Kommentierte Spiele

Locker, leicht und lehrreich (I): Capablanca-Aljechin 1913

Vabanque - 11. Jul '18
So, nun habe ich also die 1. Folge der neuen Serie erstellt.

Ausführliche Infos zum neuen Konzept gibt es in diesem Thread:

/forum/topic.html?key=e664ad9ab7354f00&sv=11

Ich habe alle selbst gestellten Bedingungen eingehalten:

- Die Partie dauert nicht länger als 35 Züge (real ist diese eigentlich nach 27 Zügen vorbei)

- Die wesentlichen Züge, Pläne und strategischen wie taktischen Merkmale werden VERBAL erklärt

- Varianten werden nur angeführt, wenn unbedingt nötig; sie sind höchstens 5 Züge (= 10 Halbzüge) lang

- Es sollen nur Stellungsbilder auftreten, die auch in Amateurpartien vorkommen können

- Es sollen auch die fehlerhaften Züge und Pläne erläutert werden (bzw. die möglichen Gedanken, die zu diesen Fehlern geführt haben)

Nun, ich hoffe, die Kommentierung ist mir gelungen. Das entscheidet ihr jetzt natürlich selbst :)

Es wäre dann schön, wenn ihr mir sagen würdet, was sich am Kommentierungsstil noch verbessern lässt. Mir selber kommen die Kommentare immer noch lang vor, ich habe mich aber nicht zur Kürzung entschließen können.

Und vor allem: ich hoffe, die Partie gefällt euch! Sie wurde 1913 von Capablanca mit Weiß gegen Aljechin gespielt, und war die erste Begegnung dieser beiden Kontrahenten.

Am Ende (nach der Partie) habe ich noch eine Liste von Dingen zusammengestellt, die man m.E. aus dieser Partie lernen kann (bzw. die ich selber daraus gelernt habe).



Jose Raul Capablanca Alexander Alekhine Savorin Cup | St Petersburg RUE | 1 | 1913.12.14 | D30 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 d5 2. c4 c6 3. e3 Sf6 4. Sf3 e6 Eine Eröffnung, wie sie auch im Amateurbereich alle Tage vorkommt: die 'halbslawische' Verteidigung, die dadurch charakterisiert ist, dass Schwarz seinen Bauern d5 sowohl mit c6 wie auch mit e6 stützt, und den Damenläufer zunächst eingesperrt lässt, um seine Befreiung auf später zu verschieben. 5. Sbd2 Capablanca macht hier etwas, das auch der heutige Weltmeister Carlsen oft tut: er spielt einen 'zahmeren' Zug, um den Gegner aus der gängigen Theorie herauszuführen. Wie die meisten Eröffnungszüge hat der Zug Vor- und Nachteile; der Nachteil von Sbd2 (gegenüber Sc3) besteht darin, dass der Druck auf d5 abgeschwächt wird, so dass Schwarz leichter zu c6-c5 kommt; der Vorteil von Sbd2 ist allerdings, dass nach einem späteren Nehmen auf c4 (um einem schwarzen Springer das Feld d5 freizumachen) Weiß jetzt mit dem Springer wiedernehmen kann, der dann sofort an der Kontrolle von e5 mitwirkt. So wird es in dieser Partie auch geschehen. Sbd7
Möglicherweise war es hier tatsächlich am besten, den Umstand auszunutzen, dass der weiße Damenspringer nicht auf d5 drückt und sofort c5 zu spielen, obwohl dann dieser Bauer schon zum zweiten Mal zieht.
6. Ld3 Le7 7. O-O O-O 8. Dc2 Weiß konnte hier sofort energisch im Zentrum mit e3-e4 vorgehen; er konnte auch b3 spielen, um den Damenläufer nach b2 zu entwickeln. Aber auch der Textzug hat einiges für sich, wie wir bald sehen werden; so wie Schwarz spielt, wird sich die Damenstellung auf c2 sogar als besonders günstig erweisen. xc4?! Siehe die Anmerkung zum 5. Zug von Weiß.
b6 nebst Lb7 und baldigem c5 zur Befreiung des Damenläufers sieht wie ein plausibler Plan für Schwarz in dieser Stellung aus. Was Aljechin aber vermutlich daran gestört hat, ist der Umstand, dass Weiß mit 9. xd5 diesen Plan durchkreuzen kann. Da c6 hängt, kann Schwarz nur xd5 zurücknehmen, wonach der spätere Lb7 dauerhaft vom Bauern d5 eingesperrt bleiben wird. Die Frage ist natürlich, ob dies tatsächlich einen echten Nachteil für Schwarz bedeutet, der von Weiß auch ausgenutzt werden kann.
Eine andere Möglichkeit bestand in c5 , womit Schwarz aber nach 9. xd5 einen Isolani in Kauf nehmen muss, da der Springer f6 an die Deckung von h7 gebunden ist und somit nicht zurücknehmen kann (man erkennt die Wirklung der Dc2, und dass c5 gleich im 5. Zug halt doch unproblematischer gewesen wäre): xd5 und Weiß kann z.B. mit 10. b3 nebst Lb2 fortfahren und steht gut.
9. Sxc4 c5 Ohne diesen Gegenstoß gegen das weiße Zentrum kommt Schwarz natürlich nicht aus. 10. Sce5 xd4 Aljechin hat nicht bloß aus Mangel an Ideen auf c4 getauscht; er hat einen Plan, der auch prinzipiell ganz gut ist: er möchte den weißen Damenbauern vereinzeln (also zu einem Isolani machen), um danach in klassischer Weise das Feld vor dem Isolani (in diesem Fall das Feld d5) mit einem Springer zu besetzen. 11. xd4 Den Isolani hat Capa schon bei 10. Sce5 in Kauf genommen, denn mit dem Springer f3 kann er ja nicht auf d4 wiedernehmen, da dieser dann die Deckung des Se5 aufgeben würde. Sb6 Entsprechend dem erwähnten Plan. Das Springerfeld d5 wird Weiß dem Schwarzen nun nicht mehr streitig machen können. Aber erstens hat das Nehmen mit dem Bauern auf d4 Weiß nicht nur den Isolani verschafft, sondern auch dem Lc1 eine schöne Diagonale beschert, und zweitens hat jetzt Capablanca eine simple taktische Möglichkeit, eine Schwächung der schwarzen Königsstellung herbeizuführen. 12. Sg5! Der dreimalige Angriff auf den Punkt h7 erzwingt die folgende Antwort. g6
Denn nach dem prinzipiell wünschenswerten h6?? gewinnt Weiß auf der Stelle mit 13. Lh7+ Kh8
Sxh7 14. Dxh7#
14. Sxf7+ Txf7 15. Sxf7# (Dasselbe passiert übrigens auf 12... Dxd4??)
13. Sgf3! Der Springer hat auf g5 seine Schuldigkeit getan und kann auf das Feld zurückkehren, wo er a) d4 wieder deckt und b) dem Lc1 die Möglichkeit gibt, nach h6 zu laufen, was Schwarz daher mit dem nächsten Zug verhindert. Kg7 14. Lg5 Sbd5 Aljechin folgt weiter seinem Plan, und seine Stellung sieht auch durchaus fest aus.
Konnte er nicht mit h6?? den weißen Läufer 'befragen' (eine Terminologie von Nimzowitsch)? Nein, das Opfer 15. Lxg6! hätte sofort die durch h6 geschehene Schwächung von g6 ausgenutzt: xg5
xg6 16. Dxg6+ Kh8 17. Lxh6 (droht Matt auf g7) Tg8 18. Sf7#
16. Lxf7! (es geht immer um das Betreten von g6 durch die weiße Dame) Txf7 17. Dg6+ Kh8
Kf8 18. Dxf7#
18. Sxf7#
15. Tac1 Ld7
Für den Amateur sieht hier Sb4 verlockend aus, aber nach 16. Dd2 , was Lh6+ droht, würde sich der Zug nur als Zeitverlust entpuppen: Schwarz müsste genau wie in der Partie Sg8 spielen. Ein Tausch auf d3 würde Schwarz dagegen nichts einbringen, da in dieser Stellung der Ld3 sowieso nichts bewirkt, während Schwarz seinen Springer am zentralen Punkt d5 benötigt. Auf genau derselben Erwägung wird auch der 18. Zug von Weiß basieren.
16. Dd2 Geht nicht nur dem zu erwartenden Angriff durch Tc8 aus dem Weg, sondern droht auch Lh6+, die Schwarz mit seinem nächsten Zug abwehrt. Sg8 17. Lxe7 Dxe7 An dieser Stelle mag Aljechin mit seiner Stellung recht zufrieden gewesen sein: er ist nahezu vollständig entwickelt, hat den Punkt d5 fest in der Hand, und seine schwarzfeldrigen Schwächen am Königsflügel, die durch den erzwungenen Aufzug des g-Bauern entstanden waren, sind durch den Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer scheinbar nahezu bedeutungslos geworden. 18. Le4! Einer dieser verblüffend einfachen Züge, die vermutlich keiner von uns gefunden hätte: da der Läufer sowieso auf das Bauerndreieck f7-g6-h7 beißt, besteht seine beste Verwendung im Abtausch gegen den Stolz der schwarze Truppe: den schwarzen Zentralspringer. Da eine Figur, die auf einem Feld vor dem Isolani steht, durch Bauernzüge nicht mehr gestört werden kann (denn der Isolani hat ja keine Nachbarn), muss man ihn durch Figuren abzutauschen suchen. Lb5?! Im begreiflichen Bedürfnis, seinen Läufer zu aktivieren, treibt Aljechin den angegriffenen Turm auf ein besseres Feld. (Das ist ja etwas, das wir Amateure täglich machen: wir greifen gegnerische Figuren so an, dass sie auf gute Felder fliehen können.)
Sgf6 war besser, damit Schwarz nach dem Abtausch auf d5 mit dem anderen Springer zurücknehmen kann: 19. Lxd5 Sxd5 20. Sg4?! f6 (hält die weißen Springer von g5 und e5 ab; nach dem Abtausch des schwarzfeldrigen Läufers deckt der Bauer nun teilweise die geschwächten Punkte) 21. Dh6+ Kg8 und Schwarz hätte zunächst nichts zu fürchten.
19. Tfe1 Plötzlich droht Lxd5 nebst Sxg6. Dd6? Sieht ja optisch gut aus: die Dame geht aus der Turmline und pariert damit die erwähnte Drohung. Der Zug scheitert allerdings taktisch, wie sich gleich zeigt.
Dringend notwendig war Sgf6 ähnlich der Anmerkung zum 18. Zug von Schwarz, wobei Schwarz nicht mehr ganz so gut wegkommt wie dort, da sein Lb5 schlechter steht (er kann z.B. mit Tc5 angegriffen werden) und der weiße Te1 besser steht.
20. Lxd5 xd5
Erzwungen, da nach Dxd5 21. Tc5 Schwarz eine Figur einbüßen würde. Nun kann Schwarz das Feld d5 für seine Figuren nicht mehr nutzen.
21. Da5! Das ist der Clou, und zeigt, warum Lb5 nicht gut war: Durch Angriff auf den 'losen' Lb5 erzwingt Weiß das Eindringen auf die 7. Reihe, oder wahlweise eine grausame Schwächung der schwarzen Bauernstellung am Damenflügel. Mag sein, dass Aljechin bei Lb5 nebst Dd6 diesen weißen Zug übersehen hat; oder aber er hat die Kraft des Eindringens auf die 7. Reihe unterschätzt. a6? Der letzte Fehler.
Mit Lc6 konnte Aljechin das Eindringen auf die vorletzte Reihe noch verhindern, doch nach 22. Sxc6 xc6 23. Se5 stünde er positionell trostlos: Weiß würde alle Kräfte auf den rückständigen Bauern c6 und den isolierten Bauern a7 konzentrieren, und Schwarz könnte kein Gegenspiel aufbauen. Eine derart passive Stellung ist keine Option für einen Aljechin.
22. Dc7 Man sieht, dass dieses Eindringen nur durch den Abtausch des Sd5 möglich geworden ist; ein Springer auf d5 würde c7 immer decken. Dxc7
Auf De7 ist 23. Db6 , was zugleich Tc7 und Sxg6 droht, wahrscheinlich am stärksten.
23. Txc7 h6
Möglicherweise hatte Aljechin in der Vorausberechnung auf Tab8 gesetzt, und erst jetzt festgestellt, dass darauf 24. Sg5 unmittelbar gewinnen würde, da zugleich Sxf7 und Se6+ droht. Deswegen verhindert er mit dem Textzug diese Möglichkeit, muss aber dafür den Bauern b7 verlieren und vor allem den weißen Turm auf der 7. Reihe unbehelligt lassen. Außerdem wird sich die durch h6 bewirkte Schwächung des Punktes g6 gleich als fatal erweisen.
24. Txb7 Tac8 Die letzte Hoffnung von Schwarz beruht nun noch auf einem Gegenspiel auf der c-Linie. Allerdings zeigt es sich gleich, dass der schwarze Turm sehr wohl eindringen, aber im Gegensatz zum weißen Turm auf der vorletzten Reihe nichts bewirken kann, da er keine Unterstützung durch seine anderen Figuren erfährt. Eine sehr lehrreiche Konstellation! 25. b3 Tc2 26. a4 Abermals erweist sich die Läuferstellung auf b5 als unglücklich. Le2
Etwas besser war Le8 , aber kaum verlockend, da es auch noch den Tf8 einsperrt. Der Tc2 fände auch in dieser Variante keine Angriffsobjekte.
27. Sh4! Nun zeigt es sich, dass h6 den Punkt g6 geschwächt hat; es droht Sxg6, was ohne anderweitige schwere Nachteile überhaupt nicht zu verhindern ist. Wäre der Läufer vorhin nach e8 gegangen, hätte er dort f7 und g6 gedeckt, und Schwarz könnte jetzt wenigstens Kh8 spielen. h5 Macht das Feld h6 für den schwarzen König frei.
Die Variante g5 28. Shg6 zeigt sehr schön, dass es bei Sh4 nicht auf die Bedrohung des Bauern, sondern des Feldes g6 ankam.
Natürlich gewinnt hier auch 28. Sf5+ nebst Sg3 und Eroberung des Le2.
Kf6 28. Sd7+ verliert die Qualität.
Und Kh8 28. Sxg6+
auch 28. Sxf7+ reicht
xg6 29. Sxg6# zeigt erneut die Kraft des Turms auf der vorletzten Reihe, falls er (anders als der schwarze Turm) Unterstützung durch weitere Figuren hat.
28. Sxg6 Te8 29. Txf7+ Kh6 30. f4 Nimmt dem schwarzen König auch noch das Feld f4. Schwarz hat die rechtzeitige Partieaufgabe bereits verpasst; jetzt kann er gleich auch noch bis zum Matt weiterspielen. a5 31. Sh4 Droht Matt auf f5, das Schwarz durch Qualitätsopfer noch aufschiebt. Txe5 32. xe5 Capa gibt seinem Gegner nicht einmal die Minichance eines Freibauern, der nach dxe5 entstehen würde. Kg5 Die Flucht nach vorne ist nicht immer die beste; aber natürlich ist es in dieser Stellung völlig egal, was Schwarz noch spielt. Durch seinen Materialvorteil und den Freibauern auf der e-Linie gewinnt Weiß in jedem Fall leicht, auch wenn sich Schwarz nicht mattsetzen lässt. 33. g3 Deckt nicht nur den Sh4, sondern zieht auch die Schlinge um den schwarzen König erneut zu. Kg4 34. Tg7+ Kh3 35. Sg2 Einen Zug vor dem Matt durch Sf4 gab Aljechin nun doch auf. So einfach ist Schach; man muss es nur spielen können!
PGN anzeigen[Event "Savorin Cup"]
[Site "St Petersburg RUE"]
[Date "1913.12.14"]
[Round "1"]
[White "Jose Raul Capablanca"]
[Black "Alexander Alekhine"]
[Result "1-0"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[ECO "D30"]

1. d4 d5 2. c4 c6 3. e3 Nf6 4. Nf3 e6 {Eine Eröffnung, wie sie auch im
Amateurbereich alle Tage vorkommt: die 'halbslawische' Verteidigung, die
dadurch charakterisiert ist, dass Schwarz seinen Bauern d5 sowohl mit c6 wie
auch mit e6 stützt, und den Damenläufer zunächst eingesperrt lässt, um seine
Befreiung auf später zu verschieben.} 5. Nbd2 {Capablanca macht hier etwas, das
auch der heutige Weltmeister Carlsen oft tut: er spielt einen 'zahmeren' Zug,
um den Gegner aus der gängigen Theorie herauszuführen. Wie die meisten
Eröffnungszüge hat der Zug Vor- und Nachteile; der Nachteil von Sbd2 (gegenüber
Sc3) besteht darin, dass der Druck auf d5 abgeschwächt wird, so dass Schwarz
leichter zu c6-c5 kommt; der Vorteil von Sbd2 ist allerdings, dass nach einem
späteren Nehmen auf c4 (um einem schwarzen Springer das Feld d5 freizumachen)
Weiß jetzt mit dem Springer wiedernehmen kann, der dann sofort an der Kontrolle
von e5 mitwirkt. So wird es in dieser Partie auch geschehen.} 5... Nbd7 (
{Möglicherweise war es hier tatsächlich am besten, den Umstand auszunutzen,
dass der weiße Damenspringer nicht auf d5 drückt und sofort} 5... c5 {zu
spielen, obwohl dann dieser Bauer schon zum zweiten Mal zieht.} ) 6. Bd3 Be7 7.
O-O O-O 8. Qc2 {Weiß konnte hier sofort energisch im Zentrum mit e3-e4
vorgehen; er konnte auch b3 spielen, um den Damenläufer nach b2 zu entwickeln.
Aber auch der Textzug hat einiges für sich, wie wir bald sehen werden; so wie
Schwarz spielt, wird sich die Damenstellung auf c2 sogar als besonders günstig
erweisen.} 8... dxc4 $6 {Siehe die Anmerkung zum 5. Zug von Weiß.} (8... b6
{nebst Lb7 und baldigem c5 zur Befreiung des Damenläufers sieht wie ein
plausibler Plan für Schwarz in dieser Stellung aus. Was Aljechin aber
vermutlich daran gestört hat, ist der Umstand, dass Weiß mit} 9. cxd5 {diesen
Plan durchkreuzen kann. Da c6 hängt, kann Schwarz nur} 9... cxd5 {zurücknehmen,
wonach der spätere Lb7 dauerhaft vom Bauern d5 eingesperrt bleiben wird. Die
Frage ist natürlich, ob dies tatsächlich einen echten Nachteil für Schwarz
bedeutet, der von Weiß auch ausgenutzt werden kann.} ) ( {Eine andere
Möglichkeit bestand in} 8... c5 {, womit Schwarz aber nach} 9. cxd5 {einen
Isolani in Kauf nehmen muss, da der Springer f6 an die Deckung von h7 gebunden
ist und somit nicht zurücknehmen kann (man erkennt die Wirklung der Dc2, und
dass c5 gleich im 5. Zug halt doch unproblematischer gewesen wäre):} 9... exd5
{und Weiß kann z.B. mit} 10. b3 {nebst Lb2 fortfahren und steht gut.} ) 9. Nxc4
c5 {Ohne diesen Gegenstoß gegen das weiße Zentrum kommt Schwarz natürlich nicht
aus.} 10. Nce5 cxd4 {Aljechin hat nicht bloß aus Mangel an Ideen auf c4
getauscht; er hat einen Plan, der auch prinzipiell ganz gut ist: er möchte den
weißen Damenbauern vereinzeln (also zu einem Isolani machen), um danach in
klassischer Weise das Feld vor dem Isolani (in diesem Fall das Feld d5) mit
einem Springer zu besetzen.} 11. exd4 {Den Isolani hat Capa schon bei 10. Sce5
in Kauf genommen, denn mit dem Springer f3 kann er ja nicht auf d4
wiedernehmen, da dieser dann die Deckung des Se5 aufgeben würde.} 11... Nb6
{Entsprechend dem erwähnten Plan. Das Springerfeld d5 wird Weiß dem Schwarzen
nun nicht mehr streitig machen können. Aber erstens hat das Nehmen mit dem
Bauern auf d4 Weiß nicht nur den Isolani verschafft, sondern auch dem Lc1 eine
schöne Diagonale beschert, und zweitens hat jetzt Capablanca eine simple
taktische Möglichkeit, eine Schwächung der schwarzen Königsstellung
herbeizuführen.} 12. Ng5 $1 {Der dreimalige Angriff auf den Punkt h7 erzwingt
die folgende Antwort.} 12... g6 ( {Denn nach dem prinzipiell wünschenswerten}
12... h6 $4 {gewinnt Weiß auf der Stelle mit} 13. Bh7+ Kh8 (13... Nxh7 14.
Qxh7#) 14. Ngxf7+ Rxf7 15. Nxf7# {(Dasselbe passiert übrigens auf 12...
Dxd4??)} ) 13. Ngf3 $1 {Der Springer hat auf g5 seine Schuldigkeit getan und
kann auf das Feld zurückkehren, wo er a) d4 wieder deckt und b) dem Lc1 die
Möglichkeit gibt, nach h6 zu laufen, was Schwarz daher mit dem nächsten Zug
verhindert.} 13... Kg7 14. Bg5 Nbd5 {Aljechin folgt weiter seinem Plan, und
seine Stellung sieht auch durchaus fest aus.} ( {Konnte er nicht mit} 14... h6
$4 {den weißen Läufer 'befragen' (eine Terminologie von Nimzowitsch)? Nein, das
Opfer} 15. Bxg6 $1 {hätte sofort die durch h6 geschehene Schwächung von g6
ausgenutzt:} 15... hxg5 (15... fxg6 16. Qxg6+ Kh8 17. Bxh6 {(droht Matt auf
g7)} 17... Rg8 18. Nf7#) 16. Bxf7 $1 {(es geht immer um das Betreten von g6
durch die weiße Dame) } 16... Rxf7 17. Qg6+ Kh8 (17... Kf8 18. Qxf7#) 18. Nxf7#
) 15. Rac1 Bd7 ( {Für den Amateur sieht hier} 15... Nb4 {verlockend aus, aber
nach} 16. Qd2 {, was Lh6+ droht, würde sich der Zug nur als Zeitverlust
entpuppen: Schwarz müsste genau wie in der Partie} 16... Ng8 {spielen. Ein
Tausch auf d3 würde Schwarz dagegen nichts einbringen, da in dieser Stellung
der Ld3 sowieso nichts bewirkt, während Schwarz seinen Springer am zentralen
Punkt d5 benötigt. Auf genau derselben Erwägung wird auch der 18. Zug von Weiß
basieren.} ) 16. Qd2 {Geht nicht nur dem zu erwartenden Angriff durch Tc8 aus
dem Weg, sondern droht auch Lh6+, die Schwarz mit seinem nächsten Zug abwehrt.}
16... Ng8 17. Bxe7 Qxe7 {An dieser Stelle mag Aljechin mit seiner Stellung
recht zufrieden gewesen sein: er ist nahezu vollständig entwickelt, hat den
Punkt d5 fest in der Hand, und seine schwarzfeldrigen Schwächen am
Königsflügel, die durch den erzwungenen Aufzug des g-Bauern entstanden waren,
sind durch den Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer scheinbar nahezu
bedeutungslos geworden. } 18. Be4 $1 {Einer dieser verblüffend einfachen Züge,
die vermutlich keiner von uns gefunden hätte: da der Läufer sowieso auf das
Bauerndreieck f7-g6-h7 beißt, besteht seine beste Verwendung im Abtausch gegen
den Stolz der schwarze Truppe: den schwarzen Zentralspringer. Da eine Figur,
die auf einem Feld vor dem Isolani steht, durch Bauernzüge nicht mehr gestört
werden kann (denn der Isolani hat ja keine Nachbarn), muss man ihn durch
Figuren abzutauschen suchen.} 18... Bb5 $6 { Im begreiflichen Bedürfnis, seinen
Läufer zu aktivieren, treibt Aljechin den angegriffenen Turm auf ein besseres
Feld. (Das ist ja etwas, das wir Amateure täglich machen: wir greifen
gegnerische Figuren so an, dass sie auf gute Felder fliehen können.)} (18...
Ngf6 {war besser, damit Schwarz nach dem Abtausch auf d5 mit dem anderen
Springer zurücknehmen kann:} 19. Bxd5 Nxd5 20. Ng4 $6 f6 {(hält die weißen
Springer von g5 und e5 ab; nach dem Abtausch des schwarzfeldrigen Läufers deckt
der Bauer nun teilweise die geschwächten Punkte)} 21. Qh6+ Kg8 {und Schwarz
hätte zunächst nichts zu fürchten.} ) 19. Rfe1 {Plötzlich droht Lxd5 nebst
Sxg6.} 19... Qd6 $2 {Sieht ja optisch gut aus: die Dame geht aus der Turmline
und pariert damit die erwähnte Drohung. Der Zug scheitert allerdings taktisch,
wie sich gleich zeigt.} ( {Dringend notwendig war} 19... Ngf6 {ähnlich der
Anmerkung zum 18. Zug von Schwarz, wobei Schwarz nicht mehr ganz so gut
wegkommt wie dort, da sein Lb5 schlechter steht (er kann z.B. mit Tc5
angegriffen werden) und der weiße Te1 besser steht.} ) 20. Bxd5 exd5 (
{Erzwungen, da nach} 20... Qxd5 21. Rc5 {Schwarz eine Figur einbüßen würde. Nun
kann Schwarz das Feld d5 für seine Figuren nicht mehr nutzen.} ) 21. Qa5 $1
{Das ist der Clou, und zeigt, warum Lb5 nicht gut war: Durch Angriff auf den
'losen' Lb5 erzwingt Weiß das Eindringen auf die 7. Reihe, oder wahlweise eine
grausame Schwächung der schwarzen Bauernstellung am Damenflügel. Mag sein, dass
Aljechin bei Lb5 nebst Dd6 diesen weißen Zug übersehen hat; oder aber er hat
die Kraft des Eindringens auf die 7. Reihe unterschätzt.} 21... a6 $2 {Der
letzte Fehler.} ( {Mit} 21... Bc6 {konnte Aljechin das Eindringen auf die
vorletzte Reihe noch verhindern, doch nach} 22. Nxc6 bxc6 23. Ne5 {stünde er
positionell trostlos: Weiß würde alle Kräfte auf den rückständigen Bauern c6
und den isolierten Bauern a7 konzentrieren, und Schwarz könnte kein Gegenspiel
aufbauen. Eine derart passive Stellung ist keine Option für einen Aljechin.} )
22. Qc7 {Man sieht, dass dieses Eindringen nur durch den Abtausch des Sd5
möglich geworden ist; ein Springer auf d5 würde c7 immer decken.} 22... Qxc7 ( {Auf} 22... Qe7 {ist} 23. Qb6 {, was
zugleich Tc7 und Sxg6 droht, wahrscheinlich am stärksten.} ) 23. Rxc7 h6 ( {Möglicherweise
hatte Aljechin in der Vorausberechnung auf} 23... Rab8 {gesetzt, und erst jetzt
festgestellt, dass darauf} 24. Ng5 {unmittelbar gewinnen würde, da zugleich
Sxf7 und Se6+ droht. Deswegen verhindert er mit dem Textzug diese Möglichkeit,
muss aber dafür den Bauern b7 verlieren und vor allem den weißen Turm auf der
7. Reihe unbehelligt lassen. Außerdem wird sich die durch h6 bewirkte
Schwächung des Punktes g6 gleich als fatal erweisen.} ) 24. Rxb7 Rac8 {Die
letzte Hoffnung von Schwarz beruht nun noch auf einem Gegenspiel auf der
c-Linie. Allerdings zeigt es sich gleich, dass der schwarze Turm sehr wohl
eindringen, aber im Gegensatz zum weißen Turm auf der vorletzten Reihe nichts
bewirken kann, da er keine Unterstützung durch seine anderen Figuren erfährt.
Eine sehr lehrreiche Konstellation!} 25. b3 Rc2 26. a4 {Abermals erweist sich
die Läuferstellung auf b5 als unglücklich.} 26... Be2 ( {Etwas besser war}
26... Be8 {, aber kaum verlockend, da es auch noch den Tf8 einsperrt. Der Tc2
fände auch in dieser Variante keine Angriffsobjekte.} ) 27. Nh4 $1 {Nun zeigt
es sich, dass h6 den Punkt g6 geschwächt hat; es droht Sxg6, was ohne
anderweitige schwere Nachteile überhaupt nicht zu verhindern ist. Wäre der
Läufer vorhin nach e8 gegangen, hätte er dort f7 und g6 gedeckt, und Schwarz
könnte jetzt wenigstens Kh8 spielen.} 27... h5 {Macht das Feld h6 für den
schwarzen König frei.} ( {Die Variante} 27... g5 28. Nhg6 {zeigt sehr schön,
dass es bei Sh4 nicht auf die Bedrohung des Bauern, sondern des Feldes g6
ankam.} ( {Natürlich gewinnt hier auch} 28. Nf5+ {nebst Sg3 und Eroberung des
Le2.} ) ) (27... Kf6 28. Nd7+ {verliert die Qualität.} ) ( {Und} 27... Kh8
28. Nhxg6+ ( {auch} 28. Nxf7+ {reicht} ) 28... fxg6 29. Nxg6# {zeigt erneut die
Kraft des Turms auf der vorletzten Reihe, falls er (anders als der schwarze
Turm) Unterstützung durch weitere Figuren hat.} ) 28. Nhxg6 Re8 29. Rxf7+ Kh6
30. f4 {Nimmt dem schwarzen König auch noch das Feld f4. Schwarz hat die
rechtzeitige Partieaufgabe bereits verpasst; jetzt kann er gleich auch noch bis
zum Matt weiterspielen.} 30... a5 31. Nh4 {Droht Matt auf f5, das Schwarz durch
Qualitätsopfer noch aufschiebt.} 31... Rxe5 32. fxe5 {Capa gibt seinem Gegner
nicht einmal die Minichance eines Freibauern, der nach dxe5 entstehen würde.}
32... Kg5 {Die Flucht nach vorne ist nicht immer die beste; aber natürlich ist
es in dieser Stellung völlig egal, was Schwarz noch spielt. Durch seinen
Materialvorteil und den Freibauern auf der e-Linie gewinnt Weiß in jedem Fall
leicht, auch wenn sich Schwarz nicht mattsetzen lässt.} 33. g3 {Deckt nicht nur
den Sh4, sondern zieht auch die Schlinge um den schwarzen König erneut zu.}
33... Kg4 34. Rg7+ Kh3 35. Ng2 {Einen Zug vor dem Matt durch Sf4 gab Aljechin
nun doch auf. So einfach ist Schach; man muss es nur spielen können!} 1-0


So, und jetzt noch die versprochene Liste, was man ggf. aus dieser Partie lernen kann:

1) Mit Weiß kann man es sich durchaus erlauben, in der Eröffnung 'lahme' aber solide Züge zu machen, wenn der Gegner dadurch aus 'seiner' Theorie herausgeführt wird und selbständig denken muss (siehe insbes. 3. und 5. Zug von Weiß)

2) Man darf eine Figur durchaus mehrmals in der Eröffnung ziehen, wenn man dadurch Schwächen im gegnerischen Lager schafft (siehe insbes. 10. und 12. Zug von Weiß)

3) Man sollte sich nicht allzu sicher fühlen, wenn man das 'paradiesische Feld' vor dem Isolani mit einem Springer besetzt hat; er kann von dort zwar nicht von einem Bauern vertrieben, aber evtl. durch einen Läufer günstig abgetauscht werden (siehe insbes. 18. und 20. Zug von Weiß)

4) Es ist gefährlich, gefühlsmäßig 'aktive' Züge zu spielen, ohne sie genau durchzurechnen. Man könnte gegnerische Figuren auch ganz einfach auf bessere Felder treiben (siehe insbes. 18. Zug vou Schwarz)

5) Der berühmte 'Turm auf der vorletzten Reihe' kann sowohl verheerend oder auch vollkommen wirkungslos sein, je nachdem ob es auf der vorletzten Reihe wirklich Angriffsobjekte gibt und ob andere Figuren den Turm unterstützen können (siehe insbes. 23. und 26. Zug)

6) Es ist äußerst wirkungsvoll, geschwächte Felder als Angriffsobjekte zu wählen; während ein angegriffener Stein (Figur oder Bauer) häufig 'davonlaufen' kann, kann das angegriffene Feld dies nicht (siehe insbes. 27. Zug von Weiß und die Variante zu 27... g5)

7) Punkt 7, 8 etc. kommt von euch ... oder auch eure Begründung, warum ihr aus dieser Partie bzw. meinen Kommentaren NICHTS lernen konntet ;)
Kellerdrache - 11. Jul '18
Ich denke, ein Problem von Schwarz ist, wie auch in den beiden Caro-Kann Partien, sein bescheidener Einfluß auf den Königsflügel. Capablanca kann hier ohne große Vorbereitung einen Königsangriff starten.

Die Variante die Capablanca hier spielt war eine Spezialität von ihm und wurde später z.B. auch von Smyslov ab und zu verwendet. Mit dem Schlagen auf c4 kommt Schwarz seinem Gegner entgegen. Von daher wäre es vermutlich zu empfehlen, dass möglichst aufzuschieben.

Ansonsten ist die Partie sowohl einfach zu verstehen als auch recht hübsch. Du hast glücklicherweise auch erklärt warum die offensichtliche Möglichkeit ...h6 jeweils schlecht war.
Vabanque - 11. Jul '18
Danke. Ich habe mich natürlich nach Möglichkeit bemüht, vor allem diejenigen Alternativen zu besprechen, die einem beim Durchspielen unmittelbar in den Sinn kommen.

Ich habe ja immerhin auch versucht zu begründen, was Aljechin mit dem Schlagen auf c4 im Sinn hatte.

An Hand von deinem Kommentar fällt mir nachträglich noch auf (außer zwei Schreibfehlern, die ich unmittelbar nach dem Posten plötzlich entdeckt habe), dass Weiß ja zunächst am Damenflügel operiert, um dort eindringt, die Entscheidung aber letztlich am Königsflügel fällt.

Damit wird wieder einmal klar, wie wichtig das brettumspannende Denken ist, das a unter anderem den Meister vom Amateur unterscheidet.
Oli1970 - 11. Jul '18
Guten Abend,

nachdem ich die Partie mittags schon überflogen habe, kam ich nun dazu, mich näher mit ihr zu beschäftigen. Schon beim ersten Überfliegen haben mich einige Punkte sofort angesprochen.
Das beginnt mit der ausführlichen Besprechung der Eröffnung im 5. und 8. Zug mit den Vor- und Nachteilen, und insbesondere gefällt mir die Betrachtung der Partie aus beiden Sichten unter Darstellung der jeweiligen Pläne - auch hier mit einem Abwägen des Für uns Wider der Möglichkeiten.

Auch das Eingehen auf die Bedeutung des Isolani vermittelt Theorie am konkreten Beispiel ohne seitenlange Abhandlung und in der Partie wird klar, dass die kostenlose "Entwicklung" des Lc1 kein schlechter Gegenwert ist.

Wie Kellerdrache schon schrieb - glücklicherweise hast Du die fehlerhafte Antwort ... h6 im 12. und 14. Zug beschrieben. Ich bin mir ziemlich sicher, h6 hätte ich im 14. Zug in Erwägung gezogen - das Brett ist relativ unübersichtlich, die vorhandenen Schlagmöglichkeiten und der Verlust eines weißen Läufers bei Einschlag sehen zunächst lupenrein aus. Es hier nicht einfach bei der richtigen Antwort zu belassen, ist für mich wertvoll. Der Lerneffekt muss sein, sich das Stellungsbild zu merken, wenn man es nicht berechnen kann. Eigentlich ist es einfach zu sehen - es zeigen drei Figuren unmittelbar auf g6 und von den drei unmittelbaren Verteidigern, von denen noch dazu einer die wertvollste Figur am Platze ist, wird einer abgezogen und trotzdem kommen mir manchmal solche komischen Ideen.

An dieser Stelle - hätte Aljechin nicht 14. ... Sfd5 oder Sfd7 (letzterer wohl eher suboptimal, sperrt den Läufer ein) erwägen und Lg5 zu einer Erklärung zwingen können / sollen, um so die Stellung aufzuräumen? Oder, da der weiße Angriff zunächst keine Fortsetzung findet, ist dem Festhalten am eigenen Plan damit stets den Vorzug zu geben? - Das spätere Sg8 leistet zwar das gleiche, ist dann aber erzwungen.

Bemerkenswert ist, wie "leise", ohne offensichtlichen Bruch, sich das Spiel plötzlich zwischen dem 18. und 21. Zug zum Damenflügel wendet, Aljechin seinen Springer auf g8 "vergisst" und immer weiter demontiert wird. Die Kommentierung bringt gut rüber, dass Aljechin nicht gewillt ist, sich das Spiel diktieren zu lassen: Er will die Zügel in der Hand behalten, koste es, was es wolle. Es scheint, als sei ihm sogar die Niederlage lieber als ein Remis, selbst wenn er es denn hätte haben können.

Eine nette Randnotiz ist, dass h6 auch im 23. Zug kein Glück bringt. Möglicherweise wäre Tae8 nebst Te7 noch eine Variante gewesen, Sg8 hätte die Deckung besorgt. Nach dem Tausch der Türme wäre an aktives Gegenspiel aber sicher ebenso nicht mehr zu denken gewesen.

Richtig gut war nochmals die Zusammenfassung des Lernwerts als Nachwort. Das erlaubt, elementare Passagen gezielt aufzugreifen, die im ersten Durchgang in ihrer Bedeutung übersehen wurden.


Vielen Dank für die Mühe, die Du Dir hier gemacht hast, der Detailreichtum war sicher mit sehr viel Arbeit zu erkaufen! Ich denke, die selbstgesteckten Ziele hast Du in dieser Kommentierung voll und ganz erfüllt. Es gibt sie also doch, die Großmeisterpartien, aus denen der Hobbyspieler etwas lernen kann - wenn sie für ihn erläutert sind. Sehr schön war der Schlusssatz des Kommentars - wer möchte da widersprechen? :-)
Byzantiner - 12. Jul '18
Vielen Dank! Viele interessante Stellungsmuster die "hängenbleiben". Für mich auf jeden Fall lehrreich. HG vom Byzantiner
Vabanque - 12. Jul '18
@Byzantiner: Danke, so war's auch gedacht :)

@Oli1970: Vielen herzlichen Dank, so eine ausführliche Besprechung würde man sich immer wünschen!
Ich meine zwar immer noch, dass meine Kommentare teilweise zu lang geraten sind (es hat ja auch einen gewissen Abschreckungsfaktor, wenn man so viel zu lesen präsentiert kriegt), aber anscheinend kamen sie zumindest bei dir in dieser Länge gut an.

>>An dieser Stelle - hätte Aljechin nicht 14. ... Sfd5 oder Sfd7 (letzterer wohl eher suboptimal, sperrt den Läufer ein) erwägen und Lg5 zu einer Erklärung zwingen können / sollen, um so die Stellung aufzuräumen?<<

Speziell hierzu - ich weiß nicht, was die Engine dazu sagt, aber gefühlsmäßig sollte der andere Springer nicht auf b6 stehen bleiben, wo er nichts leistet (nach einer 'alten Regel' stehen Springer auf b6 bzw. auf b3 bei Weiß immer schlecht; natürlich gibt es genug Ausnahmen). Der b6-Springer sollte also auf jeden Fall auf d5 landen, der andere dagegen am Königsflügel bleiben, um ihn zu verteidigen, und nicht vom K-Flügel abziehen. Auf g8 steht er natürlich nicht aktiv, deckt aber die durch den Aufzug des g-Bauern geschwächten Punkte f6 und h6!
Ich weiß es natürlich nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass dies auch so ähnlich Aljechins Gedanken während der Partie gewesen sein könnten.

>>Die Kommentierung bringt gut rüber, dass Aljechin nicht gewillt ist, sich das Spiel diktieren zu lassen: Er will die Zügel in der Hand behalten, koste es, was es wolle. Es scheint, als sei ihm sogar die Niederlage lieber als ein Remis, selbst wenn er es denn hätte haben können.<<

Ich kann mir gut vorstellen, dass A. im 21. Zug sehr wohl erkannt hat, dass Lc6 besser ist als das von ihm gespielte a6. Mit Lc6 hätte er allerdings auf jedes aktive Spiel verzichtet, und es war ihm bewusst, dass er gegen C. damit eines langsamen, qualvollen Todes sterben würde. Daher zog er - um die minimale Chance eines aktiven Gegenspiels willen - den schnelleren Tod vor.
Oli1970 - 12. Jul '18
Ich finde die Kommentare nicht zu lang, sie liefern gute Erklärungen ohne kompliziert zu sein. Kürzere Kommentare bergen die Gefahr, dass die Partie für den unbedarfteren Spieler an Nachvollziehbarkeit verliert und damit kein Interesse beim Leser weckt. Abschrecken würde mich eher das Fehlen, woraus sollte ich lernen?

Gefühlsmäßig hätte ich Sg8 dort niemals gespielt. Wegen des Drucks wäre meine Wahl wohl eher auf die Klärung des Läufers gefallen. Deine dargestellten Gründe sind aber plausibel und wirkliche Gefahr drohte noch nicht. Es ist auf jeden Fall nachdenkenswert - warum sollte man sich gegen etwas verteidigen, das gar nicht stattfindet? Ich mache mir eine Notiz für den Hinterkopf dazu.

Aljechin Versuch des Gegenspiels um jeden Preis ist ihm anzurechnen. Ein gutes Spiel sollte nach einer Entscheidung verlangen, lieber mit Kampf verlieren als ohne. Der Mut zum Risiko scheint in vielen zeitgenössischen Partien zu fehlen, vielleicht ging es seinerzeit mehr um Ehre. Aber das sind schon fast philosophische Überlegungen.
Vabanque - 12. Jul '18
>>warum sollte man sich gegen etwas verteidigen, das gar nicht stattfindet?<<

Das machen starke Spieler sogar sehr oft, man nennt es Prophylaxe.

Aljechin hätte ja im 18. und auch noch im 19. Zug die Chance gehabt, den Springer von g8 wieder wegzuziehen und mit Sgf6 den anderen Springer auf d5 zu stützen. Er hätte dies auch tun müssen, um sein Spiel zu halten. Somit war sein Fehler nicht etwa, den Springer nach g8 zu ziehen, sondern, ihn dort zu belassen.

Die nächste Partie, die ich vielleicht nächste Woche (oder ist das noch zu früh?) bringen werde, wird kürzer sein als diese, und die Anmerkungen werde ich ebenfalls versuchsweise knapper gestalten. Dann bin ich mal gespannt, was ihr sagt (denn ich hoffe, die jetzigen Interessenten werden auch dann noch dabei sein). Man kann sicher auch mit weniger Worten genauso viel Lehrreiches vermitteln.
Kellerdrache - 12. Jul '18
Die Länge oder Ausführlichkeit der Kommentare wird stark von der Komplexität der zu erläuternden Sachverhalte bestimmt - jedenfalls sollte es so sein. Wenn man beispielsweise versucht zu erklären warum ein Spieler eine exotische Abweichung zur Hauptvariante gewählt hat gehört eben dazu, dass man die Schwächen der Hauptvariante erwähnt und inwiefern die Abweichung diese vermeidet. Das braucht schon ein oder zwei Sätze.
Geht es nur darum zu erklären warum eine ungedeckte Figur einen Tempogewinn erlaubt kommt man wahrscheinlich mit deutlich weniger Worten aus.
Also einfach von den Erfordernissen der Partie leiten lassen würde ich vorschlagen.
Vabanque - 12. Jul '18
Strategische Zusammenhänge sind immer schwieriger zu erläutern als taktische. Und letzten Endes wird die gesamte Reihe mehr strategisch betonte Partien umfassen als taktische.
Oli1970 - 12. Jul '18
Du machst das schon, ich habe da vollstes Vertrauen. :-)
Wenn ich nur um das Nachwort bitten dürfte, das war sehr hilfreich, um den Blick nochmals auf bedeutende Aspekte der Partie zu lenken. Ich denke, dass die gesamte Kommentierung dadurch aufgewertet und abgerundet wurde.
Vabanque - 12. Jul '18
Du meinst die Aufstellung von Punkten, was man aus der Partie lernen kann?
Oli1970 - 12. Jul '18
Ja, genau. Sie hilft bei der Orientierung, die Partie zieht nicht einfach „vorbei“. Ich habe mich gefragt, was ist mir davon aufgefallen und ich habe mir überlegen können, ob ich das ebenfalls so bewerten möchte. Die Liste führte mich immer wieder mit neuen Überlegungen in die Partie zurück.
Natürlich hättest Du das gleiche innerhalb der Kommentierung machen können. Ich vermute allerdings, dass der Erfolg nicht der derselbe wäre. Der „Zwang“ zum Rücksprung ist deutlich höher so.
Vabanque - 12. Jul '18
Dabei ist mir noch sozusagen ein 7) eingefallen:

7) Es kann vorübergehend nötig sein, die Handlung auf den 'anderen' Flügel zu verlegen, wobei das Zentrum aber Dreh- und Angelpunkt bleibt. In dieser Partie erreicht Weiß durch den Abtausch des schwarzen Zentralspringers, dass er am Damenflügel eindringen kann, was ihm dann wiederum auf diesem 'Umweg' erlaubt, die Handlungen am Königsflügel wieder aufzunehmen und dort auch erfolgreich abzuschließen.

Man sieht also, dass diese 'einfache' Partie von ihrer Strategie doch schon auf höherer Ebene war. Aber ähnliches lässt sich in vielen Meisterpartien beobachten (das 'brettumspannende Denken' eben).

Die Partie, die ich mir für die 2. Folge ausgeguckt habe, ist da in ihrer Strategie bedeutend simpler; dort wird sich der Handlungsort nie verlegen. Dazu wird diese Partie auch zu kurz sein :)