Kommentierte Spiele

Exot Nr.5

Kellerdrache - 23. Mai '15
Ich habe jetzt in mehreren sozusagen für die exotischen Eröffnungen geworben. Wenn man bedenkt, dass ich selbst in meinem Leben nie etwas anderes als 1.e4 gespielt habe, ist es nur konsequent wenn ich die Exotenreihe mit einer Niederlage enden lasse.
Murray Chandler, der zum Zeitpunkt der Partie gerade mal 19 Jahre alt war, war in den 80er Jahren so etwas wie ein aufkommender Star, der teilweise spektakuläres Angriffsschach spielte. Viele Leute erwarteten Großes von ihm. Er wurde auch Großmeister, konnte sich aber auf Dauer leider nicht oben halten. Michael Basman, den wir schon aus der letzten Partie kennen versucht sich gegen ihn mit der Variante aus der Karpov-Miles Begegnung. Es entsteht aber eine völlig andere Partie.
Chandler, Murray G Basman, Michael J Lloyds Bank op | London | 7 | 1979 | A40 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 b5 2. e4 a6 3. a4 Die Eröffnung ist hier dieselbe wie bei Karpov-Miles. Murray Chandler aber war kein vorsichtiger Positionsspieler wie Karpov. Der kesse Vorstoß wird sofort auf Herz und Nieren geprüft. Auf a4 zu schlagen würde sozusagen sofort den Plan am Damenflügel Raum zu gewinnen aufgeben. Andererseits ist der b5 ja zweimal angegriffen und droht zu fallen. Mit c6 nochmal zu decken mag zwar funktionieren, aber wenn man freiwillig die Diagonale h1-a8 zustellt....Wozu hat man dann diese Eröffnung gewählt ? Wenn aber decken nicht geht, selber schlagen nicht gut ist, dann bleibt nur Gegenangriff Lb7 4. xb5 xb5 5. Txa8 Lxa8 6. Sd2 Der Gegenangriff auf e4 ist erstmal gestoppt, wärend das schwarze Problem auf b5 immer noch da ist. Will man den Bauern b5 retten geht höchstens 6...b4, da man sich mit 6..c6 ja selber Handschellen anlegen würde. Der Nachteil eines Bauern auf b4 wäre aber, dass er a) ziemlich anfällig wäre und b) dort den weißen Figuren nicht halb so im Wegen stehen würde wie auf b5. Basman wählt die aggressive Alternative, opfert den Bauern und verlässt sich auf ein Angriffsmotiv was es in der 1...b6 Verteidigung häufig gibt. e6 7. Lxb5 f5 Der weißfeldrige Läufer Chandlers hat f1 verlassen. Dadurch käme jetzt nach 8.exf5 Lxg2. 8. De2 Sf6 9. Ld3 c5 Das ist bei vielen Partien Basmans zu sehen - er entwickelt zuerst die Flügel, gibt das Zentrum her um es später zu "belästigen". c5 ist ein interessanter Zug ! Schlägt Chandler auf c5, schägt der Läufer zurück und seine beiden Läufer sind auf perfekten Diagonalen. Deckt er den Bauern mit c3, kann Schwarz auf d4 tauschen und fesselt danach mit Lb4 den Springer auf d2. Also bleibt nur der Partiezug. 10. Sgf3 c4 Einfach aber wirkungsvoll. Jede Figur die den c4 schlägt entfernt eine notwendige Deckung von e4. Da Der Ld3 aber kein Fluchtfeld hat ist das Schlagen erzwungen. 11.e5 geht nicht, da nach cxd3 die Dame angegriffen ist und der Sf6 Zeit hat sich dem Angriff zu entziehen. 11. Lxc4 xe4 12. Se5 Ld6 13. c3 Das ist so einer der Züge, die ich in meinen Partien nie finde. Der Lc4 steht nicht besonders gut auf c4. Wenn er wieder auf seine alte Diagonale b1-h7 kommt wird der Bauer auf e4 sehr schwach. Nach c3 stehen ihm jetzt die Wege über b3 oder a2 zur Verfügung. Vor Lxe5 hat Weiß keine Angst. Der lästige Springer würde durch einen mindestens ebenso lästigen weißen Bauern ersetzt. O-O 14. O-O Dc7 15. f4 Sc6 exf3 e.p. bringt natürlich nichts. Der Bauer auf e4 verschwindet, der Sd2 schlägt auf f3 und deckt h2. Der Springer auf e5 aber wäre sicherer als je zuvor. 16. La2 Da7 Eine hübsche positionelle Schlacht. Nach f4 dachte ich, der Kampf um e5 wäre entschieden. 16...Da7 greift aber nicht nur den La2 an, was bequemerweise ein Tempo gewinnt, sondern fesselt auch den Bauern auf d4. 17. Lb1 Sxe5 18. xe5 Lxe5 19. Kh1 Ld6 20. h3 Man hat gerade auf e5 einen Bauern hergegeben. Kann man sich diesen nicht sofort auf e4 zurückholen ? 20. Nxe4 Bxe4 21. Bxe4 Qb8 22. h3 Nxe4 23. Rxf8+ Qxf8 Wenn Weiß jetzt auf e4 schlägt, fällt nach Df1+ der Läufer auf c1 Db7 21. Txf6 Sehr schön ! Würde Basman mit dem Turm zurückschlagen, fiele nach Sxe4 und Doppelangriff auf den Ld6 und den Tf6 mindestens die Qualität. Nach dem Nehmen mit dem g-Bauern wird die schwarze Königsstellung aber sehr schwach xf6 22. Sxe4 Lb8 23. Lh6 Tf7 24. Kg1 Mittendrin nimmt sich Chandler Zeit für so einen Zug ? Wenn man die weiteren Züge nachspielt versteht man auch sofort warum. Mit dem König auf h1 droht Schwarz nach Dc7 Matt auf h2. Um diese Drohung zu parieren müsste Weiß ohnehin Kg1 oder ähnliches spielen. Dc7 25. Dg4+ Kh8 26. Dh5 Dh2+ 26... Kg8 verliert ziemlich schnell. 27. Nxf6+ Rxf6 28. Qe8+ 27. Kf1 Dh1+ 28. Kf2 Dxb1 29. Dxf7 Dxb2+ 30. Sd2 und damit ist der Gegenangriff Basmans beendet. Der Läufer auf h6 ist der Star. Er ermöglicht offensiv die Mattdrohungen auf g7 und f8(oder e8) und deckt defensiv den Springer auf d2.30... Bg3+ Mit der Hoffnung auf ein Dauerschach funktioniert nicht. 31. Kxg3 Qxc3+ 32. Kh2 Qc7+ 33. Kg1 Qc1+ 34. Nf1 Qxh6 35. Qe8+ Kg7 36. Qxa8
PGN anzeigen
[Event "Lloyds Bank op"]
[Site "London"]
[Date "1979.??.??"]
[Round "7"]
[White "Chandler, Murray G"]
[Black "Basman, Michael J"]
[Result "1-0"]
[ECO "A40"]
[WhiteElo "2380"]
[BlackElo "2405"]

1. d4 b5 2. e4 a6 3. a4 {Die Eröffnung ist hier dieselbe wie bei Karpov-Miles.
Murray Chandler aber war kein vorsichtiger Positionsspieler wie Karpov. Der
kesse Vorstoß wird sofort auf Herz und Nieren geprüft. Auf a4 zu schlagen
würde sozusagen sofort den Plan am Damenflügel Raum zu gewinnen aufgeben.
Andererseits ist der b5 ja zweimal angegriffen und droht zu fallen. Mit
c6 nochmal zu decken mag zwar funktionieren, aber wenn man freiwillig die
Diagonale h1-a8 zustellt....Wozu hat man dann diese Eröffnung gewählt ? Wenn
aber decken nicht geht, selber schlagen nicht gut ist, dann bleibt nur
Gegenangriff} Bb7 4. axb5 axb5 5. Rxa8 Bxa8 6. Nd2 {Der Gegenangriff auf e4
ist erstmal gestoppt, wärend das schwarze Problem auf b5 immer noch da ist.
Will man den Bauern b5 retten geht höchstens 6...b4, da man sich mit 6..c6 ja
selber Handschellen anlegen würde. Der Nachteil eines Bauern auf b4 wäre aber,
dass er a) ziemlich anfällig wäre und b) dort den weißen Figuren nicht halb so
im Wegen stehen würde wie auf b5. Basman wählt die aggressive Alternative,
opfert den Bauern und verlässt sich auf ein Angriffsmotiv was es in der 1...b6
Verteidigung häufig gibt.} e6 7. Bxb5 f5 {Der weißfeldrige Läufer Chandlers
hat f1 verlassen. Dadurch käme jetzt nach 8.exf5 Lxg2.} 8. Qe2 Nf6 9. Bd3 c5 {
Das ist bei vielen Partien Basmans zu sehen - er entwickelt zuerst die Flügel,
gibt das Zentrum her um es später zu "belästigen". c5 ist ein interessanter
Zug ! Schlägt Chandler auf c5, schägt der Läufer zurück und seine beiden
Läufer sind auf perfekten Diagonalen. Deckt er den Bauern mit c3, kann Schwarz
auf d4 tauschen und fesselt danach mit Lb4 den Springer auf d2. Also bleibt
nur der Partiezug.} 10. Ngf3 c4 {Einfach aber wirkungsvoll. Jede Figur die den
c4 schlägt entfernt eine notwendige Deckung von e4. Da Der Ld3 aber kein
Fluchtfeld hat ist das Schlagen erzwungen. 11.e5 geht nicht, da nach cxd3 die
Dame angegriffen ist und der Sf6 Zeit hat sich dem Angriff zu entziehen.} 11.
Bxc4 fxe4 12. Ne5 Bd6 13. c3 {Das ist so einer der Züge, die ich in meinen
Partien nie finde. Der Lc4 steht nicht besonders gut auf c4. Wenn er wieder
auf seine alte Diagonale b1-h7 kommt wird der Bauer auf e4 sehr schwach. Nach
c3 stehen ihm jetzt die Wege über b3 oder a2 zur Verfügung. Vor Lxe5 hat Weiß
keine Angst. Der lästige Springer würde durch einen mindestens ebenso lästigen
weißen Bauern ersetzt.} O-O 14. O-O Qc7 15. f4 Nc6 {exf3 e.p. bringt natürlich
nichts. Der Bauer auf e4 verschwindet, der Sd2 schlägt auf f3 und deckt h2.
Der Springer auf e5 aber wäre sicherer als je zuvor.} 16. Ba2 Qa7 {Eine hübsche
positionelle Schlacht. Nach f4 dachte ich, der Kampf um e5 wäre entschieden.
16...Da7 greift aber nicht nur den La2 an, was bequemerweise ein Tempo gewinnt,
sondern fesselt auch den Bauern auf d4.} 17. Bb1 Nxe5 18. fxe5 Bxe5 19. Kh1 Bd6
20. h3 {Man hat gerade auf e5 einen Bauern hergegeben. Kann man sich diesen
nicht sofort auf e4 zurückholen ? 20. Nxe4 Bxe4 21. Bxe4 Qb8 22. h3 Nxe4 23.
Rxf8+ Qxf8 Wenn Weiß jetzt auf e4 schlägt, fällt nach Df1+ der Läufer auf c1}
Qb7 21. Rxf6 {Sehr schön ! Würde Basman mit dem Turm zurückschlagen,
fiele nach Sxe4 und Doppelangriff auf den Ld6 und den Tf6 mindestens die
Qualität. Nach dem Nehmen mit dem g-Bauern wird die schwarze Königsstellung
aber sehr schwach} gxf6 22. Nxe4 Bb8 23. Bh6 Rf7 24. Kg1 {Mittendrin nimmt
sich Chandler Zeit für so einen Zug ? Wenn man die weiteren Züge nachspielt
versteht man auch sofort warum. Mit dem König auf h1 droht Schwarz nach Dc7
Matt auf h2. Um diese Drohung zu parieren müsste Weiß ohnehin Kg1 oder
ähnliches spielen.} Qc7 25. Qg4+ Kh8 26. Qh5 Qh2+ {26... Kg8 verliert ziemlich schnell. 27. Nxf6+ Rxf6 28. Qe8+} 27. Kf1 Qh1+ 28. Kf2 Qxb1
29. Qxf7 Qxb2+ 30. Nd2 {und damit ist der Gegenangriff Basmans beendet. Der
Läufer auf h6 ist der Star. Er ermöglicht offensiv die Mattdrohungen auf g7
und f8(oder e8) und deckt defensiv den Springer auf d2.30... Bg3+
Mit der Hoffnung auf ein Dauerschach funktioniert nicht. 31. Kxg3 Qxc3+ 32.
Kh2 Qc7+ 33. Kg1 Qc1+ 34. Nf1 Qxh6 35. Qe8+ Kg7 36. Qxa8} 1-0
Vabanque - 24. Mai '15
Wenn ich ehrlich bin, finde ich die Partie selbst jetzt nicht so super (es entstehen zwar interessante Stellungen, aber keine bemerkenswerten Kombinationen oder Ideen), aber deine Kommentare gefallen mir sehr gut, sie sind gut durchdacht und machen das Nachspielen angenehm.
cutter - 24. Mai '15
Also ich finde, sie ist das passende Gegenstück zu der letzten exotischen Gewinn Partie. Gut kommentiert, dass das konsequente Spiel gegen den schwarzen Plan Erfolg hatte. ..
Grüße Cutter
Colorado77 - 24. Mai '15
Gute Kommentare, sehr viel Mühe gegeben!

Nur die Partie... naja, für Level 2500 schon etwas suspekt. Kurz gesagt: Die Eröffnung taugt mMn nix!

Stell doch mal eine von Deinen Partien hier rein, ich glaube, da hätten die meisten Spieler mehr von...
alms - 24. Mai '15
Instinktiv würde ich 22...Le7 spielen und den Läufer am Königsflügel behalten.
Vabanque - 24. Mai '15
Was ist denn an der Partie suspekt? Ich meinte nur, es fehlen die 'schönen' Wendungen ...

Kellerdrache hat doch schon mehrere seiner eigenen Partien hier gezeigt.

Das ist natürlich eine Möglichkeit, eigene Partien, d.h. auf mittlerem Vereinsspielerniveau, zu zeigen.

Ich versuche dagegen Partien zu bringen, die möglichst ästhetisch sind ... und das schließt meine eigenen dann eigentlich aus.

Die letzte Exoten-Partie (Basman - Plaskett) hat mir als Partie besser gefallen, erstens hatte sie einen schönen und überraschenden Schluss, und zweitens kamen wirklich äußerst ungewöhnliche Positionen aufs Brett, die man nicht alle Tage sieht, und die sehr schwer einzuschätzen sind.

Aber hier, bei dieser Partie, gefallen mir Kellerdraches Kommentare besser.
Kellerdrache - 25. Mai '15
Die Partien in der Exotenreihe sind eigentlich ausgewählt um zu zeigen wie sich mit einer Eröffnung abseits der normalen Wege Schach spielen lässt.
Der Lern- oder Vorführzweck tritt daher gegenüber dem reinen Genuß zurück. Sonst hätte ich ja auch bestimmt keine Partien aus meinem eigenen Schaffen mit dabei gehabt.
Was mir beim Heraussuchen der Beispielpartien aufgefallen ist, ist wie häufig es dem Exotenspieler tatsächlich gelingt seinen Gegner aus dem Konzept zu bringen. Erstaunlicherweise meistens weniger in der Eröffnung selbst, aus der die "Opfer" meistens durchaus gut herauskommen, als im Mittelspiel wo sie auf fremden Terrain einfach keinen vernünftigen Plan finden.
Ich will übrigens keineswegs sagen, dass die Exoten-Eröffnungen doch besser als oder gleichwertig mit der herkömmlichen Theorie sind. Denen, die wagemutig und eigenwillig genug sind wollte ich aber zeigen, dass es nicht zwangsweise verliert und vielleicht auch wie man es machen kann.
In der großen Chessbase Datenbank habe ich zu den allermeisten möglichen Anfangszügen Beispiele gefunden. Nur zu 1.e4 f5 ist mir nicht eine Partie untergekommen. Sollte jemand da was finden darf er sie gerne als Exot Nr.6 vorstellen ;-)).
Vabanque - 25. Mai '15
Ich bin sicher, irgendwo schon mal eine Partie gesehen zu haben, wo Schwarz mit 1. e4 f5!? 2. exf5 Kf7!! 3. Dh5+ g6!! 4. fxg6+ Kg7! so gar gewonnen hat. Aber ich weiß nicht mehr, wo ich die Partie finde.
Ebenso habe ich schon Partien zu 1. e4 g5 (oder zuerst h6 und dann g5) gesehen. Darf ich die dann auch, quasi ersatzweise, als Exot Nr. 6 posten? ;)
Kellerdrache - 25. Mai '15
Natürlich gibt es auch Partien, die mit 1.e4 f5 anfangen. Ich hab z.B. mal eine freie Partie gegen Patzer0815 hier bei Chessmail mit diesen Anfangszügen verloren. In den offiziellen Chessbase Datenbanken allerdings bin ich nicht fündig geworden.
Zu 1.e4 g5 habe ich einige Partien gefunden. Die waren mir nur zum Kommentieren zu kompliziert. Natürlich darfst Du die Nr.6 auch dafür verwenden.
Vabanque - 25. Mai '15
Mmmm ... habe mittlerweile festgestellt, dass hinter 1. e4 g5 wieder mal Basman steckt (wieso hatte ich mich dessen nicht erinnert?) ;)
Kein Wunder, dass die Partien kompliziert sind. Wahrscheinlich werde ich sie nicht kommentieren ... nein, Basman verstehe ich einfach nicht, und ich weiß auch nicht, ob wirklich jemand was davon hat, wenn man eine 1. e4 g5 - Partie hier zeigt. Jeder Versuch, so etwas nachzumachen, kann doch ohnehin nur im Fiasko enden ...