Kommentierte Spiele

Außer der Reihe

Kellerdrache - 12. Nov '15
Meine nächste Reihe ist ja noch in Arbeit (hat was mit Gambit zu tun) und da ich in meinen Kommentaren mal Smyslov als den meistvergessenen Weltmeister bezeichnet habe stelle ich hier eine seiner Partien vor.
Seine besten Partien, wie auch die von Capablanca, lassen Schach immer ganz furchtbar einfach aussehen. Ist man ehrlich zu sich hätte man aber oft seine Züge nicht gefunden und versteht deren positionelle Feinheit erst hinterher. Ich finde das vorliegende Beispiel ist auch Beweis dafür, dass positionelles Schach nicht passiv und vorsichtig sein muß.

Smyslov, Vasily Bottwinnik, Michael WM | 1954 | C18 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e6 2. d4 d5 3. Sc3 Lb4 4. e5 c5 5. a3 La5 Wem hier oder in den nächsten Zügen die Eröffnung bekannt vorkommt, der erinnert sich vermutlich noch an die Fischer-Tal Partie aus meiner Remis-Reihe. Bei jenem Exemplar wie auch bei diesem bekommt Schwarz jeweils keine angenehme Stellung. Zur Verteidigung der La5 Variante sei aber gesagt, dass Schwarz nicht immer so unbequem steht. 6. b4 xd4 Zur Erklärung warum 6... cxb4 nicht so gut ist sei auf den Kommentar zur Begegnung zwischen Fischer und Tal verwiesen. 7. Dg4 Se7 8. xa5 xc3 9. Dxg7 Tg8 10. Dxh7 Sd7 Hier weichen die beiden Partien voreinander ab. Tal hatte hier Sbc6 gespielt. Die vorliegende Partie wurde ja 6 Jahre früher gespielt, war also Tal bekannt. Sd7 sieht etwas lahm aus. Der Springer soll nach f8 und von dort die weiße Dame vertreiben. Kein guter Plan wie sich zeigen wird. 11. Sf3 Ich hätte stattdessen f4 gespielt um den Bauern e5 nach z.B. Dc7 mit Sf3 ein zweites mal decken zu können. Smyslov gefiel f4 aber nicht weil der Zug die Reichweite des Läufers c1 einschränkt. Nicht unwichtig wie sich zeigen wird. Sf8 Botwinniks Plan ist einfach zu langsam und umständlich. Er ist noch nicht komplett entwickelt, sein König steckt noch in der Mitte aber er nimmt sich Zeit die Dame zu belästigen. Was wäre denn stattdessen mit dem naheliegenden Zug 11... Qc7 12. Bb5 deckt e5 indirekt weil es den Sd7 fesselt a6 13. Bxd7+ Bxd7 14. O-O Diverse Kommentatoren schlagen hier vor mit O-O-O den f-Bauern zu geben und sich auf das Gegenspiel am Königsflügel zu verlassen. 12. Dd3 Dxa5 Botwinnik galt eigentlich immer als Französisch-Spezialist aber ich denke nicht, dass die völlige Vernachlässigung der Entwicklung stellungsgemäß ist. Mir persönlich würde auch hier Dc7 - der Bauer auf c3 muß ja gedeckt werden - noch besser gefallen um auf O-O-O hinzuarbeiten. 13. h4 Hübscher Zug. Zum einen ist der Marsch zur Bauernumwandlung auf dem abgegrassten schwarzen Königsflügel in dieser Variante immer eine Drohung. Außerdem aber bereitet er den nächsten Zug vor. Smyslov spielt so, dass seine Figuren die größtmögliche Beweglichkeit behalten. Ld7 14. Lg5 Sehr schön. Schwarz hat alles für die lange Rochade vorbereitet und bleibt jetzt doch stecken. Das vorherige h4 sorgt jetzt dafür, dass der Sf3 nicht an die Deckung des Läufers gebunden sondern aktiv am Spiel teilnehmen kann. Tc8 Ein viel kritisierter Zug. Das Schwarz sich damit entgültig von der Rochade verabschiedet kann ihm wohl nicht vorgeworfen werden. Sc6 ist vermutlich besser weil es verhindert, dass auch noch der Springer aktiv wird. 15. Sd4 d4 ist natürlich eh ein gutes Feld für den Springer. Zusätzlich behindert er aber auch das schwarze Gegenspiel. Die Idee hinter 14...Tc8 war den Turm über c4 mit Te4+ oder Ta4 am Kampf teilnehmen zu lassen. Mit dem Springer auf d4 ist die eine Wahlmöglichkeit vorerst entfallen. Sf5 Botwinnik hat sich von seinem Plan noch nicht verabschiedet und will als Vorbereitung eben den Springer d4 entfernen. 15... Rc4 Der Weg über a4 ist ja noch offen 16. Qe3 Ra4 17. Rb1 Rxa3 18. Nb5 eine scharfe Stellung. Es könnte z.B. folgen Ra1 oder 18... Bxb5 19. Bxb5+ Nc6 20. Qc5; 19. Nd6+ Kd8 20. Nxb7+ mit Damenverlust 16. Tb1 Neben der offensi chtlichen Drohung Txb7 hat der Zug noch eine zweite Funktion. Nach einem Tausch auf d4 mit 16...Sxd4 17. Dxd4 hätte Schwarz mit Lb5 zusätzlich noch seinen schwachen Läufer abtauschen können. Tb1 verhindert auch das. Tc4 Allzu stur. Besser war 16... b6 17. g4 Nxd4 18. Qxd4 Qxa3 19. Bd3 obwohl auch hier Weiß überlegen steht. 17. Sxf5 Zweimal angegriffen tauscht sich der starke Springer ab und Schwarz setzt seinen Plan mit Te4+ durch. Was soll daran nicht gut sein ? Nun, der damalige Weltmeister vergaß seine eigene prekäre Königsstellung. xf5 18. Txb7 Te4+ Botwinnik hatte ursprünglich das folgende Qualitätsopfer geplant. 18... Rxg5 19. hxg5 Re4+ 20. Be2 Ng6 Das Qualitätsopfer entschärft kurzfristig den weißen Angriff und der Nachziehende aktiviert seine Truppen 21. Kf1 Bc6 22. Rb8+ Ke7 23. Qa6 Tauscht Schwarz gerät er in ein schwaches Endspiel, tauscht er nicht dringt die Dame ein. Der schöne Plan geht nicht auf. 19. Dxe4 Wenn Positionsspieler die Dame geben muß schon was drin sein ! Das Opfer eliminiert jedes Gegenspiel und die sturmreife gegnerische Königsstellung bietet genug Kompensation. xe4 20. Tb8+ Lc8 21. Lb5+ Unterbricht man die Diagonale mit Sd7 folgt Txc8 mit Matt. Also gibt es nur einen Zug Dxb5 22. Txb5 Se6 23. Lf6 Zwar wurde das Matt gerade noch verhindert, aber jetzt wo alle anderen Drohungen beseitigt sind gibt es nichts mehr was die Umwandlung des h4 verhindert. Smyslov reagiert auf die Züge seines Gegners gar nicht mehr. Txg2 24. h5 La6 25. h6
PGN anzeigen
[Event "WM"]
[Date "1954.??.??"]
[White "Smyslov, Vasily"]
[Black "Bottwinnik, Michael"]
[Result "1-0"]
[ECO "C18"]
[PlyCount "49"]

1. e4 e6 2. d4 d5 3. Nc3 Bb4 4. e5 c5 5. a3 Ba5 {Wem hier oder in den nächsten
Zügen die Eröffnung bekannt vorkommt, der erinnert sich vermutlich noch an die
Fischer-Tal Partie aus meiner Remis-Reihe. Bei jenem Exemplar wie auch bei
diesem bekommt Schwarz jeweils keine angenehme Stellung. Zur Verteidigung der
La5 Variante sei aber gesagt, dass Schwarz nicht immer so unbequem steht.} 6.
b4 cxd4 {Zur Erklärung warum 6... cxb4 nicht so gut ist sei auf den
Kommentar zur Begegnung zwischen Fischer und Tal verwiesen.} 7. Qg4 Ne7 8.
bxa5 dxc3 9. Qxg7 Rg8 10. Qxh7 Nd7 {Hier weichen die beiden Partien
voreinander ab. Tal hatte hier Sbc6 gespielt. Die vorliegende Partie wurde ja
6 Jahre früher gespielt, war also Tal bekannt. Sd7 sieht etwas lahm aus. Der
Springer soll nach f8 und von dort die weiße Dame vertreiben. Kein guter Plan
wie sich zeigen wird.} 11. Nf3 {Ich hätte stattdessen f4 gespielt um den
Bauern e5 nach z.B. Dc7 mit Sf3 ein zweites mal decken zu können. Smyslov
gefiel f4 aber nicht weil der Zug die Reichweite des Läufers c1 einschränkt.
Nicht unwichtig wie sich zeigen wird.} Nf8 {Botwinniks Plan ist einfach zu
langsam und umständlich. Er ist noch nicht komplett entwickelt, sein König
steckt noch in der Mitte aber er nimmt sich Zeit die Dame zu belästigen. Was
wäre denn stattdessen mit dem naheliegenden Zug 11... Qc7 12. Bb5
deckt e5 indirekt weil es den Sd7 fesselt a6 13. Bxd7+ Bxd7 14. O-O
Diverse Kommentatoren schlagen hier vor mit 0-0-0 den f-Bauern zu geben und
sich auf das Gegenspiel am Königsflügel zu verlassen.} 12. Qd3 Qxa5 {
Botwinnik galt eigentlich immer als Französisch-Spezialist aber ich denke
nicht, dass die völlige Vernachlässigung der Entwicklung stellungsgemäß ist.
Mir persönlich würde auch hier Dc7 - der Bauer auf c3 muß ja gedeckt werden -
noch besser gefallen um auf 0-0-0 hinzuarbeiten.} 13. h4 {Hübscher Zug. Zum
einen ist der Marsch zur Bauernumwandlung auf dem abgegrassten schwarzen
Königsflügel in dieser Variante immer eine Drohung. Außerdem aber bereitet er
den nächsten Zug vor. Smyslov spielt so, dass seine Figuren die größtmögliche
Beweglichkeit behalten.} Bd7 14. Bg5 {Sehr schön. Schwarz hat alles für die
lange Rochade vorbereitet und bleibt jetzt doch stecken. Das vorherige h4
sorgt jetzt dafür, dass der Sf3 nicht an die Deckung des Läufers gebunden
sondern aktiv am Spiel teilnehmen kann.} Rc8 {Ein viel kritisierter Zug. Das
Schwarz sich damit entgültig von der Rochade verabschiedet kann ihm wohl nicht
vorgeworfen werden. Sc6 ist vermutlich besser weil es verhindert, dass auch
noch der Springer aktiv wird.} 15. Nd4 {d4 ist natürlich eh ein gutes Feld für
den Springer. Zusätzlich behindert er aber auch das schwarze Gegenspiel. Die
Idee hinter 14...Tc8 war den Turm über c4 mit Te4+ oder Ta4 am Kampf
teilnehmen zu lassen. Mit dem Springer auf d4 ist die eine Wahlmöglichkeit
vorerst entfallen.} Nf5 {Botwinnik hat sich von seinem Plan noch nicht
verabschiedet und will als Vorbereitung eben den Springer d4 entfernen. 15...
Rc4 Der Weg über a4 ist ja noch offen 16. Qe3 Ra4 17. Rb1 Rxa3 18. Nb5
eine scharfe Stellung. Es könnte z.B. folgen Ra1 oder 18... Bxb5 19. Bxb5+ Nc6 20.
Qc5; 19. Nd6+ Kd8 20. Nxb7+ mit Damenverlust } 16. Rb1 {Neben der offensi
chtlichen Drohung Txb7 hat der Zug noch eine zweite Funktion. Nach einem
Tausch auf d4 mit 16...Sxd4 17. Dxd4 hätte Schwarz mit Lb5 zusätzlich noch
seinen schwachen Läufer abtauschen können. Tb1 verhindert auch das.} Rc4 {
Allzu stur. Besser war 16... b6 17. g4 Nxd4 18. Qxd4 Qxa3 19. Bd3
obwohl auch hier Weiß überlegen steht.} 17. Nxf5 {Zweimal angegriffen tauscht
sich der starke Springer ab und Schwarz setzt seinen Plan mit Te4+ durch. Was
soll daran nicht gut sein ? Nun, der damalige Weltmeister vergaß seine eigene
prekäre Königsstellung.} exf5 18. Rxb7 Re4+ {
Botwinnik hatte ursprünglich das folgende Qualitätsopfer geplant. 18... Rxg5
19. hxg5 Re4+ 20. Be2 Ng6 Das Qualitätsopfer entschärft kurzfristig den
weißen Angriff und der Nachziehende aktiviert seine Truppen 21. Kf1 Bc6 22.
Rb8+ Ke7 23. Qa6 Tauscht Schwarz gerät er in ein schwaches Endspiel, tauscht
er nicht dringt die Dame ein. Der schöne Plan geht nicht auf.} 19. Qxe4 {
Wenn Positionsspieler die Dame geben muß schon was drin sein ! Das Opfer
eliminiert jedes Gegenspiel und die sturmreife gegnerische Königsstellung
bietet genug Kompensation.} dxe4 20. Rb8+ Bc8 21. Bb5+ {Unterbricht man die
Diagonale mit Sd7 folgt Txc8 mit Matt. Also gibt es nur einen Zug} Qxb5 22.
Rxb5 Ne6 23. Bf6 {Zwar wurde das Matt gerade noch verhindert, aber jetzt wo
alle anderen Drohungen beseitigt sind gibt es nichts mehr was die Umwandlung
des h4 verhindert. Smyslov reagiert auf die Züge seines Gegners gar nicht mehr.
} Rxg2 24. h5 Ba6 25. h6 1-0
Vabanque - 12. Nov '15
Schöne Partie, die ich gar nicht kannte bzw. die mir zumindest nicht mehr erinnerlich war ...
Allerdings muss man sagen, dass hier Botwinnik weit unter seiner gewöhnlichen Stärke gespielt hat.
Trotzdem: Nicht nur 19. Dxe4! mit seinen Konsequenzen ist begeisternd, vielmehr sind die 'einfachen' Vorbereitungszüge von Smyslov, mit der er eine so starke Stellung erreicht, doch beeindruckend.
Kellerdrache - 13. Nov '15
Dein Kommentar spiegelt so ziemlich genau die Gründe wieder warum mir diese Partie gefallen hat. In einer Stellung mit mehreren gut aussehenden Zügen den zu finden der der Beste ist (eben 11.Sf3 statt f4 oder 13.h4 statt direkt Lg5) ein Zeichen von Stellungsgefühl was den Meister vom Amateur unterscheidet.

Was Botwinniks Spiel angeht hasst Du vollkommen recht. Ich fühle mich schon beinahe gezwungen einen seiner ´Siege zu zeigen um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vielleicht nach meinem Urlaub oder vielleicht übernimmt ja jemand anders diese Aufgabe für mich ;-)).
Vabanque - 13. Nov '15
Es gibt von jedem Weltmeister Partien, in denen er schlichtweg nicht wiederzuerkennen ist. Partien, die so übel gespielt sind, dass man sich fragt, ob man das nicht selber 'ebensogut' hinbekommen hätte (also so zu verlieren). Capablanca ist das vielleicht eine Ausnahme - auch er hat (natürlich) Partien verloren, aber die wirken auf mich eher unglücklich verloren als wirklich schlecht gespielt. Richtig schlimme Verlustpartien habe ich schon von Kasparov, Karpov und Carlsen gesehen.
Vielleicht hat Botwinnik hier ja gar nicht so schlecht gespielt, nur hat Smyslov seine Unterlassungen gnadenlos und unnachgiebig bestraft - so wie es normalerweise Botwinniks eigene Art ist.
Ich habe ja schon mal eine Gewinnpartie von Botwinnik hier gezeigt, und eine weitere steht seit langem in der Warteschleife, das wäre jetzt die Gelegenheit schlechthin.