Kommentierte Spiele
Morra-Gambit (II)
Colorado77 - 30. Sep '16
Essermann van Wely US Open | New York | 2011 | B21 | 1:0
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4
3
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a
1

b

c

d

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f

g

h

Die folgende Partie soll Part 2 zum Morra Gambit sein. Part 1 war diese recht unbekannte Partie, die den klassischen Aufbau zeigt: <a rel="ugc" href="/forum/topic.html?key=3e238f13794d4a88&sv=11">/forum/topic.html?key=3e238f13794d4a88&sv=11</a> Die heutige Partie sieht einen ganz anderen Aufbau: Wissend um den weissen Plan De2/Tfd1 und e5 wählt Schwarz einen Aufbau, der ihm eine bessere Kontrolle über xe5 lässt und vor allem verhindern soll, dass ein Sf6 angerempelt wird mittels weissen e5. Die Nachteile dieses ambitionierten - und guten (!) schwarzen Systems - sind die gewisse Langsamkeit und die Schwäche entlang der Diagonale a2-g8. Weiss muss seine Hausaufgaben ebenfalls gemacht haben, denn der Standardaufbau - wie in Part 1 - hilft hier nicht. Er sollte möglichst schnell f4 durchdrücken und seine Dame nach xh5 transferieren. Zugleich und vor allem zeigt sich hier in der Partie, dass 250 Elo Punkte nichts sein können - wenn man eine ganz konkrete Eröffnung serviert bekommt, die der eine (Essermann) aus seiner Westentasche kennt und der andere (van Wely) bereits nach 11 Zügen alles am Brett finden muss. Fast die logische Folge ist, dass der Super-GM nach 16 Zügen bereits auf Verlust steht und das Partieformular im 26. Zug bereits unterschrieben muss. Ein Genuss für Taktiker und Eröffnungsanalysten, denn die wichtigsten Sequenzen sollte Essermann bereits daheim mit Houdini und Co. ausgearbeitet haben. Wichtig zu sagen auch, dass die Eröffnungsbombe Sd5!! NICHT seine Idee war, siehe unten. Und nun viel Spass mit dieser Partie.... 1. e4 c5 2. d4 xd4 3. c3 xc3 4. Sxc3 Sc6 5. Sf3 e6 6. Lc4 a6
Sge7 Dies ist der Versuch ohne a6/b5 auszukommen. Dies hinterlässt zwar keine Schwächen ABER Weiss hat nun die Möglichkeit zu Sb5 und anschliessend zu Sd6... 7. Lg5 f6 8. Le3 Sg6 9. O-O Le7 10. Sb5 O-O 11. Tc1 a6 12. Sd6 Dc7 13. Sf5 ! Nun holt sich Weiss den wichtigen schwarzfeldrigen Verteidiger ab, was per se schon volle Kompensation nach sich zieht! Tf7 14. Sxe7+ Sxe7 15. Lc5 mit sehr aktiver Stellung für Weiss!
7. O-O Sge7 Wie bereits erwähnt soll der Sg6 nach xg6 um sich so den Anfeindungen durch weisses e5 zu entziehen. 8. Lg5 Der 1.wichtige Zug, der Theoriekenntnis erfordert: Es soll die Schwächung f6 erzwungen werden. f6 alternativ ist auch h6 möglich, was ebenfalls einen Rückzug nach xe3 erfordert. 9. Le3 Denn auf xh4 hätte der Läufer nichts und müsste nach Sg6 auf dem undankbaren Feld g3 geparkt werden. Sg6 10. Lb3 Prophylaxe gegen schwarzes b5. b5 Wo soll der Lc8 sonst auch hin, ausser Lb7? Doch nun ist Schwarz bereits mit 3 Entwicklungszügen im Nachtreff, was oft bestraft wird, so auch hier... 11. Sd5 !! Eine Keule, die einzig darauf abzielt, schnellst möglich die e-Linie zu öffnen und den unrochierten König anzugehen. Dieser Zug verdient seine Urheberschaft im Jahre 2001, der ukrainische IM Zakharov spielte ihn als erster! Dass es auch ruhiger geht, siehe Sd4: xd5 Tb8 Dieser Zug, das Opfer ausschlagend, ist das Einzige, um der Drohung Lb6 zu begegnen. 12. Tc1 a5 Ein Enginezug, denn: Ld6 ermöglicht Sxf6+ und auf Lb7 käme Lb6 mit klarem weissem Vorteil... Was also ziehen? 13. Sf4 Nun liegt schon ein Einschlag auf xe6 in der Luft und Schwarz ist total gehemmt, er hat überhaupt keine Koordination in seinem Figurenspiel.
12. xd5 Sce5 13. d6 kerkert den Lf8 ein und öffnet die Bahn für den Lb3. Lb7 14. Sxe5 xe5 15. f4! öffnet weiter die e-Linie. Df6? danach ist es schon verloren. Die einzige Chance bestand in dieser forcierten Remisvariante: xf4 16. Te1 xe3 17. Txe3+ Le7 18. Dd4 Die Fesselung entlang der e-Linie läuft nicht weg. Mit diesem starken Zwischenzug ist eine Entwicklung des Ta1 möglich sowie es hängt der Bg7 mit der anschliessenden Mattdrohung Df7. Dc8 Dieser Zug ist bereits der einzige und am Brett so gut wie nicht zu finden. Hintergedanken sind zu einen die Verteidigung von xe7 mittels Dc5 sowie die Mattdrohung Dc6-->xg2. Es ist die einzige Chance, die Dame aktiv ins Spiel zu bringen.
16. xe5 Dxe5 17. Lg5! +- Der nächste Bombenzug. Auch hier hängt der Läufer, der zudem noch dem Ke8 den Weg über xd8 abschneidet. Nun ist die e-Linie endlich frei für Weiss. Le7 18. Lf7+ Kd8 19. xe7+ Sxe7 20. Dd2 Wie ein Uhrwerk, so präzise spielt hier IM Essermann. Nun droht nicht nur Tae1 sondern auch wieder Da5 in Kombination mit einem Turm auf der c-Linie. Kc8 21. Tac1+ Sc6 22. Tfd1 Df5 23. Lf4 Weiss kann den Lf7 ruhig stehen lassen, denn es droht vernichtend Dd6 mit Matt. Van Wely hätte hier bereits ruhigen Gewissens aufgeben können. Dxf7 24. Dd6 Kd8 25. Txc6 Lxc6 26. Dxc6 1:0 Aufgabe Schwarz, denn auf Ta7 oder Tc8 folgt einfach Lg5+ mit Gewinn. Ein brutaler Sieg, pure Taktik, basierend auf einem Zentralangriff gegen den unrochierten schwarzen König, gepaart mit 2 starken Läufern und den entsprechenden Diagonalen a2-g8 und h4-d8. Ein weiterer Beweis, dass dieses Gambit in allen Spielklassen spielbar ist: Was einen 2700er in 20 Zügen umhaut, darf mit Fug und Recht auf auf 2200er Level gespielt und werden und darunter erst recht ;-) In der nächsten Folge, in circa 2-3 Wochen, wird ein ein Ausblick auf Schliemann/Jänisch-Gambit gegeben, in dieser Partie wird der legendäre Fischer seine Blitz-Künste offenbaren. Db8 Dieser Versuch die Dame auf a7 abzutauschen bzw. wenigstens den Te3 zu fesseln, scheitert. 19. xe7 Da7 20. Lf7+ ! Klassisches Räumungsoper gefolgt von einem Hinlenkungsopfer auf e8, um die schwarze Dame zu gewinnen. Kxf7 21. e8=Q+ Txe8 22. Tf1+ Kg8 23. Txe8+ Txe8 24. Dxa7 +-
19. Tae1 19. Dxg7?! Dc5 20. Lf7+ Kd8 21. xe7+ Kc7 22. Te1 Tae8 23. Lxe8 Txe8 Schwarz hat nun Oberwasser, der Be7 wird nun fallen ud der weisse Angriff ist verpufft. Im Endspiel sind die 2 Figuren dem Turm deutlich überlegen.
Dc6 20. Tf3 es drohte ja Matt auf xg2. Kd8 21. xe7+ Sxe7 Der einzige Zug, denn auf Kc7 käme Tc3, +-. 22. Txe7 Kxe7 23. Dxg7+ und nun endet alles friedlich, wie so häufig bei ultrascharfen Varianten. Kd6 Kd8 24. Dxh8+ Kc7 25. De5+ d6 26. Tf7+ Kb6 27. Dd4+ Dc5 28. Txb7+ Kxb7 29. Dxc5 xc5 30. Ld5+ Ka7 31. Lxa8 Kxa8 32. Kf2 Dieses Bauernendspiel ist trotz optischer weisser Überlegenheit (Majorität am alten Königsflügel) dennoch nur Remis. Kb7 33. Ke3 Kc6 34. Ke4 Kd6 35. g4 a5 36. b3 a4 37. xa4 xa4 38. g5 Ke6 39. a3 c4 40. Kd4 Kf5 41. Kxc4 Kxg5 42. Kb4 Kh4 43. Kxa4 h5 =
24. Tf6+ Kc7 25. Txc6+ Lxc6 26. Lf7 +/- eine mutige Bewertung, gedeckt durch Engine-Analyse, begründet durch die schlechte Koordination der Türme und den starken g-Bauer, der das Potenzial zum Freibauern hat.... Tac8 27. g4
Kellerdrache - 30. Sep '16
Sehr schöne Partie. Das macht einem direkt Lust mal Morra-Gambit in einer ernsten Partie zu spielen. Bisher hab ich es nur im Blitz eingesetzt und viele nette Stellungen aufs Brett bekommen. Aber ein bisschen Theoriekenntnisse sind schon von Nöten, weil Sd5 finde ich selber nicht am Brett ;-)). Gut gefallen hat mir auch 13.d6 was neben den von dir beschriebenen Effekten auch dafür sorgt, dass der schwarze König nicht über die dunklen Felder flüchten kann.
Colorado77 - 30. Sep '16
Ja probiere es mal aus und Du wirst sehen, U1900 kennen es wirklich nur sehr wenige. Ablehnen kann man es im Pirnzip nur mit dem Übergang zum Alapin-Sizi mittels 3...Sf6. 3..d5 ist nicht gut, da Schwarz schon cxd4 spielte und so Weiss das Feld c3 für den Springer überliess. Und die Ablehnung mittels 3...d3 ist einfach sehr passiv.
Für weitere Informationen siehe hier (bester Blog mit Analysen aus alten Zeiten...)
kenilworthian.blogspot.de/2012/01/smith-morra-gambit-update.html
Für weitere Informationen siehe hier (bester Blog mit Analysen aus alten Zeiten...)
kenilworthian.blogspot.de/2012/01/smith-morra-gambit-update.html
Vabanque - 01. Okt '16
Mir gefällt an der Partie zunächst vor allem mal die schöne Schlusskombination, beginnend mit 17. Lg5!!
Was die Eröffnung betrifft: Ein ehemaliger Vereinskollege von mir behauptete seinerzeit, die bessere Kenntnis der Variante könne gut und gern 300 Elo-Punkte wettmachen! Das glaubte ich ihm damals nicht ganz, aber obige Partie scheint seine These zu bestätigen ...
Und was Morra speziell betrifft: als ich als Jugendlicher in den 80er Jahren zum ersten Mal in einem Schachverein war, kam Morra plötzlich in Mode, und fast alle Clubkameraden lasen das (mittlerweile sicher völlig veraltete) Morra-Buch von Rolf Schwarz (ich hatte seinerzeit eine Kopie). Es war witzig zu verfolgen, wie im ganzen Club das Morra-Fieber ausbrach und sogar die sanftmütigsten Positionsspieler plötzlich Morra in ernsten Partien anwandten, manchmal sogar mit Erfolg! Aber freilich gab es auch Partien, die so verliefen, dass der Morra-Spieler keinen ausreichenden Ersatz für den Bauern bekam und schließlich in einem schlechten Endspiel mit Minusbauer ums Überleben kämpfen musste ...
Was die Eröffnung betrifft: Ein ehemaliger Vereinskollege von mir behauptete seinerzeit, die bessere Kenntnis der Variante könne gut und gern 300 Elo-Punkte wettmachen! Das glaubte ich ihm damals nicht ganz, aber obige Partie scheint seine These zu bestätigen ...
Und was Morra speziell betrifft: als ich als Jugendlicher in den 80er Jahren zum ersten Mal in einem Schachverein war, kam Morra plötzlich in Mode, und fast alle Clubkameraden lasen das (mittlerweile sicher völlig veraltete) Morra-Buch von Rolf Schwarz (ich hatte seinerzeit eine Kopie). Es war witzig zu verfolgen, wie im ganzen Club das Morra-Fieber ausbrach und sogar die sanftmütigsten Positionsspieler plötzlich Morra in ernsten Partien anwandten, manchmal sogar mit Erfolg! Aber freilich gab es auch Partien, die so verliefen, dass der Morra-Spieler keinen ausreichenden Ersatz für den Bauern bekam und schließlich in einem schlechten Endspiel mit Minusbauer ums Überleben kämpfen musste ...