch Da1# nur mittels Dxg7+ noch etwas aufschieben könnte, und gab daher auf. Eine von Rozentalis sehr mutig und kompromisslos gespielte Kurzpartie, die bei wiederholtem Nachspielen immer noch weitere Facetten offenbart.
pirc_ - 20. Sep '16
So Spiele mag ich :-)
Vabanque - 20. Sep '16
Ich war eigentlich ziemlich sicher, dass dir diese Partie viiiieeeel zu lang ist ;)
pirc_ - 20. Sep '16
nun sie ist kürzer als meine letzte...und das turmopfer auf c3 hatte ich sogar selbst mal gemacht...aber da war die Stellung irgendwie anders ;-)
Vabanque - 20. Sep '16
Ja, das hab ich dann nachher auch bemerkt, dass du ja eine (für deine Verhältnisse) furchtbar lange Partie gepostet hast :))
Das Turmopfer ist ja irgendwie Standard in Sizilianisch ... nur hier war es Schottisch, wo es ja nicht gerade Standard ist, dass die c-Linie für Schwarz überhaupt frei wird ... wie Rozentalis das trotzdem geschafft hat, das ist irgendwie genial.
Das Turmopfer ist ja irgendwie Standard in Sizilianisch ... nur hier war es Schottisch, wo es ja nicht gerade Standard ist, dass die c-Linie für Schwarz überhaupt frei wird ... wie Rozentalis das trotzdem geschafft hat, das ist irgendwie genial.
Kellerdrache - 21. Sep '16
Wirklich knalliger Schlußangriff. Schavtvaladze wusste wahrscheinlich gar nicht, dass er auf Verlust stand. Grobe Fehler hat er keine gemacht, aber manchmal ist die Häufung kleiner Ungenauigkeiten genauso schlimm.
Vor dem einleitenden Bauernopfer hätte ich die Stellung als leicht besser für Schwarz eingeschätzt, aber keineswegs schon für sturmreif. Und den Schlußangriff hätte ich ohnehin nicht gefunden.
Vor dem einleitenden Bauernopfer hätte ich die Stellung als leicht besser für Schwarz eingeschätzt, aber keineswegs schon für sturmreif. Und den Schlußangriff hätte ich ohnehin nicht gefunden.