Kommentierte Spiele

Carl Schlechter (II): Schlechter - Przepiorka, 1906

Vabanque - 29. Sep '14
Wahrscheinlich hat Hasenrat die diesbezügliche Hoffnung inzwischen schon fast aufgegeben, aber nun setze ich endlich die kleine Reihe über Carl Schlechter fort.
Die folgende kurze Partie zeigt, dass Schlechter trotz seiner friedfertigen Natur auch blitzschnell und äußerst präzise zuschlagen konnte, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Bei seinem Gegner Przepiorka handelte es sich übrigens keineswegs - wie man vielleicht meinen könnte - um einen Amateur, sondern um einen begabten und starken Meister, der beispielsweise 1926 in München ein Turnier vor Spielmann und Bogoljubow gewann. Aber in dieser Partie spielte er schon die Eröffnung nicht optimal und griff dann auch noch mit seinem 14. Zug grob daneben, was gegen einen Spieler vom Kaliber eines Carl Schlechter die sofortige Exekution zur Folge hatte.

Carl Schlechter David Przepiorka 15th DSB Kongress (Nuremberg) | Nuremberg, GER | 8 | 1906.07.31 | D37 | 1:0
8
7
6
5
4
3
2
a
1
b
c
d
e
f
g
h
1. d4 d5 2. c4 e6 3. Sc3 Sf6 4. Sf3 Sbd7 5. Lg5 Le7 6. e3 b6 Da die Entwicklung des Damenläufers immer das Hauptproblem des Schwarzen im orthodoxen Damengambit darstellt, ist der mit diesem Zug eingeleitete Plan, den Lc8 nach b7 zu entwickeln, durchaus gut und richtig. Sehr viel später, nämlich etwa um 1980, kam diese Entwicklungsweise geradezu in Mode, allerdings erst nach der schwarzen Rochade und auch noch nach der Einschaltung von h7-h6, womit Schwarz potenzielle Angriffe gegen den Punkt h7 vermeidet. Nach dem ungenauen Partiezug hat Schwarz eine Reihe von Fallstricken zu überwinden. 7. xd5 Das sieht harmlos aus, ist es aber nicht. Denn nach dem automatischen Wiedernehmen 7... exd5 8. Lb5 Lb7 9. Se5 kann Schwarz mit O-O gerade noch Materialverlust vermeiden (es drohte Lxf6 mit Figurgewinn), muss aber das unangenehme Einnisten einer weißen Figur auf c6 zulassen. Sxd5 8. Sxd5 Und nun ist es so, dass Schwarz nicht zur Entlastung 8... Lxg5 spielen kann, da Weiß mit 9. Sxc7+ einen Bauern gewönne. xd5 9. Lf4 O-O 10. Ld3 c5 11. O-O Lb7 12. Tc1 Te8 Die Stellung sieht ausgeglichen aus, und trotzdem wird es sich gleich zeigen, dass Schwarz hier sehr schnell verlieren kann, wenn er nicht aufpasst. Die weißen Figuren sind viel harmonischer positioniert als die schwarzen. 13. Se5 Nanu? Ist Schlechter, der Remisliebhaber, nun etwa doch auf Abtausch aus? Ja, aber der Abtausch ist in diesem Fall ein Mittel, die Angriffschancen am Königsflügel zu verbessern. Weiß droht zunächst sowohl Dh5 (mit Angriff auf h7 und f7) wie auch 14. Lb5 Lc8 15. Sc6 mit Damengewinn! Sxe5 14. Lxe5 Der Tausch des Springers war also erzwungen; nun aber stehen die weißen Läufer prima, und die weiße Dame hat Zugang zum schwarzen Königsflügel. xd4?? Anscheinend rechnet Schwarz nur mit dem automatischen Zurückschlagen, und möchte anschließend mit Tc8 auf der c-Linie opponieren. Er übersieht den simplen weißen Zwischenzug. 15. Tc7 Selbstverständlich! Nur zu gerne tritt der weiße Turm (auch noch mit Tempo) in den 'Turmhimmel' (als den man den 7. Reihe mit Fug und Recht bezeichnen könnte) ein! Lc8 16. Dh5 Das auch noch! Es droht bereits Matt in 2 Zügen. g6? Verliert auf der Stelle. 16... h6 musste erfolgen, wonach ein forcierter Gewinn noch nicht ersichtlich ist, aber Weiß mit fast jedem vernünftigen Zug ein überlegenes Spiel behaupten konnte. 17. Lxg6! Bereits der Knock-out-Schlag! Schwarz gab auf. Schauen wir uns an warum: Das Wiedernehmen mit dem h- Bauern ist wegen Dh8# unmöglich; es bleibt also nur: xg6 18. Dh6 Und wie deckt Schwarz jetzt das Matt auf g7? Nach Lf8 ist Dxh7 sofort Matt, nach 18... Lf6 dauert es immerhin 2 Züge bis zum Matt (Dxh7+ und Df7#). Alles mit freundlichem Dank an den Turm auf der 7. Reihe, der die ganze Kombination erst ermöglicht. Kf7 Aber diese Flucht hilft noch für den Moment. (Vermutlich hat Schwarz diese Verteidigung nicht gesehen und deswegen bereits nach 17. Lxg6 die Waffen gestreckt. Aber es spielt keine Rolle, wie wir gleich sehen.) 19. Dxh7+ Ke6 Nach Kf8 wäre es ja wieder Matt auf g7. 20. Dxg6+ Lf6 21. Tc6+ Am einfachsten; nun erfolgt auf Ke7 Matt in 2, während nach Kd7 Weiß durch Td6+ die Dame gewinnt, inklusive weiterer Einnahmen. Aber auf Kxe5 ergibt sich ein schönes reines (!) Matt durch 22. f4# Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Schwarz das alles gesehen hat, als er nach dem Läuferopfer auf g6 aufgab, aber jedenfalls hat er danach seine verbleibenden Chancen richtig eingeschätzt: sie waren gleich Null.
PGN anzeigen[Event "15th DSB Kongress (Nuremberg)"]
[Site "Nuremberg, GER"]
[Date "1906.07.31"]
[EventDate "1906.07.23"]
[Round "8"]
[Result "1-0"]
[White "Carl Schlechter"]
[Black "David Przepiorka"]
[ECO "D37"]


1. d4 d5 2. c4 e6 3. Nc3 Nf6 4. Nf3 Nbd7 5. Bg5 Be7 6. e3 b6 {Da die Entwicklung des Damenläufers immer das Hauptproblem

des Schwarzen im orthodoxen Damengambit darstellt, ist der mit diesem Zug eingeleitete Plan, den Lc8 nach b7 zu

entwickeln, durchaus gut und richtig. Sehr viel später, nämlich etwa um 1980, kam diese Entwicklungsweise geradezu in Mode, allerdings erst

nach der schwarzen Rochade und auch noch nach der Einschaltung von h7-h6, womit Schwarz potenzielle Angriffe gegen den

Punkt h7 vermeidet. Nach dem ungenauen Partiezug hat Schwarz eine Reihe von Fallstricken zu überwinden.} 7. cxd5 {Das

sieht harmlos aus, ist es aber nicht. Denn nach dem automatischen Wiedernehmen 7... exd5 8. Lb5 Lb7 9. Se5 kann Schwarz

mit 0-0 gerade noch Materialverlust vermeiden (es drohte Lxf6 mit Figurgewinn), muss aber das unangenehme Einnisten einer weißen Figur auf

c6 zulassen.} Nxd5 8. Nxd5 {Und nun ist es so, dass Schwarz nicht zur Entlastung 8... Lxg5 spielen kann, da Weiß mit 9.

Sxc7+ einen Bauern gewönne.} exd5 9. Bf4 O-O
10. Bd3 c5 11. O-O Bb7 12. Rc1 Re8 {Die Stellung sieht ausgeglichen aus, und trotzdem wird es sich gleich zeigen, dass

Schwarz hier sehr schnell verlieren kann, wenn er nicht aufpasst. Die weißen Figuren sind viel harmonischer positioniert als die schwarzen.} 13. Ne5 {Nanu? Ist Schlechter, der Remisliebhaber, nun

etwa doch auf Abtausch aus? Ja, aber der Abtausch ist in diesem Fall ein Mittel, die Angriffschancen am Königsflügel zu

verbessern. Weiß droht zunächst sowohl Dh5 (mit Angriff auf h7 und f7) wie auch 14. Lb5 Lc8 15. Sc6 mit Damengewinn!} Nxe5

14. Bxe5 {Der Tausch des Springers war also erzwungen; nun aber stehen die weißen Läufer prima, und die weiße Dame hat

Zugang zum schwarzen Königsflügel.} cxd4?? {Anscheinend rechnet Schwarz nur mit dem automatischen Zurückschlagen, und

möchte anschließend mit Tc8 auf der c-Linie opponieren. Er übersieht den simplen weißen Zwischenzug.} 15. Rc7

{Selbstverständlich! Nur zu gerne tritt der weiße Turm (auch noch mit Tempo) in den 'Turmhimmel' (als den man den 7. Reihe

mit Fug und Recht bezeichnen könnte) ein!} Bc8 16.
Qh5 {Das auch noch! Es droht bereits Matt in 2 Zügen.} g6? {Verliert auf der Stelle. 16... h6 musste erfolgen, wonach ein

forcierter Gewinn noch nicht ersichtlich ist, aber Weiß mit fast jedem vernünftigen Zug ein überlegenes Spiel behaupten

konnte.} 17. Bxg6! {Bereits der Knock-out-Schlag! Schwarz gab auf. Schauen wir uns an warum: Das Wiedernehmen mit dem h-

Bauern ist wegen Dh8# unmöglich; es bleibt also nur:} fxg6 18. Qh6 {Und wie deckt Schwarz jetzt das Matt auf g7? Nach Lf8

ist Dxh7 sofort Matt, nach 18... Lf6 dauert es immerhin 2 Züge bis zum Matt (Dxh7+ und Df7#). Alles mit freundlichem Dank

an den Turm auf der 7. Reihe, der die ganze Kombination erst ermöglicht.} Kf7 {Aber diese Flucht hilft noch für den

Moment. (Vermutlich hat Schwarz diese Verteidigung nicht gesehen und deswegen bereits nach 17. Lxg6 die Waffen gestreckt.

Aber es spielt keine Rolle, wie wir gleich sehen.)} 19. Qxh7+ Ke6 {Nach Kf8 wäre es ja wieder Matt auf g7.} 20. Qxg6+ Bf6

21.
Rc6+ {Am einfachsten; nun erfolgt auf Ke7 Matt in 2, während nach Kd7 Weiß durch Td6+ die Dame gewinnt, inklusive weiterer

Einnahmen. Aber auf} Kxe5 {ergibt sich ein schönes reines (!) Matt durch} 22. f4# {Es ist zwar unwahrscheinlich, dass

Schwarz das alles gesehen hat, als er nach dem Läuferopfer auf g6 aufgab, aber jedenfalls hat er danach seine

verbleibenden Chancen richtig eingeschätzt: sie waren gleich Null.} 1-0
Hasenrat - 29. Sep '14
Nein, nicht aufgegeben - Geduld zahlt sich aus, wie man auch hier wieder sehen und genießen kann.

Nicht von schlechten Eltern (dieser Kalauer musste jetzt sein!), dieser präzise Karnickelfangschlag von einem friedfertigen Menschen.

"Turmhimmel" ist die siebte oder zweite Reihe also, das will ich mir merken - um meine Türme gehörig zu motivieren! ;-)
cutter - 29. Sep '14
Hier war David offensichtlich "Schlechter" dran als damals gegen Goliat ;-)
wobei ich schon glaube, dass der Meister die Fortsetzung mit der Königsflucht und dem f4-Matt gesehen hat. Das drohte ja schon sehr früh und weiß musste nur den K dazu bringen, endlich den L zu schlagen...
Danke wiederum für eine kurzweilige Partie!
Gespannte Grüße auf weitere Perlen der Schachgeschichte
cutter
Kellerdrache - 30. Sep '14
Wie sagte der Löwe nachdem er den Dompteur verspeist hatte ? " Ich bin zwar friedfertig, aber wenn man mir den Kopf in den Mund steckt...."

Gegen starke Gegner wie Schlechter kann man es sich nicht leisten mal einfach so einen "normalen" Zug zu machen ohne ihn zu prüfen. Es lohnt sich generell vor jedem Zug mindestens kurz mal zu rechnen.

Schlechters Glanzpartien sind nicht so häufig zu finden, aber wie man sieht konnte er es auch.
Vabanque - 30. Sep '14
Es gibt schon noch mehr Glanzpartien von Schlechter; ich werde mal ein paar ans Tageslicht zerren ;)