Kommentierte Spiele

Große Partien ... (XXIV): Smyslov -Hübner 1983

Vabanque - 19. Mai '14
Diese Folge schließt das zweite Dutzend der Serie
'Große Partien der Schachgeschichte', das der zweiten
Hälfte des 20. Jh. gewidmet ist, ab.

Vasily Smyslov war nur 1 Jahr lang Weltmeister (1957-1958), aber zur Weltspitze gehörte er viele Jahre lang.
1983, als er schon 62 Jahre zählte, gelang es ihm sogar noch einmal, sich für die Kandidatenkämpfe zur WM zu qualifizieren, wo er bis ins Kandidatenfinale vordrang;
eine Leistung, die weder vorher noch nachher einem Spieler dieses Alters gelungen ist. Das Halbfinale gegen den deutschen Spitzenspieler Hübner verlief allerdings für beide Seiten unbefriedigend; von den 14 Partien endeten 12 Remis, und jeder der beiden Spieler konnte jeweils eine Partie für sich entscheiden, so dass der Wettkampf insgesamt unentschieden endete. Die FIDE hatte daraufhin einen ihrer vielen genialen
Einfälle: man ließ eine Roulettekugel über den Ausgang des Matchs entscheiden. Aber in meinen Beiträgen soll es ja nicht um die Leistungen der FIDE gehen, sondern um die der großen Spieler, und vor allem um die Schönheit derer Partien. Und so zeige ich hier die
Gewinnpartie von Smyslov aus dem erwähnten Match, die unter anderem wegen ihrer originellen Opfer im 27., 30. und 32. Zug bemerkenswert ist.
Über die Eröffnungsphase bin ich diesmal in meinen Kommentaren recht schnell hinweg gegangen, da die Partie insgesamt nicht ganz kurz ist und die entscheidende Phase etwa nach dem 25. Zug beginnt.



PGN anzeigen[Event "Velden"]
[Site "Velden"]
[Date

"1983.??.??"]
[EventDate "?"]
[Round "4"]
[Result "1-0"]
[White "Vasily Smyslov"]
[Black "Robert Huebner"]


1. Nf3

Nf6 2. c4 c5 3. Nc3 Nc6 4. g3 d5 5. cxd5 Nxd5 6. Bg2

Nc7 7. d3 e5 8. Nd2 {Verschafft dem Lg2 frühzeitig

einen schönen Ausblick.}
Bd7 9. O-O Be7 10. Nc4 f6 {Der e-Bauer war durch Lxc6

nebst Sxe5 bedroht, auch wenn dieser Bauerngewinn

durchaus fragwürdig gewesen wäre, weil Weiß dadurch

seinen wertvollen weißfeldrigen Läufer abgetauscht

hätte und damit auf den weißen Feldern schwach geworden

wäre.} 11. f4 b5 12. Ne3 Rc8 13. Ned5 Nxd5 14. Nxd5 O-O

15.
fxe5 Nxe5 16. Bf4 Nc6 17. a4! b4 {Schwarz lässt die

Öffnung der a-Linie nicht zu, auch wenn dadurch sein

c-Bauer auf der halboffenen c-Linie rückständig wird.}

18. Rc1 Be6 19. e4 Bd6 20. Be3 {Schon hängt der

rückständige Bauer.} Na5 21. d4!? {Der Kampf wird

zweischneidig. Weiß strebt ein Übergewicht im Zentrum

und am Königsflügel an und überlässt Schwarz die

Bauernmehrheit am Damenflügel.} c4 {Nun wird bald die

Möglichkeit der Bildung eines Freibauern mittels c4-c3

in der Luft liegen.}
22. Nf4 Bf7 23. Qg4 {Weiß baut einen Angriff gegen die

schwarze Königsstellung auf.} Qe8 {Schwarz verhindert

Se6.} 24. Rce1 {Wieder bewährt es sich, einen Turm als

Gegenüber der feindlichen Dame zu postieren, auch wenn

noch ein paar Steine dazwischen stehen. Wir werden die

Wirkung dieses Turms bald sehen. Weiß überlässt damit

seinen Damenflügel aber völlig seinem Schicksal.} Nb3

{Natürlich ging Dxa4 nicht wegen 25. Se6 (Lxe6 26.

Dxe6+ kostet den Ld6). Aber 24... c3 war hier schon

möglich. Der Textzug ist ebenfalls völlig in Ordnung,

aber Schwarz zögert in der Folge mit c4-c3 so lange,

bis es zu spät ist.} 25. Kh1?! {Es ist nicht ganz klar,

was dieser Vorbereitungszug eigentlich vorbereitet.

Vermutlich hatte dieser Zug durchaus subtile Gründe,

aber letztlich erweist sich die Königsstellung auf h1

als nicht ganz so günstig. Das ist allerdings auch

wirklich der einzige zweifelhafte Zug, den Weiß sich in

dieser Partie leistet.} Kh8?! {Nachahmungstrieb? Gegen

c4-c3 sprach auch hier nichts. Es wäre manchmal schon

aufschlussreich, die gedanklichen Vorgänge in den

Köpfen von Spitzenspielern in solchen Situationen zu

kennen.} 26. Qh3 {Der damit verbundene weiße Plan zeigt

sich sogleich.} Rc7?! {Auch hier ist (mir) nicht klar,

was dieser Zug bezwecken soll. Im Hinblick auf die

folgenden Ereignisse, die dem Kommentator (also in diesem Fall mir)

natürlich bekannt sind, den Spielern aber zu diesem

Zeitpunkt unbekannt waren, hätte der Turm besser auf

der Grundreihe bleiben sollen.} 27. e5! {Endlich geht

es rund. Das feine und unerwartete Bauernopfer macht

dem Lg2 das Feld e4 frei, der dann im Verein mit der

Dh3 auf h7 Matt drohen wird.}
fxe5 28. dxe5 {Jetzt darf die Dame nicht auf e5

wiedernehmen wegen (28... Dxe5) 29. Lb6! (die Wirkung

des Te1 wird offenbar) Dxb2 30. Lxc7 Lxc7 31. Sg6+, und

sowohl der Bh7 wie auch der Lg6 sind gefesselt!} Bxe5

{Also geht das nur so.} Be4 {Nun zeigt sich die weiße

Konzeption mit 26. Dh3 und 27. e5. Schwarz kann jetzt

nicht h7-h6 antworten wegen 30. Df5 g6 31. Sxg6+ Lxg6

32. Dxf8+, was übrigens nur durch Tc7 ermöglicht wurde,

da andernfalls der Tf8 noch einmal gedeckt wäre.} g6

30. Bxg6! {Man reibt sich verblüfft die Augen. Aber ja

doch, alles hat seine Richtigkeit, denn Lxg6 ist gar

nicht möglich wegen 31. Sxg6+ Dxg6 32. Txf8+, und

wieder war es der durch den Wegzug des Tc8 nach c7

ungedeckte Tf8 bei Schwarz, der diese Wendung

ermöglichte!} Qa8+? {Jedoch ist dies der erste und

einzige wirkliche Fehler in der ganzen Partie. Schwarz

musste das Schach auf c6 geben, damit die Dame später

das Feld g6 unter Kontrolle hat, wie sich gleich zeigen

wird.} 31. Kg1
Bg8 {Schwarz kann immer noch nicht auf g6 schlagen und

muss h7 decken.} 32. Bxh7!! {Wieder mal ein Läuferopfer

auf h7, aber diesmal abseits jeglicher Schablone. h7

ist zweifach gedeckt, aber das Ziel ist die Freilegung

des Feldes g6 für den Sf4. Stünde die schwarze Dame nun

auf c6, wäre diese Wendung nicht möglich gewesen. Auf

der anderen Seite wurden die Damenschachs auf der

langen Diagonalen erst durch 25. Kh1?! ermöglicht.}

Rxh7 {Natürlich kommt auf Lxh7 ebenfalls Sg6+. Nun aber

ist doch zumindest die weiße Dame angegriffen.} 33.

Ng6+ Kg7 34. Qd7+! {Das ist es! Schwarz kann nicht Kxg6

spielen wegen des hübschen Matts 35. Dg4#! Weiß gewinnt

also auf e5 seine geopferte Figur wieder und hat dann

ein gewonnenes Spiel, weil er bei leichtem

Materialvorteil weiterhin Angriff gegen den exponierten

schwarzen König behält.} Rf7 35. Rxf7+ Bxf7 36. Nxe5

Qd5 {Schwarz muss natürlich f7 decken und würde das

Endspiel jetzt sogar in Kauf nehmen, weil er sich

mittels c4-c3 immer noch Gegenchancen verspricht.} 37.

Qxa7! {Weiß kann diesen Bauern noch 'mitnehmen', weil

Schwarz den Springer e5 gar nicht schlagen kann wegen

Lh6+ mit Damenverlust. Zu allem Überfluss droht jetzt

Tf1, so dass Schwarz wieder nicht c3 spielen kann.}
Rh5 38. Nxf7 Qxf7 {Nun würde der Damentausch dem Weißen

seine Aufgabe bedeutend erschweren. Bei der offenen

schwarzen Königsstellung ist der Gewinn viel leichter

mit den Damen auf dem Brett zu erzielen.} 39. Bd4+!

{Schwarz muss schlagen, denn auf Kg8 käme elegant 40.

Te8+! und auf 39. Kg6 wäre 40. Te7 sehr schlimm für

Schwarz.} Nxd4 40. Qxd4+ {Smyslov hat Te7 sicher

gesehen, wollte aber vermutlich die Verwicklungen nach

Sf3+ nicht berechnen. Er spielt den Schluss nun so

einfach wie möglich.} Kh7 41. Qe4+ Kg7 42. Rf1 Qa7+ 43.

Rf2 {Wenn Schwarz nun den witzigen Trick Txh2 probiert

(um auf 44. Kxh2 mit Dxf2+ das Damenendspiel wohl noch

zu remisieren), dann gibt Weiß, beginnend mit Dg4+, so
lange Schach, bis er seinen Tf2 mit einem Damenschach
deckt, so dass er anschließend den Th2 mit seinem König
nehmen kann.}
Qc5 {Schwarz muss seine letzte Chance, den freien
c-Bauern, natürlich unterstützten.} 44. Kf1 {Entfesselt
den Tf2.} c3 {Endlich kommt dieser Zug, aber es ist
viel zu spät.} 45. bxc3 bxc3 46. Qe6! {Das Ende ist da.

Es droht Tf7+ nebst De8+, und Schwarz kann sich dagegen

nicht wirksam wehren. Auf Dc7 (um f7 zu decken) wäre

47. Dg4+ möglich, und Schwarz könnte den Th5 nicht

retten, da auf Kh6 Tf6+ käme.} Qg5 {Die Dame kuschelt

sich in Todesangst noch an den Turm.} 47. Rf7+ Kh8 48.

Qc8+ {Am schnellsten; auf Dg8 käme jetzt Dxc3+ nebst

Matt, daher gab Schwarz auf. Eine großartige Partie des

damals 62-jährigen Smyslov, die sich hinter den

Leistungen seiner Glanzzeit nicht zu verstecken

braucht.} 1-0
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LucidNonsense - 20. Mai '14
Wunderschöne Partie (und in der Eröffnung für die Zeit durchaus avantgardistisch), die ich so gar nicht mehr auf dem Schirm hatte - dabei war das damals im zarten Alter von 18 Jahren das erste Mal, dass ich mich dafür interessiert hatte, was die Fachkräfte da eigentlich so unternehmen.
Danke dafür.
Vabanque - 20. Mai '14
Ja komisch, ich hatte das Match damals als Jugendlicher auch mit großem Interesse verfolgt, kann mich aber an diese Partie ebenso wenig erinnern wie du. Ich bin erst vor einigen Jahren wieder auf sie gestoßen, als ich mich für Smyslov zu interessieren begann. Seine Partien wirken immer so harmonisch und abgerundet, voller Leichtigkeit, obwohl sie im Grunde hochkompliziert sind. Aber ob man sie nun im Letzten versteht oder nicht, beim Nachspielen hinterlassen sie immer so ein befriedigendes Gefühl :)
pirc_ - 20. Mai '14
wieder mal sehr schön ;-)