Kommentierte Spiele
Glanzvolle Remis VIII: Shirov - Polgar 1996
Vabanque - 23. Feb '16
Nachdem Alexey Shirov gegen Judit Polgar 6 Partien hintereinander verloren hatte, gelang ihm beim Sparkassen-Chess-Meeting in Dortmund 1996 erstmals ein Remis. Aber was für ein Remis! Diese Partie bietet eigentlich alles, was das Schachherz begehren kann (außer natürlich, dass es sich 'nur' um ein Remis handelt): an ein opferreiches Mittelspiel mit vielen taktischen Elementen schließt sich ein Endspiel mit studienartigem Schluss an. Spannend bis zum letzten Moment bleibt diese Begegnung der Sonderklasse!
Ich habe wieder versucht, die Anmerkungen so zu gestalten, dass auch weniger geübte Spieler folgen können und hinterher (hoffentlich) den Eindruck haben, etwas verstanden zu haben. D.h. ich habe nur die wichtigsten Varianten, die zum Verständnis der Züge unerlässlich sind, angeführt, und alles andere soweit möglich versucht in Worten zu erklären ...































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Ich habe wieder versucht, die Anmerkungen so zu gestalten, dass auch weniger geübte Spieler folgen können und hinterher (hoffentlich) den Eindruck haben, etwas verstanden zu haben. D.h. ich habe nur die wichtigsten Varianten, die zum Verständnis der Züge unerlässlich sind, angeführt, und alles andere soweit möglich versucht in Worten zu erklären ...
Alexey Shirov Judit Polgar It (cat.18) | Dortmund (Germany) | 3 | 1996 | B90 | 1/2-1/2
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 a6 6. Le3 e6 7. g4!? Eine sehr scharfe Variante, die natürlich zu Shirov passt. Der unbefangene Nachspielende fragt sich allerdings: Geht das überhaupt? Gewinnt Schwarz denn jetzt nicht einfach einen Bauern? e5 Jetzt sind der Sd4 und der Bauer g4 angegriffen. Da dies, wie man gleich sehen wird, jedoch zu schier unübersehbaren Verwicklungen führt, wurden hier auch die Züge d6-d5 und h7-h6 versucht. Aber Judit geht ihrem Stil gemäß aufs Ganze. 8. Sf5 g6 9. g5 xf5 10. xf5! d5 11. xf6 d4 12. Lc4! Nun darf Schwarz weder auf c3 noch auf e3 nehmen wegen Lxf7+! mit Damengewinn! Dc7! 13. Dd3 xe3 Schwarz gewinnt die Figur nun zwar doch, aber auf Kosten eines gewaltigen weißen Entwicklungsvorsprungs. Natürlich war es schwierig, sich hier zwischen dem Textzug und dxc3 zu entscheiden. 14. O-O-O Shirov ist jedes Entwicklungstempo wichtig; er nimmt sich nicht die Zeit zu fxe3. xf2 Mit nur der Dame im Spiel und dem König in der Mitte schlägt Polgar Bauern. So spielen entweder Anfänger - oder sehr geübte Spieler mit Hang zum Risiko. 15. Lxf7+ Jetzt geht's so richtig rund! Kxf7 16. Dd5+ Ke8 17. f7+ Ein weißer Freibauer auf f7 im 17. Zug! Wo hat man so etwas schon gesehen? Ke7 18. Df3 Lh6+ 19. Kb1 Kf8! 20. Dxf2 Sd7 Nun wäre auf Kxf7 21. Se4 stark. Der Textzug sollte verlieren, während Sc6 richtig war; aber so etwas flüstern uns immer nur die Engines zu, ohne dass ein menschlicher Spieler so eine komplizierte Stellung zur Gänze analytisch durchdringen könnte. 21. Se4 Laut Engine-Analysen (die ich natürlich hier nicht poste, weil man sie nicht versteht) hätte Dh4 nebst Sd5 zu einer Gewinnstellung geführt. Ein Vorwurf ist beiden Spielern hier bestimmt nicht zu machen; weder Polgar, weil sie 20... Sd7 gespielt hat, noch Shirov, weil er die Folgen von 21. Dh4 nicht in letzter Konsequenz einschätzen konnte. Lg7 22. Thg1 Nun droht Dg3. Sf6 23. Dg3 Dxf7 Das war die Verteidigungsidee bei Sf6. Scheinbar hat nun Schwarz alle Drohungen abgewehrt und befindet sich mit zwei (!!) Mehrfiguren auf der Siegerstraße. 24. Da3+! Diese 'langen' Damenzüge sind immer besonders tückisch. De7 25. Dxe7+ Kxe7 26. Txg7+ Kf8 Weiß hat eine Figur zurückgewonnen, aber zwei weiße Figuren sind angegriffen. Hat Shirov auch richtig gerechnet? 27. Tc7! Ja! Denn wegen Td8# darf Schwarz nicht auf e4 nehmen. Es ist also in Wirklichkeit der schwarze Springer, der angegriffen ist und den Rückzug antreten muss. Se8 28. Td8 Nun aber ist Schwarz an Händen und Füßen gefesselt. Und es droht auch noch Sf6 oder Sd6. Tg8 29. Sg3 Deswegen muss dieser Springer das drohende Matt decken, weil er ja zugleich weg von e4 muss. Tg4 30. Txh7 Td4 Das war die Idee von Tg4. 31. Th8+ Kf7 32. Txe8 Ld7! Dieser witzige Zug rettet Schwarz. Wieder droht Grundreihenmatt. 33. Kc1 Lxe8 34. Txa8 Th4 35. Td8 Shirov hätte hier noch mit Sf1 den h-Bauern decken können, was ihm vielleicht trotz der wenig glorreichen Springerstellung noch bessere Gewinnchancen gegeben hätte als in der Partie. Aber er befand sich in Zeitnot. Txh2 36. Td5 Kf6 37. Td6+ Kg5 38. Te6 Th8 39. f6 Auf Txe5? käme natürlich Kf4 mit 'Königsgabel'. Lc6 40. Txe5+ Kxf6 Wenn sich alle Bauern auf einem Flügel befinden, sind - gerade beim Materialverhältnis 3 gegen 2 Bauern - die Gewinnchancen für die stärkere Partei in der Regel minimal. Aber auch unter GMs muss das erst noch gespielt werden. 41. Te3 Te8 Dieses Turmtauschangebot kommt für mich zugegebenermaßen überraschend. Ich war immer der Ansicht gewesen, dass bei einem Minusbauern die Türme als 'Remisfiguren' auf dem Brett bleiben sollten, weil im reinen Leichtfigurenendspiel ein Bauer stärker ins Gewicht fällt. Aber Judit wird schon wissen, was sie da tut. 42. Kd2 Txe3 43. Kxe3 Ke5 44. Se2 Kd5 45. Sd4 Le8 Der Läufer muss dem Tausch ausweichen. Das Bauernendspiel wäre mit dem Mehrbauern für Weiß gewonnen. 46. Kd3 Lg6+ 47. Kc3 Kc5 48. Se6+ Kd6 49. Sf4 Lf5 50. Sd3 Kd5 51. Kb4 Um auf die schwarzen Bauern loszugehen. Lxd3! Verblüffend! Mit einem Minusbauern leitet Judit nun doch ins Bauernendspiel über. Aber diesmal hat sie exakt berechnet, dass sich ein forciertes Remis ergibt. 52. xd3 Kd4 53. Ka5 Kxd3 54. Kb6 Kc2 55. a4 Kb3! Eine schöne studienartige Wendung zum Abschluss, die Judit bei ihrem 51. Zug gesehen hat. 56. a5 Ka4!
KroMax - 23. Feb '16
Danke Vabanque für diese tolle Partie ! Mit Genuss langsam lesend durchgeklickt.
Grüße
Grüße
Vabanque - 23. Feb '16
Danke! Dann ist meine Arbeit ja doch nicht umsonst :)
cutter - 23. Feb '16
Iwo.Wo denkst du hin. Daumen hoch!
cutter - 23. Feb '16
Wobei der neue Pgn-Browser schon den Genuss deutlich erhöht. Vor allem, wenn man ihm so einsetzt wie du.
Kellerdrache - 24. Feb '16
Wenn man Pfeffer und Chili kombiniert kommt immer was Scharfes dabei heraus ;-)) Der große Taktiker Shirov und die überhaupt nicht friedfertige Judit Polgar. Ich kenne einige der von dir erwähnten Verlustpartien. Bei den meisten hatte Shirov erstaunlich schwach gespielt. Hier tritt er zum ersten mal in voller Kraft an und was für eine tolle Partie dabei herauskommt ! Gerne mehr von den beiden - muß nicht unbedingt immer gegeneinander sein.
Vabanque - 24. Feb '16
Eine der Verlustpartien war wohl diese, die ich vor langer Zeit hier mal gebracht hatte:
/forum/topic.html?key=de59791c11b0c6e05&sv=9
/forum/topic.html?key=de59791c11b0c6e05&sv=9
Bluemax - 24. Feb '16
tolle partie und sehr schön kommentiert :)
lg
lg
cashno1 - 10. Mär '16
Danke für die tolle Partie :)
Mir kam aber noch eine Frage auf: Warum spielt Polgar nicht 40. ... Kf4 ?
Mir kam aber noch eine Frage auf: Warum spielt Polgar nicht 40. ... Kf4 ?
alms - 10. Mär '16
Vielleicht wegen 41.Th5?
Schöne Partie, aber eine Bestärkung für mich, unter keinen Umständen einen offenen Sizilianer zu spielen. Ich verstehe diese Stellungen einfach nicht.
Schade, dass Schirow dieses Niveau nicht halten konnte, vielleicht eine Folge des verweigerten Weltmeisterschaftskampfes 2000.
Schöne Partie, aber eine Bestärkung für mich, unter keinen Umständen einen offenen Sizilianer zu spielen. Ich verstehe diese Stellungen einfach nicht.
Schade, dass Schirow dieses Niveau nicht halten konnte, vielleicht eine Folge des verweigerten Weltmeisterschaftskampfes 2000.
Vabanque - 10. Mär '16
@cashno1: Bei so einer langen Partie habe ich natürlich viele Züge unkommentiert lassen müssen. alms hat aber Recht, nach 40... Kf4 kommt 41. Th5, und Schwarz gewinnt keine Figur, und ist wohl sogar schlechter dran als bei der der Partiefortsetzung.
Vabanque - 10. Mär '16
@alms: Wie wäre der Wettkampf gegen Kasparov denn ausgegangen? Wohl kaum so, dass dadurch Shirovs Selbstbewusstsein gestärkt worden wäre ... er hat ja damals auch den Wettkampf gegen Anand in der FIDE-WM mit 0,5 - 3,5 verloren ...
alms - 11. Mär '16
Schwer zu sagen, da wir keine Zeitreisen mit einem alternativen Geschehensablauf durchführen können. Immerhin war er damals in guter Form und hatte Kramnik 1998 in einem Match geschlagen. Ich kann mir vorstellen, dass der verweigerte WM-Kampf Schirow einen Knacks versetzt hat, der auch gegen Anand zum Tragen kam. Schirow ahnte sicherlich, dass er keine zweite Chance bekommen würde, um den Titel zu spielen.
Ich bin ja Kramnik-Fan, aber das war damals nicht in Ordnung.
Ich bin ja Kramnik-Fan, aber das war damals nicht in Ordnung.
Vabanque - 11. Mär '16
Interessant, dass Du Kramnik-Fan bist ... die meisten Schachfreunde finden Kramniks Stil ja ziemlich langweilig. Ich hatte mir dann mal eine Reihe seiner Partien angesehen und war überrascht, dass es doch ziemlich viele (für mich) interessante darunter gibt. Gerade in seiner Jugendzeit hat Kramnik sogar überraschend aggressives Schach gespielt. Da wollte ich hier auch schon mal ein paar Belege bringen. Dann finde ich aber jeweils immer Spieler bzw. Partien, die ich interessanter finde ...