Kommentierte Spiele
Brillante Mattangriffe (III): Kotov - Bondarevsky 1936
Vabanque - 11. Okt '15
Hier sehen wir einen der schönsten Mattschlüsse der Schachgeschichte (wie ich finde), und zwar in einer Partie zwischen zwei späteren Vorkämpfern des sowjetischen Schachs. Alexander Kotov brachte es vor allem als Buchautor (u.a. 'Denke wie ein Großmeister') zu Ruhm, während Bondarevsky - nachdem seine eigenen Versuche, zur Weltspitze aufzuschließen, gescheitert waren - der Trainer und Sekundant Spasskys wurde. Zu der Zeit, als diese Partie gespielt wurde, waren beide noch keine Großmeister, aber natürlich bereits sehr starke Spieler. Während Kotov typischerweise lehrbuchhaft spielt und strategisch doch eigentlich 'alles richtig macht' (er kontrolliert wichtige Zentralfelder und spielt auf schwarze Schwachpunkte), geht Bondarevsky aufs Ganze: er nimmt positionelle Schwächen in Kauf, um sich spekulative Angriffschancen zu verschaffen. Letztlich zeigt diese Partie einmal mehr, dass die Taktik meist über die Strategie triumphiert. Freilich muss man (wie der Kellerdrache nicht müde wird zu betonen) die taktischen Chancen auch unmittelbar am Schopf packen, denn sie gehen in der Regel schnell und unwiederbringlich vorüber.































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Alexander Kotov Igor Bondarevsky Leningrad | Leningrad | 1936 | A90 | 0:1
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. d4 e6 Freundliche Einladung, mit 2. e4 d5 in Französisch überzuwechseln. Außerdem lässt Schwarz den Weißen im Unklaren darüber, in welches System er nach 2. c4 (oder wie in der Partie 2. Sf3) einzulenken gedenkt. 2. Sf3 f5 Holländisch also, und kein 'indisches' System, das nach Sf6 hätte entstehen können. 3. g3 Die damit eingeleitete Läuferflankierung galt schon damals als wirksamstes Mittel gegen den schwarzen Aufbau, und an dieser Beurteilung hat sich bis heute wohl nichts geändert. Sf6 4. Lg2 d5 5. O-O Ld6 6. c4 c6 Diese Verteidigung hat man den 'Stonewall' genannt, da der Schwarze seine Mittelbauern 'wie eine Mauer' aufstellt. Er beabsichtigt damit im Allgemeinen, bei möglichst festem Zentrum einen Flügelangriff gegen den weißen König zu führen. Wie dies gelingen kann, haben etliche schöne Partien von Tartakower und Botwinnik gezeigt. Vorliegende Partie kann zwar kaum mit der Gedankentiefe der genannten Koryphäen aufwarten, hat dafür aber einen umso ästhetischeren Mattschluss. 7. Sbd2 Wieso Weiß seinen Damenspringer nicht auf das 'normale' Feld c3 entwickelt, werden wir gleich sehen. Der Textzug ist der Beginn eines tiefsinnigen Plans, der auch heute noch angewandt wird. Schwarz hat mit seiner Stonewall-Aufstellung nämlich das Feld e5 unheilbar geschwächt. Kein schwarzer Bauer wird e5 jemals wieder kontrollieren können. Deswegen möchte Weiß seine Springer so manövrieren, dass beide nach e5 zielen. O-O 8. b3 De8 Das typische 'holländische' Damenmanöver. Die Dame soll nach h5 geführt werden. 9. Se1 Teil des erwähnten weißen Springermanövers. Dieser Springer soll nach d3, der andere nach f3 geführt werden, wo sie beide die schwarze Schwäche e5 unter Beschuss nehmen. Sbd7 10. Sd3 Se4 11. Sf3 Den kecken schwarzen Springer mit 11. f2-f3 gleich zu vertreiben, schien Weiß wohl wegen Sxg3!? 12. hxg3 Lxg3 nebst Dh4 zu riskant. Dh5 12. Sf4 Vertreibt zumindest vorläufig die vorwitzige schwarze Dame, denn mit Lxf4?! würde Schwarz seine schwarzen Felder (und insbesondere den Punkt e5) zu sehr schwächen. Er muss seinen schwarzfeldrigen Läufer behalten. Df7 Dieser Rückzug ist ohnehin nur temporär. 13. Dc2 g5 14. Sd3 Dh5 Da ist sie wieder! 15. Sfe5 Weiß hat sein strategisches Ziel offenbar erreicht. Ein schwarzes Handicap besteht natürlich in dem unentwickelten Damenflügel, der sich auch nicht so leicht mobilisieren lässt; ein typisches Phänomen in der Stonewall-Verteidigung. Tf6 Ebenfalls ein typisch 'holländisches' Manöver, das durch den Aufzug des f-Bauern ermöglicht wird. Aber schneidet der Zug denn nicht dem Se4 das einzige Rückzugsfeld ab? 16. f3 Th6 Natürlich! Sich auf 17. fxe4 Dxh2+ einzulassen, wäre nun sehr riskant für Weiß; nach 18. Kf2 Th3 würde g3 fallen. 17. h4 Die einzige Möglichkeit, h2 zu verteidigen. Nach 17. h3 käme ebenfalls Sxg3, ohne dass Weiß einen Gegenangriff auf g5 zur Verfügung hätte. Sxg3 18. xg5 Plausibel, aber 18. Lxg5 Sxf1 19. Txf1 war trotzdem besser, da damit Weiß unter Qualitätsopfer eine voll entwickelte Stellung erreicht, in der die schwarzen Angriffschancen gebannt sind. Dh2+ 19. Kf2 Th4 Th5 20. Lf4 ginge für Schwarz ganz übel aus. Jetzt aber könnte Schwarz auf 20. Lf4 ganz simpel Txf4! nebst Sxf1 spielen. (Übrigens käme auf 19... Th3 ebenfalls Lf4.) 20. Tg1 So hat Weiß sein Material gerettet, aber wie steht es um seine Stellung? Txd4 Dieser 'Alleingang' des schwarzen Turms im weißen Lager sieht ja nun äußerst riskant aus. 21. Lb2 Zweifelsohne glaubte Kotov nun zu gewinnen, denn auf das scheinbar erzwungene Th4 folgt 22. Th1 Sxh1 23. Txh1 Dxh1 (die Dame hat kein Feld) 24. Lxh1 Txh1, wonach das Material zwar gleich steht, Weiß aber mit 25. Sxd7 Lxd7 26. Dc3! seinerseits zum Mattangriff übergeht! Dh4! Eine unangenehme Überraschung für Weiß. Schwarz opfert den Turm, um die Möglichkeit eines Doppelabzugschachs zu bekommen. 22. Lxd4 Eine Alternative bietet sich nicht wirklich an. Se4+ Ein kritischer Moment! Soll Weiß nun mit 23. Kf1 zulassen, dass Schwarz mindestens Dauerschach bekommt (nach Sg3+ müsste Weiß wieder Kf2 spielen, da nach 24. Ke1?? Dxd4 beide weißen Türme hingen und mit 25. Kd2 wegen Lb4+ auch nicht gerettet werden könnten)? Oder soll er mit 23. Ke3 mit einem Mehrturm auf Gewinn spielen? 23. Ke3? Er trifft die falsche Entscheidung, da er das glänzende (und nicht leicht zu sehende) 5-zügige Matt übersieht. Ob Schwarz nach dem korrekten 23. Kf1 hätte gewinnen können, ist eine andere Frage. f4+!! Eine kombinierte Weg- und Hinlenkung. Der weiße Springer wird von der Verteidigung von f2 abgelenkt und gleichzeitig auf das Feld f4 hingelenkt, wo er ein Fluchtfeld blockiert. 24. Sxf4 Df2+ 25. Kd3 Vermutlich hatte Kotov diese Stellung auch berechnet und keine Möglichkeit für Schwarz entdecken können. Dxd4+!! Die Bombe. 26. Kxd4 Lc5+ 27. Kd3 Sxe5# Das Matt der 3 Leichtfiguren in der Brettmitte, und die weißen Steine auf c2 und e2 fungieren als Blockeure! Solch ein Mattbild ist sicherlich eine Rarität in einer Partie auf diesem Niveau.
Kellerdrache - 12. Okt '15
Eine tolle Partie mit einem sehr schönen Schlußangriff. Nicht so leicht zu finden, weil die üblichen Motive des Königsangriffs nicht vorkommen.
Als Sieg von Taktik über Strategie würde ich die Partie übrigens nicht bezeichnen. 12.Sf4 ist als quasi verschwendeter Zug auch strategisch ein Fehler. Hilft nicht wirklich und führt den Springer auf ein Feld wo er für den eigenen Plan nicht nützlich ist. Für mich gehört der Sd3 auf e5, aber vielleicht äußern sich dazu mal die Holländer-Spezialisten auf Chessmail.
Trotzdem hat Bondarevsky die strategischen Fehler Kotovs sehr schön ausgenutzt und war, vor allem am Ende auch sehr erfindungsreich. Ein großes Lob auch für die Kommentierung. Du hast es mit wenigen Worten geschafft die Pläne beider Seiten verständlich zu machen.
Als Sieg von Taktik über Strategie würde ich die Partie übrigens nicht bezeichnen. 12.Sf4 ist als quasi verschwendeter Zug auch strategisch ein Fehler. Hilft nicht wirklich und führt den Springer auf ein Feld wo er für den eigenen Plan nicht nützlich ist. Für mich gehört der Sd3 auf e5, aber vielleicht äußern sich dazu mal die Holländer-Spezialisten auf Chessmail.
Trotzdem hat Bondarevsky die strategischen Fehler Kotovs sehr schön ausgenutzt und war, vor allem am Ende auch sehr erfindungsreich. Ein großes Lob auch für die Kommentierung. Du hast es mit wenigen Worten geschafft die Pläne beider Seiten verständlich zu machen.
Vabanque - 12. Okt '15
>> Für mich gehört der Sd3 auf e5, aber vielleicht äußern sich dazu mal die Holländer-Spezialisten auf Chessmail.<<
Ich habe zeitweise auch mal den Stonewall gespielt, von daher war mir das Manöver mit den Springern auf d3 und f3 bekannt. Welcher Springer nun letztlich nach e5 soll, darüber kann ich leider nichts sagen. Für mich schien es logischer, dass der f-Springer nach e5 zieht, damit Weiß anschließend die Möglichkeit f2-f3 hat. Die kommt in der Partie natürlich zu spät, somit kann es sein, dass du mit dem verschwendeten Zug Recht hast.
Es wäre in der Tat sehr aufschlussreich, wenn sich dazu mal ein Experte hier äußern würde :)
Ich habe zeitweise auch mal den Stonewall gespielt, von daher war mir das Manöver mit den Springern auf d3 und f3 bekannt. Welcher Springer nun letztlich nach e5 soll, darüber kann ich leider nichts sagen. Für mich schien es logischer, dass der f-Springer nach e5 zieht, damit Weiß anschließend die Möglichkeit f2-f3 hat. Die kommt in der Partie natürlich zu spät, somit kann es sein, dass du mit dem verschwendeten Zug Recht hast.
Es wäre in der Tat sehr aufschlussreich, wenn sich dazu mal ein Experte hier äußern würde :)