Kommentierte Spiele

Deutsche Schachgeschichte (I) Anderssen

Kellerdrache - 04. Jun '17
Mit diesem Beitrag möchte ich eine neue Reihe über deutsche Schachspieler eröffnen. Bei der ja eher trostlosen Situation im Moment vergisst man ja gerne, dass auch bei uns hier und da mal Hoffnungsschimmer autgetaucht sind. Bei meiner Auswahl habe ich mich übrigens auf solche Spieler beschränkt, die nicht blos für den deutschen Schachverband gemeldet waren, sondern auch die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen oder besitzen.

Der Urahne des deutschen Schachs ist Adolph Anderssen. Ein Kombinationskünster der reinsten Art aus einer Zeit als man Positionsspiel noch für eine unanständige Ferkelei hielt. Was ihn uns näher bringt ist auch die Tatsache, dass er lupenreiner Amateur war, der einem normalen Broterwerb nachging. Er war Lehrer, eine Profession die ja auch Dr. Nunn und den Kommentatorkollegen Vabanque hervorgebracht hat.

Hier erteilt er mit Schwarz eine seiner sehenswerten Lektionen im Königsgambit. Ich hoffe es ist mir gelungen die Stellungen und auch den Schlußangriff verständlich und vergnüglich zu machen.

Anderssen, Adolph Rosanes, J.. Breslau | 1864 | C39 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. f4 xf4 3. Sf3 g5 4. h4 g4 5. Se5 die Kieseritzky-Variante des Königsgambits. Kieseritzky ist den Schachfreunden ansonsten als hilfloses Opfer von Anderssens unsterblicher Partie bekannt. Sf6 Wie wir sehen werden beherrscht der Herr Lehrer aus Breslau das Königsgambit nicht nur mit Weiß. Die mit 5....Sf6 beginnenden Abspiele gelten auch heute noch als beste Wahl. 6. Lc4
heute spielen die meisten hier 6. d4 ohne dass dies unbedingt besser ist z.B. d6 7. Sd3 Sxe4 8. Lxf4 Lg7 9. c3
d5 ein wichtiger Zug. Schwarz gibt den Mehrbauern zurück um sich vernünftig entwickeln zu können 7. xd5 Ld6 ein ideales Feld fur den Läufer, der zusätzlich noch den weiteren Vormarsch des d5 blockiert und damit die Öffnung der Diagonalen für den Lc4 verhindert. 8. d4 Sh5 Springer am Rand- Sieg in der Hand, oder so ähnlich. Ohne Not gibt man in so einer Stellung den f-Bauern nicht auf. Nicht wegen des Materials sondern um die allzu schnelle Öffnung der f-Linie zu verhindern. Vielleicht kann der Springer auch einmal über g3 ins Angriffsspiel eingreifen
De7 9. Lxf4 Sh5 10. g3
O-O 9. O-O
nicht so gut wäre 9. Lxf4 Sh5 10. g3 f6 11. Sd3 Sxg3
Sh5 10. Sxg4 Dxh4 11. Sh2 Sg3 12. Te1 Sd7 13. Sd2 Sf6 14. Sdf3 Dh5 und hier empfahlen diverse Kommentatoren mit 15.Te5 die Initiative zu übernehmen
9. Lb5+ dieser Zug drängt sich auf, ist aber trotzdem nicht gut
9. O-O es gehören schon gute Nerven dazu in diese 'Festung' hinein zu rochieren. Der h-Bauer geht verloren und man bekommt es mit Dame, Springer und zwei Bauern zu tun Dxh4 10. De1 und um diverse häßliche Abzüge zu verhindern muss Schwarz seinen Angriff mit De7 aufgeben
c6 ich hätte mit Sd7 oder Ld7 gerechnet. Die Abtauschfolge auf c6 kann doch nur Materialverlust bedeuten 10. xc6 xc6 11. Sxc6 Sxc6 12. Lxc6+ Kf8 wer von uns hatte hier nicht 12...Ld7 gespielt und gehofft mit einer blosen Qualität weniger zu überleben. Anderssen 'tauscht' den Turm gegen Initiative 13. Lxa8 Sg3 14. Th2 Lf5
De7+ 15. Kf2 Se4+ geht auch schon. Und jetzt z.B. 16. Kf1
16. Ke1 Sc3+
16. Kg1 f3
La6+ 17. Kg1 f3 18. xf3 Lxh2+ 19. Kxh2 Dxh4+ 20. Kg1 Df2+ 21. Kh1 Sg3#
15. Ld5 Kg7 um den Te8 ins Spiel zu bringen 16. Sc3 Te8+ 17. Kf2 Db6 18. Sa4 Da6 es geht um das Feld e2 auf das jetzt Da6 und Te8 zielen. 19. Sc3 Le5 ein sehr schöner Zug und nicht einfach zu finden. Selbst wenn man das Opfer nicht annimmt kann der Läufer doch nicht viel Schaden anrichten, oder ? Schlieslich ist der d4 ja von der Dame auf d1 gedeckt. 20. a4 mit der Idee im nächsten Zug mit Sb5 die Dame auszusperren
20. xe5 für all die, die die Korrektheit des Opfers bewiesen haben möchten hier die kurze Variante Db6+ 21. Ke1 Dg1+ 22. Kd2 De3#
Df1+ ein wunderhübsches Ablenkungsopfer. Die weiße Dame wird von der Deckung des d4 abgelenkt. Jetzt versteht man auch 19...Le5 21. Dxf1 Lxd4+ 22. Le3 Txe3 23. Kg1 Te1#
PGN anzeigen
[Site "Breslau"]
[Date "1864.??.??"]
[Round "?"]
[White "Anderssen, Adolph"]
[Black "Rosanes, J.."]
[Result "0-1"]
[ECO "C39"]
[PlyCount "46"]
[SourceDate "2017.06.04"]

1. e4 e5 2. f4 exf4 3. Nf3 g5 4. h4 g4 5. Ne5 {die Kieseritzky-Variante des
Königsgambits. Kieseritzky ist den Schachfreunden ansonsten als hilfloses
Opfer von Anderssens unsterblicher Partie bekannt.} Nf6 {Wie wir sehen werden
beherrscht der Herr Lehrer aus Breslau das Königsgambit nicht nur mit Weiß.
Die mit 5....Sf6 beginnenden Abspiele gelten auch heute noch als beste Wahl.}
6. Bc4 ({heute spielen die meisten hier} 6. d4 {
ohne dass dies unbedingt besser ist} {z.B.} d6 7. Nd3 Nxe4 8. Bxf4 Bg7 9. c3)
6... d5 {ein wichtiger Zug. Schwarz gibt den Mehrbauern zurück um sich
vernünftig entwickeln zu können} 7. exd5 Bd6 {ein ideales Feld fur den Läufer,
der zusätzlich noch den weiteren Vormarsch des d5 blockiert und damit die
Öffnung der Diagonalen für den Lc4 verhindert.} 8. d4 Nh5 {Springer am Rand-
Sieg in der Hand, oder so ähnlich. Ohne Not gibt man in so einer Stellung den
f-Bauern nicht auf. Nicht wegen des Materials sondern um die allzu schnelle
Öffnung der f-Linie zu verhindern. Vielleicht kann der Springer auch einmal
über g3 ins Angriffsspiel eingreifen} (8... Qe7 9. Bxf4 Nh5 10. g3) (8... O-O
9. O-O ({nicht so gut wäre} 9. Bxf4 Nh5 10. g3 f6 11. Nd3 Nxg3) 9... Nh5 10.
Nxg4 Qxh4 11. Nh2 Ng3 12. Re1 Nd7 13. Nd2 Nf6 14. Ndf3 Qh5 {und hier empfahlen
diverse Kommentatoren mit 15.Te5 die Initiative zu übernehmen}) 9. Bb5+ {
dieser Zug drängt sich auf, ist aber trotzdem nicht gut} (9. O-O {es gehören
schon gute Nerven dazu in diese 'Festung' hinein zu rochieren. Der h-Bauer geht
verloren und man bekommt es mit Dame, Springer und zwei Bauern zu tun} Qxh4
10. Qe1 {und um diverse häßliche Abzüge zu verhindern muss Schwarz seinen
Angriff mit De7 aufgeben}) 9... c6 {ich hätte mit Sd7 oder Ld7 gerechnet. Die
Abtauschfolge auf c6 kann doch nur Materialverlust bedeuten} 10. dxc6 bxc6 11.
Nxc6 Nxc6 12. Bxc6+ Kf8 {wer von uns hatte hier nicht 12...Ld7 gespielt und
gehofft mit einer blosen Qualität weniger zu überleben. Anderssen 'tauscht'
den Turm gegen Initiative} 13. Bxa8 Ng3 14. Rh2 Bf5 (14... Qe7+ 15. Kf2 Ne4+ {
geht auch schon. Und jetzt z.B.} 16. Kf1 (16. Ke1 Nc3+) (16. Kg1 f3) 16... Ba6+
17. Kg1 f3 18. gxf3 Bxh2+ 19. Kxh2 Qxh4+ 20. Kg1 Qf2+ 21. Kh1 Ng3#) 15. Bd5 Kg7
{um den Te8 ins Spiel zu bringen} 16. Nc3 Re8+ 17. Kf2 Qb6 18. Na4 Qa6 {
es geht um das Feld e2 auf das jetzt Da6 und Te8 zielen.} 19. Nc3 Be5 {
ein sehr schöner Zug und nicht einfach zu finden. Selbst wenn man das Opfer
nicht annimmt kann der Läufer doch nicht viel Schaden anrichten, oder ?
Schlieslich ist der d4 ja von der Dame auf d1 gedeckt.} 20. a4 {
mit der Idee im nächsten Zug mit Sb5 die Dame auszusperren} (20. dxe5 {
für all die, die die Korrektheit des Opfers bewiesen haben möchten hier die
kurze Variante} Qb6+ 21. Ke1 Qg1+ 22. Kd2 Qe3#) 20... Qf1+ {ein wunderhübsches
Ablenkungsopfer. Die weiße Dame wird von der Deckung des d4 abgelenkt. Jetzt
versteht man auch 19...Le5} 21. Qxf1 Bxd4+ 22. Be3 Rxe3 23. Kg1 Re1# 0-1

Vabanque - 04. Jun '17
Öhhhmmm ... laut pgn spielt hier Rosanes Schwarz ... das stimmt aber nach deinem Kommentar nicht, denn in Wirklichkeit gewinnt hier Anderssen mit Schwarz :)
Colorado77 - 04. Jun '17
Wunderschöne Partie in einer genialen Eröffnung!
Das hast Du richtig gut und verständlich kommentiert!
Kellerdrache - 04. Jun '17
Ich hab die Partie aus der Datenbank eines Kollegen (ohne Kommentar). Ist mir gar nicht aufgefallen, dass die Partiedaten falsch erfasst waren. Da ich die Partie aber auch in zwei Büchern hab kann ich bestätigen, dass Anderssen schwarz gespielt hat.
Vabanque - 04. Jun '17
Daran hätte ich auch nie gezweifelt.

Mich wundert gerade noch die Variante zum 8. Zug von Schwarz, und zwar die erste, also die mit 8... De7 9. Lxf4 Sh5 10. g3. Kann Schwarz denn jetzt nicht f6 spielen und eine Figur gewinnen?
Canal_Prins - 04. Jun '17
@ Vabanque

das hast Du gut gesehen, zumal durch f6 zwei Figuren von weiss bedroht wären und nach dem Gewinn einer Leichtfigur und mit dem Folgezug von schwarz mit f5 weiss den rechten Königsflügel verwaist und Tür und Angel für schwarz öffnet.
Kellerdrache - 05. Jun '17
Manchmal können Varianten wohl auch zur kurz sein. 10...f6 ist durchaus möglich und gewinnt auch eine Figur, ist aber laut Fritz trotzdem nicht gut (0,22 für Weiß). Das Programm gibt die folgende Variante an:

10...f6 11.De2 fxe5 12.dxe5 Lc5 13.Sc3 Sxf4 14.gxf4 Tf8 15.0-0-0 Txf4 16.e6

Ohne die Analyse des Programms vollkommen zu verstehen vermute ich, dass der Königsflügel hier eher zu einem Problem für Schwarz wird. Sollte Weiß die f-Linie unter seine Kontrolle bringen können würde die 7.Reihe, vor allem f7 schnell zum Problem.

Vielleicht spiele ich das mal mit Fritz durch und teile das Ergebnis dann hier mit euch.
Vabanque - 05. Jun '17
Ok danke, das ist ja wirklich interessant. Da war die angegebene Variante wohl in der Tat zu kurz :)

Aber ich bemühe mich in meinen Kommentaren ja auch immer um Kürze der Varianten, da ich von mir selber weiß, dass man meist Widerstände hat, eine lange Variante nachzuspielen ...