Schach

Bock auf Geschichte ??

Alapin2 - 17. Mai '20
Der Hamburger Schachclub von1830,zweitältester deutscher Schachverein,enthüllte 2018 eine neu am Vereinsheim angebrachte Gedenktafel : In Gedenken an
Walter Robinow ( Vorsitzender von 1908 -1933, Initiator der Schacholympiade 1930
in Hamburg ) und weitere jüdische Mitglieder bzw.Vorstandsmitglieder ,die
1933 aus dem Verein ausgeschlossen wurden.
Vorsitzender wurde Otto Junge,der Vater von Klaus Junge.
Sollte jemand an Einzelheiten interessiert sein,bitte melden...sonst lasse ich dies
-immer noch-heikle Thema lieber.
P.S.: Schacholympiade 1930 : Sieger Polen mit den Spitzenbrettern Rubinstein+
Tartakower
Famulus - 17. Mai '20
Klaus Junge, ein großer Spieler, der gegen Weltmeister Dr. Aljechin Remis spielte. Verstarb leider sehr früh 1946. Geschichte kann nicht schaden.
Vabanque - 17. Mai '20
Gewann Junge nicht sogar eine Partie gegen Aljechin?

Manche sahen in Junge bereits den künftigen Weltmeister. Das war vielleicht übertrieben, aber an die Weltspitze wäre er sicher gelangt.

Ob er wirklich überzeugter Nazi war, ist wohl nicht restlos geklärt. Vielleicht war er auch bloß ein Mitläufer, wie viele.

Die Nazis haben in den 30er Jahren auch aus Dufresnes 'Lehrbuch des Schachspiels' die Partien der jüdischen Spieler weitestgehend getilgt und damit das Buch ziemlich entstellt. In spätere Auflagen (nach dem 2. Weltkrieg) wurden diese Partien aber teilweise wieder aufgenommen.

Damals wurde auch glatt behauptet, jüdisches Schach sei feige, arisches Schach kühn und wagemutig. Gerade so als könnte man überhaupt die (jüdische) Herkunft eines Spielers an seinem Schachstil erkennen.
Famulus - 18. Mai '20
Stimmt.
1942 in Salzbug gewann Junge mit schwarzen Steinen. Dort wurde er im Turnier 4. und Aljechin gewann das Turnier.
In Prag 1942 führte Junge vor Aljechin in der Schlussrunde und Aljechin musste gegen Junge gewinnen, um Turniersieger zu werden. Dies gelang.
In Warschau-Lublin-Krakau 1942 wurde Aljechin wiederum vor Junge Turniersieger.
In München 1942 wurde Junge 7. und Sieger wiederum Aljechin. Im Kommentar zu der Partie der beiden in München, die Aljechin gewann, steht der schöne Satz:

Was man von der Minute ausgeschlagen, gibt keine Ewigkeit zurück.

Alles dies aus: Müller/ Pawelczak, Schachgenie Aljechin, Mensch und Werk, 2. Aufl. 1962.
Famulus - 18. Mai '20
Salzburg natürlich. Was auffällt ist die Turnierdichte mitten im Krieg.
Vabanque - 18. Mai '20
Stimmt, jetzt wo du es sagst, fällt es mir auch erstmals auf.

>>In Prag 1942 führte Junge vor Aljechin in der Schlussrunde und Aljechin musste gegen Junge gewinnen, um Turniersieger zu werden. Dies gelang.<<

An diese Partie erinnere ich mich. Eine der besten von Aljechin, wie ich finde.

Insgesamt hat Aljechin 4:1 gegen Junge gespielt, und ich denke, er hat damit schon gezeigt, wer der Größere war (und das, obwohl Aljechin seinen Zenit Anfang der 40er Jahre wohl schon deutlich überschritten hatte!)

Gegen Keres hatte Aljechin übrigens ein 5:1-Ergebnis, was angesichts der Tatsache, dass Keres damals (und auch später noch) als Anwärter auf die Weltmeisterschaft gehandelt wurde, doch sehr überrascht.

Andererseits hat Aljechin in München 1942 gegen Rellstab verloren, der in diesem Forum kürzlich Gegenstand einer netten Anekdote gewesen war (er hatte einen weißen Bauern statt des Zuckers in sein Getränk geschmissen). Und so sympathisch Rellstab sicher war - er bewegte sich niemals auch nur annähernd im Bereich der Weltspitze. Ein Sieg gegen Aljechin muss also damals eine Sensation gewesen sein - und ist es auch heute noch. Es handelt sich übrigens um keine sehr gute Partie, und ich würde sie bestimmt nicht in den Kommentierten Spielen bringen. Sie wird allerdings manchmal als Beleg für den Umstand angeführt, dass Aljechin Anfang der 40er Jahre nicht mehr sehr stark gewesen sei. Zu drei Siegen in Folge im gleichen Jahr (1942) gegen Keres hat's aber anscheinend noch gereicht ... schon merkwürdig.

Der Aljechin der 40er Jahre war zwar wohl nicht mehr der Aljechin, der in den 20er und 30er Jahren fast jedes Turnier mit Abstand gewonnen hatte, aber offenbar war er auch in den 40ern den stärksten Konkurrenten (zu denen Junge und Keres gezählt werden müssen) immer noch deutlich überlegen. Ein Phänomen!
Famulus - 18. Mai '20
Aljechin gegen Rellstab wie Godofchess gegen muik.
Vabanque - 18. Mai '20
Das wird ja langsam zum RunningGag hier ...

Auf die Gefahr hin, dass ich wieder mal der Humorlosigkeit bezichtigt werden, möchte ich doch ein für alle Mal klarstellen, dass GodofChess diese Partie gegen muik
/game/06815400bf9a4692
zwar aufgegeben hat, aber in Gewinnstellung für GodofChess!

Aljechin dagegen verlor tatsächlich gegen Rellstab, ohne Humbug. Er nahm seinen unbekannten Gegner vermutlich einfach zu leicht, oder er hatte (Vorsicht: es folgt eine Diffamierung einer Person, die nicht mehr antworten kann!) vor der Partie zu tief ins Glas geschaut. Aber auch Letzteres ist ein Running Gag, der bei Verlustpartien von Aljechin gerne angeführt wird.

Gegen Junge und Keres nahm sich Aljechin jedenfalls zusammen und bot seine ganze Kraft auf, weil er schon vorher wusste, dass er sie auch brauchen würde.
Adjutantimus - 18. Mai '20
Wir können GodofChess G_o_C ja mal fragen, wie er sich an die Partie erinnert..
Famulus - 18. Mai '20
Auch könnte muik sein Empfinden bei jedem Zug schildern, aber seit 1/16 nicht mehr tätig geworden.
Vabanque - 18. Mai '20
Wir könnten aber auch zum Thema des Threads, nämlich Schachgeschichte, zurückkehren ...
Vabanque - 18. Mai '20
Übrigens habe ich mir selbst oben eine historische Unrichtigkeit erlaubt, die ich nun korrigieren will:

Nicht schon in den 30er Jahren wie vermutet, nein erst 1941 erschien die erste von den Nazis 'frisierte', d.h. von den Leistungen jüdischer Schachmeister 'bereinigte' Auflage des Dufresneschen Lehrbuchs. Die Streichungen der Gewinnpartien jüdischer Spieler (zu denen ja auch Tarrasch, Lasker und Rubinstein gehörten) und die Um-Schreibung der gesamten Schachgeschichte wurden von einem gewissen Max Blümich vorgenommen (was ich hier der Erwähnung für nötig halte, auch wenn Herr Blümich sich nicht mehr dazu äußern kann, und auch nicht sagen kann, wie er sich dabei gefühlt hat).

In dieser 'arisierten' Form erschien das Lehrbuch in der 15. und 16. Auflage (1941 bzw. 1943). Erst 1949 hat in der 17. Auflage der jüdisch-deutsch-britische GM Jacques Mieses, der übrigens auch vor seiner Emigration (1938) die Bearbeitungen des Lehrbuchs bis zur einschließlich 14. Auflage durchgeführt hatte, die Blümichschen Partiestreichungen wieder rückgängig gemacht und die herausragenden Leistungen jüdischer Spieler wieder ins rechte Licht gesetzt.

Hier handelte es sich um mutwillige Veränderung der Schachgeschichte durch ein totalitäres Regime; aber auch im Kleinen wird die Schachgeschichte häufig nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip ('ich mach mir die Welt, wiediewiediewie sie mir gefällt') modifiziert. Typische Behauptungen sind etwa, Aljechin hätte den WM-Titel nur deswegen an Euwe verloren, weil er betrunken war, Tal hätte den Rückkampf gegen Botwinnik ganz bestimmt gewonnen, wenn er zur dem Zeitpunkt nicht gesundheitlich angeschlagen gewesen wäre, und - ganz besonders beliebt - Bronstein wäre von den Sowjets dazu gezwungen worden, den WM-Kampf mit Botwinnik nicht gewinnen zu dürfen, oder - ganz ähnlich - die zahlreichen Verlustpartien von Keres gegen Botwinnik wären ebenfalls auf den Druck der sowjetischen Regierung hin erfolgt.
Nun kann man ja alle diese Behauptungen nicht direkt widerlegen (deswegen halten sie sich auch so hartnäckig!), aber welche Erklärung haben die Keres-Fans denn für die ebenso zahlreichen Verlustpartien von Keres gegen Aljechin? Wer soll es in diesem Fall gewesen sein, der Keres bedroht hat? Wer hat Shirov angewiesen, dass er nie gegen Kasparov gewinnen darf? Warum hat Anand so einen schlechten Score gegen Kasparov?

Sicherlich, Tal, Keres, Shirov und Anand sind deutlich sympathischere Gestalten gewesen als Aljechin, Botwinnik oder Kasparov. Dies dürfte aber eigentlich kein Grund sein, die herausragende und lang anhaltende Überlegenheit der Letzteren klein zu reden.
Alapin2 - 18. Mai '20
Na,da hat sich ja mein "historischer Diskurs" zu einem munteren Austausch entwickelt.Klasse! Wer zum Anfangsthema (Robinow /Junge ) etwas sucht :steht
im I.-Net viel fundierter als ich es bringen könnte. Einfach die o.a.Namen eingeben.
Dann kommt man auch auf den Artikel "Spurensuche" (Andre Schulz bei chessbase) und andere.
Alles superspannend +interesssant !
@ Vabanque ".....Keres,Shirov usw.sind deutlich sympathischere Gestalten gewesen....." Ja,das liest man so.Bei meiner gestrigen Recherche (s.o.) fiel mir jedoch auf,daß Paul Keres viele der Turniere im "Deutschen Reich" (ohne Juden!) zu der Zeit auch mitgespielt hat.Verständlich,daß er ,als Este,natürlich
gegen die Sowjets war und -nach Eroberung durch die Wehrmacht- auf eine später freie (oder nicht von der UdSSR beherrschte )Heimat hoffte....aber er hat
mit den Wölfen geheult....
Vielleicht hat ja jemand Informationen,wie er es später geschafft hat,wieder in den Schoß der UdSSR- Großmeister aufgenommen zu werden.Stalin soll doch
sehr nachtragend gewesen sein....
Famulus - 18. Mai '20
In dem oben zitierten Buch über Aljechin ist zu lesen, dass dieser im 1. Weltkrieg in Odessa verhaftet und zum Tode verurteilt wurde. Erschossen wurde er nicht, da einer der 5 Richter sich weigerte, das Urteil zu unterschreiben. Er kannte Aljechin als Schachgenie.
Wunderschöne Partien wurden so erst ermöglicht. Auch Schachgeschichte.
Vabanque - 18. Mai '20
Ja, durch die Vollstreckung des Todesurteils an Aljechin wäre dem Schach viel verloren gegangen. Auf der anderen Seite hätten wohl ein paar andere Spieler in diesem Fall gute Chancen auf die Weltmeisterschaft erhalten ...

>>daß Paul Keres viele der Turniere im "Deutschen Reich" (ohne Juden!) zu der Zeit auch mitgespielt hat<<

Das lässt sich auch komplett unpolitisch erklären: Es gab damals einfach nicht so viele internationale Turniere. Da konnte der damals ganz junge (geb. 1916!) Keres nicht allzu wählerisch sein, wenn er nach oben wollte.
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