Kommentierte Spiele

Schottisches Abenteuer (III): van der Wiel - McCarthy 1978

Vabanque - 07. Mai '17
Quasi als 'Nachschlag' zur Schottisch-Serie serviere ich nun noch folgende Rarität. Der Niederländer John van der Wiel brachte in der Junioren-EM 1978 (die er gewann) in der Mieses-Variante (die wir bereits in der Partie Kasparov-Bacrot gesehen haben) eine interessante Gambitfortsetzung aufs Tapet, die offenbar weder vorher noch nachher in der Meisterpraxis jemals wieder ausprobiert wurde. Vielleicht regt diese Partie ja den einen oder anderen Leser dazu an, den Zug 9. Lf4 mal in einer eigenen Partie zu versuchen?

John van der Wiel Anthony McCarthy Groningen | Groningen NED | 7 | 1978.12.28 | C45 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. d4 xd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sxc6 xc6 6. e5 De7 7. De2 Sd5 8. c4 Sb6 9. Lf4!? Dieser Zug, der ein doppeltes Bauernopfer plant, findet sich in den üblichen Online-Datenbanken nur ein einziges Mal - nämlich in dieser Partie. Also hat auch van der Wiel selbst trotz des damaligen spektakulären Erfolges das Experiment niemals mehr wiederholt. Db4+ Vielleicht ist der Grund, dass Lf4 sonst nie gespielt wurde, gar nicht mal in diesem schwarzen Widerlegungsversuch zu sehen. Schwarz könnte nämlich auch gut auf den Bauernraub verzichten und ganz solide 9... g6 nebst Lg7 ziehen. 10. Sd2
Gehört zum weißen Plan. Nach 10. Sc3 La6 könnte Weiß den Bauern c4 nicht mehr decken, da b3 nicht geht.
La6
Auch in dieser Partie betritt der Läufer dieses Unglücksfeld. Nur wird hier, im Gegensatz zu Kasparov-Bacrot, der Läuferzug mehr taktisch als strategisch scheitern. Schwarz sollte wohl besser sofort auf b2 nehmen und nach Dxb2 11. Tb1 nicht auch noch den Bauern a2 verspeisen. Wer diese Variante einmal ausprobieren möchte, muss die möglichen Folgen vorher selbst analysieren, da es wie gesagt keine Vorbilder gibt.
11. De4! Eine interessante Parallele zur Partie Kasparov-Bacrot. Dxb2 12. Tb1 Dxa2
Vielleicht bot Da3 mit der Möglichkeit, die Dame nach e7 zurückzuführen, eine bessere Verteidigungschance.
13. Le2! Weiß schließt erst einmal in ruhiger Weise seine Entwicklung ab und lässt den folgenden scheinbar sehr starken schwarzen Zug zu. Sa4? Dieser Zug, der Sc3 droht, verliert glatt, wie van der Wiel in glänzender Weise nachweist. 13... Da3 war die letzte Chance. 14. e6!! Herrlich gespielt! Weiß ignoriert die schwarze Drohung. Egal ob Schwarz jetzt Sc3 zieht, oder den Bauern nimmt, oder etwas anderes zieht, immer wird der schwarze König tödlich freigelegt. Sc5
Nach Sc3 15. xd7+ Kxd7 16. Lg4+ Kd8 17. Dxc6 mit Drohungen gegen d7, c7 und a8 wäre es sofort aus.
Aber auch die Annahme des Bauernopfers bekäme Schwarz nicht, denn nach xe6
xe6 15. Dxc6+ verliert offensichtlich sofort
15. Lh5+ g6
nach Kd8 16. De5 hätte Schwarz große Schwierigkeiten, c7 zu decken, z.B. Tc8
Ld6 17. Dxg7
17. Lg5+ Le7 18. Lxe7+ Kxe7 19. Dxg7+ Kd6
Kd8 20. Dg5#
20. Se4#
16. Lxg6+ xg6 17. Dxg6+ Kd8
Ke7 18. Lg5+ Kd6 19. Dd3+ mit Matt im nächsten Zug
18. Df6+
15. xd7+ Kxd7 16. Lg4+ Se6 Das war die Idee von 14... Sc5 gewesen. Aber der damit vorübergehend aufgerichtete schwarze Schutzwall ist sehr dünn und bricht schnell wie ein Kartenhaus zusammen. 17. O-O Ld6
Schwarz kann nicht alle Drohungen zugleich abwehren. Der Textzug verliert den 'Unglücksläufer' auf a6, aber der Versuch, ihn zu retten scheitert an Lc8 18. Tfe1 Kd8 sonst schnalzt es auf e6 19. Dxc6
18. Ta1 und Schwarz gab auf, da er den Läufer a6 in hoffnungsloser Stellung einbüßt (und danach auf f4 keine Figur zurückgewinnen kann!).
PGN anzeigen[Event "Groningen"]
[Site "Groningen NED"]
[Date "1978.12.28"]
[EventDate "?"]
[Round "7"]
[Result "1-0"]
[White "John van der Wiel"]
[Black "Anthony McCarthy"]
[ECO "C45"]
[WhiteElo "?"]
[BlackElo "?"]
[PlyCount "35"]

1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. d4 exd4 4. Nxd4 Nf6 5. Nxc6 bxc6 6. e5 Qe7 7. Qe2 Nd5 8.
c4 Nb6 9. Bf4!? {Dieser Zug, der ein doppeltes Bauernopfer plant, findet sich in den üblichen Online-Datenbanken nur ein einziges Mal - nämlich in dieser Partie. Also hat auch van der Wiel selbst trotz des damaligen spektakulären Erfolges das Experiment niemals mehr wiederholt.} Qb4+ {Vielleicht ist der Grund, dass Lf4 sonst nie gespielt wurde, gar nicht mal in diesem schwarzen Widerlegungsversuch zu sehen. Schwarz könnte nämlich auch gut auf den Bauernraub verzichten und ganz solide 9... g6 nebst Lg7 ziehen.} 10. Nd2 ({Gehört zum weißen Plan. Nach} 10. Nc3 Ba6 {könnte Weiß den Bauern c4 nicht mehr decken, da b3 nicht geht.}) 10... Ba6 ({Auch in dieser Partie betritt der Läufer dieses Unglücksfeld. Nur wird hier, im Gegensatz zu Kasparov-Bacrot, der Läuferzug mehr taktisch als strategisch scheitern. Schwarz sollte wohl besser sofort auf b2 nehmen und nach} 10... Qxb2 11. Rb1 {nicht auch noch den Bauern a2 verspeisen. Wer diese Variante einmal ausprobieren möchte, muss die möglichen Folgen vorher selbst analysieren, da es wie gesagt keine Vorbilder gibt.}) 11. Qe4! {Eine interessante Parallele zur Partie Kasparov-Bacrot.} Qxb2 12. Rb1 Qxa2 ({Vielleicht bot} 12... Qa3 {mit der Möglichkeit, die Dame nach e7 zurückzuführen, eine bessere Verteidigungschance.}) 13. Be2! {Weiß schließt erst einmal in ruhiger Weise seine Entwicklung ab und lässt den folgenden scheinbar sehr starken schwarzen Zug zu.} Na4? {Dieser Zug, der Sc3 droht, verliert glatt, wie van der Wiel in glänzender Weise nachweist. 13... Da3 war die letzte Chance.} 14. e6!! {Herrlich gespielt! Weiß ignoriert die schwarze Drohung. Egal ob Schwarz jetzt Sc3 zieht, oder den Bauern nimmt, oder etwas anderes zieht, immer wird der schwarze König tödlich freigelegt.} Nc5
({Nach} 14... Nc3 15. exd7+ Kxd7 16. Bg4+ Kd8 17. Qxc6 {mit Drohungen gegen d7, c7 und a8 wäre es sofort aus.}) ({Aber auch die Annahme des Bauernopfers bekäme Schwarz nicht, denn nach} 14... fxe6 (14... dxe6 15. Qxc6+ {verliert offensichtlich sofort})
15. Bh5+ g6 ({nach} 15... Kd8 16. Qe5 {hätte Schwarz große Schwierigkeiten, c7 zu decken, z.B.} Rc8 (16... Bd6 17. Qxg7) 17. Bg5+ Be7 18. Bxe7+ Kxe7 19. Qxg7+ Kd6 (19... Kd8 20. Qg5#) 20.
Ne4#) 16. Bxg6+ hxg6 17. Qxg6+ Kd8 (17... Ke7 18. Bg5+ Kd6 19. Qd3+ {mit Matt im nächsten Zug}) 18. Qf6+) 15. exd7+ Kxd7 16. Bg4+ Ne6 {Das war die Idee von 14... Sc5 gewesen. Aber der damit vorübergehend aufgerichtete schwarze Schutzwall ist sehr dünn und bricht schnell wie ein Kartenhaus zusammen.}
17. O-O Bd6 ({Schwarz kann nicht alle Drohungen zugleich abwehren. Der Textzug verliert den 'Unglücksläufer' auf a6, aber der Versuch, ihn zu retten scheitert an} 17... Bc8 18. Rfe1 Kd8 {sonst schnalzt es auf e6} 19. Qxc6) 18. Ra1 {und Schwarz gab auf, da er den Läufer a6 in hoffnungsloser Stellung einbüßt (und danach auf f4 keine Figur zurückgewinnen kann!).} 1-0
Vabanque - 09. Mai '17
Hat wirklich niemand eine Meinung zu dieser Partie bzw. zu dieser Eröffnungsvariante?

Oder wenigstens jemand, der mich darauf hinweist, dass die Überschrift falsch ist, es müsste Teil IV sein? ;)
speedymnb - 09. Mai '17
Also ich persönlich spiele ja liebend gerne Schottisch mit Weiß, aber an die Mieses-Variante hab ich mich nicht herangewagt :)

Hier mal ein paar Gedanken:
Ich denke dass nach 12. ... Da3 Schwarz die Stellung Mühelos halten könnte.
Und hatte Schwarz nicht noch die Möglichkeit nach dem 12./13. Zug lang zu rochieren? Die offene a und b Linie sehen zwar gefählich aus, jedoch ist der Läufer und Springer ja auch schon bereit den König zu verteidigen. Überführt man noch den Schwarzen Läufer zum Damenflügel, sollte die Festung nicht einzunehmen sein oder?
Vabanque - 09. Mai '17
Hallo speedy, schön dass du dich beteiligst!

Ich muss gestehen, an die lange Rochade von Schwarz habe ich hier gar keinen Gedanken verschwendet.

Rochiert Schwarz mit seinem 13. Zug, dann spielt Weiß 0-0 und es droht Ta1 mit Eroberung des La6 (wie im tatsächlichen Partieschluss), und wenn der wegzieht, kommt Weiß immerhin zu Txa7, und damit sieht die schwarze Rochadestellung schon sehr übel aus. Evtl. kommt die schwarze Dame ja auch selber in die Bredouille, wenn sie auf a2 bleibt und nicht die Möglichkeit hat, nach e7 zurückzuziehen.

Also kommt m.E. die lange Rochade allenfalls in Frage, wenn man nicht vorher den a-Bauern nimmt, also in Verbindung mit 12... Da3. Da sind wir uns ja einig, dass dieser Zug besser ist als das Nehmen des a-Bauern. Aber dann hat Weiß nur einen einzigen Bauern geopfert und dafür schon erheblichen Stellungsdruck.

Das sind natürlich alles auch nur Gedanken vom schnellen Drauf-Schauen, analysiert habe ich hier nichts.

Vielleicht schaut ja unser Chefanalytiker Colorado77 noch vorbei :)
speedymnb - 09. Mai '17
Oh ja stimmt, habe übersehen dass der a-Bauer dann ungedeckt bliebe...
Das macht meine Idee zunichte...
Vabanque - 09. Mai '17
So schauts aus :)

Finde es aber gut, dass du deine Idee geäußert hast und wir sie hier diskutiert haben.

Andere Leser (falls es solche gibt) hatten vielleicht dieselbe Idee und haben sie aus irgendeinem Grund nicht geschrieben. Die sind jetzt vielleicht froh, dass wir ihnen die Arbeit abgenommen haben :)
Kellerdrache - 12. Mai '17
Die Partie kannte ich bisher gar nicht. Es ist ganz erstaunlich, dass auch mit dem heutigen Wissen Spieler sich auf solche zeitraubenden Bauernjagden (wie die mit Dxb2 beginnende) einlassen während das eigene Zuhause mehr als zugig ist. Das voraus geschickt muss man einen Rammbock wie 14.e6 erstmal finden. Ich hab es beim Nachspielen jedenfalls nicht getan. Vor allem die Variante nach 14...fxe6 sind nicht so einfach entdeckt.
Vabanque - 13. Mai '17
Stimmt, ein Zug wie 14. e6 beweist schon das Talent des damals 19-jährigen van der Wiel. Wer in den 80er Jahren Schachzeitschriften gelesen hat, kennt seinen Namen ja auch ganz sicher. Nur gehört er zu den vielen, die später leider kaum mehr von sich reden gemacht haben.
Colorado77 - 14. Mai '17
Van der Wiel den Namen kenne ich aus meiner Jugend, immer verwechselt im van Wely ;-)
Bei den 80-er Turnieren jeweils gaantiert Besetzer des lucky looser Platzes, zu Deutsch, letzter, also in den Top Turnieren.

La6 ist so ein Zug, der absolut unverständlich ist, da er wirklich sehr augenscheinlich falsch sein muss.
Schwarz hatte ja schon den Plan mit Dxb2 einen Bauern zu verspeisen und nach dem notwendigen Tb1 auch den auf xa2 - vielleicht. Jedenfalls ist letzteres wie auch gesehen in der Partie mit einem Lb7 wesentlich einfacher umsetzbar als mit La6.
Vabanque - 14. Mai '17
La6 ist inkonsequent, das stimmt. (Konsequent und besser wäre sofortiges Dxb2). Aber Schwarz konnte offenbar der Versuchung nicht widerstehen, Entwicklung mit Drohung zu verbinden, was La6 nämlich tut. Daher gehört er zu der Art Züge, die momentan gut erscheinen, sich aber bereits mittelfristig ungünstig auswirken, da der L auf a6 nur Kummer bereitet.
Colorado77 - 14. Mai '17
Gerade mal geschaut K.....
In meiner 13,8 Mill. DB gibt es den Zug Lf4 doch 18 Mal, nicht viel also...
Nach 9x Db4+ gibt es 2 Partien mit 10.Sd2 Dxb2 und 75% für Schwarz.

11.Tb1 dann sieht Dd4 auch gut aus, Dxa2 ist vlt. möglich aber sieht doch riskant aus gefühlsmässig.
Nun hängt der Lf4, auf 12.g3 kann La6 kommen und die Deckung des Bc4 bereitet Weiss doch Probleme....
Vabanque - 14. Mai '17
Dann wäre die Läuferstellung auf a6 also doch plötzlich mal gut?

Du hast schon ungeheure Datenbanken, ich habe wie gesagt nur diese einzige Partie mit Lf4 gefunden.

Was wird denn in diesen 18 Partien hauptsächlich auf Lf4 gespielt?
Colorado77 - 14. Mai '17
Kannst sagen 7 Mill Humans, 2 Mill Corr und 4,x Mill Engines.

Db4 ist zu 50% anzutreffen, Sinn macht auch noch g6, Lg7 um den Be5 zu belagern. Evtl. später auch mit d6 oder f6 anzuknabbern.

Neben Db4 kamen auch La6 und d5 vor, auch De6 als Standard, um den Le7 frei zu kriegen.

Da kann man viel spielen, siehe auch unser TT von CC dazu: Sehr vielseitig das System. IMO ein Vorteil von Sb6 gegenüber La6, weil dann häufig dieses komische Endspiel mit T +2 B vs S + L erscheint, was sehr sehr oft Remis wird.