Kommentierte Spiele

Außer der Reihe Nr.2

Kellerdrache - 02. Apr '16
Vor einiger Zeit habe ich eine Partie von Smyslov hier vorgestellt, der ja oft in der Reihe der großen Weltmeister vergessen wird. Max Euwe ist jemand der dieses Schicksal mit ihm teilt. Es gibt viele die meinen er wäre nur Weltmeister geworden weil Aljechin damals zuviel getrunken haben. Wer sich die Partien des damaligen Wettkampf anschaut muß aber einsehen, dass man Euwe damit zumindest teilweise Unrecht tut. Er, der jahrelang den Ruf hatte korrekt, methodisch ( absolut richtig) dogmatisch und langweilig (zu unrecht) zu sein spielte dort einfallsreich und auch taktisch voll auf der Höhe seines Gegenübers.
Als Halbprofi, der ja noch seinem Lehrerberuf nachging spielte er in Zürich gegen die damals Stärksten der Welt. Dabei gelang ihm die folgende Partie, die der Kollege Vabanque auch ohne weiteres in seiner Reihe spektakuläre Züge hätte verwenden können.

Geller, Efim Euwe, Max Zürich | 2 | 1953 | E28 | 0:1
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 Sf6 2. c4 e6 3. Sc3 Lb4 4. e3 c5 5. a3 Lxc3+ 6. xc3 Die Sämisch Variante der Nimzo-Indischen Verteidigung. Im Kommentar zu einer anderen Partie habe ich einmal ein möglichst aggressives Vorgehen gegen das weiße Zentrum empfohlen. Euwes Plan sieht erstmal viel friedfertiger aus. b6 7. Ld3 Lb7 8. f3 Der Streit bis hierhin konzentriert sich auf das Durchsetzen von e4. Der nächste Zug richtet sich ebenfalls noch gegen e4. Indem er d4 angreift verhindert Euwe kurzfristig den Vorstoß des e-Bauern, da dem d4 dann eine Deckung fehlen würde. Sc6 9. Se2 O-O 10. O-O Das ist der Zeitpunkt wo sich alles um das Thema Planfindung dreht. Entwickelt sind beide Parteien. In kurzform sehen die Pläne so auß. Weiß: Besetzten des Zentrums. Schwerfiguren auf den Königsflügel, Angriff auf h7. Schwarz: Öffnen der c-Linie, Angriff auf die c-Bauern, Eindringen am Damenflügel. Sa5 11. e4 Se8 Dieser Zug ist nicht so einfach zu verstehen. Sa5 sieht ja noch logisch aus, wenn man weiß, dass es um den c4 geht. man rechnet dann mit cxd4 und Tc8 als den nächsten Zügen. Bronstein erklärt es in seinem famosen Turnierbuch folgendermaßen: Zum einen geht man der Fesselung mit Lg5 aus dem Weg. Das ist nicht ganz trivial, da Weiß so etwas wie f4, gefolgt von e5 oder f5 plant. Jetzt ist nicht nur die Fesselung unmöglich sondern man kann auf f4 auch mit f5 antworten. 12. Sg3 f4 ist immer noch der Plan. Vorher versucht Geller den Gegenstoß f5 zu verhindern. Vom Bauern c4 verabschiedet man sich hier schon. Alle Deckungsversuche lenken nur vom viel interessanteren Königsangriff ab xd4 13. xd4 Tc8 14. f4
14. c5 hätte Geller spielen können wenn er mit Remis zufrieden gewesen wäre. xc5 15. xc5 Txc5 16. Le3 nebst Lxa7
Sxc4 15. f5 16. f6 sähe jetzt ungemütlich aus. Sxf6 liefe nach Lg5 in die Fesselung hinein und mit gxf6 öffnet man seine Festung. Deshalb folgt vorsorglich f6
xf5 das lehnte Euwe ab. 16. Sxf5 Scd6 17. Sg3 und der Plan ist e5, gefolgt von den Zügen Dh5 und Sf5
16. Tf4 Ein Angriffsplan so einfach wie wirkungsvoll. Turm auf h4, Dame auf h5 und so weiter. Eine passive Verteidigung ist kaum aufzubauen. b5! Es gab in dieser Partie einige Züge von Euwe die ich nur schwer selber verstande habe. b5 dient hier nicht etwa der Deckung des Springers. Der holländische Ex-Weltmeister räumt einfach b6 für seine Dame. Im Nachhinein bin auch ich eben schlauer. 17. Th4 Db6 Gegenangriff auf d4. Wie deckt man am einfachsten ohne den Angriff zu unterbrechen ? 18. e5 Sehr hübsch, auch wenn Geller die Partie verloren hat. Das der Th4 jetzt seitlich den d-Bauern deckt ist eher ein netter Nebeneffekt. Weiß opfert den e-Bauern um den Angriff auf h7 zu verstärken. Sxe5 Die Dame auf b6 fesselt ja den d-Bauern. fxe5 ist weniger gut, weil man ja Linien auf den eigenen König öffnet. Der Springer greift von e5 auch noch eine der Angriffsfiguren an. 19. xe6 Sxd3 20. Dxd3 Dxe6
Wow, wer von uns hätte nicht hier viel eher g6 gespielt ? Darauf könnte es so weitergehen 21. Lh6
21. xd7 sieht besser aus als es ist. Dc6 da Matt auf g2 droht und gedeckt werden muss hat man Zeit zu Dxd7
Sg7 22. Lxg7 Kxg7 23. Sf5+ xf5
Kh8 24. Se7
24. Dxf5 Th8 25. Tg4+ Kf8 26. Dxf6+
21. Dxh7+ Kf7 22. Lh6 Th8!! Sensationell. Geller ist gerade dabei die schwere Artillerie aufzufahren. Man sieht quasi schon Sf5, Tg3 usw folgen. Und Euwe macht einen Zug, der den Angriff in keinster Weise schwächer macht. Doch Euwe denkt hier gar nicht an Verteidigung sondern an Gegenangriff. 23. Dxh8 Durch dieses Opfer wurde die Dame von der Deckung des Feldes c2 abgelenkt. Tc2 24. Tc1
24. d5 das ist gemäß nachträglicher Analyse die beste Verteidigung. doch wer findet so etwas am Brett. Lxd5
schlechter ist Dxd5 25. Te4
25. Td1 Txg2+ 26. Kf1 xh6 27. Dxh6 Sg7 Selbst die GMs sind sich hier uneinig ob Schwarz oder Weiß besser steht. Euwe und Bronstein geben Schwarz den Vorzug, Kasparov meint man hätte nicht genug Kompensation für die Qualität.
Txg2+ 25. Kf1 Db3 und Schwarz dringt über d3 oder f3 ein 26. Ke1 Df3
PGN anzeigen
[Event "Zürich"]
[Date "1953.??.??"]
[Round "2"]
[White "Geller, Efim"]
[Black "Euwe, Max"]
[Result "0-1"]
[ECO "E28"]
[PlyCount "52"]

1. d4 Nf6 2. c4 e6 3. Nc3 Bb4 4. e3 c5 5. a3 Bxc3+ 6. bxc3 {Die Sämisch
Variante der Nimzo-Indischen Verteidigung. Im Kommentar zu einer anderen
Partie habe ich einmal ein möglichst aggressives Vorgehen gegen das weiße
Zentrum empfohlen. Euwes Plan sieht erstmal viel friedfertiger aus.} b6 7. Bd3
Bb7 8. f3 {Der Streit bis hierhin konzentriert sich auf das Durchsetzen von e4.
Der nächste Zug richtet sich ebenfalls noch gegen e4. Indem er d4 angreift
verhindert Euwe kurzfristig den Vorstoß des e-Bauern, da dem d4 dann eine
Deckung fehlen würde.} Nc6 9. Ne2 O-O 10. O-O {Das ist der Zeitpunkt wo sich
alles um das Thema Planfindung dreht. Entwickelt sind beide Parteien. In
kurzform sehen die Pläne so auß. Weiß: Besetzten des Zentrums. Schwerfiguren
auf den Königsflügel, Angriff auf h7. Schwarz: Öffnen der c-Linie, Angriff auf
die c-Bauern, Eindringen am Damenflügel.} Na5 11. e4 Ne8 {Dieser Zug ist nicht
so einfach zu verstehen. Sa5 sieht ja noch logisch aus, wenn man weiß, dass es
um den c4 geht. man rechnet dann mit cxd4 und Tc8 als den nächsten Zügen.
Bronstein erklärt es in seinem famosen Turnierbuch folgendermaßen: Zum einen
geht man der Fesselung mit Lg5 aus dem Weg. Das ist nicht ganz trivial, da
Weiß so etwas wie f4, gefolgt von e5 oder f5 plant. Jetzt ist nicht nur die
Fesselung unmöglich sondern man kann auf f4 auch mit f5 antworten.} 12. Ng3 {
f4 ist immer noch der Plan. Vorher versucht Geller den Gegenstoß f5 zu
verhindern. Vom Bauern c4 verabschiedet man sich hier schon. Alle Deckungsversuche lenken nur vom viel interessanteren Königsangriff ab} cxd4 13. cxd4 Rc8 14.
f4 (14. c5 {
hätte Geller spielen können wenn er mit Remis zufrieden gewesen wäre.} bxc5 15.
dxc5 Rxc5 16. Be3 {nebst Lxa7}) 14... Nxc4 15. f5 {16. f6 sähe jetzt
ungemütlich aus. Sxf6 liefe nach Lg5 in die Fesselung hinein und mit gxf6
öffnet man seine Festung. Deshalb folgt vorsorglich} f6 (15... exf5 {
das lehnte Euwe ab.} 16. Nxf5 Ncd6 17. Ng3 {
und der Plan ist e5, gefolgt von den Zügen Dh5 und Sf5}) 16. Rf4 {Ein Angriffsplan so einfach wie wirkungsvoll. Turm auf h4, Dame auf h5 und so weiter. Eine
passive Verteidigung ist kaum aufzubauen.} b5 $1 {Es gab in dieser Partie
einige Züge von Euwe die ich nur schwer selber verstande habe. b5 dient hier
nicht etwa der Deckung des Springers. Der holländische Ex-Weltmeister räumt
einfach b6 für seine Dame. Im Nachhinein bin auch ich eben schlauer.} 17. Rh4
Qb6 {Gegenangriff auf d4. Wie deckt man am einfachsten ohne den Angriff zu
unterbrechen ?} 18. e5 {Sehr hübsch, auch wenn Geller die Partie verloren hat.
Das der Th4 jetzt seitlich den d-Bauern deckt ist eher ein netter Nebeneffekt.
Weiß opfert den e-Bauern um den Angriff auf h7 zu verstärken.} Nxe5 {Die Dame auf b6 fesselt ja den d-Bauern. fxe5 ist weniger gut, weil man ja Linien auf
den eigenen König öffnet. Der Springer greift von e5 auch noch eine der
Angriffsfiguren an.} 19. fxe6 Nxd3 20. Qxd3 Qxe6 ({
Wow, wer von uns hätte nicht hier viel eher} 20... g6 {
gespielt ? Darauf könnte es so weitergehen} 21. Bh6 (21. exd7 {
sieht besser aus als es ist.} Qc6 {
da Matt auf g2 droht und gedeckt werden muss hat man Zeit zu Dxd7}) 21... Ng7
22. Bxg7 Kxg7 23. Nf5+ gxf5 (23... Kh8 24. Ne7) 24. Qxf5 Rh8 25. Rg4+ Kf8 26.
Qxf6+) 21. Qxh7+ Kf7 22. Bh6 Rh8 $3 {Sensationell. Geller ist gerade dabei die
schwere Artillerie aufzufahren. Man sieht quasi schon Sf5, Tg3 usw folgen. Und
Euwe macht einen Zug, der den Angriff in keinster Weise schwächer macht. Doch
Euwe denkt hier gar nicht an Verteidigung sondern an Gegenangriff.} 23. Qxh8 {
Durch dieses Opfer wurde die Dame von der Deckung des Feldes c2 abgelenkt.} Rc2
24. Rc1 (24. d5 {das ist gemäß nachträglicher Analyse die beste Verteidigung.
doch wer findet so etwas am Brett.} Bxd5 ({schlechter ist} 24... Qxd5 25. Re4)
25. Rd1 Rxg2+ 26. Kf1 gxh6 27. Qxh6 Ng7 {Selbst die GMs sind sich hier
uneinig ob Schwarz oder Weiß besser steht. Euwe und Bronstein geben Schwarz
den Vorzug, Kasparov meint man hätte nicht genug Kompensation für die Qualität.
}) 24... Rxg2+ 25. Kf1 Qb3 {und Schwarz dringt über d3 oder f3 ein} 26. Ke1 Qf3
0-1
Sam0907 - 02. Apr '16
Smyslow werde ich nie vergessen - habe mal gegen ihn spielen dürfen
Vabanque - 03. Apr '16
Eine Partie, die ich schon lange kenne, die ich aber noch nie so wirklich verstehen konnte. Du hast sie in deinen Kommentaren aber immerhin so dargestellt, dass man beim Nachspielen nicht hilflos ausgeliefert ist.
22... Th8!! ist natürlich ein Knaller. Kein Wunder, dass Geller ab da nicht mehr die besten Züge macht. Wenn man meint, man hätte den Gegner schon fast im Sack, und plötzlich kommt so was, ist man natürlich erstmal total aus der Bahn geworfen.

Reuben Fine hat in einem seiner Bücher Euwe den am meisten unterschätzten Spieler genannt. Und das, obwohl Euwe Weltmeister war. Ich weiß, viele glauben, Euwe hätte nur deswegen das erste Match gegen Aljechin gewonnen, weil Aljechin zu viel getrunken hätte. Das ist aber eine sehr billige Ausrede. Euwe hat gewonnen, weil Aljechin ihn unterschätzt hat. Das schmälert Euwes Sieg aber nicht. Aljechin hat ja schließlich auch das Match gegen Capablanca gewonnen, weil Letzterer ihn unterschätzt hat (denke ich). Nur dass Capa nie die Chance auf einen Rückkampf bekam (wobei niemand weiß, wie dieser ausgegangen wäre), Aljechin gegen Euwe dagegen schon. Und hier hat Euwe ironischerweise Aljechin unterschätzt (er glaubte nicht, dass A. noch einmal zu seiner alten Form auflaufen würde) ;)