Kommentierte Spiele
Bemerkenswerte Endspiele (I): Topalov-Gelfand 2010
Vabanque - 31. Mai '16
Dieses fantastische Endspiel ist mutet geradezu paradox an. Weiß hätte im 35. Zug in ein reines Bauernendspiel abwickeln können, das aber trotz Mehrbauer nicht zu gewinnen gewesen wäre (in Bauernendspielen ein absoluter Ausnahmefall!). Indem Topalov aber die Türme auf dem Brett ließ, behielt er Gewinnchancen, obwohl sein Mehrbauer ein Doppelbauer war, und in Turmendspielen doch bekanntlich sogar 'normale' (also nicht gedoppelte) Mehrbauern schwer verwertbar sind. Nach der Schlussabwicklung ist es aber gerade der Doppelbauer, der Weiß den Gewinn einbringt. Ein wahrhaft bemerkenswerter Fall.































PGN anzeigen
Veselin Topalov Boris Gelfand Linares | Linares ESP | 10 | 2010.02.24 | C42 | 1:0
8








7








6
5
4
3
2








a
1

b

c

d

e

f

g

h

1. e4 e5 2. Sf3 Sf6 Wieder eine Russische Verteidigung wie in der zuvor gezeigten Partie. 3. Sxe5 d6 4. Sf3 Sxe4 5. Sc3 In dieser Variante, die erst in neuerer Zeit populär wurde, nimmt Weiß eine Verschlechterung seiner Bauernstellung in Kauf, um schnell zu Entwicklung und Angriff zu gelangen. Die Praxis hat gezeigt, dass die kurze Rochade für Schwarz in diesem Stellungstyp äußerst gefährlich ist. Schwarz wird sowohl Schwierigkeiten haben, sich gegen den weißen Angriff zu verteidigen, wie auch, ein ebenbürtiges Gegenspiel gegen die weiße lange Rochade aufzubauen. Sxc3 6. xc3 Le7 7. Le3 O-O 8. Dd2 Sd7 9. O-O-O Te8 10. h4 c6 Schwarz will seine Dame wohl nach a5 führen, aber dazu wird es nicht kommen. 11. h5 Soll Schwarz nun h5-h6 zulassen, oder den weißen Bauern mit h7-h6 stoppen? Bereits vor über 100 Jahren entbrannte über diese häufig vorkommende Situation eine Grundsatzdebatte zwischen Steinitz und Tarrasch. Während Steinitz dafür plädierte, in solchen Stellung den angreifenden Bauern bis auf die 6. Reihe vorrücken zu lassen, um dann zur Vermeidung der Linienöffnung g7-g6 zu ziehen, hielt Tarrasch diese Vorgehensweise für verfehlt, da der weiße Bauer h6 dann eine dauerhafte einengende Wirkung auf die schwarze Königsstellung ausübt, wodurch ständig Mattgefahren auftauchen. Tarrasch empfahl daher, mittels h7-h6 den gegnersichen Bauern zu stoppen. Aber auch dieses Verfahren birgt Gefahren, wie wir gleich am praktischen Beispiel sehen werden. h6 Gelfand folgt also Tarraschs Empfehlung, die sich heutzutage auch gegen Steinitz' Auffassung durchgesetzt hat. Nun bildet der Bauer h6 aber eine so genannte Angriffsmarke für die weiße Linienöffnung mittels späterem g2-g4- g5; ein Plan, dem der Schwarze kaum etwas entgegenzusetzen hat. Auch ein eventuelles Läuferopfer auf h6 liegt stets in der Luft. Aber beide Spieler haben berechnet, dass dieses Opfer gegenwärtig nicht durchdringen würde. 12. Kb1 Es ist immer gut, wenn man nach der langen Rochade noch zu diesem Sicherungszug Zeit hat. Sf6 13. Ld3 Lf8 So wird das Opfer auf h6 jedenfalls endgültig verhindert. 14. Tdg1 Die Vorbereitungen zum Vorstoß des g- Bauern zwecks Öffnung der g-Linie beginnen. Als nächster Schritt ist dazu Sf3-h2 geplant. Sg4 15. Lf4 Df6 Nun geht die Dame also doch nicht zum Gegenspiel auf den Damenflügel, sondern soll an der Verteidigung des Königsflügels mitwirken. 16. Sh2 Sxh2 17. Txh2 Lf5 Da Gelfand den Vorstoß des weißen g-Bauern sowieso nicht verhindern kann, versucht er wenigstens genügend weiße Angriffsfiguen zu tauschen. 18. Lxf5 Dxf5 19. g4 De4 20. g5 Man erkennt die lehrbuchmäßige Ausnutzung der Angriffsmarke h6. xg5 21. Lxg5 De2 Dieses Damentauschangebot verliert die Qualität. Aber andernfalls wird der weiße Angriff einfach zu stark. 22. Dxe2 Txe2 23. Le3! Nun ist der schwarze Turm lebenslänglich eingeschlossen und wird einfach mit Kc1-d1 'abgeholt'. Nach 23... Tae8 würde Weiß allerdings zuerst noch 24. Th3! einschalten, um zu vermeiden, dass sich Schwarz mit Txe3 noch einen Bauern für die Qualität holt. Txe3 Gelfand gibt lieber gleich die Qualität; es zeigt sich nämlich, dass es sehr schwierig ist, einen Gewinnplan für Weiß zu finden. 24. xe3 Te8 25. Th3 Te6 26. c4 Le7 27. Tf3 Te5 Man erkennt die Probleme von Weiß: Doppelbauer auf der c-Linie und schwache 'Isolanis' auf e3 und h5. Schwarz kann zuversichtlich sein, die Position zu halten. 28. Tgf1 Txh5 29. Txf7 Te5 30. T7f3 Lf6 31. c3 Te4 32. Txf6!? Ob diese Abwicklung in ein Turmendspiel mit einem Mehrbauern, der ein Doppelbauer ist, in der gegenwärtigen Position wirklich die beste Gewinnchance für Weiß bietet, wage ich nicht zu beurteilen. Topalov ist allerdings nun nicht gerade der Spieler mit der größten Geduld, und ihm liegen auch keine Stellungen mit unklaren Materialverhältnissen. xf6 33. Txf6 Txe3 34. Txd6 Nun droht Td7 mit Eroberung eines weiteren Bauern und totaler Gewinnstellung. Kf7 Freundliche Einladung zur Überleitung ins Bauernendspiel. 35. Kc2
Offenbar waren sich hier beide Spieler in der Beurteilung der Stellung nach 35. Td7+ Te7 36. Txe7+ Kxe7 einig, nämlich dass sie für Weiß nicht zu gewinnen ist. Der Doppelbauer verhindert die Bildung eines Freibauern, und der weiße König kann auch nicht eindringen, wenn Schwarz korrekt spielt. Es ist sicher lehrreich, diese Stellung mal mit beiden Seiten gegen einen Schachfreund oder gegen Fritz & Co. zu probieren. Wie aber soll ein Gewinn im Turmendspiel funktionieren? Lassen wir uns überraschen. Die Geschehnisse werden an Zauberei grenzen.
Te2+ 36. Kb3 Ke7 37. Td4 c5 38. Td3 b6 39. Ka3 Tc2 40. Td5 a5 41. Td3 Th2 42. b3 Tc2 Das Remis scheint besiegelt. 43. Ka4!? Nur mit diesem Bauernopfer kommt Weiß weiter. Txa2+ 44. Kb5 Tb2 45. Kxb6 a4! 46. Kxc5 Txb3! Zunächst verteidigt sich Schwarz hervorragend. Nach xb3? 47. Kb4 Tb1 48. c5 b2 49. Kb3 Th1 der b-Bauer fällt sowieso, aber Schwarz holt sich dafür den vorderen der beiden weißen c-Bauern 50. Kxb2 Th5 51. Kb3 Txc5 52. Kb4 Tc8 53. c4 gewinnt Weiß, da der schwarze König abgeschnitten ist. Das Gewinnverfahren wird in den gängigen Endspielbüchern demonstriert.
47. Kc6 a3 48. c5 Ke8 49. Th3 a2? Nach Analysen Gelfands nach der Partie hätte hier Ke7 die Stellung gehalten. Die Gewinnführung von Weiß nach dem Textzug ist verblüffend und lehrreich zugleich. 50. Th8+ Ke7 51. Ta8 Tb2 52. Kc7 Tc2 53. c6 Tb2 54. c4 Tc2 55. Ta6 Tb2 56. c5 Ke6 57. Ta5 Bevor der weiße König dem 'vorderen' c-Bauern den Weg frei macht, wird vorsorglich der 'hintere' c-Bauer gedeckt. Der wiederum musste vor dem entscheidenden Schlag nach c5 gebracht werden, damit der schwarze König später nicht das Feld d6 betreten kann. Tc2 58. Kb7 Tb2+ 59. Kc8 Ke7 60. c7 Ke8 61. Txa2! Am Schluss noch ein studienartiger Knalleffekt. Txa2 62. Kb7
Vabanque - 31. Mai '16
Jetzt seh ich erst, er hat das &-Zeichen (bei Fritz & Co.) nicht genommen :(
Und ich glaubte schon, endlich mal einen Beitrag ohne Schreibfehler gepostet zu haben, es ist ja (im Gegensatz zur vorigen Partie) auch 'Russische Verteidigung' endlich korrekt geschrieben ;)
Und ich glaubte schon, endlich mal einen Beitrag ohne Schreibfehler gepostet zu haben, es ist ja (im Gegensatz zur vorigen Partie) auch 'Russische Verteidigung' endlich korrekt geschrieben ;)
cutter - 31. Mai '16
Die neue Reihe hat wirklich ihre Vorzüge. Tolles Endspiel!
Bluemax - 01. Jun '16
klasse partie !
solche partien dieser elo- riesen sehen immer so einfach aus beim nachspielen, sitzt man jedoch selbst am brett..., naja, das kennen wir ja alle ;)
sauber kommentiert, vor allem die 'ewige' frage ob man selbst h7h6 spielt oder h6 zulässt und g7g6 spielt.
lg
solche partien dieser elo- riesen sehen immer so einfach aus beim nachspielen, sitzt man jedoch selbst am brett..., naja, das kennen wir ja alle ;)
sauber kommentiert, vor allem die 'ewige' frage ob man selbst h7h6 spielt oder h6 zulässt und g7g6 spielt.
lg
Kellerdrache - 01. Jun '16
Erst beim letzten Mannschaftskampf sagte mir ein Schachfreund, dass schlimme bei den ganzen Schachregeln sei, dass es immer so viele Ausnahmen gäbe. Da hatte er gerade eine Partie verloren wo er das Läuferpaar besaß es aber über weite Strecken keine offenen Diagonalen gab.
Diese Partie ist ein schönes Beispiel das es im Schach eigentlich nur Faustregeln gibt. Sie helfen einem die Orientierung zu gewinnen aber sie können immer durch andere Aspekte außer Kraft gesetzt werden.
Für alle die gelernt haben "ein Doppelbauer ist schlecht" aber nie verstanden haben was daran eigentlich schlecht ist dieses Beispiel super-lehrreich. Es zeigt genau wann ein Doppelbauer sogar stark sein kann und damit auch was man vermeiden sollte wenn man gegen Doppelbauern spielt.
Diese Partie ist ein schönes Beispiel das es im Schach eigentlich nur Faustregeln gibt. Sie helfen einem die Orientierung zu gewinnen aber sie können immer durch andere Aspekte außer Kraft gesetzt werden.
Für alle die gelernt haben "ein Doppelbauer ist schlecht" aber nie verstanden haben was daran eigentlich schlecht ist dieses Beispiel super-lehrreich. Es zeigt genau wann ein Doppelbauer sogar stark sein kann und damit auch was man vermeiden sollte wenn man gegen Doppelbauern spielt.
Vabanque - 01. Jun '16
Es handelt sich hier ja sogar um eine Eröffnungsvariante, wo Weiß freiwillig den Doppelbauern in Kauf nimmt, ganz ähnlich den bekannten Abspielen aus der Spanischen und aus Caro-Kann, wo Schwarz dies tut:
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. Lxc6 dxc6 (Spanisch)
bzw.
1. e4 c6 2. d4 d5 3. Sc3 dxe4 4. Sxe4 Sf6 5. Sxf6 exf6 (oder auch gxf6) (Caro-Kann)
Außerdem fällt mir noch die Sämisch-Variante aus Nimzo-Indisch ein:
1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sc3 Lb4 4. a3 Lxc3+ 5. bxc3
Wer kennt weitere Beispiele?
Warum ist der Doppelbauer gewöhnlich 'schlecht'? Habe das in der Partie mal kurz angesprochen: Weil auf der betreffenden Seite dann die Bildung eines Freibauern auch bei Bauernmehrheit kaum mehr möglich ist. Im Nimzo-Inder kann der Doppelbauer auch zum Angriffsobjekt werden. Schwarz kann so spielen, dass er ihn zunächst mit c7-c5 festlegt und danach belagert. Weiß wird aber in der Zwischenzeit einen Königsangriff aufbauen.
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. Lxc6 dxc6 (Spanisch)
bzw.
1. e4 c6 2. d4 d5 3. Sc3 dxe4 4. Sxe4 Sf6 5. Sxf6 exf6 (oder auch gxf6) (Caro-Kann)
Außerdem fällt mir noch die Sämisch-Variante aus Nimzo-Indisch ein:
1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sc3 Lb4 4. a3 Lxc3+ 5. bxc3
Wer kennt weitere Beispiele?
Warum ist der Doppelbauer gewöhnlich 'schlecht'? Habe das in der Partie mal kurz angesprochen: Weil auf der betreffenden Seite dann die Bildung eines Freibauern auch bei Bauernmehrheit kaum mehr möglich ist. Im Nimzo-Inder kann der Doppelbauer auch zum Angriffsobjekt werden. Schwarz kann so spielen, dass er ihn zunächst mit c7-c5 festlegt und danach belagert. Weiß wird aber in der Zwischenzeit einen Königsangriff aufbauen.
kimble - 01. Jun '16
Ein ähnlich differenziertes Bild kann sich auch für den " Isolani" (losgelöster Bauer) ergeben, den es nach der schachlichen " Schulmedizin" ja auch zu vermeiden gilt. Je nach Position und auch Fortgeschrittenheit von der Grundlinie kann er u.U.ausgezeichnete Dienste leisten z.B.als " Brückenkopf" für weitere Leichtfiguren. Sowohl beim Doppelbauern als auch Isolani gilt es m.E. nach, Materialverlust contra Positionsvorteil abzuwägen.
Beste Grüße,
kimble
Beste Grüße,
kimble
Hasenrat - 01. Jun '16
Ich hab auch noch den rostigen "Nagel im Kopf": "Dopppelbauer = schlimme Stellungsverhunzung"
Aber ich schließe mich SF kimble an: es kommt ja auf die Situation u. Position an, in welcher dieser Doppelbauer eingebettet ist. Zunächst einmal bedeutet er ja auch "offene Linie", also Spielöffnung u. Aktivierung.
Aber ich schließe mich SF kimble an: es kommt ja auf die Situation u. Position an, in welcher dieser Doppelbauer eingebettet ist. Zunächst einmal bedeutet er ja auch "offene Linie", also Spielöffnung u. Aktivierung.
Kellerdrache - 01. Jun '16
Mir hat man es mal so erklärt : Der Doppelbauer ist eine defensive Schwäche, d.h. es ist relativ aufwendig (also aufwendiger als bei "normalen" Bauern) beide Bauern gedeckt zu halten da sie sich nicht gegenseitig helfen können. Offensiv ist der Doppelbauer keine Schwäche (wie in der Partie zu sehen), manchmal sogar stärker als normale Bauern.
Nach dieser Regel wäre also dem Besitzer eines solchen Bauernpaares zu empfehlen sie möglichst offensiv einzusetzen.
Zum Isolani hat Tarrasch ja mal geschrieben: "Wer Angst davor hat mit einem Isolani zu spielen kann kein Schach spielen". (Das Zitat ist sinngemäß).
Nach dieser Regel wäre also dem Besitzer eines solchen Bauernpaares zu empfehlen sie möglichst offensiv einzusetzen.
Zum Isolani hat Tarrasch ja mal geschrieben: "Wer Angst davor hat mit einem Isolani zu spielen kann kein Schach spielen". (Das Zitat ist sinngemäß).
Hasenrat - 01. Jun '16
Ich selbst neige gefühlsmäßig dazu, den Doppelbauern v. a. im erweiterten Zentrum defensiv als stark einzuschätzen - aus optischer Täuschung: Festungsmasse. Und weil ich denke: prima, einen Nachrücker in petto, wenn der Vordermann durch einen Abtausch hops geht. Leider tun mir viele Gegner dann eben nicht die Liebe, mir zu helfen, den Doppelbauern zu diesem Zweck u. Ende aufzulösen.
Vabanque - 01. Jun '16
Nun ja, man strebt gefühlsmäßig immer nach der Auflösung des Doppelbauern ... aber in obiger Partie gewann Weiß ja gerade dadurch, dass der Doppelbauer bis zum Schluss bestehen blieb ... der 'vordere' wollte gerne eine Lady werden, und der 'hintere' tat der potenziellen Königin den Gefallen, sie gegen alle Unbilden zu beschirmen ;)
@Kellerdrache: Das genaue Zitat müsste ich auch jetzt erst suchen. Tatsache ist, dass der zentrale Isolani in der Hand eines Angriffsspielers eine sehr starke Waffe sein kann. In der Verteidigung verliert man mit einem Isolani immer. Ähnlich ist es wohl mit dem Doppelbauern.
@Kellerdrache: Das genaue Zitat müsste ich auch jetzt erst suchen. Tatsache ist, dass der zentrale Isolani in der Hand eines Angriffsspielers eine sehr starke Waffe sein kann. In der Verteidigung verliert man mit einem Isolani immer. Ähnlich ist es wohl mit dem Doppelbauern.
Bluemax - 01. Jun '16
vielleicht könnte man zum thema doppelbauern noch unterscheiden ob es sich um die äußerst schwache formation wie c6/c7 handelt, oder aber dieses von HR beschriebene
'bollwerk' in form von h7/g7/f7/f6.
in letztere hab ich mich glaub ich etwas 'verliebt' !
'bollwerk' in form von h7/g7/f7/f6.
in letztere hab ich mich glaub ich etwas 'verliebt' !