Kommentierte Spiele
Glanzvolle Remis I
Kellerdrache - 02. Jul '15
Verständlicherweise wird das Feld der Glanzpartien von Gewinnpartien dominiert. Auch ich gebe zu Remispartien oft gar nicht anzuschauen weil da oft genug nur ein halber Punkt geschoben wurde oder es ist eben niemandem was Vernünftiges eingefallen.
Mit meiner neuen kleinen Reihe möchte ich euch sozusagen die Ausnahmen aus dieser Regel zeigen. Die folgende Partie hielt Alexeander Aljechin für eine seiner besten Partien, obwohl er sie nicht gewann. Sie ist nicht die einfachste Kost, aber ich hoffe, es ist mir gelungen die kritischen Punkte zu erhellen.































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Mit meiner neuen kleinen Reihe möchte ich euch sozusagen die Ausnahmen aus dieser Regel zeigen. Die folgende Partie hielt Alexeander Aljechin für eine seiner besten Partien, obwohl er sie nicht gewann. Sie ist nicht die einfachste Kost, aber ich hoffe, es ist mir gelungen die kritischen Punkte zu erhellen.
Aljechin, Alexander Reti, Richard Wien | 1922.09.?? | C77 | 1/2-1/2
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. La4 Sf6 5. Sc3 b5 6. Lb3 Lc5 Aljechin schreibt in seinem Kommentar, dass Lc5 vor b5 kommen muß. Teilweise sieht man den Grund in dieser Partie. Als Denkanstoß der Hinweiß, dass der Lc5 ungedeckt ist und eventuell der Turm auf h8 Probleme bekommen kann. Es ist sehr lehrreich wie schnell er den Beweiß antritt 7. Sxe5 Sxe5 8. d4 Das ist natürlich an sich keine Kombination, die der Erwähnung wert wäre. Warum Weiß überhaupt so gezogen hat wird aber bald klar Ld6 9. xe5 Lxe5 10. f4 Jetzt kann man auch sehen warum die Variante Lc5 in Verbindung mit b5 nicht so gut ist. Der einfache Bauerngewinn 10...Lxc3+ 11. bxc3 Sxe4 kann hier durch 12.Dd5 mit Angriff auf den Ta8 und den Se4 gekontert werden. Hätte Reti nicht b5 gespielt wäre f4 kein guter Zug. Lxc3+ 11. xc3 O-O 12. e5 Schwarz steht recht bescheiden. Der Springer ist angegriffen und es bleibt nur e8 als Rückzugsfeld. 12... Ne8 13. O-O d6 14. f5 die schwarze Dame ist ja ungedeckt sodaß dxe5 nicht geht. c5! Reti lässt den Springer stehn und droht seinerseits mit c4 den Lb3 zu gewinnen. Nach jeweiligem Schlagen ist es sein Ziel ein Enspiel mit ungleichfarbigen Läufern zu erreichen. Aljechin war der Meinung, dass Schwarz sowohl nach 13.exf6 Te8+ 14. Kf1 c5 als auch nach 13. c4 d5 14. exf6 Te8+ 15. Kf1 Dxf6 besser steht. Wie spielt man hier also auf Gewinn ? 13. La3!! Sieht recht seltsam aus. Verhindert erstmal natürlich ein direktes c4, aber ist Da5+ mit Angriff auf den Bauern c3 und den Läufer a3 nicht die Wiederlegung ? Da5 14. O-O Wie man es von einem Aljechin erwarten würde! Er gibt den La3 her anstatt sich die passive Stellung anzutun diesich sonstergibt 14. Bb2 Ne4 15. Qf3 Bb7 Dxa3 15. xf6 c4 Nicht so einfach hier noch den Überblick zu behalten. Reti droht eine zweite Figur zu gewinnen. Weiße Gegenchancen basieren auf Dd5. Das greift den Turm auf a8 an, erlaubt aber auch den Schwenk der Dame von d5 nach g5. Retis Dame auf a3 ist eben ein wenig aus dem Spiel im Moment 16. Dd5 Da5! Schöne Verteidigung! Entkräftet Dxa8, da nach Db6+, gefolgt von Lb7 sich Aljechins Dame gegen den zweiten Turm geben müsste. Das wäre an sich zwar noch keine Katastrophe, aber auf b3 hängt ja immer noch der Läufer. Dg5 geht auch nicht ganz, da Schwarz nach Db6+ dann mit der Königin auf f6 schlägt. Was denn dann ? 17. xg7 Db6+ 18. Kh1 Kxg7 18... Rd8 19. Bxc4 bxc4 20. Qxa8 Bb7 21. Rab1 gibt Weiß jetzt die Qualität. Unglaublich wieviele Fallen diese eigentlich übersichtliche Stellung doch hat. 19. Lxc4! Lb7 Im Gegensatz zur vorigen Anmerkung muß Reti hier nicht sofort auf c4 zurück nehmen, da kein Schlagen auf f7 droht. Dass muß man alles sehn wenn man überlegt was man auf 17.fxg7 spielt. 20. De5+ Oder... 20. Qg5+ Qg6 21. Bd3 f5 und die schwarze Stellung hält tatsächlich! Df6 21. Ld3 Tfe8! Reti ist einen Bauern im Nachteil und opfert einen zweiten. Z.b. 22.Dxf6+ Kxf6 23. Lxh7. Er hat aber gesehen, dass er nur mit aktiv stehenden Türmen eine Chance hat 22. Dh5 h6 23. Dg4+ Kh8 24. Dxd7 Aljechin holt sich statt dem albernen Randbauern lieber einen zentralen Kollegen. Te7 25. Dd4 Dxd4 26. xd4 Td8 Hier zu bemerken, dass der weiße Bauer auf d4 nicht der Kräftigste ist gelingt uns vielleicht auch noch. Aber es bei Te8 schon zu sehn oder mindestens zu ahnen ist etwas anderes 27. f5 f6 28. Tae1! Will die Läufer tauschen, da Retis Exemplar auf b7 deutlich mehr Einfluß hat. Dafür gibt er den Bauern auf d4. Würde man den z.B. mit Tf4 decken könnte als Beispiel 28... Tg7 29.Lf1 Tc8 nebst Ld5 folgen. Es sind einfach zu viele der weißen Bauern angegriffen. Man sieht an der Variante aber sehr gut wie wichtig der Läufer auf b7 ist. Tg7! Das ist besser als 28... Rxe1 29. Rxe1 Rxd4 30. Re8+ Kg7 31. Re7+ mit Figurengewinn 29. Le4 Txd4 30. Lxb7 Txb7 31. Te6 Turmendspiele sind ja notorisch schwer zu gewinnen, aber dieses sieht doch sehr gut für Weiß aus. Aljechin hat schon einen Bauern mehr und es sieht so aus als käme hier noch einer dazu. Retis Verteidigung ist sehr lehrreich und basiert auf der Schwäche der weißen Damenflügelbauern Kg7 32. Txa6 Tc4 33. Tf3 deckt Weiß den c2 mit Tf2 muß er den Bauern nach Tbc7 sowieso hergeben. Txc2 34. h3 Kf7 sonst kommt Tg3+, gefolgt von Tg6 35. Tg3 Tf2 36. Tg6 Txf5 37. Txh6 Kg7 38. Th4 b4 Der Damenflügel wird aufgelöst, damit man sich voll und ganz auf die andere Seite konzentrieren kann. Da ich nicht der absolute Enspielexperte bin habe ich den Rest nur noch sparsam kommentiert. Ich denke die Züge sind im großen und ganzen auch nicht schwer zu verstehen. 39. Tg4+ Kf7 40. Tg3 Tfb5 41. Tb3 Kg6 42. Kh2 Te5 43. Ta4 Teb5 44. h4 T5b6 45. Kh3 Tb8 46. g3 f5 Einen Vorstoß nur vom König unterstützt wird es also auch nicht geben. 47. Ta5 Tc8 48. Tf3 Tf6 49. Kg2 Tc3 Auf einen passiven Zug wie Tf2 könnte 50...Ta3 folgend 50. Ta8 Txf3 51. Kxf3 Tc6 52. Tb8 Tc4 53. Tb6+ Kg7 54. h5 Td4 55. Tc6 Te4 56. Tg6+ Kf7 57. g4 Aljechin beschreibt das als den letzten Versuch Txg4 58. Txg4 xg4+ 59. Kxg4 Kg7 Ab hier ist es wirklich nur Zählerei. Wer es nicht glaubt kann die von Aljechin angegebende Variante versuchen. Er und Reti gaben sich hier die Hand 59... Kg7 60. Kf5 Kh6 61. Ke4 Kxh5 62. Kd4 Kg5 63. Kc4 Kf5 64. Kxb4 Ke6 65. Kb5 Kd7 66. Kb6 Kc8
cutter - 02. Jul '15
Wirklich lohnenswert
und große Kunst...
Danke.
und große Kunst...
Danke.
Vabanque - 03. Jul '15
Das ist natürlich eine klassische Partie ... und eine der 'großen' Remispartien, von denen es auch noch weitere gibt ... eigentlich ziemlich viele, wenn sie nur auf mehr Interesse bei den Schachfreunden stoßen würden. Denn wie du, Kellerdrache, richtig schreibst, man ist zunächst wenig geneigt, sich mit Remispartien zu beschäftigen, und übersieht da so manche Perle: Partien, die nicht deswegen Remis endeten, weil beide Spieler keine Lust hatten oder beiden nichts eingefallen ist, sondern die remis endeten, weil beide gleich herausragend und einfallsreich gespielt haben, weil jeder geniale Angriffszug auf eine ebenso geniale Verteidigung oder einen ebenso brillanten Gegenangriff stieß ... wie eben hier.
Ich weiß ja nicht, was du in dieser Reihe noch vorhast zu bringen, aber zu den klassischen spannenden Remispartien der Vergangenheit gehören in meinen Augen:
Rubinstein - Capablanca, Karlsbad 1929
Geller - Golombek, Budapest 1952 (vielleicht die spektkakulärste Remispartie aller Zeiten: beide Spieler opfern beide Türme!!)
Und in der (erweiterten) Gegenwart:
Shirov - J. Polgar, Dortmund 1996
Anand - Leko, Linares 2000
Ich weiß ja nicht, was du in dieser Reihe noch vorhast zu bringen, aber zu den klassischen spannenden Remispartien der Vergangenheit gehören in meinen Augen:
Rubinstein - Capablanca, Karlsbad 1929
Geller - Golombek, Budapest 1952 (vielleicht die spektkakulärste Remispartie aller Zeiten: beide Spieler opfern beide Türme!!)
Und in der (erweiterten) Gegenwart:
Shirov - J. Polgar, Dortmund 1996
Anand - Leko, Linares 2000
Kellerdrache - 03. Jul '15
Ich will natürlich meine Geheimnisse hier nicht alle preisgeben. Die Partie Geller-Golombek kannte ich bisher gar nicht. Muß ich mir gleich mal ansehen. Es gibt auch noch ein schönes Beispiel zwischen Fischer und Tal, sowie Karpov-Kasparov. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht wo ich mich zunächst herantraue. Vielleicht streue ich auch eine lokale Perle mit hinein, wenn ich eine finde.
Vabanque - 03. Jul '15
Fischer - Tal, Leipzig 1960 wahrscheinlich.
Welches Remis Karpov-Kasparov du meinst, weiß ich jetzt nicht. Da lasse ich mich überraschen :)
Dass die obige Partie nicht gut anzukommen scheint, liegt sicher nicht an der Partie und auch nicht an deinen Kommentaren, sondern wohl eher daran, dass sie so kompliziert ist, dass sie die Mehrheit der Leser überfordern dürfte. Ich kannte die Partie ja bereits, und trotzdem dachte ich mir auch jetzt wieder beim Nachspielen: 'Ist das alles kompliziert!'. Leute wie Aljechin und Réti haben ein für mich immer noch unvorstellbares Schachverständnis gehabt. Da ist es doch völlig absurd zu behaupten, die alten Meister hätten nach heutigen Maßstäben nur eine ELO von 2100 gehabt. Das mag auf den damaligen Durchschnitts-Meister vielleicht zutreffen, aber nicht auf die herausragenden Gestalten früherer Epochen.
Welches Remis Karpov-Kasparov du meinst, weiß ich jetzt nicht. Da lasse ich mich überraschen :)
Dass die obige Partie nicht gut anzukommen scheint, liegt sicher nicht an der Partie und auch nicht an deinen Kommentaren, sondern wohl eher daran, dass sie so kompliziert ist, dass sie die Mehrheit der Leser überfordern dürfte. Ich kannte die Partie ja bereits, und trotzdem dachte ich mir auch jetzt wieder beim Nachspielen: 'Ist das alles kompliziert!'. Leute wie Aljechin und Réti haben ein für mich immer noch unvorstellbares Schachverständnis gehabt. Da ist es doch völlig absurd zu behaupten, die alten Meister hätten nach heutigen Maßstäben nur eine ELO von 2100 gehabt. Das mag auf den damaligen Durchschnitts-Meister vielleicht zutreffen, aber nicht auf die herausragenden Gestalten früherer Epochen.